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Kapitel 7

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Mara atmete scharf ein und musste sofort husten. Mund und Hals fühlten sich an wie nach einem Glas Mehl. Sie tastete mit den Händen über den Boden und spürte feinen Staub. Weiter hustend öffnete Mara die Augen, rappelte sich auf und stellte fest, dass sie aussah, als hätte man sie durch einen Kamin gezogen.

Mara stand in einer Wüste aus feinster Asche und vor ihr war nichts zu sehen außer einer grauschwarzen Düne nach der anderen. Nur da, wo sie gelegen hatte, zeichnete sich ihre Form ab wie ein Schnee-Engel.

Maras Atem beschleunigte sich, als das beklemmende Gefühl der Angst wieder nach ihrem Hals griff …

Nein, ganz ruhig jetzt, dachte Mara, nicht wieder durchdrehen. Das hat vorhin nicht geholfen und wird jetzt auch nichts bringen! Reiß dich zusammen, du Seherin!

Sie zwang sich, die Augen noch einmal zu schließen, und atmete dann so langsam, wie sie konnte, durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus. Immer wieder.

Ruhig bleiben … ganz ruhig …

Mara spürte, wie sich ihr Herz beruhigte und der Körper entkrampfte. Schließlich atmete sie auch wieder halbwegs normal und hörte auf, die Luft geräuschvoll durch die Nase zu ziehen.

Okay, also dann. Versuchen wir es noch mal, dachte sie und konzentrierte sich auf die Stube im Forsthaus. Wieder geschah nichts.

Verdammt.

Mara öffnete die Augen und erschrak so sehr, dass sie laut aufschrie, ihre Beine einknickten wie Pudding und sie hart zu Boden fiel.

Über ihr thronte auf einem fürchterlich dürren, aschfahlen Körper, der nur zum Teil von einer schwarzen Tunika bedeckt war, der Kopf eines Geschöpfes, wie es Mara noch nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen begegnet war!

Die Gestalt hatte kein Gesicht, keine Augen, keine Nase, keine Ohren und war völlig kahl. Nur an der Stelle, wo beim Menschen der Mund war, öffnete sich nun ein breiter Schlitz mit rasiermesserscharfen Zähnen. Dahinter lauerte eine blutrote Zunge wie eine Gefangene, bereit zum Ausbruch.

Panisch zitternd robbte Mara wie ein Krebs rückwärts über den Ascheboden, aber die Gestalt folgte ihr mühelos, ohne dabei den Boden zu berühren. Dann sprach sie und Maras Blut gefror …

Hör die Rede, Kind Heimdalls, befolge den Rat!

Gut ist dran getan, gehst du hier nicht fehl.

Im Totenreich bist du, der Taten genug,

keine Schlachten sind nun mehr zu schlagen.

Mara vernahm die zischelnde, heisere Stimme sowohl über die Ohren als auch direkt im Kopf. Sie kannte diesen Effekt, denn alle übernatürlichen oder götterartigen Wesen konnten auf diese Weise zu ihr sprechen.

Da das Geschöpf zu ihr sprach und nicht kreischend über sie herfiel, beruhigte Mara sich zumindest so weit, dass sie wieder ein paar klare Gedanken fassen konnte. Man hatte sie in den letzten Tagen schon mit so vielen seltsamen Bezeichnungen angesprochen, dass sie sich über das »Kind Heimdalls« schon gar nicht mehr wunderte. Außerdem gab es da noch ein paar deutlich beunruhigendere Details: Sie war also in einem Totenreich und das Monster dachte anscheinend, Mara wäre tot.

Mara fühlte sich aber nach wie vor sehr lebendig, nahm darum all ihren Mut zusammen, räusperte sich und sprach: »Also … ich glaube, da muss irgendwas schiefgelaufen sein, denn ich bin gar nicht tot und …«

Doch schon wurde sie rüde unterbrochen, als hätte ihr die Gestalt gar nicht zugehört.

Hör die Rede, Kind Heimdalls, befolge den Rat!

Gut ist dran getan, gehst du hier nicht fehl.

Befolge die Weisung, wisse, von wem sie gesprochen,

die Hel bin ich und Herrin der Toten.

Hel, Hel … wo hab ich das schon mal gehört? Maras Gedanken rasten. Denk nach, Mara, denk, denk …

Und da fiel es ihr siedendheiß ein. »Hel, natürlich, die Herrscherin des Totenreichs! Du bist Lokis Tochter!« Mara schluckte, als sie bemerkte, dass sie gerade die Herrscherin der nordisch-germanischen Hölle geduzt hatte. »Ähm, ich meine natürlich Sie sind … Ihr seid? … Entschuldigung? … Also, ich bin gar nicht tot, sondern nur zufällig hier gelandet, irgendwie. Ach ja, und ich kenne Euren Vater und er kennt mich! Ich hab ihm sogar geholfen, als …«

Mara erschrak, als die Hel nun ohne Versmaß zu ihr sprach und es klang, als würde sie innerlich glühen vor Wut. »Du wagst, Menschlein, Worte der Lüge? Zerreißen will ich dich, zu strafen die zischelnde Zunge!« Dazu streckte sie ihre knochigen Krallen nach Mara aus und bleckte fauchend die nadelspitzen Zähne.


Mara wusste, dass es überhaupt keinen Sinn machen würde, wegzulaufen. »Verehrte Hel, bitte glauben Sie mir! Ich bin nicht tot!«, rief Mara. »Und ich kenne wirklich Euren Vater! Ich war bei Loki in der Höhle! Es geht ihm gut!« Sie hielt inne. So konnte man das ja auch wieder nicht sagen. »Okay, natürlich ist er immer noch gefesselt, aber sonst geht es ihm … na ja, da ist natürlich immer noch die Schlange, die auf ihn runtersabbert, aber von der jetzt mal abgesehen, geht es ihm … ich meine, es tut natürlich immer noch schlimm weh, wenn sich der Speichel durch ihn durchfrisst, und dann schreit er auch immer furchtbar doll … aber … ansonsten geht es ihm echt gut … den Umständen entsprechend. Er hat sogar einen Arm befreit und ich hab ihm auch Sigyn zurückgebracht, damit sie wieder die Schale … halten … kann … Hallo?«

Schneller als ein Gedanke packte die Hel Mara am Kragen und zog sie so nah an sich heran, dass Mara den fauligen Atem spürte. »Strafen will ich die Lügen, die dreisten – und laben will ich mich an jungfrischem Blut! Noch toter als tot bist du, wenn die Todesgöttin dich verzehrt!«

»Nein! Bitte nicht! Hilfe!«, schrie Mara. Panisch trat sie nun um sich, versuchte, den Griff der Hel zu lockern, und schlug wie von Sinnen auf die Todesgöttin ein.

Doch die schien das gar nicht zu bemerken und riss stattdessen ihr Maul weit auf. Mara starrte in einen tiefschwarzen Schlund, der nichts anderes bedeutete als das sichere, absolute, endgültige Ende. Ein Ende weit, weit schlimmer als der Tod …

Gleißendes Licht blendete sie beide. Mara riss schützend die Arme vors Gesicht, hörte noch, wie die Hel wütend fauchte, und wurde auch schon davongeschleudert wie ein lästiges Bündel. Ungelenk landete Mara ein paar Meter weiter im Staub und ihr Gesicht grub sich durch die Asche wie ein Schneepflug. Wer auch immer gerade das Licht angemacht hatte – dieser jemand hatte sie gerettet. Zumindest für den Moment.

Hustend und spuckend hob Mara den Kopf und wischte sich hektisch die Augen. Zwischen ihr und der Todesgöttin stand ein Mann und leuchtete wie eine Sonne. Außerdem hatte er die Arme ausgebreitet und hielt die Hel damit auf Abstand. Dann sprach er in einem ähnlichen Vers wie vorhin die Todesgöttin.

Ich fordere, Hel, hör an meine Frage!

Musst Antwort mir geben, denn Gott bin ich noch.

Ist so groß deine Angst, vor diesem Mädchen,

du das Leben ihr nimmst und dazu noch den Tod?

Einen Moment lang sah es so aus, als würde sich die Hel einen feuchten Dreck darum scheren, was der Lichtmann sagte. Aber dann ließ sie die Krallen sinken.

Mara atmete auf. Doch der bösartige Sarkasmus der Hel verhieß nichts Gutes. »Wie könnt ich dem Balder widerstehen, dessen Untergang die ganze Welt beweinte? Oder soll ich sagen, fast die ganze Welt?«

Mara schluckte. Der Sonnenmann war also tatsächlich Balder? Der Gott? Professor Weissinger hatte ihr erzählt, dass Loki schuld war an dessen Tod und sogar dafür gesorgt hatte, dass Balder nicht wieder aus dem Totenreich zurückkehren konnte! Da war er aber bestimmt mächtig sauer auf Loki und vielleicht war es gar keine so gute Idee, ihm von ihrem Treffen mit dem Halbgott zu erzählen …

Aber wie es schien, hatte Balder etwas mit Loki gemeinsam. Er hatte hier unten im Totenreich die Jahrhunderte überdauert, ganz genauso wie sein Widersacher Loki in der Höhle am Rande der Zeit! War Balder vielleicht sogar Maras geheimnisvoller Auftraggeber und schützte sie deswegen vor der Hel?

Mara schob ihre Gedanken beiseite. Sie musste sich konzentrieren und weiter zuhören. Denn schließlich diskutierte man gerade ihr Überleben.

»Ja, es stimmt, einer der Asen bist du und immer noch mächtig«, sprach die Todesgöttin gerade. »Und doch bewegt deine Macht jenseits dieser Aschehügel nicht mehr als ein letztes Lüftchen aus dem Arsch eines sterbenden Greises.«

Mara musste unwillkürlich an die Jungs in ihrer Klasse denken, die immer sofort loskicherten, wenn irgendwas auch nur entfernt nach »Pipikacka« klang. Allerdings bezweifelte sie sehr, dass sie auch hier gelacht hätten.

»Ich weiß, dass ich hier nicht viel vermag, verehrte Hel, und dankbar bin ich für deine Gastfreundschaft«, erwiderte Balder und lächelte.

Mara wusste nicht, ob er das ernst meinte. Zumindest hatte er nicht ironisch geklungen.

Da wendete sich der leuchtende Gott an Mara und fragte mit seiner samtweichen Stimme: »Also, sprich selbst, Kind. Wer bist du und wie kamst du hierher?«

Mara war ein wenig davon überrumpelt, dass nun nicht mehr über sie, sondern mit ihr gesprochen wurde, hatte sich aber schnell wieder im Griff. »Mein Name ist Mara Lorbeer und ich bin eine Spákona. Lok… lockerer nennt man mich auch gerne Litilvölva.«

Sie hatte sich gerade entschieden, dass es vielleicht doch eine saudumme Idee war, in Balders Gegenwart von Loki zu sprechen. Der Gott hatte wohl nichts bemerkt, verzog keine Miene und wartete darauf, dass sie weitersprach.

»Ähm, ich weiß nicht genau, wie ich hierherkam. Auf jeden Fall war ich gerade eben noch in einem milchig weißen Nichts irgendwo da oben. Ich wollte weg, aber es klappte nicht. Dann hat mich irgendwas plötzlich hinuntergezogen und darum bin ich da drüben gelandet, wo man noch meinen Abdruck sieht.« Mara hatte absichtlich verschwiegen, dass irgendwo da oben noch andere im Nebeldings hingen. Man konnte ja nie wissen.

Balder nickte Mara überraschend freundlich zu und drehte sich dann lächelnd um zur Hel. »Siehst du, meine teure Aschekönigin? Das ist des Rätsels Lösung. Sie ist eine kleine Völva und darum konnte sie sehen in den weißen Nebeln. Zudem kennt sie noch ihren Namen, hat also auch ihr Leben nicht zurückgelassen in den Hvitmyrkr.«

Dieses seltsame Wort klang für Mara wie ein Schreibfehler, aber sie konnte sich zusammenreimen, dass damit wohl das seltsame weiße Nichts gemeint war.

Die Todesgöttin hatte nicht geantwortet. Ihr ausdrucksstarkes Schweigen gefiel Mara allerdings noch weniger.

Dafür trat Balder jetzt ganz nah an die Hel heran. »Du kennst die Regeln, Herrin der Asche. Jeder Sterbliche ist dein, den der Strohtod ereilt. Und jeder auf dem Feld Gefallene ist ebenfalls dein, wenn die valkyrjar ihn nicht wählen für Odins Heer. Was jedoch nicht dein ist, sind die Lebenden.«

Gespannt wartete Mara, was die Todesgöttin sagen würde. Womit sie nicht gerechnet hatte, war, dass die Hel so plötzlich neben ihr stand, als wäre sie die ganze Zeit nirgendwo anders gewesen. Bevor Mara irgendetwas tun konnte, hatte die Todesgöttin schon ihren Arm gepackt und die Handfläche grob nach oben gedreht. Fast gleichzeitig spürte Mara einen brennenden Schmerz und starrte schockiert auf eine tiefe, ringförmige Wunde an ihrem Unterarm. Blut quoll daraus hervor und sie biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. Diesen Triumph wollte sie der Hel auf keinen Fall gönnen.

»Das Mal Draupnirs«, hörte sie den Lichtgott sagen.

Auch er stand nun neben ihr und blickte auf die Wunde. Ohne ein weiteres Wort ergriff auch er Maras Arm, aber er tat es so sanft, dass sie gar nicht auf die Idee kam, sich zu wehren.

Balder umschloss die blutende Stelle mit beiden Händen und schloss seine Augen. Auch Mara musste die Augen schließen, als seine Hände in einem solch hellen Licht erstrahlten, dass sie es sogar durch die geschlossenen Lider hindurch sehen konnte.

Als das Licht wieder schwächer wurde, ließ Balder Maras Arm los. Die Wunde war geschlossen und vernarbt. Auch der Schmerz war verschwunden und die Stelle sah nun so aus, als hätte sich Mara vor Jahren einmal bei irgendeinem Unfall verletzt. Der einzige Unterschied war, dass die Narbe nicht rötlich war, sondern tiefschwarz.

»Danke«, flüsterte Mara und der Lichtgott strich ihr beruhigend über die Schulter, bevor er sich wieder der Hel zuwendete. »Das Mal Draupnirs ist nicht leichtfertig zu vergeben. Was bezweckst du damit, Schlangenschwester?«

Anstelle einer Antwort streckte die Hel nur ihre Hand aus. Eine Aschewolke schwebte vom Boden hinauf und sammelte sich auf ihrer Handfläche. Sie schloss die krallenartigen Finger und presste sie kurz zusammen. Mara glaubte, ein leises Knirschen zu hören. Und obwohl es nicht so aussah, als müsse die Hel sich sonderlich anstrengen, wusste sie doch, was für eine unfassbare Kraft hier gerade am Werk war. Als die Todesgöttin die Hand wieder öffnete, war die Asche verschwunden. Stattdessen lag dort ein schwarz glänzender Edelstein.

Mit einem Gesichtsausdruck, der vielleicht ein Grinsen sein sollte, hielt die Hel Mara den Edelstein entgegen. »Überbringe das dem Loki, meinem Vater, wenn du vermagst.«

Bei der Erwähnung von Loki schielte Mara vorsichtig zu Balder hinüber, doch der blieb regungslos.

Vorsichtig nahm sie den schwarzen Stein aus der Hand der Hel. Er war so groß, dass sie ihn gerade so mit ihrer Hand umschließen konnte, aber klein genug, um ihn in die Hosentasche zu stopfen. Genau das tat Mara nun auch und zwar genauso beiläufig, als würde sie ein Päckchen Kaugummi einstecken. Die sollte jetzt bloß nicht denken, dass sie beeindruckt war von diesem Kunststückchen.

»Ich gewähre dir so viel Zeit, wie der Ring des Draupnir acht Kinder gebiert. Schaffst du es, hast du die Wahrheit gesprochen, das Mal wird vergehen und ich löse meinen Griff. Schaffst du es nicht, werde ich deine Seele verschlingen.«

Mara war sich nicht sicher, ob sie das mit dem Mal und den Kindern richtig verstanden hatte, aber so viel war klar: Die Hel würde sie gehen lassen, wenn sie Loki dafür den Klunker vorbeibrachte, und das sollte eigentlich kein Problem sein.


»Okay«, sagte Mara und die Hel blickte sie irgendwie irritiert an. Wenn man so etwas überhaupt von einem Wesen ohne Augen sagen konnte. Was hatte sie denn jetzt wieder?

Ach so, natürlich: Woher sollte die Todesgöttin hier unten schon mal das Wort »Okay« gehört haben? Mara beeilte sich, zu verbessern. »Ich meinte, wir haben einen Deal … Ach Mist, okay … Mist, nicht okay! Also: Hiermit gilt das … Geschäft als … als geltend.«

Mit diesem gestammelten Schwur streckte Mara ihre Hand aus und bereute es sofort, denn die Hel schlug erst ein, nachdem sie einen beachtlichen Batzen grünlichen Schleims auf die Handfläche gespuckt hatte. Igitt.

Mara starrte auf die zähflüssigen Speichelfäden zwischen ihren Fingern und überlegte fieberhaft, wohin damit. Sie hatte sich gerade für ihre Hose entschieden und war erstaunt, als plötzlich etwas ihre Sicht blockierte. Es war ein Tisch.

Mara und der Feuerbringer

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