Читать книгу Mara und der Feuerbringer - Tommy Krappweis - Страница 8
Kapitel 3
ОглавлениеWarum muss ich eigentlich jetzt sogar in den Ferien so früh aufstehen«, grummelte Mara vor sich hin, als sie sich am darauffolgenden Freitag aus dem Bett wälzte und mit den Füßen blind nach ihren Hausschuhen tastete. Na ja, früh übt sich, wer die Welt retten will.
Sie hatte vor einem Jahr Der Herr der Ringe von Tolkien gelesen, nachdem ihr die Filme so gut gefallen hatten. Mara war total überrascht gewesen, dass die Hobbits im Buch gar nicht gleich loszogen, um den Ring aus dem Auenland fortzubringen, sondern erst noch eine Menge Zeit verging. Monate, wenn Mara richtig gelesen hatte. Sie selbst hatte schon ein mulmiges Gefühl, wenn sie mal für eine halbe Stunde nicht an ihre große Aufgabe dachte. Die ganze Zeit über hatte sie zudem das Gefühl, bei Loki und Sigyn in der Höhle mal wieder nach dem Rechten sehen zu müssen. Aber gleichzeitig war sie sich auch ziemlich sicher, dass der sich schon melden würde, wenn er etwas brauchte. Das hatte er ja die letzten Male auch recht eindrucksvoll getan, indem er einfach durch die Leute gesprochen hatte, die gerade in Maras Nähe waren.
Mama war schon länger wach, und als Mara wachgeduscht und reisefertig ins Wohnzimmer kam, war sie gerade dabei, ihre Steine in einen Koffer zu packen.
»Aber Mama, meinst du nicht, wir finden im Mühlthal auch ein paar Flusskiesel?«, stöhnte Mara und kannte die Antwort bereits.
»Das sind nicht irgendwelche Flusskiesel, Mara, sondern meine Focus Stones™. Bitte sei nicht so ignorant, dazu hast du keinen Grund mehr.«
»Aber jetzt ist der halbe Koffer voll und du willst doch bestimmt auch noch ein paar Klamotten mitnehmen«, entgegnete Mara lahm.
»Nicht nur das«, antwortete Mama und legte wie zur Bestätigung auch noch ein Päckchen Räucherstäbchen, den dazugehörigen Aschefänger, zwei Kerzen und eine Kristallpyramide dazu. »Wir fahren schließlich nicht in den Badeurlaub, sondern auf ein Seminar.«
»Wär’ aber vielleicht auch mal ganz nett«, murmelte Mara zurück und verließ das Wohnzimmer, bevor es vielleicht noch zum Streit kam. Nicht dass sie sich nachher noch im Auto vor Professor Weissinger angifteten.
Der Professor stand wie verabredet um Punkt acht Uhr mit seinem Kombi vor ihrer Haustür. Für ihn war die ganze Sache dann doch etwas sehr kurzfristig gewesen, aber er hatte den Stapel mit den zu korrigierenden Arbeiten seiner Studenten einfach eingepackt.
Sein Auto war nichts anderes als die natürliche Verlängerung seines Büros in der Uni. Nur, dass hier noch nie die Putzfrau das Schloss aufgebrochen hatte, um wenigstens einmal in zwei Jahren durchzusaugen.
Der Professor nahm die Blicke mit Humor. »Guten Morgen allerseits. Ja, das ist mein Wagen und er ist für mich nichts anderes als ein Transportmittel. Wenn der Berg auf der Rückbank so hoch ist, dass der Kram beim Bremsen nach vorn zwischen die Pedale fällt, schmeiß ich ihn weg.«
Er öffnete den Kofferraum und stoppte routiniert einen labbrigen Pappkarton, bevor der sich auf die Straße entleeren konnte.
»Brauch mal eine neue Schachtel, die fällt schon auseinander«, brummelte er und benützte Maras kleinen Koffer, um den Karton zu stabilisieren. Dann griff er zu Mamas Koffer, versuchte, ihn zu heben, und stutzte. »Hoppla, Frau Lorbeer, was haben wir denn da eingepackt? Die Steinsammlung aus dem Wohnzimmerregal?«
Mama antwortete einfach nur: »Ja.«
Der Professor runzelte kurz die Stirn, wuchtete aber dann das Koffermonster mit einem unterdrückten Grunzer in den Kofferraum.
»Wer ist eigentlich der Nasenbär da am Erdgeschossfenster, der uns schon die ganze Zeit so interessiert zuschaut?«, fragte er dann und deutete mit dem Daumen über die Schulter.
Mara drehte sich um und sah hinter der Gardine das argwöhnische Gesicht von Nachbar Dahnberger verschwinden.
Fast schade, dass der so schnell von allein wieder aufgewacht ist, dachte Mara. Wüsste auch gerne, wie ich ihn überhaupt hab einschlafen lassen, dann würde ich das jetzt glatt noch mal machen.
»Das ist Nachbar Dahnberger«, erklärte Mama. »Ich glaube, er versucht, seine innere Leere zu füllen mit dem Leben anderer Menschen.«
Wow, Mama, das war echt cool gesagt, dachte Mara und fragte sich, warum sie das jetzt nicht laut ausgesprochen hatte.
»Ha, schön formuliert, Frau Lorbeer«, übernahm stattdessen der Professor das Lob. »Ach, ist das nicht sogar der, der euch dauernd hinterherspioniert, Mara?«
Mara nickte und auch Mama verdrehte die Augen. Der Professor nickte nur zurück, setzte dann sein freundlichstes Lächeln auf, stapfte ans Fenster und klopfte. Ununterbrochen, ziemlich heftig und auch ziemlich schnell. Was hatte er vor?
Es dauerte einen Moment, bis Herr Dahnberger sich zeigte und irgendetwas empört grummelte. Doch Professor Weissinger klopfte weiter. Dabei lächelte er weiterhin liebenswürdig in Herrn Dahnbergers Wohnung hinein, als würde er ihn gar nicht sehen.
Schließlich sah ihr Nachbar ein, dass der bärtige Mann mit dem Müllwagen nicht aufhören würde zu klopfen, bis er das Fenster öffnete. Also schimpfte er noch einmal irgendwas und machte schließlich das Fenster auf. »Was soll denn das, sind Sie verrückt, hier in aller Früh an mein Fenst…«
»Guten Morgen, Herr Dahnberger«, unterbrach ihn der Professor in einem so höflichen Tonfall, dass man ihm unmöglich böse sein konnte. »Ich wollte mich nur stellvertretend für Familie Lorbeer bei Ihnen abmelden, wenn es recht ist. Unsere Abfahrtzeit ist 8.11 Uhr, wir haben also elf Minuten Verspätung. Aber machen Sie sich keine Sorgen, das holen wir hoffentlich unterwegs wieder rein. Ach, und bitte vermerken Sie doch auch in Ihrem Überwachungsprotokoll, dass wir gedenken, in vier Tagen um 18.02 Uhr wieder hier zu landen. Sollten wir das wider Erwarten nicht genau einhalten, entschuldige ich mich schon einmal für die Unannehmlichkeiten und übernehme gerne die Kosten für zusätzliche Arbeitszeit und entsprechende Abnutzung des Radiergummis.«
»W… wovon … was …«, stotterte Herr Dahnberger, und der Professor unterbach ihn sofort wieder: »Fein, Sie wissen also Bescheid. Vielen herzlichen Dank für Ihre Bemühungen und ich hoffe, dass Sie in unserer Abwesenheit weiterhin alles dokumentieren, was in, vor und hinter diesem Haus vor sich geht. Irgendeiner muss es ja tun, denn wo kämen wir denn da hin, wenn jeder leben würde, wie er gerade will, nicht wahr?«
»Ja, das … nein, ich meine …«, blubberte der Nachbar.
»Na, das meine ich aber doch auch«, nickte Professor Weissinger freundlich, hörte dann aber so schlagartig auf zu grinsen, dass Herr Dahnberger zusammenzuckte, und drehte sich einfach weg.
Der Nachbar machte ein Gesicht wie eine halb offene Schublade, als ihn der Professor da im Feinrippunterhemd am offenen Fenster stehen ließ.
Mara und ihre Mutter lachten noch, als sie schon auf der Autobahn Richtung Starnberg waren.
Der Professor hörte im Auto keinen Popsender, sondern einen, der ausschließlich Klassik spielte. Der Sender zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass nach jedem Musiktitel eine weibliche Stimme hauchte, dass man »bitte entspannt« bleiben solle.
Okay, noch ein-, zweimal und ich bin wirklich entspannt, dachte Mara. Aber noch vierzigmal und ich drehe durch.
Gerade war ein Stück mit jeder Menge Geigen zu hören, das man ihnen kurz davor als den Winter der vier Jahreszeiten von Vivaldi angekündigt hatte. Es war mitreißend, aufwühlend und dadurch in etwa so entspannend wie eine kalte Dusche mit Ohrfeigen-Massage.
»Auch wenn es jetzt dafür ein bisschen zu spät ist: Was ist das denn jetzt eigentlich genau, wo ihr beiden mich hinschleppt?«, rief der Professor durch die Geigen, als sie bei der Ausfahrt Starnberg die Autobahn verließen. Er richtete die Frage an beide, aber natürlich war sie eigentlich an Maras Mutter gerichtet.
Die antwortete auch gleich mit einer Gegenfrage. »Haben Sie denn das Infoblatt nicht gelesen?«
»Doch, doch, aber nicht verstanden«, entschuldigte sich Professor Weissinger ohne einen Funken Ironie. »Wer ist denn eigentlich dieser Dr. Riese?«
Mama runzelte die Stirn: »Dr. Riese? Sein Name ist Thurisaz.«
»Ach so, Entschuldigung«, sagte der Professor und drehte das Radio leiser. »Thurisaz ist der Name der Rune TH im Urnordischen und entspricht lautlich dem altnordischen Wort ›Thurs‹ für ›Riese‹.«
Mara sah ihre Mutter an. Diese hing an den Lippen des Professors – und das, obwohl man die unter dem Bart nur vermuten konnte.
»Tatsächlich? Also das ist ja wirklich interessant«, sagte sie. »Wir haben im Wicca-Café auch einmal das Runenwerfen praktiziert, aber ohne fachliche Anleitung. Vielleicht wollen Sie ja beim nächsten Mal dazukommen?«
Der Professor winkte lachend ab. »Ach, Frau Lorbeer, ich glaube, das wollen Sie nicht wirklich. Mit mir macht so etwas keinen Spaß. Ich lese aus jedem Wurf nur die Information ›zufällige, sinnlose Anordnung‹ und ich glaube, Sie und Ihre Freundinnen erhoffen sich da was ganz anderes.«
Und Mara war völlig baff, als Mama nicht den Mund zu der bekannten missbilligenden Spitze zusammenzog, sondern ganz im Gegenteil laut loslachte. »Ja, Herr Weissinger, da könnten Sie recht haben. Da erhoffen wir uns wirklich ganz was anderes.«
So langsam entwickelte sich das Verhältnis zwischen Mama und dem Professor in eine Richtung, die Mara ebenso recht wie unrecht war.
Wie schön, dass es jetzt auch hier komplizierter wird, dachte Mara. Bin mal gespannt, was uns jetzt bei diesem Seminar vom Doktor Runenriese erwartet …
Da wurde sie vom Radio aus ihren Gedanken gerissen. Denn gerade hatten die Nachrichten begonnen und ein Politiker war zu hören: »Wir werden dieses Anliegen wohlwollend prüfen, aber bitte haben Sie Verständnis, dass diese Prüfung eingehend zu sein hat und darum etwas mehr Zeit in Anspruch nimmt.«
Mara beschloss, sich diesen Satz zu merken, wenn Mama wieder einmal verlangte, dass sie ihr mit der Wäsche half.
Unter anderen Umständen wäre das Forsthaus im Mühlthal sicher ein idyllischer Ausflugsort gewesen. Aber nun sah Mara der Ankunft dort mit gemischten Gefühlen entgegen. Mal ganz abgesehen von dem Vers des Feuerbringers, war ihr auch diese Rückführungsgeschichte nicht ganz geheuer. Sie wollte sich schließlich weder rück- noch vor- oder sonst wohin führen lassen, sondern nur herausfinden, was hinter dem Vers steckte. Und am besten, ohne dass dieser Dr. Thurisaz Verdacht schöpfte.
Das Forsthaus war nicht etwa eine kleine Holzhütte, wie der Name vielleicht vermuten ließ. Vielmehr war es als sogenannter Jagdsitz der Wittelsbacher im Jahr 1894 erbaut worden. Hier in der Gegend hatte sich also die Königsfamilie von einem Heer aus Treibern die Tiere des Waldes vor die Flinten hetzen lassen, um sie dann des Abends im Forsthaus gemeinsam zu verspeisen. Puh. Mara war zwar keine Vegetarierin, aber ein bisschen mulmig wurde ihr schon bei dem Gedanken. Dafür entschädigte allerdings der Anblick des romantisch anmutenden Hauses mit seinen efeuumrankten Fenstern und dem gemütlichen Biergarten unter den alten Kastanienbäumen.
Das Gebäude schmiegte sich mit seiner rechten Seite so nah an einen steilen Berghang, dass man fast das Gefühl hatte, das Haus würde Schutz suchen. Oder den Berg stützen.
Zwei rauchende Schornsteine ließen auf brennendes Kaminholz schließen und aus den Fenstern schimmerte warmes Licht.
Vielleicht wird’s ja doch sogar ganz nett, dachte Mara, als sie ihren Koffer vom Rücksitz zerrte und versuchte, die dort ebenfalls gestapelten Aktenordner nicht auf dem Parkplatz zu verteilen.
Am Eingang zum Forsthaus wurde Mama bereits herzlich begrüßt von ihrer besten Freundin bei den Wiccas von der Au: Walburga.
»Christa! Ist es hier nicht ganz zauberhaft?«, flötete sie und hopste dabei freudig auf und ab.
Walburga war wirklich und wahrhaftig Mamas dickste Freundin, denn sie war eher breit als hoch und hatte in etwa die Form von zwei aufeinandergedötschten Eiskugeln. Mit Beinen.
Trotzdem war Walburga erstaunlich quirlig und beweglich.
»Die heißt doch nicht wirklich Walburga, oder?«, zischte der Professor Mara zu, aber Mara zuckte nur mit den Schultern. Ob sie nun wirklich so hieß oder sich den Namen selbst gegeben hatte, machte kaum einen Unterschied: Auf jeden Fall passte er perfekt.
Mama und Walburga schwatzten sofort aufeinander ein und ihre Stimmen verschmolzen zu etwas, das so ähnlich klang wie »Bagawaggawagga…« Na ja, Hauptsache, die beiden verstanden, was sie sich gegenseitig erzählten.
Mara trottete über den Parkplatz auf sie zu und ließ die Umgebung auf sich wirken. Überrascht blieb sie plötzlich stehen, kniff die Augen zusammen und griff sich mit Zeigefinger und Daumen an den Nasenrücken. Aua! Was ist das denn? Au!
»Stimmt was nicht?«, raunte ihr der Professor zu.
»Ja, nein, ich weiß nicht …«, flüsterte Mara mit zugekniffenen Augen.
»Was Gutes oder was Schlechtes und will es, dass du kommst oder dass du wegbleibst?«, fragte der Professor in sachlichem Tonfall. Er hatte mit Mara schon zu viel erlebt, um ihre Empfindungen als Einbildung abzutun.
»Ich weiß gar nicht, ob es ein Es ist oder mehrere Esse. Es fühlt sich an, als würde mich der ganze Berg anbrüllen, aber ich verstehe ihn nicht. Er schreit nämlich … mit Licht«, presste Mara hervor.
Ja, genau das war es: Sie spürte eine gebündelte Energie von so reiner Kraft, dass sie ihr wie ein grellweißes Leuchten vorkam.
»Mara!«, stieß der Professor hervor, als sie den Koffer fallen ließ.
Ein paar Meter weiter drehte sich Mama erschrocken um. Mara widerstand dem sinnlosen Versuch, sich mit den Händen vor dem Licht zu schützen, und fuhr stattdessen ihre mentale Schutzmauer hoch. Während der langen Jahre als Tagträumerin hatte sie sich diese Antitraumblockade mühsam aufgebaut und diese leistete ihr nun gute Dienste: Tatsächlich verblasste das Licht ziemlich schnell zu einem kaum wahrnehmbaren Funkeln irgendwo am gegenüberliegenden Berghang.
Geblendet wie nach einem Fotoblitz, griff Mara tastend nach unten, bekam den Griff des Koffers zu fassen und richtete sich dann mit einem halb gefrorenen Lächeln wieder auf.
»Hoppla«, rief sie etwas zu laut und zu fröhlich, um auch nur ansatzweise den Eindruck zu erwecken, dass wirklich alles in allerbester Ordnung war.
Als sie dabei ihren Blick wieder auf das Forsthaus richtete und einen tapsigen Schritt nach vorn machte, war auch das Funkeln verschwunden und Mara konnte versuchen, ihre Sinne wieder zusammenzukehren.
»Okay, schräg unterhalb vom linken Berghang da drüben steht wohl ein Leuchtturm und leuchtet mir direkt ins Hirn«, flüsterte sie dem Professor zu. »Was ist das denn hier für ein Ort, verdammt?«
»Ich hatte kaum Zeit, mich eingehend mit dem Mühlthal zu beschäftigen«, antwortete Professor Weissinger entschuldigend. »Aber was ich weiß, ist, dass …«
Da unterbrach ihn Mama mit einem lauten »Huhu!« und winkte. Sie sollten wohl endlich Walburga begrüßen, anstatt weiter auf dem Parkplatz herumzustehen.
Gleichzeitig schalteten der Professor und Mara die Gesichtsmechanik auf »nett« und kamen folgsam näher.
»Erzähle ich dir gleich«, raunte Professor Weissinger Mara noch zu und da standen sie auch schon vor Walburga, die ihm interessiert von unten in den Bart starrte.
»Hallo«, sagte Mara einsilbig und der Professor streckte seine Hand aus. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Reinhold Weissinger mein Name.«
»Oh, Rein-Hold, der Reine, der Saubere, und dazu noch hold, wie schön! Ich bin beeindruckt«, flötete Walburga.
»Walburga interessiert sich sehr für die Herkunft von Namen«, erklärte Maras Mutter stolz.
»Ah, wie interessant. Welche Quellen nutzen Sie denn zumeist für Ihre Recherchen?«, fragte der Professor höflich.
»Die Erde selbst natürlich. Ich spüre durch mich hindurch in den Boden und Nerthus gibt mir die Antworten.«
»Ein ungewöhnlicher Ansatz zur wissenschaftlichen Wissensgewinnung«, murmelte der Professor und rang sich so etwas wie ein Lächeln ab.
»Ja, das höre ich oft«, lachte Walburga. »Ich kam darauf, als ich die Erdmutter um einen Namen bat. Sie taufte mich Walburga, denn es bedeutet Die Erwählte ihres Hauses. Wal wie Wahl und burg wie Haus plus das weibliche a am Ende, verstehen Sie?«, erklärte Walburga und Maras Mutter nickte wissend.
»Ich habe jedes Wort verstanden, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich alles verstanden habe«, brummte der Professor.
»Ach, macht nichts, das bin ich gewöhnt. Ich erkläre es Ihnen gerne jederzeit noch einmal in aller Ruhe, wenn Sie wollen«, flötete Walburga.
Mara konnte ein Grinsen gerade noch unterdrücken, als sie sah, wie sich Mamas Gesicht zu einer Zitrone formte.
»Alsowirbeziehenjetztmalunsere Zimmer«, sagte Mama etwas zu schnell und zog damit den Professor Richtung Tür. »Wir sehen uns ja später. Bis dann.«
»Ich freue mich!«, zwitscherte Walburga ihnen hinterher und Mara musste hinter ihr vorbeigehen, um ihr Grinsen zu verstecken.
Na, das kann ja noch was werden, dachte Mara, als sie kurze Zeit später mit dem Zimmerschlüssel in der Tasche ihren Koffer die schmalen Treppen hinaufwuchtete.
Mama hatte Mara sogar ein eigenes Zimmer gebucht, denn sie wollte bei ihrer morgendlichen, mittäglichen und abendlichen Meditation nicht gestört werden.
In einem richtigen Urlaub wäre Mara natürlich enttäuscht gewesen, dass Mama sich keine Zeit für sie nahm. Aber in diesem Fall war ihr das ausnahmsweise sehr recht. Sie war auch ganz froh, dass ihr Zimmer nicht im gleichen Stockwerk lag wie das von Mama. Zufrieden stellte sie außerdem fest, dass das Zimmer des Professors ebenfalls nicht in Mamas Gang lag. Um zu ihr zu gelangen, musste er sogar an Maras Zimmer vorbei und das würde sie natürlich hören und … ja, was eigentlich … Egal. Hauptsache, Mara hatte ein Auge darauf. Auf was auch immer. Nicht dass hier noch irgendwer irgendwas Dings. Aber echt.
Die Zimmer waren nicht luxuriös, aber sehr geschmackvoll eingerichtet, mit viel dunklem Holz und einem bequem aussehenden Bett. Mara fiel sofort die Nachttischlampe auf, die kleine Löcher in Form von Sternen im Lampenschirm hatte. Wenn man sie anschaltete, warf das Licht ein hübsches Sternchenmuster an die Wand. Direkt neben dem Eingang befand sich die Tür zu einem kleinen Badezimmer mit Dusche. Dort hängte Mara erst mal ihren Bademantel auf, den sie extra noch mit in den Koffer gequetscht hatte. Mara fand abtrocknen nämlich doof und umständlich. Es war doch viel praktischer, in einen Bademantel zu schlüpfen, der dann das Wasser einfach wegsaugte, während man es schön warm hatte. Dazu konnte man noch die Kapuze aufsetzen, die Haare wurden auch gleich trocken und machten nicht überall Wasserflecken, auf denen man dann ausrutschte.
Da klopfte es auch schon leise an der Tür und Mara ließ den Professor herein.
»Wo hast du mich da bloß hingeschleppt, Mara Lorbeer aus der Au«, seufzte er, ließ sich auf der Bettkante nieder und stützte den Kopf auf die Hände.
»Was denn? Ist doch ganz hübsch, das Hotel«, entgegnete Mara amüsiert, da sie natürlich genau wusste, worum es Professor Weissinger ging.
»Hast du gehört, was diese Walburga aus meinem Namen gemacht hat? Reinhold, der Reine, Saubere? Ist das zu fassen!«
»Passt auf jeden Fall weder zu Ihrem Auto noch zu Ihrem Büro.« Mara grinste.
»Wie könnte es auch, ist ja auch völlig falsch!«, ereiferte sich der Professor. »Der Name stammt ab von regin wie ›herrschen‹ und nicht von rein wie ›porentief reine Waschkraft‹, also wirklich. Und nicht mal ihren eigenen Namen hat sie richtig gedeutet! Die Silbe Wal geht auf Wala wie germanisch ›tot‹ zurück und hat nun wahrlich nichts zu tun mit erwählt sein! Also, diese verquere Quadratgranate stellt doch hoffentlich den Gipfel der Verschwurbeltheit dar, oder?«
Mara wusste, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde, also sagte sie lieber erst mal nichts. Doch das war dem Professor Antwort genug. Er schlug sich die Hände vors Gesicht und ließ sich stöhnend rückwärts aufs Bett fallen. »Womit hab ich das verdient«, nuschelte er durch seine Finger und dann war es für einen Moment still.
»Ich bin echt froh, dass Sie da sind«, sagte Mara leise.
Der Professor rappelte sich wieder auf und sah Mara an. »Ist schon gut, entschuldige das Gejammer eines mittelalten Mannes. Es gibt ja wahrlich Schlimmeres. Auch wenn mir im Moment kein Beispiel einfällt.«
Mara nickte. »Lindwürmer, Feuerbringer, Ende der Welt …«
»Ja, das – und die Klausuren meiner Studis, die da drüben in einem Pappkarton noch auf mich warten. Aber du hast recht, lass uns endlich zum eigentlichen Thema kommen.«
Professor Weissinger stand auf und begann nun, in dem kleinen Zimmer auf und ab zu wandern. Dabei fasste er zusammen, was er über diesen Ort wusste. »Schon mal von Karl dem Großen gehört? Im Moment genügt erst einmal, dass er ein bedeutender Kaiser war, der in etwa im 8. Jahrhundert nach Christus gewirkt hat. Er war so bedeutend, dass der Name Karl in manchen slawischen Sprachen sogar zum Wort für ›König‹ wurde: Russisch korol, Polnisch król, král auf Tschechisch und so weiter. Man weiß leider nicht genau, wo und wann er geboren wurde. Aber es gibt da eine Sage, die seine Geburt hier ins Mühlthal verortet. Wahlweise da oben auf den Berg, wo man heute noch Reste einer uralten Burg finden kann, oder in einer Mühle etwas weiter die Straße runter. Beides leider in der Realität höchst unwahrscheinlich.«
»Aber was will denn bitte der Rest einer alten Burg von mir?«, fragte Mara und sofort stieg in ihr wieder das Gefühl der Hilflosigkeit auf, wie sie es in den letzten Tagen so oft gespürt hatte.
»Vermutlich nix. Denn dieses Leuchten, das du beschrieben hast, kam ja nun von der anderen Seite des Tals«, seufzte Professor Weissinger. »Und ich habe wirklich keinen Schimmer, was dir da wie ein Nebelscheinwerfer in den Kopf leuchten könnte. Tut mir leid. Was machst du denn da?«
Mara war in ihre Jacke geschlüpft. »Na, was mach ich wohl? Ich geh da jetzt hin und schau nach! Ich weiß nämlich jetzt schon, dass ich heute Nacht nicht schlafen kann. Erstens, weil ich wissen will, was hier los ist und zweitens, weil ich das sicher nicht abblocken kann, wenn ich müde bin. Kommen Sie mit?«
»Äh, jaja, natürlich. Aber wie viel Zeit haben wir denn noch? Wann beginnt denn dieses wahnwitzige Seminar?« Der Professor blätterte in den Infozetteln.
»In dreieinhalb Stunden und vier Minuten, wenn die Uhr da stimmt«, antwortete Mara und deutete auf den Digitalwecker auf dem Nachttisch. »Genug Zeit für einen Spaziergang. Und mit dem Leuchtturm fangen wir an.«