Читать книгу Unser Mann aus Italien Berlin 1968 Kriminalroman Band 38 - Tomos Forrest - Страница 9
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Das kleine, verwitterte und sehr reparaturbedürftige Haus, in dem Jochen Gerstner mit Gaby Wolters gewohnt hatte, stand in einer sehr einsamen Waldgegend beim Tegeler See. Genauer bei der Kleinen Mache. Am Dach fehlte so mancher Ziegel. Der Putz war nur noch sporadisch an den Wänden. Das ganze Gebäude schrie nach Sanierung.
Gaby und Jochen hatten eine wilde Ehe geführt. Hin und wieder – zumeist dann, wenn Jochen Gerstner blau war – hatten sie davon gesprochen, sich eines Tages trauen zu lassen, doch es war niemals etwas daraus geworden.
Möglich, dass es daran lag, weil Gaby zu oft zu viel trank. Wenn sie einen sitzen hatte, dann war sie zänkisch, aufsässig, lästig. Hinterher tat ihr das zwar stets leid und sie versprach in ihrer einsichtigen Stunde, dass sie von nun an einen großen Bogen um den Alkohol machen würde, doch das kleine Haus war nicht groß genug, um einen großen Bogen um die Flasche zuzulassen. Und so wurde Gaby immer wieder rückfällig.
Schorres und Eisner standen vor der zerkratzten Eingangstür.
Schorres klopfte.
Drinnen kreischte Gaby Wolters ärgerlich auf. Sie beschimpfte Jochen durch die Tür, weil sie der Meinung war, er stünde draußen und fände wieder mal seine Schlüssel nicht.
Meckernd kam sie an die Tür.
Als sie sie aufriss, traten die beiden Mörder augenblicklich ein.
Gaby war ein schmales, resolutes Mädchen. Sie hatte brandrotes Haar, das ein wenig zerzaust war. Millionen von Sommersprossen bevölkerten ihr Gesicht. Gabys Mund war ein wenig zu fröhlich geschminkt. Und sie hatte wieder einmal zu tief ins Glas geguckt.
Sie trug ein dünnes Fähnchen, das sie beim letzten Warenhausausverkauf für wenig Geld erstanden hatte. Es war farbenfroh und drückte in irgendeiner Weise Gabys Einstellung zum Leben aus.
Nun versuchte sie sich schimpfend gegen die beiden Männer zu stemmen.
„He!“, schrie sie ziemlich despektierlich. „Sagt mal, ihr zwei Lümmel, was fällt euch denn ein? Ihr könnt doch hier nicht so einfach hereinmarschieren! Wo sind wir denn? Das ist doch kein Durchgangshaus!“
Schorres versetzte ihr einen derben Stoß. Sie knallte mit dem Rücken gegen die Wand.
Eisner drückte die Tür hinter sich zu.
„Sagt mal, ihr habt sie wohl nicht alle!“, schrie Gaby die beiden Kerle zornig an.
„Schnauze!“, knurrte David Schorres eiskalt.
„Ihr verlasst auf der Stelle mein Haus!“
„Einen Dreck tun wir!“
Gaby Wolters japste nach Luft.
„Wenn ihr Jochen sucht, der ist nicht da.“
„Wir wissen, dass er nicht da ist. Deshalb sind wir ja hier. Wir sind deinetwegen gekommen.“
„Ich bin auf euch Lumpenpack nicht neugierig!“, zischte Gaby trotzig.
Schorres packte sie so fest am Oberarm, dass es weh tat.
„Wenn du jetzt nicht auf der Stelle die Luft anhältst, Baby, breche ich dir den Arm, ist das klar? Ein bisschen Spaß ist ja ganz nett. Aber du solltest wissen, wann es besser ist, den Rand zu halten!“
Gaby leckte sich über die knallroten Lippen. Ihr Blick war glasig. Ihre Wangen waren vom Alkohol gerötet, und sie roch auch vom Schnaps, als hätte sie darin gebadet.
Ihre Augen wunderten ruhelos zwischen den beiden Männern hin und her.
„Was – was wollt ihr von mir?“, presste sie aufgeregt hervor.
David Schorres lockerte seinen Griff.
„Nur ein paar Fragen, Mädchen. Wir stören wirklich nicht lange. Dann kannst du gleich wieder weitersaufen.“
„Ist doch wohl meine Sache, was ich tue!“, begehrte Gaby ärgerlich auf.
Schorres drückte sofort wieder zu.
„Au!“, kreischte Gaby. Und sie versuchte nach Schorres Schienbein zu treten. Da riss dem Mann die Geduld. Er holte blitzschnell aus und versetzte ihr eine knallende Ohrfeige. Gabys Kopf schnellte zur Seite. Sie rieb sich die brennende Wange, auf der sich alle fünf Finger des Verbrechers abzeichneten.
„Warum schlägst du mich?“, jammerte sie. „Was habe ich dir denn getan?“
Norbert Eisner griff nun ebenfalls zu. Sie schleppten das erschrockene Mädchen ins Wohnzimmer und warfen es da in einen zerschlissenen Sessel. Die Sprungfedern ächzten im Sesselinneren.
Eisner beugte sich zu der Frau hinunter.
„Jetzt hör mir mal genau zu, Gaby. Wir haben ein Problem, über das wir mit dir reden müssen. Es geht – wie du richtig vermutet hast – um deinen Freund Jochen. Er ist ein verdammter Spitzel, das weißt du doch, nicht wahr?“
Gaby schüttelte wild den Kopf.
„Nichts weiß ich! Gar nichts!“, schrie sie.
Eisner schlug sie auf die andere Wange.
Das Mädchen kreischte verstört auf.
„Was wollt ihr? Wollt ihr mich erschlagen?“, wimmerte sie.
„Wenn es sein muss, schrecken wir auch davor nicht zurück!“, fauchte Norbert Eisner so kalt, dass Gaby unwillkürlich fröstelte.
„Ich weiß nichts von Jochens Geschäften. Wirklich nicht.“
„Er hat für Geld Leute verpfiffen.“
„Dafür könnt ihr mich doch nicht verantwortlich machen.“
Eisner grinste.
„Weißt du, was ich glaube, Gaby? Ich glaube, du hältst uns für Idioten. Es ist nicht gut, wenn man seine Mitmenschen unterschätzt.“
„Wieso denn? Wieso halte ich euch für Idioten? Ich kenne euch nicht. Ihr kommt hierher, schlagt mich, wollt Dinge von mir wissen, von denen ich keine Ahnung habe. Was soll ich denn machen? Soll ich euch belügen? Lasst ihr mich dann in Ruhe, wenn ich euch belogen habe?“
Schorres packte sie am dünnen Hals. Als er zudrückte, riss Gaby entsetzt die Augen auf.
„Hör zu!“, zischte der Verbrecher bösartig. „Dein Freund Jochen hat Mist gebaut. Er hat seine verdammte Spitznase in Dinge gesteckt, die ihn absolut nichts angehen sollten. Das war verflucht dumm von ihm. Aber er hat es getan. Du kannst dir doch hoffentlich vorstellen, dass wir uns von einem solchen Hundesohn unseren Coup nicht vermasseln lassen.“
Gabys Körper bäumte sich auf.
Sie fasste nach der Hand, die sie würgte. Aber sie vermochte die Finger nicht von ihrer zugeschnürten Kehle zu bekommen.
In ihrem erhitzten Kopf begannen die Gedanken Karussell zu fahren.
‚Jochen!‘, dachte sie verzweifelt. ‚Er ist tot!‘
Mit einem Mal glaubte sie es ganz genau zu wissen. Jochen lebte nicht mehr. Diese beiden Kerle hatten ihn umgebracht. Weil Jochen irgendetwas erfahren hatte, über das er mit ihr nicht gesprochen hatte. Und nun waren seine Mörder hierhergekommen, um auch da reinen Tisch zu machen. Sie glaubten ihr nicht, dass sie keine Ahnung hatte. O Gott. Sie glaubten ihr nicht, dass sie nicht wusste, was Jochen erfahren hatte. Sie glaubten ihr nicht und würden sie umbringen. Auf jeden Fall. Um ganz sicher zu sein. Sie würde völlig grundlos sterben! Aber was machte das Mördern wie diesen schon aus?
Luft! Luft! Sie wand sich zitternd unter dem furchtbaren Würgegriff.
Ein Brausen legte sich in ihre Ohren. Sie sah zwar noch, wie der Mann vor ihr seine Lippen bewegte. Aber sie konnte nichts mehr hören. Sie vernahm seine Stimme nicht mehr. Das Brausen war lauter, wurde immer heftiger, griff auf ihren ganzen Körper über, ließ ihren Leib vibrieren.
In ihrer grenzenlosen Verzweiflung wollte Gaby dem Mann, der sie würgte, die Beine in den Unterleib rammen.
Sie zog beide Beine blitzschnell an. Doch plötzlich hatte sie das Gefühl, die Decke wäre ihr auf den Kopf gefallen.
Der rasende Schmerz in ihrem Hals verebbte. Sie konnte nichts mehr sehen. Und auch das Brausen hörte auf.
Eine böse schwarze Stille umfing sie.