Читать книгу Mein Blutsbruder: Der Orden der Schwarzen Löwen – Die Jagd auf eine Mörderbande - Tomos Forrest - Страница 10

5. Kapitel

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Es war eine fröhliche, laute Gruppe, die sich nach der Rückkehr an diesem Abend um den Tisch der Pirschhütte versammelte. Es gab wieder viele Tiroler Köstlichkeiten, der Mundkoch des Königs bereitete sie ebenso zu wie ein paar deftige Speckknödel nach Tiroler Art in der Suppe serviert, außerdem Wildbraten und sogar als Krönung des Abendessens Moosbeernocken, also Nocken aus Teig mit Heidelbeeren in der Pfanne gebraten. Dazu frisches Bier und Tiroler Schnaps, und trotz der Gespräche, die sich nicht nur um die erfolgreiche Strecke – man hatte insgesamt sechs Stück erlegt – sondern auch um den Beinahe-Jagdunfall sowie die Verfolgung des Wilderers drehten, war man allerbester Laune.

Baron von Falkenstein kam nicht umhin, einige Runden vom besten Tiroler Obstler ausschenken zu lassen, und die Männer ließen ihn dafür auch hochleben. Doch in das fröhliche Geschehen schien sich der Baron nicht recht zu fügen. Schließlich entschuldigte er sich beim König mit Kopfschmerzen und suchte bald in sein Bett auf.

Trotz der fröhlichen Runde bestand König Ludwig auf Nachtruhe ab zehn Uhr, denn noch einmal wollten alle am anderen Morgen hinüber zum Stuhlkopf ziehen, in dessen Nähe sich das Jagdschloss befand.

Ich fühlte mich so richtig bettschwer und fand rasch in den Schlaf, schreckte aber mitten in der Nacht durch ein Geräusch auf. Im Schlafsaal war alles dunkel, nur durch die Ritze der Stube, in der wir gesessen hatte, drang spärlicher Lichtschein. Dort hatte man eine Laterne brennen lassen, damit sich die Gäste nirgendwo stießen, wenn sie ein Bedürfnis in der Nacht ins Freie trieb.

Als die Tür behutsam aufgezogen wurde, meinte ich, die Gestalt des Barons zu erkennen und entschloss mich, ihm zu folgen. Es war nur ein unbestimmtes Gefühl, nicht erklärbar, aber ich war seit dem Beinahe-Unfall misstrauisch geworden und wollte mich überzeugen, dass der Mann nichts Böses im Schild führte. Als ich mir rasch die Jacke übergezogen hatte und aus der Tür trat, konnte ich zunächst einmal niemand im Mondlicht ausmachen.

Behutsam schlich ich an der Hüttenwand entlang hinüber zur Scheune und blickte in den Pferch, in dem die Kutschpferde standen. Hier gab es eine leichte Unruhe unter den Tieren, die mir die Anwesenheit von Menschen verriet. Ich hielt mich so, dass auch ein scharfer Beobachter nichts von mir erkennen würde, bevor ich nicht über die freie Fläche schritt. Jetzt konnte ich gedämpftes Stimmengemurmel hören und ging um den Pferch herum, wo ich gleich darauf zwei Gestalten dicht beieinanderstehen sah. Leider war die Entfernung noch zu groß, um etwas zu verstehen, und gerade überlegte ich, wie ich ungesehen dichter an die beiden herankommen konnte, als sich die Ereignisse überstürzten. Einer der beiden rief plötzlich laut: »Ich denke gar nicht daran! Du bezahlst, oder du sollst mich kennenlernen!«

»Du willst mir drohen? Soll ich lachen?«

»Mal sehen, wer zum Schluss noch lacht! Ich wäre fast draufgegangen, als mich diese verfluchten Jäger um ein Haar oben auf dem Berg erwischt hätten. Es war nur ein Streifschuss, aber der hätte mich hinabgestürzt, wäre ich nicht im Wurzelwerk hängen geblieben. Allein die Zeit, bis ich mich wieder herausarbeiten konnte, ist noch einen Aufschlag wert. Nein, Herr Baron, so einfach kommst du mir nicht davon. Was glaubst du wohl, was der König sagen wird, wenn ich ihm deine Rolle enthülle?«

»Pah, das Wort eines Wilddiebes gegen das eines Adligen! Wem wird man da wohl glauben, was meinst du?«, antwortete der andere höhnisch.

Jetzt gab es einen wütenden Schrei, dann waren die beiden wohl aneinandergeraten. Ich hörte einen dumpfen Schlag und sah, wie einer der beiden zu Boden stürzte und der andere sich über ihn beugte.

»Du bist ein selten dummer Kerl, wenn du glaubst, du könntest mich erpressen!«, konnte ich hören. Eine Weile zerrte er an dem anderen herum, dann zog er ihn plötzlich über den Boden und kam dabei ziemlich dicht an mir vorüber. Kein Zweifel mehr, das war Baron Hermann von Falkenstein, sein Gesicht war jetzt im Mondlicht deutlich zu erkennen. Er stöhnte bei seinem Bemühen, den Niedergeschlagenen hinter sich herzuziehen, wobei ich keine Ahnung hatte, wohin er den anderen bringen wollte.

Ich hatte keine Waffe bei mir, sah aber beim Pferch einen handfesten Ast liegen, an dem die Pferde ein wenig geknabbert hatten. Rasch zog ich ihn zu mir herüber und betrachtete ihn kurz. Er schien brauchbar für meine Zwecke zu sein. Ich lauschte in die Nacht hinein, konnte jedoch keinen weiteren Laut vernehmen, und in leicht gebückter Haltung eilte ich in die Richtung, in der Falkenstein seine Last gezogen hatte. Aber er schien in der Dunkelheit verschwunden zu sein, und ich ließ jetzt meine Vorsicht fallen und eilte über den Platz vor der Pirschhütte.

Ein Stück weiter neben einer Baumgruppe befand sich ein gemauerter Brunnenschacht, aus dem das Wasser für die Pferde gezogen wurde. Hier sah ich eine Gestalt, die sich gerade bemühte, etwas in den Brunnen zu werfen. Jetzt gab es kein Zögern mehr, ich sprang mit einem lauten Ruf und dem gehobenen Knüppel über die freie Fläche auf den Brunnen zu.

Dort blitzte es plötzlich kurz auf, und ich verspürte ein furchtbares Brennen auf dem Kopf, geriet ins Taumeln, spürte einen stechenden Schmerz und hatte das Gefühl, nun selbst in einen Schacht zu fallen. Jedenfalls wurde alles schwarz um mich herum, und das Letzte, das ich noch vernahm, war ein durchdringendes, höhnisches Gelächter.

Als ich die Augen aufschlug, blickte ich in grelles Licht und schloss sie sofort wieder. Jemand sprach etwas, was ich nicht verstand. Ein rasender Schmerz jagte durch meinen Kopf, als ich versuchte, mich etwas aufzurichten. Mühsam blinzelnd konnte ich endlich meine Umgebung wahrnehmen, zuerst schemenhaft, dann klar. Jetzt verstand ich auch einzelne Worte.

»Charly? Dem Himmel sei Dank, dass du endlich wieder wach bist!«

Das war die Stimme von Sepp, und ich hatte keine Ahnung, was geschehen war.

Das grelle Licht war das Sonnenlicht, das durch ein kleines Fenster direkt auf mein Lager fiel. Nach und nach fielen mir die vergangenen Erlebnisse ein. Ich war jemand aus der Hütte ins Freie gefolgt, den ich für den Baron hielt. Der traf sich beim Pferch mit einem Unbekannten, geriet in einen Streit und – ja, er schlug ihn nieder und zog ihn zum Brunnen.

»Der Brunnen! Jemand hat versucht, einen anderen dort hinunterzuwerfen!«, rief ich aus und bewegte mich dabei so heftig, dass es mir für einen Augenblick erneut schwarz vor den Augen wurde.

»Das wissen wir schon, Charly, kein Grund, dich aufzuregen. Falkenstein hat auf dich geschossen und dich nur knapp verfehlt. Die Kugel schrammte immerhin deine Kopfhaut auf und ließ dich bluten wie ein … naja, jedenfalls fürchterlich!«, erklärte mir Sepp. »Aber ich wäre nicht der Wurzelsepp, wenn ich da nicht ein gutes Mittel dabeigehabt hätte und dir damit die Wunde säubern und verschmieren konnte.«

»Danke, Sepp, das ist … au, ich glaube …«, brachte ich heraus, dann ließ ich mich wieder auf das Kissen zurücksinken. Übermütig wollte ich mich nämlich gerade mit Schwung aufsetzen und bereute das augenblicklich mit einem erneuten Schwächeanfall. Ich biss die Zähne zusammen und richtete mich auf den Ellbogen auf. »Was ist denn nun eigentlich passiert?«

»Bislang kann ich dir wenig genug berichten, Charly. Tatsache ist, dass der Baron verschwunden ist. Er muss auf dich geschossen haben, aber er ist seit dem Augenblick spurlos verschwunden.«

»Und – der Brunnen?«

»Wurde schon untersucht. In etwa fünf Meter Tiefe haben wir einen Toten gefunden, den aber niemand kennt. Nach seiner Kleidung zu schließen, ist er ein Einheimischer, und der Anton schwört Stein und Bein, dass es der gesuchte Wildschütz ist. Ich bin mir da allerdings nicht so sicher.«

»Oschtia Madonna!«, rief in diesem Augenblick eine kräftige Stimme von der Tür herüber und gleich darauf stand Anton an meinem Lager. »Wia ischn des passiert?«

»So genau weiß ich das auch nicht, Anton. Ich bin einem Mann gefolgt, der sich aus der Hütte geschlichen hat. Er traf sich mit einem Unbekannten bei den Pferden, geriet in Streit und schlug den anderen nieder. Dann zog er ihn zum Brunnen, und ich wollte verhindern, dass er ihn hinabwarf. Bei der Gelegenheit hat er auf mich geschossen und ich wurde bewusstlos.«

»Na, sauber! Aber jetzt, Charly, pfiat-di, I muss los!«

»Was hast du vor, Anton?«

»Na, dem Saufratz hinterher, diesem Hallodri!«

»Du willst den Baron verfolgen?«

»Soll ich ihn etwa entkommen lassen?«

Noch ehe ich etwas antworten konnte, hatte der Anton die Büchse über die Schulter geworfen und war hinaus. Ich zerdrückte einen Fluch zwischen den Zähnen und versuchte erneut, aufzustehen.

»Ja, Himmelherrgottsakrament, was willst du denn jetzt, Charly?«, schnauzte mich Sepp wütend an, als er meine Bemühungen bemerkte.

»Hinterher, dem Anton bei der Suche helfen!«

»Ja, leckt’s mi do am Oarsch, sind denn jetzt alle verrückt geworden? Hiergeblieben, Charly, du bist verwundet!«, schimpfte Sepp, ganz gegen seine Gewohnheit ausfallend werdend.

Ungerührt nahm ich meine Gewehre über die Schulter und griff nach meiner Reisetasche. Kurz vor der Eingangstür hielt mich ein strenger Ruf zurück. Verwundert drehte ich mich um und sah dem König ins Gesicht, der wohl aufgrund des lauten Wortwechsels aus seiner Kammer getreten war.

»Du bist doch verletzt, Charly, und wirst jetzt nicht zu Fuß ins Tal runter wollen!«

»Doch, Majestät, das habe ich vor. Der Anton ist ein guter Kerl und aufgebrochen, um den Baron zu stellen. Aber Falkenstein hat auf mich geschossen, nicht auf ihn. Da ist es meine Pflicht und Schuldigkeit, den Mann zu verfolgen und ihn zu fangen.«

Der König nickte ernst bei meinen Worten, dann rief er Sepp zu:

»Ja mei! Lass anspannen, Sepp, und fahre den Herrn hinunter. Unterwegs kannst du den Anton aufsammeln, bring die Herren nach Tölz oder wohin auch immer sie wollen – aber lass sie nicht allein in ihrem Abenteuerdrang!«

Er hob den Zeigefinger und drohte mir damit scherzhaft.

»Wie ich sehe, ist Old Shatterhand schon wieder auf dem Kriegspfad. Da benötigt er die Hilfe von guten Freunden! Also, Sepp, sei so gut, geh mit ihm!«

»Majestät!«, antwortete der alte Offizier ganz anders als sonst und grüßte militärisch. Dann eilte er an mir voraus ins Freie und ich verneigte mich kurz, um meinen Dank auszudrücken – dann war ich ebenfalls hinaus.

Mein Blutsbruder: Der Orden der Schwarzen Löwen – Die Jagd auf eine Mörderbande

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