Читать книгу Mein Blutsbruder: Der Orden der Schwarzen Löwen – Die Jagd auf eine Mörderbande - Tomos Forrest - Страница 7

2. Kapitel

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Mit dem ersten Sonnenstrahl war ich aufgestanden und hatte die Schlafstube verlassen. Was für ein herrlicher Anblick bot sich mir, als ich vor die Tür trat! Da lagen die Berge in ihrer majestätischen Schönheit, die Sonne hatte gerade ihre ersten Strahlen über eine nahe Bergkuppe geschickt und tauchte die gegenüberliegenden Berge in ein Spiel von Licht und Schatten, das mich faszinierte. Was ich sah, war die Vogelkarspitze, gut zweitausendfünfhundert Meter hoch und dabei so nahe, als könnte man dort hinüberschießen. Tatsächlich befand sich dieser Berg in einer Entfernung von einem guten Stundenweg von der Hütte aus.

Es war ziemlich kühl in der Frühe, aber ich spürte bei diesem Naturschauspiel nichts davon. Ein leises Geräusch verriet mir, dass jemand auf dem Weg von der Scheune herüberkam. Als ich mich umdrehte, sah ich einen der Treiber kommen. Er war nicht größer als ich, dabei aber durch und durch der Typus des Naturburschen aus den Bergen. Sein gebräuntes, markantes Gesicht lächelte freundlich, der Blick aus seinen wachsamen, blauen Augen zeigte mir den offenen Charakter dieses Mannes.

Gute Wahl, Sepp!, dachte ich in diesem Moment. Das ist ein Mensch, dem man keine Schlechtigkeit zutrauen würde.

»Ein herrlicher Morgen, nicht wahr? Ich bin der Anton!«, begrüßte er mich und reichte mir seine Hand, deren kräftigen Druck ich erwiderte. »Hast du schon die Gamsen dort drüben gesehen?«

»Charly!«, antwortete ich. »Wir beide werden heute unser Jagdglück probieren, nicht wahr?« Dabei kniff ich meine Augen zu und bemühte mich, in dem Spiel von Licht und Schatten zwischen den zahlreichen, tiefen Einschnitten des Berges etwas auszumachen. Aber so sehr ich mich auch anstrengte – ich konnte nichts erkennen.

»Leider sehe ich dort nichts!«, antwortete ich leicht verstimmt, denn ich hatte mir auf meinen geschärften Blick immer etwas eingebildet.

Lächelnd trat Anton etwas vor und deutete auf eine Stelle.

»Genau dort, wo die einzelne Latschenkiefer steht. Da ist eine Klamm und eben steigen die ersten Tiere von dort herunter.«

»Ich gestehe, ich bin perplex!«, antwortete ich, immer noch verzweifelt nach einer Bewegung dort Ausschau zu halten.

Da reichte mir Anton mit einem freundlichen Lächeln sein Perspektiv.

Endlich entdeckte ich eine etwa zehn Tiere starke Gruppe, die sich an dem steilen Hang nach unten bewegte.

»Du hast das richtige Auge, Anton!«, sagte ich anerkennend und reichte ihm das Glas zurück.

»Wir werden einen besonders guten Platz beziehen, Charly. Von dort haben wir freies Schussfeld in beide Richtungen und zudem auch Sicht auf die anderen Schützen.« Bei diesen Worten zwinkerte mir Anton vertraulich zu, und ich bestätigte mit einem Kopfnicken, dass ich ihn wohl verstanden hatte.

»Oh, man ist aber früh auf den Beinen!«, erklang eben eine Stimme von der Hütte herüber. Ich ging langsam zurück, denn ein angenehmer Kaffeeduft zog aus der offenen Tür in meine Nase.

»Guten Morgen, Herr Baron!«, begrüßte ich den Lebemann, der von keinem der Jäger oder Treiber anders angesprochen werden wollte, wie er am Vorabend einmal deutlich gemacht hatte.

Der Treiber, der ihm gerade ein Bier gebracht hatte, lachte zu der Bemerkung hell auf und antwortete: »Wenn dir diese Anrede hilft, Herr Baron, aber gern! Aber wenn du eine Gams geschossen hast, wirst du sie auch selbst vom Berg tragen, verstanden?«

Damit hatte er von Falkenstein offenbar an einem wunden Punkt getroffen, aber der Baron verzog lediglich sein Gesicht zu einer wahren Leichenbittermiene und drehte sich zu seinem Nachbarn um.

Heute jedoch schien der adlige Herr freundlich gestimmt zu sein und war sogar bereit, sich mit einigen der anderen am Frühstückstisch zu unterhalten. Ich war ein wenig verwundert, dass weder der König noch sein Begleiter und auch Sepp nicht wieder aufgetaucht waren, hörte dann aber, wie jemand sagte, dass die drei Herrschaften schon mit den ersten Treibern vor Sonnenaufgang losgezogen waren. Diese Mitteilung beunruhigte mich doch etwas aufgrund der vertraulichen Information, die mir Sepp in der Nacht gegeben hatte. Aber so wusste ich den König unter dem Schutz seiner beiden Vertrauten, nahm meinen Platz an der Tafel ein und langte kräftig beim Frühstück zu.

Viel Zeit blieb auch gar nicht mehr, die königlichen Jäger baten schon bald zum Aufbruch, und ich hatte meine Gewehre bereits vor dem Schlafengehen ausgepackt und entölt, um sie heute Morgen gleich zur Hand zu haben. Der Bärentöter erhielt frische Zündhütchen, der Henry-Stutzen war geladen, und gleich darauf brachen wir auf, um einem schmalen Pfad auf den ersten Berg zu folgen. Als wir mit dem Aufstieg begannen, erkannte ich nach und nach auch die ersten Treiber, die weit über uns waren und sich in ihren dunklen Jacken kaum von dem Hintergrund unterschieden. Jeder von ihnen trug Bergschuhe aus festem Leder, die Sohlen mit eingeschlagenen Nägeln versehen. Diese Schuhnägel waren ganz spezielle, die einen eisernen Rand um den Schuh bildeten und dem Menschen überhaupt erst den richtigen Halt gaben. Außerdem hatte jeder von uns auch einen kräftigen Bergstock, die meisten mit einer eisernen Spitze. Diese oft aus Haselnussholz gefertigten Stöcke waren insbesondere beim steilen Abstieg unentbehrlich und bremsten den zu raschen Gang. Viele der Jäger trugen dazu Rucksäcke aus grünem Leinen, in denen sich etwas Proviant, Munition und die Steigeisen befanden. Mit diesen Rücksäcken wurde auch die erlegten Gämse hinuntergebracht, nur wenige Treiber hatten eine Kraxen dabei, ein hölzernes Tragestell, auf dem sie wahre Lastenwunder ins Tal schleppen konnten.

Der Anstieg wurde schmaler und steiler, ich spürte, wie ich warm wurde, und hatte dabei doch ein aufmerksames Auge auf meine Umgebung. Ein paar verkrüppelte Latschenkiefern säumten den Pfad, von den Treibern war hier nichts mehr zu sehen. Dann tauchte plötzlich Anton wieder bei uns auf, der ein ganzes Stück vorausgeeilt war. »Der Herr Ludwig sitzt dort drüben bei der dicken, verkrüppelten Latsche hinter dem Stein. Herr Carl ist daneben. Hier, der vornehme Herr Baron nimmt dort drüben den Platz an der Klamm ein und zwei der Jäger sind an seiner Seite zum Laden und nachschießen. Der Friedrich und die beiden Jäger dort auf der linken Seite. Wir beiden gehen noch ein Stück weiter.«

Damit war die Einteilung gegeben, und beim Weitergehen hoben die anderen Schützen die Hand, um sie an ihren Plätzen kenntlich zu machen. Ich erkundigte mich nicht nach dem Verbleib von Sepp, weil ich annahm, dass er mit Anton im Bündnis stand und der mir schon noch sagen würde, wo wir ihn treffen konnten.

Kaum hatten wir unsere Positionen erreicht und waren schussfertig, als ein paar kleine Steine die Wand herunterpolterten und gleich darauf die erste Gams sichtbar wurde. Es war eine alte Geiß, die ihre Gruppe anführte, aber sie war auf der Hut. Noch einmal polterten kleine Steine hinter ihr herab, und jetzt verstand ich, wer das verursachte. Die Treiber wollten damit die Gämsen auf uns zutreiben, aber noch zögerte die Anführerin, bis ein ungeduldiger, mächtiger Bock aus der noch in der Klamm versteckten Gruppe zu ihr trat und windete.

Als hätten sich die Tiere darüber abgesprochen, blieb der Bock auf dem Platz stehen, den die Leitgeiß noch eben innehatte. Jetzt traten mehrere Jungtiere nach und nach heraus, und ich hob langsam den Stutzen, um den ersten Bock zu empfangen. Doch zuerst musste ich auf den Schuss des königlichen Jägers warten, und der krachte gerade in diesem Augenblick. Zuvor aber hatte ich schon die kleine, blaue Wolke aufsteigen gesehen, und als der Schall an mein Ohr drang, war das Wild schon mit einem ungeheuren Sprung ein Stück den Hang hinunter, strauchelte und fiel schließlich.

Nun gaben auch die anderen Jäger Feuer, aber ich hatte das Nachsehen. Die Leitgeiß hatte sich plötzlich mitten im Lauf den steilen Hang hinunter herumgeworfen und floh jetzt über einen kleinen Bach in ein Latschendickicht, wohin ihr alle Tiere folgten und unserer Sicht damit entzogen waren.

Auf der Strecke waren drei Tiere geblieben, und Anton neben mir gab einen zufriedenen Grunzlaut von sich.

»Das ist recht, dass der Herr Ludwig so gut getroffen hat. Da wird er nicht nur zufrieden sein, es wird auch noch ein gutes Handgeld für alle geben.«

»Ist die Jagd denn schon vorüber?«, wollte ich enttäuscht wissen.

»Aber nein, was denkst du? Das war der erste Durchgang, wir sind noch nicht einmal warm geworden! Drüben in der Wand stehen noch gut zweihundert Tiere, also Geduld!«

»Zweihundert?«, echote ich. Mir war nicht ganz klar, wie Anton auf eine derartig große Anzahl kam. Aber dann sah ich, wie er mit Adleraugen die Felswand absuchte und mich dann am Ärmel zupfte.

»Nicht ganz eine Viertelstunde, und die nächsten kommen herüber. Du wirst dir aussuchen, welches Tier du schießen willst!«

Ich traute dieser Aussage nicht, aber dann bewies mir Anton seine Fähigkeit, das Verhalten der Gämsen vorauszusehen. Die Treiber waren längst an anderer Stelle, und diesmal gab es keine Ankündigung, keine Steine, die über Felsen polterten. Kaum zeigte sich das Wild, stieg seitlich von mir eine blaue Wolke auf, der Schuss brach, und ein junger Bock fiel auf die Seite. Der König hatte erneut getroffen, und jetzt kam auch ich zum Schuss. Ich nahm den Druckpunkt mit dem Zeigefinger, aber als ich durchzog, musste sich die anvisierte Gams bewegt haben. Jedenfalls zeichnete sie stark, brach nach einem Sprung in die Hinterläufe und wollte sich wieder aufrichten, als sie mein zweiter Schuss tödlich traf.

»Verflucht, was macht der Kerl?«, rief neben mir Anton verärgert. »Ja, ist das denn zu glauben? Halt da drüben!« Mit dem lauten Ruf erhob sich der Tiroler, riss sich den Hut vom Kopf und schwenkte ihn hin und her. Natürlich waren dadurch auch die letzten Tiere aufgeschreckt und in der nächsten Klamm mit ein paar schnellen Sprüngen verschwunden.

Erst jetzt bemerkte ich die Ursache für den Ärger meines Nebenmannes. Es war der Baron, der sich hinter seiner Deckung erhoben hatte und einen raschen Schuss abfeuerte. Doch die Richtung gefährdete andere Schützen, und nun wurde die Jagd natürlich sofort unterbrochen. Ohne nach rechts oder links zu sehen, sprang Anton unseren Hang herunter und lief laut schreiend, mit den Armen gestikulierend zu Baron von Falkenstein hinüber, der seine Büchse gesenkt in den Händen hielt.

»Verfluacht no amol eini!«, brüllte Anton in einer Lautstärke, die über das gesamte Jagdgebiet schallte. Gleich darauf stand er vor dem völlig verdatterten Baron, riss ihm die Büchse aus der Hand und schleuderte sie mit einem Fluch beiseite, und der war zwar für alle verständlich, aber nicht zu übersetzen: »»Himmelhergottzagramentkruzifixhallelulijalecktsmiamarschscheißglumpverreckts!«

Anton war in seiner Wut über den unglücklichen Schützen derart in Rage geraten, dass er in seinen Tiroler Dialekt verfiel. Jetzt aber war auch der Baron dunkelrot im Gesicht angelaufen und brüllte zurück:

»Was fällt dir eigentlich ein, du Hundsfott? Kommst daher und reißt mir das Gewehr aus den Händen, wirfst es auf die Steine, und denkst, das lasse ich mir gefallen? Du wirst mir dafür den Schaden bezahlen, wenn ich die Waffe zum Büchsenmacher bringen muss!«

Anton aber packte den Baron mit beiden Händen an der Jacke und antwortete in seiner bisherigen Lautstärke:

»Verfluacht noamol eini, was glabt’n der Saufratz, wer er isch?«

Schon hob er die rechte Faust zum Schlag, als eine begütigende Stimme hinter ihm sagte: »Lass es gut sein, Anton. Er wird es nicht absichtlich gemacht haben!«

Der Jäger drehte verwundert seinen Kopf und ließ die Hand sinken.

»Oh, Maje… Herr Ludwig!«

Nun waren aber auch von allen Seiten die Jäger und Treiber zusammengelaufen, um zu hören, was es da gegeben hatte. Endlich straffte der Baron seine Gestalt und nahm sich zusammen. Eben noch vor Wut bebend, verbeugte er sich höflich vor dem König und blieb noch einen Moment in der devoten Haltung, vermutlich, um seine Gefühle zu verbergen. Dann stammelte er:

»Majestät, das war … unverzeihlich. Ich bitte untertänigst um Dispens!«

»Wie kam denn dieser Fehlschuss zustande, mein Lieber?«, erkundigte sich König Ludwig und lächelte milde. Er war offenbar noch immer bester Laune, obwohl der Schuss in seine Richtung sein Leben hätte gefährden können.

»Ich sah aus dem Augenwinkel eine Bewegung und nahm daher an, dass dort eine Gams herunterkam. Natürlich darf einem erfahrenen Jäger so etwas nicht passieren, ich… ich weiß gar nicht, wie mir das durchgegangen ist, Majestät!«

»Gut, der Schuss prallte glücklicherweise von dem Felsen ab, hinter dem ich stand. Schwamm drüber, Baron, aber heute Abend werden Sie die ganze Gesellschaft dafür traktieren (etwas in reichlicher Menge anbieten) müssen, fürchte ich!«

Noch einmal knickte der Baron förmlich in der Körpermitte zusammen.

»Selbstverständlich, Majestät, bitte nochmals um Vergebung!«

Ich hatte dem Geschehen wortlos zugehört. In diesem Moment entdeckte ich Sepp, der zwischen den Felsen langsam auf den König zuschritt. Ludwig ging ihm ein paar Schritte entgegen und schien gleich darauf ein wichtiges Gespräch mit ihm zu führen. Sein Vertrauter und Geheimagent sprach leise, aber eindringlich auf ihn ein. Da wandte sich der König jedoch wieder von ihm ab und trat ein paar Schritte zurück zu den anderen.

»Schon gut, ich bin immer noch der Herr Ludwig, und nun wollen wir zum Riegeln!«

»Wenn ich noch einmal etwas sagen dürfte, Ludwig?«, ließ sich der alte Sepp vernehmen. »Ich möchte die Jagd für heute abbrechen!«

Der König sah ihn verwundert an, dann schüttelte er heftig den Kopf.

»Aber Sepp, das war doch ein Versehen, und passiert ist nichts. Es kommt ja gar nicht infrage, dass wir uns dadurch den Spaß verderben lassen!«

Damit schritt er auch schon davon, die Büchse geschultert.

»Das war Dummheit, aber keine Absicht!«, brummte der Baron, als er seine Büchse wieder aufnahm und dabei kritisch untersuchte. Sie hatte den Wurf wohl nur mit ein paar Schrammen überstanden. »Aber ich gehe zurück zur Hütte. Mir reicht das Erlebnis. Kann mich einer der Jäger begleiten?«

Niemand bedauerte den Entschluss des Barons, und auf ein Zeichen Antons kam einer der Männer herüber und schritt ohne ein weiteres Wort vor dem Baron zu Tal. Dabei schlug er ein Tempo ein, dass der so blamierte Schütze Schwierigkeiten hatte, ihm in der gleichen Geschwindigkeit zu folgen. Während alle anderen nun ebenfalls auf dem Weg gingen, den König Ludwig eingeschlagen hatte, wandte sich Anton noch einmal kurz an mich und meinte dazu:

»I glab dem Schmähtandler (Lügner) gor nix mehr.«

Nachdenklich gingen wir auf den gegenüberliegenden Pfad, der noch steiler hinaufführte und uns schließlich dazu zwang, jede Aufmerksamkeit ausschließlich auf ihn zu konzentrieren. Bald waren wir so hoch, dass kaum eine Handbreit neben uns ein steiler Abgrund klaffte. Ich blickte nur auf den Rücken meines Vordermannes, achtete darauf, nicht mit einem Gewehr gegen die Felswand zu meiner rechten zu stoßen, und atmete erleichtert auf, als wir den neuen Anstand erreichten.

Jetzt befanden wir uns auf einem unglaublich schönen, aber auch sehr wilden Platz. Wie eine Zunge reichte hier ein Felsenstück weit über eine breite Klamm hinaus, links und rechts von uns befand sich der Abgrund. Während des Aufstiegs hatte Anton allen ihre Plätze zugewiesen und streng darauf geachtet, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholen konnte. Wir hatten einen Platz noch oberhalb des Königs, der zusammen mit Sepp wie in einer Nische geschützt saß.

Die Felsenzunge war nur wenige Meter breit, aber auf beiden Seiten von dichten Latschenkiefern umfasst, die uns nicht nur Sicherheit, sondern auch genügend Versteckmöglichkeit boten. Von hier aus hatten wir ein hervorragendes Schussfeld zur gegenüberliegenden Wand. Das getroffene Wild würde später von den Treibern im Tal geborgen werden.

Während ich mich auf meinem Platz einrichtete und mich an dem herrlichen Ausblick erfreute, war auch Anton an meiner Seite nicht untätig gewesen. Er hatte den Rucksack und seine Büchse abgelegt, ein paar Kiefernzweige mit dem Messer abgeschlagen und daraus auf dem Gestein für uns eine etwas bequemere Unterlage geschaffen. Irgendwann schweiften meine Gedanken hinüber nach Amerika ab, wo ich mit meinem Blutsbruder Winnetou so manchen Jagdzug unternommen hatte, aber dabei doch nie auf einem Ansitz wartete, bis sich das Wild zeigte. Wir spürten dem Hirsch nach, setzten dem Bären hinterher oder waren zu Pferd auf Bisonjagd.

Winnetou! Was mochte dieser prächtige Apache wohl gerade machen? Wir hatten uns nach der Jagd auf Santer und dem Fund eines Toten in der Höhle schließlich wieder getrennt (vgl. dazu Mein Blutsbruder – Mörderjagd im Apachenland). Ich stieß einen tiefen Seufzer aus und hoffte nur, dass der Frieden zwischen den Stämmen anhielt. Als mein Blick dabei auf Anton fiel, der eben seine Büchse wieder aufnahm, musste ich lächeln. Diese Tiroler Gamsjäger waren doch wirklich so etwas wie die deutschen Indianer! Sie trotzten Wind und Wetter, waren mit der Natur vertraut, hatten dabei ihre Instinkte geschärft und ähnelten selbst mit ihrer gebräunten Haut dem Indianer, auch wenn sie auf Pfeil und Bogen bei ihrer Jagd niemals zurückgreifen würden. Ihre derbe Kleidung und die zweckmäßigen Schuhe unterschieden sie natürlich ebenfalls, aber ich sollte noch mehrfach erfahren, wie stark diese Gamsjäger doch dem Indianer ähnelten.

Gerade richtete sich Anton auf und starrte auf eine bestimmte Stelle in der gegenüberliegenden Wand, als plötzlich jemand leise hinter uns hüstelte und gleich darauf der Wurzelsepp zu uns trat. Er hockte sich neben mich und deutete auf die andere Seite der Klamm.

»Kannst du dort drüben, unterhalb der vom Blitz getroffenen Kiefer, etwas erkennen, Charly?« Mit diesen Worten hielt er mir ein Perspektiv hin, und ich stellte es auf meine Augenstärke ein, um damit die bezeichnete Stelle abzusuchen.

»Es könnte sein, dass sich dort ein dunkler Punkt bewegt, aber nur ganz schwach. Was meinst du, Sepp, eine Gämse?«

Der alte Offizier nahm mir das Glas ab und schüttelte den Kopf.

»Ich bin davon überzeugt, dass genau dort ein Wildschütz auf der Lauer liegt!«

»Aber doch nicht, wenn wir in diesem Revier unterwegs sind?«, wandte ich ein.

»Warum denn nicht? Besser kann er es doch gar nicht finden! Wir sind beim Schießen, da fällt doch ein weiterer Schuss nicht auf – der Kerl wildert vor den Augen des Königs und ist doch sicher, nicht geschnappt zu werden!«

Jetzt gab es an der bezeichneten Stelle ein kurzes Blinken. Die Sonne war auf seinen Gewehrlauf getroffen und reflektierte.

»Was hast du vor, Sepp?«

Er warf mir einen eigentümlichen Blick zu, dann tippte er auf den Bärentöter, den ich neben mir im Gras liegen hatte.

»Du hast mir mal erzählt, dass diese Donnerbüchse sehr weit trägt, oder nicht?«

»Das trifft zu. Aber du erwartest doch wohl nicht, dass ich den Wilderer einfach so erschieße! Das werde ich auf gar keinen Fall tun!«

Der Wurzelsepp schüttelte lächelnd den Kopf und schien nun ganz in seinem Metier zu sein. Wer das von zahlreichen Falten durchzogene, dabei pfiffig wirkende Gesicht des Mannes sah, mochte vielleicht eine knappe Ahnung bekommen, was hinter dieser bieder-freundlichen Maske steckte.

»Charly, ich mache mir so langsam Sorgen um dich! Wie kommst du eigentlich allein da drüben in deinem Amerika zurecht?«

Ich tat, als würde ich schmollen und zuckte nur die Schultern.

»Na, dann eben nicht!«, antwortete ich knapp.

»So ist’s recht, immer nur granteln oder eine Bappe ziehen, das kann er prächtig, unser Charly. Meine Güte, ich will doch nicht den Saubankert erschießen! Halte du nur deine Kanone ein Stück über ihn und treff’ die Felsen dort. Nachher wird er schon aufspringen und das Weite suchen, schneller, als du nur schauen kannst!« Dabei klopfte er mir begütigend auf die Schulter. Ich nahm den Bärentöter und visierte das Felsstück an, das sich unmittelbar über dem Versteck des Wilderers befand, und zog den Abzug durch. Der Schuss brach tosend und hallte in der Schlucht stark nach. Auch wenn wir damit die Gämsen vergrämen würden, so hatten wir doch bei dem Wilderer den gewünschten Erfolg. Eine Steinlawine prasselte in seine Richtung, und gleich darauf sprang eine geduckte, dunkel gekleidete Gestalt auf, lief ein Stück über einen von uns aus nicht erkennbaren Pfad und verschwand gleich darauf um eine Felsenecke.

Der Wurzelsepp aber stand da und hielt sich lachend die Seiten.

»Sapra, dem hast du es gezeigt, Charly! Und da hinten sind unsere Treiber schon unterwegs, sie haben ihn offenbar gesehen.«

»Sepp, warum schießt ihr?«, erklang die Stimme des Königs, und der Alte lief ihm entgegen, um zu berichten. Im vertrauten, leisen Ton sprach er auf ihn ein, aber ich konnte doch noch die Wortfetzen ›Wildschütz‹ und ›Hinterhalt‹ verstehen.

Sollte Sepp davon ausgehen, dass dieser Mann mehr war als nur ein einfacher Wilderer? War das die Gefahr, die er fürchtete und deshalb schon beim Fehlschuss des Barons am liebsten die Jagd abgebrochen hätte?

Nach meinem Schuss war es allerdings in diesem Bereich zunächst vorbei mit der Jagd, und unsere Laune sank beträchtlich, als wir den steilen Pfad wieder hinuntermussten. Unten angelangt wurden wir von den Treibern empfangen, die dem Wilderer noch ein Stück gefolgt waren. Anton trat zu ihnen und ließ sich berichten, während der König nun einem der Männer ein Zeichen gab, und man sich ringsumher auf die Steine hockte, um eine Brotzeit einzunehmen.

Da bemerkte ich Anton, der mir ein verstecktes Zeichen gab.

Mein Blutsbruder: Der Orden der Schwarzen Löwen – Die Jagd auf eine Mörderbande

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