Читать книгу Mein Blutsbruder: Der Orden der Schwarzen Löwen – Die Jagd auf eine Mörderbande - Tomos Forrest - Страница 12

7. Kapitel

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»Ihre Beschreibung hört sich zwar sehr detailliert an, aber eine Fotografie wäre da natürlich etwas einfacher«, erklärte uns Kommissar Waller, nachdem wir unseren Bericht beendet hatten. Der Beamte hatte uns aufmerksam zugehört, jetzt nahm er eine Mappe auf, blätterte eine Weile darin und zog schließlich eine Vergrößerung heraus, drehte sie zu uns und deutete auf den dort erkennbaren Mann.

»Das ist Baron Hermann von Falkenstein!«, rief ich erstaunt aus. »Sie haben also eine Akte über ihn? Wie kommt das?«

Der Beamte machte eine abwehrende Handbewegung.

»Nicht so voreilig, mein Herr. Dieser Mann hier ist also mit Ihrem Herrn Baron identisch?«, vergewisserte er sich noch einmal.

Auch Sepp nickte nach einem raschen Blick.

»Natürlich, ich habe ihn mehrfach bei Hofe erlebt. Der Baron ist bei uns ein bekannter Mann!«

»Also …«, antwortete der Kommissar und nahm das Blatt noch einmal auf. »Entweder hat er einen Doppelgänger, oder dieser Falkenstein ist ein ganz abgefeimter Betrüger und Anarchist!«

Jetzt war es an uns zu staunen.

»Anarchist?«, echote ich, und auch Sepp hatte erstaunt seinen Mund weit aufgesperrt. Nur Anton tippte mehrfach auf das Foto und nickte dazu.

»Der Sumser geat ma aufn Zoager!«, verkündete er barsch, und als ihn der Kommissar verständnislos ansah, ergänzte er: »Der Mann ist mir vom ersten Tag an auf die Nerven gegangen!«

»So, dann suchen wir also doch den gleichen Mann, wie es scheint!«, stellte Waller mit leicht ironischem Unterton fest. »Sollte mich mit dem Gesicht auch wundern! So ein blasierter Mensch fällt einem auf, und man vergisst es so schnell nicht wieder. Also, meine Herren, dann habe ich gute Nachrichten für Sie!«

»Er wurde bereits in der Stadt gesichtet?«, rief Sepp erfreut aus, und der Kommissar schmunzelte.

»Nein, viel mehr. Er befindet sich bei uns in sicherem Gewahrsam!«

»Das ist aber mal eine gute Nachricht!«, stieß Sepp aus und ließ ein erleichtertes Schnaufen folgen. »Aber wie ist das möglich?«

Anton fiel immer wieder in seinen Dialekt zurück, so auch jetzt, als er sich wieder einmal erkundigte: »Kruzifix noamal eini, wia ischn des passiert?«

»I vergiss mi«, erwiderte aber der Kommissar im Innsbrucker Dialekt. »Es isch ietz amol a so. Und ich würde mich sehr freuen, wenn wir ab jetzt wieder Hochdeutsch sprächen!«

»Das kann eh nur der Charly hier!«, warf Sepp ein, und damit löste sich die leichte Spannung. Der Kommissar lehnte sich lächelnd auf seinem Stuhl zurück und erklärte:

»Es war einer meiner Beamten, die Dienst am Bahnhof taten. Ihm fiel der Mann auf, weil er eine Auseinandersetzung mit einem anderen Herrn hatte, als er auf dem Bahnsteig stand. Schließlich wurden die beiden handgreiflich, und der Beamte schritt ein. Während der, den Sie den Baron nennen, auch gegen ihn ausfallend wurde, nutzte der andere die Gelegenheit und verschwand im Gewühl der Reisenden.«

»Und – Baron von Falkenstein? Sitzt tatsächlich in Ihrem Gefängnis?«, wollte ich wissen.

»Aber ja, natürlich, ich sage es Ihnen doch gerade! Eine Überprüfung seiner Personenbeschreibung ergab, dass ein gewisser Friedhelm Morgenstern alias Baron von Falkenstein bereits wegen mehrfachen Wechselbetruges in Deutschland wie auch in Luxemburg, Belgien und Monte Carlo gesucht wird. Und man verdächtigt ihn nicht nur dieser Betrügereien, sondern zudem auch der Beteiligung an einem Bombenanschlag hier in Innsbruck. Inzwischen wissen wir es mit Bestimmtheit, dass er im Kontakt mit einer hiesigen Gruppe Anarchisten steht.«

Kommissar Waller zeigte eine äußerst zufriedene Miene, als er seinen Bericht wieder endete.

»Ein Bombenanschlag – wie das?«, wollte ich wissen.

»Nun – wie unsere Ermittlungen ergeben haben, hatte er in einem Pfandhaus mehrere Goldstücke versetzt und wollte sie auslösen, hatte aber den Pfandschein nicht mehr. Der Betreiber verweigerte zu Recht die Herausgabe. Noch in der Nacht explodierte eine Bombe in dem Haus und ließ es niederbrennen.«

»Und – der Bombenwerfer war dieser Morgenstern?«, hakte ich nach.

»Man hat ihn dort kurz vor der Explosion gesehen, und zwar in einem gegenüber an der Ecke befindlichen Lokal. Dort hat er in der Zeit von elf Uhr dreißig des Nachts bis zur Mitternachtsstunde gesessen und nur immer an seinem Glas Bier genippt. Dabei fiel dem Wirt seine Nervosität auf, denn immer wieder zog er seine Taschenuhr heraus und las die Zeit ab.«

»Das ist natürlich sehr verdächtig!«, sagte ich ironisch, aber der Kommissar nickte nur bestätigend.

»Wollen wir einmal hinüber in das Gefängnis gehen? Ich muss nur zwei Beamte dazu mitnehmen, wir wollen ja kein Risiko eingehen!«, sagte Waller und lächelte dabei höchst vergnügt.

Kaum fünf Minuten später waren wir auf dem Weg und gingen durch ein paar endlose Gänge des Nebenhauses, wo uns jeweils die dort stehenden Beamten nach kurzem Blick die vergitterten Türen aufschlossen.

»Hier sind wir richtig!«, meldete einer der Schließer dem Kommissar, suchte eine Weile an seinem Schlüsselbund nach dem richtigen Schlüssel und drehte ihn schließlich mehrfach herum. Dann öffnete er die Tür und – erstarrte nach dem ersten Schritt.

»Aber das … das ist unmöglich!«, stammelte der Schließer.

Wir drängten uns hinter ihm durch und standen in der leeren Zelle. Das Fenster stand weit offen, von den Stäben waren in der Mitte alle entfernt, nur rechts und links waren zwei stehen geblieben. Dort hatte der Gefangene das Bettlaken angeknüpft, sich durch die Öffnung gezwängt und war an der Außenwand hinuntergeklettert. Ich sah aus dem Fenster und erkannte, dass eine Flucht nach der Überwindung dieses Fensters geradezu sträflich leicht war. Vom Fenster war es nicht weit nach unten zu einem breiten, umlaufenden Steinsims. Und von dort in die Freiheit war es wirklich nur noch ein Katzensprung, denn das Gebäude war selbst ein Teil der Gefängnismauer, die jeweils direkt an das Gebäude mündete.

»Der ist auf und davon, Herr Waller!«, sagte ich bedauernd, und der Kommissar begann eine schier endlose Schimpftirade auf alle unfähigen Schließer loszulassen. Dann bückte er sich plötzlich unter die Pritsche, auf der nur noch das dünne Kopfkissen lag. Als er sich wieder aufrichtete, hatte er eine Metallsäge in der Hand. Waller war dunkelrot im Gesicht angelaufen, seine Augen schienen aus den Höhlen zu quellen.

»Das wird ein Nachspiel haben!«, rief er wütend.

»Der Mann hat auf alle Fälle Hilfe von außen bekommen!«, sagte ich dazu und warf einen Blick auf die Säge, die deutliche Spuren ihrer Benutzung aufwies.

»Dann treffen unsere Informationen also zu …«, bemerkte der Kommissar mehr zu sich selbst, aber ich hakte sofort ein.

»Wissen Sie mehr über diesen Baron, Kommissar?«

»Wir gehen zurück in mein Büro, dort können wir uns ausführlich unterhalten. Der Alarm ist durch die Schließer ausgelöst, jetzt wird eine Fahndung in der Stadt anlaufen. Auch den Bahnhof werden wir überwachen.«

Ich zuckte die Schultern, denn der Ausbruch konnte nur in der Nacht unbemerkt geblieben sein. Das wenig verlockende Frühstück bestand aus einer Schale mit einem undefinierbaren Brei, der noch hinter der Türklappe stand, als wir eintraten.

Der Mann hätte also längst die Stadt verlassen und alle Spuren verwischen können.

Auf dem Weg zurück ins Kommissariat begegneten wir auf den Fluren vielen bewaffneten Wächtern, die aufgeregt hin und her liefen, aber das schien mir nun ein wenig zu spät zu sein. Doch die nächste Überraschung erwartete uns im nachfolgenden Gespräch.

»Wissen Sie, meine Herren, ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien!«, begann der Kommissar. Er hatte uns eine kleine Kiste mit Zigarren herübergeschoben und wartete nun auf Kaffee für uns alle, den er bei seinen Kollegen im Nebenraum bestellt hatte. Während wir uns also zu einer recht gemütlich wirkenden Besprechungsrunde zusammenfanden, knallten auf dem Flur die Türen, Stiefelabsätze polterten, Boten mit Telegrammen trafen ein, Fußstreifen und solche zu Pferd kamen und gingen.

»Doch nun bin ich überzeugt davon, dass uns die in den letzten Stunden eingetroffenen Nachrichten ein ganz anderes Bild zeichnen.«

Waller schaute auf, als einer der uniformierten Polizisten hereinkam und auf einem Tablett Tassen, eine Kaffeekanne und ein Kännchen mit Milch balancierte. Er stellte alles auf dem Tisch ab, um den wir saßen und rauchten und zog dann einen zusammengefalteten Bogen aus der Uniformtasche und gab ihn dem Kommissar. Der warf einen raschen Blick darauf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, sodass die Tassen hochsprangen. »Endlich einmal eine gute Nachricht! Der Mann, der sich Baron von Falkenstein nennt, muss noch in Innsbruck sein! Hier, sehen Sie selbst, meine Herren!«

Sepp und ich schauten zugleich auf das Blatt, während Anton uns gespannt beobachtete.

»Der letzte Zug hat Innsbruck in der Nacht um elf Uhr verlassen, und der ging nach München ab. Heute Morgen sollte der erste Zug um sechs Uhr dreißig nach Triest abgehen, aber die Maschine hat einen Kesselschaden, eine Ersatzlokomotive wurde geordert und trifft erst in einer Stunde hier ein.«

»Und der Ausbruch könnte nicht so passiert sein, dass der Baron den Zug um elf Uhr erreichte?«, erkundigte sich Sepp.

»Ausgeschlossen, Herr Brendel, ganz ausgeschlossen. Die Zellen werden zur Nachtruhe um zehn Uhr kontrolliert, und zwar mit dem Betreten der Zelle und dem Anruf des Gefangenen, der darauf zu antworten hat. Auf diese Weise ist eine vollständige Nachtkontrolle gewährleistet.«

»Gut, und Sie überwachen auch den Bahnhof weiter und überprüfen alle Droschken?«

»Selbstverständlich, Herr Brendel. Sie müssen nicht von uns glauben, dass der Ausbruch eines Gefangenen ein Beweis für unsere schlechte Arbeit ist. So etwas geschieht eigentlich nie, jedenfalls nicht, solange ich im Dienst bin. Und damit bin ich auch mitten in unserem Thema.«

»Die Verschwörung!«, warf ich ein, und der Kommissar nickte bedächtig. Er stand auf, holte etwas aus einer Schublade seines Schreibtisches und legte wenige Augenblicke später eine dünne Mappe vor uns auf den Tisch.

»Wenn Sie sich selbst einmal überzeugen möchten? Das alles wurde von unseren Polizeiagenten zusammengetragen, die meiner Abteilung unterstellt sind. Natürlich geheim, und ich denke mal, dass Sie schweigen können, meine Herren! Von Herrn Joseph Brendel bin ich durch seine Legitimation überzeugt, und Sie beide …« Damit fiel ein prüfender Blick in meine und Antons Richtung, bevor er fortfuhr. »Sie beide sind mir ja durch den Herrn Brendel empfohlen worden.«

Wir nickten gleichzeitig, und während Sepp die Mappe öffnete und interessiert auf ein Wappen blickte, setzte Kommissar Waller seine Ausführungen fort. Je mehr wir erfuhren, desto verwunderter wurde ich. Da zeichnete sich ein Bild ab, das eine Katastrophe erahnen ließ, sollten diese Männer alles umsetzen, wie es hier in kurzen Stichworten aufgeführt war. Insbesondere Sepp war es, der nun gar nichts mehr von der Gemütlichkeit eines Wurzelsepps an sich hatte. Seine Gesichtszüge waren ernst und geradezu finster, und mit routinierter Art stellte er Waller seine Fragen, die uns halfen, etwas Licht in das Geschehen zu bringen.

Danach war der angebliche Baron Hermann von Falkenstein einer der Großkomture des Ordens vom Heiligen Georg, den der König als Großmeister selbst ernannt hatte. Der Orden ging zurück auf die Kreuzzüge des 12. Jahrhunderts und wurde im 15. Jahrhundert von König Maximilian I. erneuert. Über die Jahrhunderte wechselte seine Bedeutung mit den veränderten Statuten, und unter König Ludwig II. kam es zur vollständigen Erneuerung. Doch damit wurde auch der Bruch eingeleitet, denn als Großkomtur wurde vorausgesetzt, dass die ernannten Adligen über acht männliche und acht weibliche Ahnen in der Adelskette Zeugnis ablegen konnten.

Genau daran kamen in der Linie von Falkenstein Zweifel auf, und schließlich legte man dem König nahe, Falkenstein aus dem Orden zu entfernen. Aber König Ludwig wollte den Mann nicht brüskieren, solange ihm nicht zweifelsfreie Berichte vorlagen. Auch das war einer der Gründe, den Baron zur Jagd einzuladen und ihm damit Vertrauen entgegenzubringen.

Für seinen Vertrauten und Geheimagenten Sepp erhielten dadurch aber auch der seltsame Schuss und der Vorfall mit der Steinlawine eine ganz andere Bedeutung.

»Ja, Herrschaftszeiten!«, stöhnte der Alte gerade und schob die Mappe von sich. »Das ist ja ein Verbrecher, und wir lassen ihn noch in die Nähe unseres Kini!«

»I glab dem Schmähtandler gor nix mehr«, ließ sich Anton knapp hören. »Wegen dem Gschichtldrucker bin i iatz der Deschek (habe ich jetzt den Schaden)!«

»Und für mich ist nun auch klar, dass der Kerl hier vor Ort Helfer hat. Da kam ein Bericht erst vor ein paar Wochen auf meinen Tisch, als dieser saubere Herr Baron in einer Schenke gesehen wurde, in der einige bekannte Anarchisten verkehren. Deshalb wird sie überwacht, und meine Agenten schreiben über jeden einen Bericht, der da ein und ausgeht.«

Ich beugte mich etwas vor und sah dem Kommissar direkt in die Augen.

»Das heißt doch aber auch, dass Sie Namen und wohl auch Adressen der Männer haben, die Falkenstein dort getroffen hat?«

Kommissar Waller machte eine lässige Handbewegung.

»Selbstverständlich. Und Sie dürfen mir glauben, dass in diesem Moment starke Polizeiabteilungen unterwegs sind und diesen Herren einen freundlichen Besuch abstatten.«

»Dann sind wir jedenfalls gut aufeinander abgestimmt. Jetzt bliebe nur noch …«, hatte ich begonnen, als die Tür aufgerissen wurde und ein Uniformierter eintrat.

»Herr Kommissar, es hat eine Schießerei gegeben!«

Waller sprang auf und öffnete seinen Schrank, um seine Dienstwaffe an sich zu nehmen.

»Was und wo, Mann, rasch!«

»In der Herrengasse beim Dom! Das Haus ist umstellt, wir warten darauf, dass die Männer endlich herauskommen – geschossen wurde noch immer, als ich losgeschickt wurde.«

»Ist ein Fahrzeug für mich bereit?«

»Selbstverständlich, Herr Kommissar!«

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schlossen wir uns Waller an, als er jetzt auf den Hof eilte, wo bereits eine Kutsche auf ihn wartete. Der Kommissar wollte etwas einwenden, als wir ebenfalls einstiegen, dann besann er sich aber und schwieg während der gesamten Fahrt.

Mein Blutsbruder: Der Orden der Schwarzen Löwen – Die Jagd auf eine Mörderbande

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