Читать книгу Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman - Toni Waidacher - Страница 26

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Mit kräftigen Hammerschlägen trieb die junge Frau den Nagel durch den Maschendraht in das Holz und schlug ihn dann quer über den Draht, der nun bombenfest saß. Die zwei Kaninchen in dem Stall schauten ihr neugierig dabei zu. Ihre Nasen schnupperten aufgeregt, denn eigentlich war es an der Zeit, daß sie ihr Futter bekamen.

»So, ihr kleinen Biester, jetzt könnt ihr net mehr entwischen«, sagte Franziska Pachner und legte den Hammer und die restlichen Nägel zurück in den Werkzeugkasten.

Die Kaninchen waren am frühen Morgen ausgerissen. Zuvor hatten sie eine morsche Stelle des Drahtes durchbrochen und waren aus dem Käfig gesprungen. Als Franziska den offenen Käfig entdeckte, setzte eine große Suchaktion ein. Gefunden wurden die beiden schließlich im Gemüsegarten, wo sie sich, zum Entsetzen von Franziskas Magd, Maria Ohlanger, über die Mohrrüben hermachten.

Die junge Besitzerin des Bergbauernhofes unterhalb des Zwillingsgipfels öffnete vorsichtig die Stalltür und legte die Kohlstrünke hinein. Sofort stürzten sich die beiden Tiere darauf. Franziska schaute ihnen einen Moment schmunzelnd zu.

»Zur Strafe hättet ihr eigentlich nix mehr verdient«, meinte sie und stand auf.

Sie ging zum Haus.

Drüben im Stall rumorte Valentin Huber, der alte Knecht, der schon seit mehr als vierzig Jahren auf dem Pachnerhof arbeitete.

In der geräumigen Wohnküche war Maria damit beschäftigt, Kartoffeln für das Mittagessen zu schälen. Sie war fast genauso lange auf dem Pachnerhof wie Valentin, und Franziska konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wie es sein sollte, wenn die beiden mal nicht mehr waren.

»Was gibt’s denn Gutes?« fragte die Bäuerin und schaute in einen der Töpfe, die auf dem Herd standen.

»Fleischpflanzerl und Blaukraut«, antwortete Maria und zog ein grimmiges Gesicht. »Am liebsten hätt’ ich den beiden kleinen Biestern das Fell über die Ohren gezogen…«

Franziska lachte. Sie wußte, daß die Magd es nicht so meinte, wie sie es sagte. Aber schade war’s um die Mohrrüben schon.

»Na, der Schaden hält sich ja in Grenzen«, meinte sie.

Die Bäuerin setzte sich an den Tisch unterm Herrgottswinkel und nahm die Zeitung zur Hand. Gedankenverloren blätterte sie darin. Maria sah zu ihr hinüber.

»Morgen ist das Heu soweit«, bemerkte sie. »Valentin hat dann alle Hände voll zu tun. Willst net seh’n, ob du net noch eine Aushilfe bekommen kannst?«

»Daran hab’ ich auch schon gedacht«, antwortete Franzi. »Ich hab’ gestern mit der Frau Reitlinger vom Arbeitsamt in der Kreisstadt telefoniert. Allerdings hat sie mir keine großen Hoffnungen gemacht. Es gibt mehr offene Stellen als Bewerber.«

Maria Ohlanger setzte die Kartoffeln auf den Herd und schaltete die Platte ein. Dann nahm sie zwei Zwiebeln zur Hand, schälte und schnitt sie in kleine Würfel. Mit etwas Butter schwitzte sie sie in einer Pfanne an.

»Und wenn du einmal mit dem Anzengruber darüber redest?« fragte sie dabei. »Vielleicht kann er uns…«

Franziska Pachner blickte zornig auf. Sie faltete mit einer hektischen Bewegung die Zeitung zusammen und warf sie auf die Eckbank.

»Niemals!« rief sie heftig.

Die Bäuerin stand auf.

»Ich hab’ schon hundertmal gesagt, daß ich diesen Namen nie wieder in meinem Haus hören will«, sagte sie nachdrücklich. »Und schon gar net denk’ ich daran, diesen Kerl um Hilfe zu bitten.«

Sie ging hinaus und warf die Tür hinter sich zu. Maria Ohlanger schaute ihr ratlos hinterher.

*

Franziska lief ins Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa. Eine Unmutsfalte hatte sich auf ihrer Stirn gebildet.

Anzengruber, dachte sie, ausgerechnet der!

Dabei wußte sie, daß die Magd recht hatte. Ohne eine zweite Kraft war die Heuernte kaum zu schaffen. Es war aber auch wie verhext! Von drei Knechten, die sonst noch auf dem Hof arbeiteten, hatten zwei vor einem Monat gekündigt und waren fortgegangen, der dritte lag seit zwei Wochen im Krankenhaus und erholte sich von einer schweren Infektion. Immer wieder hatte Franziska beim Arbeitsamt in der Kreisstadt angerufen, doch die Sachbearbeiterin, die für die Vermittlung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte zuständig war, konnte ihr beim besten Willen nicht helfen. Offenbar zogen es die Leute vor, in Fabriken ihr Geld bei geregelter Arbeitszeit zu verdienen als sich auf einem Bauernhof abzubuckeln.

Daß Maria Franziska gerade an Tobias Anzengruber erinnert hatte, riß eine alte Wunde bei der jungen Bäuerin auf.

Franzi Pachner hatte vor drei Jahren, nachdem der Vater verstorben war, den Hof übernommen. Ganz auf sich alleine gestellt, nur mit Hilfe von Maria und Valentin, hatte sie alles getan, das väterliche Erbe zu erhalten. Neben dem Hof, etlichen Hektar Land und einem großen Waldstück, hatte Alois Pachner seiner Tochter auch ein nicht unbeträchtliches Vermögen hinterlassen, das teils aus Bargeld, aber auch aus Wertpapieren bestand. Alles in allem war Franziska Pachner eine »gute Partie«.

Der Nachbarssohn Tobias Anzengruber warb schon seit längerem um die schöne Bauerntochter. Nach dem Tod ihres Vaters

sah der gewiefte Bursche seine Chance gekommen. Als Zweitgeborener hatte er nur die Möglichkeit, entweder als Knecht seines Bruders zu arbeiten oder fortzugehen. Doch beides wollte ihm nicht so recht schmecken.

Franzi war bereit, seinem Werben nachzugeben. Tobias sah nicht nur gut aus – er war der Schwarm aller Madeln im Tal –, er gab sich auch überaus hilfsbereit, arbeitete, ohne etwas dafür zu verlangen und half und tat, wo er nur konnte. Die Bäuerin erinnerte sich noch gut an den Abend, an dem Tobias sie fragte, ob sie seine Frau werden wolle.

Sie glaubte, vor Glück zu zerspringen, denn schon lange hatte sie auf diesen Moment gewartet. Doch dieses Glück wurde jäh zerstört, als Franzi ihren Verlobten in den Armen einer anderen Frau entdeckte. Auf einem Tanzabend im Hotel »Zum Löwen« war es. Die junge Bäuerin hatte mit einem anderen Burschen getanzt und war an ihren Tisch zurückgekehrt. Tobias war verschwunden und tauchte auch nicht wieder auf. Franzi fand ihn schließlich draußen in der Dunkelheit.

Die beiden standen am Rand des Parkplatzes, als die junge Frau aus dem Hotel trat. Sie waren so mit sich selbst beschäftigt, daß sie nicht bemerkten, wie Franzi sich ihnen näherte.

»Geh’, Tobias, du bist doch verlobt«, hörte sie die andere Frau sagen, doch an deren Stimme war zu erkennen, daß sie nicht ernst meinte, was sie sagte.

Tobias Anzengruber machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Schmarr’n«, lachte er. »Die Franzi weiß ja von nix. Außerdem, wenn sie ihr vieles Geld net hätt… nehmen tät ich sie net. Das kannst mir glauben.«

Franziska fühlte, wie sich ihr Herz verkrampfte, als sie dies anhören mußte. Einen Moment lang schwindelte es ihr. Doch dann riß sie sich zusammen. Ganz ruhig ging sie auf die beiden zu, die auseinanderfuhren, als sie die Stimme vernahmen.

»Ich weiß mehr, als du glaubst, Tobias«, sagte sie, und ehe er sich versah, spürte der Bursche fünf Finger auf der linken Wange.

Dann drehte Franziska sich um und ging davon. Niemand sollte ihre Tränen sehen. Natürlich weinte sie aus Enttäuschung, aber auch aus Wut darüber, auf diesen Kerl hereingefallen zu sein. Beinahe zumindest.

Aber das würde ihr nie wieder passieren, schwor sie sich. Nie wieder würde sie sich in ein Mannsbild vergucken. Wie konnte sie denn sicher sein, daß er es nicht auf ihr Geld abgesehen hatte?

Franzi erhob sich und ging zum Fenster hinüber. Auf schmerzliche Weise war sie an ein dunkles Kapitel ihres jungen Lebens erinnert worden. Doch jetzt stand ein anderes Problem im Vordergrund. Hilfe mußte her! Nur woher nehmen, wenn sich niemand anbot?

*

Im Pfarrhaus war wieder einmal Putztag. Einmal in der Woche, meistens am Dienstag, machte sich Sophie Tappert daran, sämtliche Räume einer großen Reinigung zu unterziehen. Um dabei keine Zeit mit dem Kochen zu verlieren, köchelte auf dem Küchenherd ein Suppentopf vor sich hin, in dem alles schwamm, was der Garten an Gemüse hergab. Außerdem hatte die Haushälterin Grießklößchen als weitere Einlage vorbereitet.

Pfarrer Trenker suchte an solchen Tagen lieber die Ruhe seiner Kirche auf. Auch in der Sakristei gab es immer wieder mal etwas zu räumen und zu ordnen. Alois Kammeier, der Mesner von Sankt Johann, war dabei eine große Hilfe.

Sebastian Trenker war gerade dabei, die Einbände der Kirchenbücher abzustauben. Es waren riesige Folianten mit breiten Rücken. Die ältesten waren vor mehr als dreihundert Jahren angelegt worden. In ihnen war alles aufgezeichnet worden, was sich mit der Zeit zugetragen hatte. Geburten und Todesfälle, Hochzeiten und Taufen, Kriegs- und Pestheimsuchungen. Für Historiker waren diese Bände eine wahre Fundgrube, und nicht selten kam es vor, daß sich ein Gelehrter für ein paar Wochen im Dorf einquartierte und tagtäglich die alten Kirchenbücher studierte.

Alois Kammeier stand auf einer Trittleiter und ordnete einen Stapel Bücher, der oben auf einem der Regale lag, weil in den Reihen kein Platz mehr dafür war.

»Schau’n S’ einmal, Hochwürden«, sagte er.

Sebastian sah zu ihm hoch. Der Mesner hielt ein dickeres Buch in der Hand. Es war in schwarzes Leder gebunden, der Titel war mit goldenen Buchstaben eingeprägt.

»Was haben S’ denn da gefunden?« fragte der Geistliche.

Alois hatte seinen Fund aufgeschlagen und blätterte darin. Er machte ein ratloses Gesicht.

»Das meiste kann ich gar net lesen«, gab er zu und reichte das Buch, das ein goldenes Wappen zierte, nach unten.

Pfarrer Trenker blätterte es auf. Ziemlich verschnörkelte Schriftzeichen prangten auf dem Innenblatt, die erst auf den zweiten Blick als Buchstaben zu erkennen waren.

»Können S’ das etwa lesen?« fragte der Mesner.

Sebastian nickte.

»Da haben S’ einen interessanten Fund gemacht«, sagte er. »Das ist die Chronik einer alten Adelsfamilie, die hier im Wachnertal beheimatet war. Das Grafengeschlecht derer von Herdingen war soviel ich weiß, einstmals ein reicher und einflußreicher Zweig des böhmischen Königshauses.«

»Dann ist das Buch wohl sehr wertvoll?«

»Für Historiker bestimmt und natürlich für unsere Kirche. Es ist doch immer wieder ganz erstaunlich, was für Schätze man entdeckt.«

Der Geistliche beschloß, den Fund mit ins Pfarrhaus zu nehmen und bei Gelegenheit intensiver darin zu lesen.

Durch die offene Tür waren Schritte zu hören, die sich der Sakristei näherten.

»Das wird mein Bruder sein«, mutmaßte Sebastian. »Lassen S’ uns für heute Schluß machen.«

Wenig später steckte Max Trenker seinen Kopf herein.

»Pfüat euch, miteinand’«, sagte der Polizeibeamte. »Schönen Gruß von der Frau Tappert, das Essen steht auf dem Tisch.«

»Komm schon«, nickte der Pfarrer.

Beim Mittagessen war das Buch natürlich Gesprächsthema.

»Aber die Grafen Herdingen sind doch längst ausgestorben, oder net?« fragte der Polizist.

»Seit gut hundert Jahren, glaub’ ich«, antwortete sein Bruder.

»Also entschuldigen S’, wenn ich mich widersprech’, aber das kann net stimmen«, mischte sich Sophie Tappert ein.

Die beiden Brüder sahen sie fragend an. Es kam nicht oft vor, daß die Haushälterin an der Unterhaltung teilnahm. Sophie Tappert war von Natur aus eher schweigsam. Wenn sie doch einmal etwas sagte, dann war es ganz bestimmt nicht unwichtig.

»Sie machen mich neugierig«, sagte Sebastian. »Wieso glauben Sie, daß es net stimmen kann?«

»Weil die Hertha einen Grafen Herdingen kennengelernt hat«, kam die Antwort zurück.

»Wann?« fragte der Geistliche.

»Wo?« wollte sein Bruder gleichzeitig wissen.

Hertha Breitlanger war Sophies Freundin, mit der sie sich des öfteren traf. Gemeinsam besuchten sie Konzerte, gingen ins Café, unternahmen sie Ausflüge. So auch in der letzten Woche. Da hatten die beiden Damen an einer sogenannten Kaffeefahrt teilnehmen wollen. Natürlich wußten sie, daß man von den Sachen, die meistens dort verkauft wurden, besser die Finger ließ, aber das Rahmenprogramm – Kaffee und Kuchen mit einigen Volksmusikkünstlern – hatte sie neugierig gemacht.

Im letzten Moment mußte Sophie Tappert zu Hause bleiben. Eine fürchterliche Migräne, die sie manchmal bekam, wenn es Fönwetter war, verhinderte, daß sie die Freundin begleiten konnte. Und auf eben dieser Fahrt machte Hertha Breitlanger die Bekanntschaft von Friedrich Graf von und zu Herdingen.

»Die Hertha schwärmt nur noch von ihrem Grafen, wie vornehm und zuvorkommend er ist. Ein Kavalier der alten Schule«, vollendete Sophie Tappert ihre Neuigkeit.

Max Trenker schaute seinen Bruder fragend an.

»Verstehst du das?«

Sebastian schüttelte den Kopf.

»Also, erklärten kann ich’s mir net«, sagte er. »Allerdings bin ich kein Historiker. Vielleicht lebt tatsächlich noch ein Abkomme des alten Grafengeschlechts.«

»Mir ist’s eh wurscht«, gab Max bekannt und nahm sich noch eine Suppenkelle vor. »Frau Tappert, der Eintopf ist wieder eine wahre Wonne.«

Pfarrer Trenker schmunzelte. Er war immer wieder erstaunt darüber, wieviel Max verdrücken konnte, ohne dabei zuzunehmen. Es grenzte schon fast an ein Wunder.

*

Der junge Bursche pfiff ein munteres Lied, als er das Wachnertal durchwanderte. Er war sehr leicht und locker angezogen. Eine dreiviertellange Krachlederne und ein kariertes Hemd, dazu derbe Bergschuhe. Die blonden Locken steckten unter einem grünen Hütchen, an dem keck eine Fasanenfeder wippte.

Über dem Rücken hing ein prall gefüllter Rucksack, in dem Florian Brunner seine ganzen Habseligkeiten mit sich führte: Wäsche zum Wechseln, ein zweites Paar Schuhe, ein wenig Proviant für unterwegs. Darüber geschnürt war ein Schlafsack. Fand Florian einmal keinen rechten Platz, dann machte es ihm auch nichts aus, sich einfach unter einen Baum zu legen und die Nacht dort zu verbringen. Noch war es Sommer, und die Nächte herrlich lau.

Doch meistens hatte der Wandergesell’ Glück. Mit seinem charmanten Lächeln und dem einnehmenden Wesen gelang es ihm eigentlich immer, auf irgend einem Bauernhof unterzukommen. Natürlich tat er auch etwas dafür – den Stall ausmisten, Holz hacken – Florian war sich für keine Arbeit zu schade, und als Lohn winkten gutes Essen und ein bequemes Bett im Gesindehaus.

Der junge Bursche schaute sich um. Er nahm den Hut herunter und kratzte sich nachdenklich am Kopf. Über den Kogler hatte er das Wachnertal erreicht, war herabgestiegen und wanderte nun an der Ostseite entlang. Über ihm ragten zwei imposante Berggipfel in die Höhe. Das mußten der Himmelsspitz und die Wintermaid sein, während auf der anderen Seite die Berge nicht mehr ganz so hoch waren. Dort oben sah er saftige Almen liegen. Florian hatte einen Blick dafür. Er hatte auch schon als Senner gearbeitet, allerdings war in den Wirtschaften nicht immer leicht unterzukommen. Es mußte schon ein besonderer Glücksfall sein, daß dort Hilfe so dringend gebraucht wurde, daß der Almenwirt einen Wanderburschen beschäftigte. Da war es auf den Höfen einfacher, besonders jetzt, wo die Erntezeit vor der Tür stand.

Aber zunächst knurrte der Magen. Die Sonne stand hoch am Himmel, und es war Mittagszeit. Florian suchte sich ein schattiges Plätzchen und breitete seine Kostbarkeiten aus.

Allerdings – viel war es nicht mehr, was der Rucksack hergab – ein wenig Brot und etwas von dem Rauchspeck, den er vor einer Woche als Teil seines Lohnes auf einem Bauernhof erhalten hatte.

Egal, dachte er und machte gute Miene zum bösen Spiel. Hauptsache, der Magen bekommt etwas zu tun. Nach dem Essen streckte er sich im Gras aus und schloß für eine Weile die Augen, die er erst wieder öffnete, als er lautes Hundegebell vernahm, das langsam näherkam.

Der Hund gehörte zu einem, dem man den Knecht schon von weitem ansah. Er führte eine Kuh am Strick mit sich.

»Pfüat di, Bauer«, grüßte Florian freundlich. »Du weißt doch bestimmt Bescheid hier in der Gegend. Ich bin auf der Suche nach einem Hof, auf dem ich eine Weile unterkommen kann. Brauchst net vielleicht selbst noch einen tüchtigen Knecht?«

Der Hund schnüffelte an ihm herum, der junge Bursche tätschelte den Kopf des Tieres, das ihm freundschaftlich die Hand leckte.

»Ich bräucht gewiß keinen Knecht«, lachte der alte Pankratz, der den Scherz schon verstanden hatte.

Er schüttelte den Kopf.

»Bei uns auf dem Hof wirst kein Glück haben«, sagte er dann. »Aber vielleicht droben am Pachnerhof. Die junge Bäuerin ist in arger Not, wird gesagt, und einen Bauern gibt’s net.«

»Na, dann will ich eilen, ihr aus dieser Not zu helfen«, rief Florian Brunner und machte dabei eine Verbeugung, als wäre er ein Rittersmann und nicht ein einfacher Landarbeiter. »Du mußt mir nur sagen, auf welchem Weg ich zu dieser Bäuerin komme.«

Pankratz lachte wieder. Der Bursche war nach seinem Geschmack. Mit dem würd’s bestimmt nicht langweilig werden. Schade, daß kein Platz mehr frei war.

Er erklärte den Weg zum Pachnerhof und zog dann, Kuh und Hund im Schlepptau, von dannen. Der Wanderbursche machte sich ebenfalls auf den Weg. Er wollte keine Zeit unnütz verstreichen lassen. Nach den Worten des Alten brauchte er auch noch eine Stunde, bis er den Hof erreichen würde.

Florian schritt kräftig aus. Der schwere Rucksack drückte zwar ein wenig, aber das war er schon gewohnt. Schon bald kam er an die Weggabelung, von der der Knecht gesprochen hatte, rechts ging es weiter zum Pachnerhof, während der linke Pfad ins Tal hinunterführte. Dort lag, in den Bergen eingebettet, St. Johann. Florian freute sich darauf, das Dorf zu besuchen. Gewiß gab es am Samstag abend einen Tanzball, und jede Menge hübscher Madeln.

Vorerst schlug er aber den Weg ein, der stetig in die Höhe führte, und sah nach einiger Zeit den Hof am Berghang liegen, auf dem es keinen Herrn, nur eine Herrin gab.

*

Florian klopfte sich den Staub von den Kleidern und fuhr sich durch das Haar, bevor er den Pachnerhof betrat. Mit dem Hut in der Hand ging er direkt zum Bauernhaus und klopfte an.

Schon mit dem ersten Blick hatte er festgestellt, daß es ein gut geführter Hof sein mußte. Alles blitzte vor Sauberkeit, nirgendwo war auch nur der Hauch einer Unordnung zu entdecken, wie der Bursche es oft auf anderen Höfen gesehen hatte. Die Haustür wurde geöffnet, und eine ältere Frau schaute ihn fragend an.

»Bitt’schön? Was möchten Sie?«

Florian stellte sich vor und fragte nach Arbeit. Maria Ohlanger strahlte. Ganz insgeheim hatte sie gebetet, der Herrgott möge ein Einsehen haben und jemanden schicken. Valentin konnte unmöglich die ganze Arbeit allein schaffen.

»Ich glaub’ schon, daß wir noch jemanden brauchen«, nickte sie. »Aber das letzte Wort hat natürlich die Bäuerin.«

»Und? Ist sie zu sprechen?«

»Im Moment net«, bedauerte die Magd. »Sie ist am Mittag ins Dorf hinuntergefahren. Aber eigentlich müßt’ sie bald zurückkommen. Wenn du solang’ warten willst.«

»Freilich«, antwortete Florian.

»Na, dann komm halt herein«, lud Maria ihn ein. »Magst einen Kaffee mittrinken?«

»Da sag’ ich gewiß net nein.«

Der junge Bursche hob schnuppernd die Nase, denn der Duft des frisch gebrühten Kaffees durchzog die Küche. Er setzte sich auf die Eckbank und griff dankbar zu, als die Magd einen großen Teller mit Kuchen auf den Tisch stellte. Florian biß herzhaft in ein Stück hinein und nickte vor sich hin. Hier würde er es aushalten können, da war er sicher. Wenn der Kuchen schon so gut schmeckte – wie würde da erst das andere Essen munden!

Maria Ohlanger setzte sich zu ihm und fragte, woher er käme. Bereitwillig gab er Auskunft und erzählte von seiner Wanderschaft und den Höfen, auf denen er gearbeitet hatte. Schließlich hatte er nichts zu verbergen.

»Und jetzt hat’s mich hierher verschlagen«, meinte er und erwähnte den Knecht, der ihm vom Pachnerhof berichtet hatte.

»Ja, es ist schon ein Kreuz«, sagte Maria mit kummervoller Miene. »Erst haben zwei Knechte gekündigt, und dann ist der dritte krank geworden. Es ist schon ein Segen, daß der Herrgott dir den Weg hierher gewiesen hat.«

Das Geräusch eines Autos, das auf den Hof fuhr, unterbrach die Unterhaltung. Maria hob den Kopf und schaute aus dem Fenster.

»Die Bäuerin ist zurück«, sagte sie. »Da kannst gleich selber mit ihr sprechen und alles ausmachen.«

Wenig später betrat Franziska Pachner die Küche.

»Maria, ich bin zurück«, sagte sie, als sie durch die Tür kam.

Als sie den Besucher wahrnahm, verstummte sie. Florian war aufgesprungen. Er deutete eine knappe Verbeugung an.

»Grüß Gott, Bäuerin, ich bin der Florian Brunner. Ich wollt’ fragen, ob ich eine Weile auf deinem Hof bleiben kann. Hab’ schon gehört, daß da ein Mangel an Arbeitskräften herrscht.«

Dabei setzte er sein charmantestes Lächeln auf.

Franziska indes mußte unwillkürlich schmunzeln. Sie konnte sich nicht erinnern, daß ein Mann sie jemals mit einer Verbeugung begrüßt hatte. Allerdings fiel ihr auch ein Stein vom Herzen. Dieser Bursche kam wie gerufen.

»Freilich kannst bleiben«, sagte sie und reichte ihm die Hand. »Wenn du mit den Bedingungen einverstanden bist.«

Florian Brunner lachte.

»Da werden wir uns bestimmt einig.«

»Magst auch einen Kaffee?« erkundigte sich Maria bei der Bäuerin.

Franzi nickte und setzte sich zu Florian an den Tisch. Dabei nahm sie wahr, wie intensiv er sie musterte, und sie ärgerte sich darüber, daß sie ein wenig rot und verlegen wurde unter diesem Blick. Unwillkürlich klopfte auch ihr Herz schneller. Florian schien etwa in ihrem Alter zu sein, vielleicht ein, zwei Jahre älter, und er sah unverschämt gut aus.

Und das wußte er auch. Denn so unverhohlen, wie er sie musterte, tat es nur jemand, der sehr selbstsicher und von sich überzeugt war. Franziska Pachner fuhr sich verlegen durch das Haar. Um von ihrer Verlegenheit abzulenken, erkundigte sie sich, wo Florian bisher gearbeitet habe. Wie auch schon der Magd gegenüber, so gab er auch jetzt bereitwillig Auskunft. Die Bäuerin hörte zu, nickte ab und an und nannte schließlich den Lohn, den sie zu zahlen bereit war. Er lag deutlich über dem, was sonst üblich war. Denn Franzi hatte Angst, ihr Gegenüber könne doch noch im letzten Moment abspringen.

Florian allerdings dachte gar nicht daran. Es gefiel ihm viel zu gut auf dem Pachnerhof… und noch besser gefiel ihm die Bäuerin.

*

Hertha Breitlanger schwebte seit Tagen im siebten Himmel. Genauer gesagt, seit jenem Tag, an dem sie Graf Friedrich von und zu Herdingen kennengelernt hatte. Jetzt saß sie am Fenster ihrer Dreizimmerwohnung in St. Johann und wartete sehnsüchtig auf das Erscheinen des Edelmannes. In der Kaffeemaschine blubberte der Kaffee vor sich hin, und auf dem liebevoll gedeckten Tisch stand ein prächtiger Pfirsichkuchen. Während die Mitsechzigerin auf ihren Besuch wartete, rief sie sich den Tag in Erinnerung, an dem diese schicksalhafte Begegnung stattgefunden hatte. Im Nachhinein war Hertha der Vorsehung dankbar, die damals das Fönwetter geschickt und so verhindert hatte, daß ihre beste Freundin an der Kaffeefahrt teilnehmen konnte. Wer weiß, zu welchen Komplikationen es unter Umständen gekommen wäre, wenn der gutaussehende Graf beiden Damen den Hof gemacht hätte. Aber dazu war es ja gottlob nicht gekommen.

In dem Lokal, das der Busfahrer mit seinen erwartungsvollen Fahrgästen angesteuert hatte, war im großen Saal alles für die Veranstaltung vorbereitet. Dreihundert Leute paßten hinein, und die Tische waren gut besetzt. Schon beim Eintreten war Hertha der große, schlanke Mann mit dem silbergrauen Haar aufgefallen, der im Moment noch alleine an einem der Tische saß. Insbesondere das aristokratische Kinn, das er energisch nach vorne schob, zog sie in ihren Bann. Wie unter Hypnose ging sie auf den Tisch zu. Der Mann, natürlich im dunklen Anzug mit Weste und Krawatte, erhob sich, als Hertha Platz nahm. Er eilte um den Tisch herum und rückte ihr den Stuhl zurecht. Dann stellte er sich neben sie und verbeugte sich.

»Gestatten – Graf Friedrich von Herdingen«, sagte er knapp und deutete dabei ein schmales Lächeln an.

Hertha Breitlanger fühlte, wie ihr Puls schneller schlug. Sie lächelte ihm zu, als er sich setzte, und nannte ebenfalls ihren Namen. Und seit diesem Moment war sie rettungslos verliebt.

Der Nachmittag sollte zu einem unvergeßlichen Erlebnis werden. Was machte es schon, daß der Veranstalter lautstark versuchte, den Leuten seine überteuerten Waren anzudrehen, und daß die angekündigten Volksmusikstars eher zweitklassige Musikanten waren. Hertha hatte ihr Glück gefunden, denn Graf Friedrich schien nur noch Augen für sie zu haben.

Beinahe hätte sie ihren Bus verpaßt, so sehr waren sie und der Graf in ihre Unterhaltung vertieft. Erst ein ungeduldiges Hupen des Fahrers riß die beiden auseinander.

»Werden wir uns wiedersehen?« fragte Graf Friedrich hoffnungsvoll.

Herthas Stimme bebte, als sie huldvoll ihren Kopf neigte und ihm antwortete: »Ich würde mich sehr freuen.«

Sie gab ihm noch schnell ihre Telefonnummer, dann wurde es höchste Zeit einzusteigen. Hertha beobachtete, wie Graf Friedrich gemessenen Schrittes über den Parkplatz ging. Leider konnte sie nicht mehr sehen, in welche Luxuslimousine ihr neuer Bekannter einstieg, weil der Busfahrer schnell anfuhr. Doch sie war sicher, daß es mindestens ein Mercedes sein müsse.

Schon tags darauf trafen sie sich am Achsteinsee zu einem ausgedehnten Spaziergang, und am Ende sprach Hertha die Einladung für das heutige Kaffeetrinken aus.

*

Endlich sah sie ihn kommen. Wider Erwarten fuhr Graf Friedrich nicht in seinem Wagen vor, was Hertha schon, alleine der Nachbarn wegen, gefallen hätte, sondern er kam zu Fuß. Immerhin hielt er in der linken Hand einen Blumenstrauß, und allein dieser Anblick ließ das Herz der Frau höher schlagen.

Noch bevor der Besucher den Klingelknopf drücken konnte, wurde ihm schon geöffnet. Mit einem strahlenden Lächeln empfing Hertha Breitlanger ihren Grafen, der sie mit einer formvollendeten Verbeugung begrüßte.

»Haben Sie herzlichen Dank für die Einladung«, sagte er und führte ihre Hand an seine Lippen.

»Ich freue mich, daß Sie es einrichten konnten, Graf«, hauchte Hertha entzückt, während sie ihm den leichten Sommermantel abnahm, den Friedrich von Herdingen auszog.

Sie hängte das Kleidungsstück an die Garderobe. Der Graf überreichte den Blumenstrauß, den er zuvor aus dem Papier wickelte, und Hertha eilte, um eine passende Vase zu holen.

»Bitte, nehmen Sie doch schon Platz«, rief sie dem Gast von der Küche her zu.

Graf Friedrich schaute sich im Wohnzimmer um. Was er sah, gefiel ihm. Zwar war die Einrichtung nicht unbedingt sein Geschmack, aber sie zeugte von einem gewissen Wohlstand der Bewohnerin. Zufrieden nickte er, als er den Pfirsichkuchen sah. Die Dame seines Herzens hatte sich also gemerkt, daß dies sein absoluter Lieblingskuchen war.

Hertha kam aus der Küche zurück. Die Blumen, ein Strauß gelbe Teerosen, hatte sie in eine Glasvase gestellt, die sie auf dem Tisch plazierte. Dann schenkte sie Kaffee ein und legte den Kuchen auf. Schnell entwickelte sich eine Unterhaltung, die der Graf zum größten Teil alleine bestritt. Wie gebannt hing Hertha an seinen Lippen und lauschte der Erzählung über seine Familie, die, nach seinem Bekunden, einer Seitenlinie des böhmischen Königshauses entsprang. Dabei vergaß die Witwe ihr Befremden, das sie nach dem Spaziergang am Achsteinsee darüber befallen hatte, daß Graf Friedrich sie nicht mit seinem Auto nach St. Johann chauffierte, sondern sie statt dessen den Bus nehmen mußte.

Auf jeden Fall würde Sophie große Augen machen, wenn sie vom Besuch des Grafen erfuhr.

Viel zu schnell war der Nachmittag vorüber, und viel zu schnell verabschiedete sich ihr Gast. Allerdings nicht ohne eine erneute Verabredung zu treffen.

»Bringen Sie doch ruhig Ihre Freundin mit, liebste Hertha«, sagte Friedrich zum Abschied. »Ich bin immer neugierig darauf, neue Menschen kennenzulernen.«

Er reichte ihr die Hand.

»Also, dann bis Sonntag, draußen am See«, hauchte Hertha Breitlanger und winkte ihm nach, als er die Straße hinunterging.

Dann tanzte sie beschwingt durch die Wohnung und räumte mit einem verliebten Blick den Teller ab, von dem der Graf gegessen hatte.

*

Florian hatte sich im Gesindehaus eingerichtet und mit dem alten Valentin bekannt gemacht. Der Knecht war froh, endlich Hilfe zu bekommen, und der Neue schien ein ganz patenter Kerl zu sein.

»Dann fahren wir am Nachmittag ins Heu«, sagte er beim Mittagessen, zu dem sich alle in der Küche eingefunden hatten.

»Ist mir recht«, nickte der junge Bursche.

»Und vergeßt net, nach dem Holz zu schauen, das der Hardlinger morgen abholt«, trug Franziska ihnen auf.

»Machen wir«, erwiderte Florian mit einem Lächeln, daß der jungen Bäuerin heiß und kalt wurde.

Wenn der so weitermacht, dann bleibt er net lang auf dem Hof, dachte sie wütend. Was bildete er sich eigentlich ein? Daß er sie nur anlächeln brauchte, und sie ihm um den Hals fiel? Da kannte er sie aber schlecht. Und mochte er auch noch so gut aussehen – sie war seine Chefin, und so würd’s auch bleiben!

Sie beeilte sich, ihren Teller leer zu essen und erhob sich dann schnell. Sie meinte, seinen Blick auf ihrem Rücken brennen zu spüren, als sie die Küche verließ und ins Wohnzimmer ging.

Valentin bekam davon nichts mit, aber die alte Maria hatte ein feineres Gespür. Ihr war nicht entgangen, daß zwischen dem Knecht und der Bäuerin eine knisternde Atmosphäre herrschte.

Franziska kehrte erst in die Küche zurück, nachdem Florian und Valentin vom Hof gefahren waren. Schweigsam machte sich die Bäuerin an den Abwasch.

»Laß doch. Das kann ich doch machen«, sagte die Magd.

Franziska Pachner wehrte ab.

»Geh’, Maria, das bißchen Geschirr. Leg’ dich doch ein Stündchen hin, ich mach das schon.«

Maria Ohlanger sah die junge Frau verständnislos an. Schließlich war es nicht die Aufgabe der Bäuerin, den Abwasch zu machen.

»Was hältst denn vom neuen Knecht?« erkundigte sie sich arglos.

Franzi spürte, wie ihr eine feine Röte ins Gesicht stieg, und widmete sich noch intensiver der Arbeit am Spülbecken, in der Hoffnung, daß Maria es nicht bemerken würde.

»Was soll ich schon von ihm halten?« stellte sie eine Gegenfrage. »Er macht seine Arbeit bis jetzt ordentlich.«

Maria merkte, daß Franzi nicht recht reden wollte, und befolgte deren Rat. Wenn die Bäuerin sich den Abwasch nicht abnehmen lassen wollte, dann würde sie sich eben wirklich ein wenig schlafen legen. Oft kam es ja net vor, daß sie dazu Gelegenheit hatte.

Die junge Bäuerin war froh, endlich allein zu sein. So hatte sie Gelegenheit, ihre Gedanken zu ordnen. Seit Florian auf dem Hof war, spielten sie nämlich verrückt. Franziska wehrte sich zwar dagegen, konnte aber nicht verhindern, daß sie immer öfter das Gesicht des jungen Burschen vor sich sah.

Und dabei hatte sie sich doch geschworen, daß sie sich niemals wieder in ein Mannsbild vergucken wollte.

Sie schluckte schwer, als ihr wieder dieser unselige Abend ins Gedächtnis kam, an dem sie den Mann, den sie liebte, in den Armen einer anderen sah, und sie konnte nicht verhindern, daß ihre Augen tränennaß wurden.

Nein! Franziskas Körper straffte sich. Das war alles längst überstanden und würde sich niemals wiederholen. Und wenn dieser Florian es auf die Spitze trieb, dann mußte er eben seine Sachen packen und wieder gehen.

Punkt und aus!

*

Max Trenker las ungläubig das Fernschreiben, das er eben von den Kollegen aus der Kreisstadt erhalten hatte. In ihm wurde auf einen Trickbetrüger und Hochstapler aufmerksam gemacht, der seit geraumer Zeit in der Gegend sein Unwesen trieb. Nicht nur, daß er in Hotels und Pensionen übernachtete und am nächsten Morgen sang- und klanglos verschwand, offenbar hatte er es auch auf reifere Damen abgesehen, die er mit betörenden Worten dazu brachte, ihm ihr Erspartes anzuvertrauen, mit dem er dann durchbrannte.

Wie viele Opfer es bisher waren, konnte die Polizei nur vermuten, denn nicht wenige schämten sich, auf diesen Schwindler hereingefallen zu sein, und verzichteten auf eine Anzeige. Erst als eine von ihnen den Mut hatte, zur Polizei zu gehen, wurde die Sache bekannt, und auf die erste Anzeige folgten weitere, so daß man inzwischen von mindestens zwölf Fällen ausging, in denen Beträge zwischen drei- und zehntausend Mark ergaunert worden waren.

Der Bruder des Bergpfarrers schüttelte den Kopf. Es war doch unglaublich, wie leicht sich die Leute das oft schwer ersparte Geld wieder abluchsen ließen.

Die Beschreibung war eindeutig, sollte der Kerl sich hier in St. Johann sehen lassen – Max Trenker würde ihn sofort erkennen.

»Passen S’ nur auf, daß Ihnen keiner schöne Augen macht, der’s net ehrlich meint«, sagte er spaßeshalber zu Sophie Tappert, als er später im Pfarrhaus vorbeischaute und von der Suchmeldung erzählte.

Die Haushälterin sah ihn nur kopfschüttelnd an. Was der Max bloß wieder dachte! So toll konnte gar kein Mann sein, daß es ihm gelang, Sophies Herz zu erobern. Sie war mit ihrem Beruf verheiratet.

»Wir wollen hoffen, daß der Gauner bald dingfest gemacht wird, bevor er noch mehr Menschen unglücklich macht«, sagte Sebastian Trenker.

»Bestimmt, wenn der Kerl sich hier blicken läßt«, versprach Max grimmig.

Er schaute noch einmal die Haushälterin an.

»Sagen S’ doch mal, Frau Tappert, der Graf, von dem Sie erzählt haben – was ist das denn für einer?« erkundigte er sich.

Die Perle des Pfarrhaushaltes hob die Schulter.

»Was soll ich sagen? Ich kenn’ ihn ja net. Bloß von Herthas Erzählungen. Aber, am nächsten Sonntag soll ich ihn kennenlernen. Haben S’ den etwa in Verdacht?«

Der Polizist schüttelte den Kopf.

»Mir geht’s wie Ihnen – ich kenn’ ihn auch net. Aber ein bissel merkwürdig ist’s schon, daß hier so ein Graf auftaucht, wo seine Familie doch eigentlich ausgestorben ist.«

»Vielleicht, Max, vielleicht«, wandte der Geistliche ein. »Wie gesagt – ich bin kein Historiker. Mag sein, daß ich mich täusch’, und es leben wirklich noch welche aus dieser Seitenlinie. Wir wollen ja niemanden zu Unrecht verdächtigen.«

»Na, ich werd’ mir den Grafen jedenfalls genau anschau’n, wenn ich ihn am Sonntag treff’«, bekräftigte Sophie Tappert.

*

Soweit es ihr möglich war, versuchte Franziska Pachner ihrem neuen Knecht aus dem Weg zu gehen. Allerdings ließ es sich nicht vermeiden, daß sie zu den Mahlzeiten aufeinander trafen. Jedesmal beschränkte sich die junge Bäuerin darauf, nur das Notwendigste mit ihm zu reden.

Florian Brunner schien hingegen unbekümmert. Als gäbe es überhaupt keine dunklen Wolken, die sein Gemüt jemals trüben könnten, hatte er immer ein freundliches Lächeln im Gesicht. Und mit jeder Geste, mit jedem Wort ließ er Franziska spüren, daß sie für ihn mehr, als nur die Chefin war.

Nicht, daß er sich ihr offenbart hätte. Aber seine ganze Art sprach eine deutliche Sprache. Selbst der Dümmste hätte bemerkt, daß der Knecht bis über beide Ohren in seine Bäuerin verliebt war.

Am Samstag saß er nach dem Abendessen noch ein Weilchen in der Küche und schaute Maria zu, die den Braten für den sonntäglichen Schmaus vorbereitete. Valentin saß auf der Eckbank, schlürfte seinen Kaffee und blätterte in der Zeitung. Franziska Pachner war gleich nach dem Essen aufgestanden und mit dem Hinweis, sie müsse sich um die Buchführung kümmern, ins Wohnzimmer gegangen.

Florian überlegte, was er mit dem Abend anfangen sollte. Überall, wo er sonst gewesen war, ging man am Wochenende zum Tanz ins Dorf hinunter. Allerdings – die beiden Alten schienen nicht mehr so recht in der Lage, das Tanzbein zu schwingen. Und die Bäuerin? Florian wollte nicht glauben, daß die junge Frau kein Interesse an dem samstäglichen Vergnügen habe. Wenn man die ganze Woche über hart arbeitete, freute man sich doch darauf, ein wenig zu feiern und Spaß zu haben. Aber als er Franzi darauf ansprach, schaute sie ihn nur verständnislos an.

»Für solchen Firlefanz hab’ ich keine Zeit«, antwortete sie barsch. »Und überhaupt – was geht’s dich an, wie ich mein Wochenend’ verbring’?«

Damit hatte sie ihn stehengelassen. Wie ein begossener Pudel schaute er ihr hinterher. Doch dann nahm er’s von der leichten Seite, pfiff ein leises Liedchen und tänzelte dabei so elegant durch die Küche, daß die alte Maria sich wünschte, vierzig Jahre jünger zu sein.

»Also, ich glaub’, ich geh’ ins Dorf«, sagte Florian und erhob sich. »Bestimmt wird’s eine Mordsgaudi, und eine gut gezapfte Maß Bier hab’ ich auch schon lang’ net mehr getrunken.«

Als er später über den Hof ging und den Weg hinunter nach St. Johann einschlug, da stand Franziska Pachner hinter dem unbeleuchteten Wohnzimmerfenster und schaute ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen war.

Schwer seufzend riß Franzi sich vom Fenster los und machte sich wieder an ihre Arbeit. Sie haßte das langweilige Zusammenrechnen der Ausgaben und Einnahmen, das Eintragen der endlosen Zahlen. Aber in ein paar Tagen war wieder einmal der Quartalsletzte, und der Steuerberater wartete auf die Unterlagen.

Aber so recht wollte es ihr nicht mehr gelingen, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Florians Frage, ob sie denn nicht auf den Tanzabend ginge, beschäftigte sie immer wieder. Seit jenem Abend war sie nie wieder ausgegangen, aber natürlich konnte der Knecht nichts darüber wissen, und sie war ihm deswegen auch nicht böse. Trotzdem ärgerte es sie, daß sie an dieser Stelle so leicht zu verwunden war. Sie beschloß, sich in Zukunft noch mehr abzuschirmen. Die Geschichte mit dem Tobias Anzengruber war schon eine ganze Weile her, aber Franzi merkte, daß sie es noch immer nicht verwunden hatte. Dabei war ihr nicht klar, was sie damals mehr verletzt hatte, der eigentliche Betrug, oder die kränkenden Worte, die der Anzengruber über sie gesagt hatte.

Vielleicht, so überlegte sie, würde es ihr helfen, wenn sie sich einmal mit jemandem darüber aussprechen konnte. Nur war ihr nicht so ganz klar, wer dieser jemand sein könnte. Eine wirkliche Freundin hatte sie nicht. Zwar gab es lockere Bekanntschaften, die noch aus der Schulzeit herrührten, aber denen hätte sich die junge Frau in diesen Dingen niemals anvertraut.

Eigentlich kam nur einer in Betracht, dachte sie schließlich – Pfarrer Trenker. Der gute Hirte von St. Johann, wie er auch genannt wurde, hatte für alles und jeden ein offenes Ohr. Er konnte geduldig zuhören und half aus jeder Lage. Vielleicht würde er auch Franziska helfen können.

Der Gedanke, sich schon bald einmal richtig aussprechen zu können, ließ sie wie beflügelt weiterarbeiten. Und es ging ihr schneller von der Hand, als es zu Anfang ausgesehen hatte. Als Franziska nach zwei Stunden die Ordner schloß und sich aufatmend zurücklehnte, verspürte sie ein befriedigendes Gefühl.

Sie ging zum Schrank hinüber, öffnete eine Flasche Wein und gönnte sich ein Glas. Dann setzte sie sich in den Sessel am Fenster, knipste die Stehlampe ein und blätterte in den Zeitschriften, die seit Wochen ungelesen unter dem Tischchen lagen. Als sie ein Modejournal darunter entdeckte, wußte sie plötzlich, was sie so schnell wie möglich machen wollte – in die Kreisstadt fahren und sich etwas Neues zum Anziehen kaufen. Ein schickes Kleid, ein Pullover oder eine Bluse. Sie freute sich närrisch darauf, als sie sich vorstellte, wie sie zwischen all den Kleiderständern herumwühlte.

Bevor sie später schlafen ging, machte sie noch ein paar Schritte vor die Tür. Drüben beim Gesindehaus war bereits alles dunkel. Bestimmt war Valentin schon schlafen gegangen, schließlich stand er beim ersten Hahnenschrei wieder auf. Franziska schaltete das Hoflicht ein. Wenn Florian nach Hause käme, sollte er nicht im Dunkeln stolpern und stürzen.

*

Wie an jedem Wochenende ging’s im Hotel »Zum Löwen« hoch her. Das Restaurant war wie immer gut besucht, und auf dem Saal herrschte das übliche Gedränge. Kaum ein Stuhl war noch frei, auf der Tanzfläche drehten sich die Burschen und Madeln, und oben auf dem Podest spielte die Blaskapelle ein Lied nach dem anderen.

Während die Saaltöchter die vollen Tabletts an die Tische schleppten, stand Sepp Reisinger, der Wirt vom Löwen, zufrieden am Tresen und beobachtete das Treiben. Wäre es nach ihm gegangen, dann hätte jeder Tag ein Samstag sein können, denn zu keiner anderen Gelegenheit kam so viel Geld in die Kasse.

Der Blick des Wirtes fiel auf den neuen Gast, der eben durch die Tür in den Saal trat. Ein junger Bursche mit einem freundlichen, offenen Gesicht. Er stand am Eingang und schaute auf die tanzenden Paare. Schließlich wandte er sich zum Tresen um und bestellte eine Maß.

Sepp Reisinger zapfte und stellte den vollen Krug vor den unbekannten Gast.

»Zum Wohl«, wünschte er.

Florian Brunner trank in vollen Zügen und wischte sich hinterher den Schaum von den Lippen.

»Ah, das tut gut«, meinte er und lachte den Gastwirt an.

»Bist neu hier?« wollte Sepp wissen.

Allerdings war eine Unterhaltung in dem ganzen Lärm nicht so einfach. Florian verstand die Frage erst beim zweiten Mal.

»D’roben vom Pachnerhof komm’ ich her«, erklärte er. »Ich hab’ für eine Weile dort oben Arbeit gefunden.«

Im selben Augenblick gesellte sich der alte Pankratz hinzu, der den Wandergesell wiedererkannt hatte. Er hatte die letzten Worte mitbekommen.

»Dann hat’s also geklappt bei der Franziska Pachner?« erkundigte er sich.

»Freilich. Und schönen Dank noch mal für den Tip«, nickte Florian Brunner. »Ich möcht’ mich revanchieren. Magst eine Maß mittrinken?«

»Da sag’ ich net nein«, rieb der Alte sich die Hände. »Aber komm’ mit herüber an den Tisch. Da lernst gleich noch ein paar andere Leut’ kennen.«

Der Knecht vom Pachnerhof folgte dieser Einladung gerne. Mit großem Hallo wurde der Neue in der Mitte der Dörfler begrüßt. Natürlich mußte Florian erzählen, woher er kam, wo er geboren war, warum er in der Welt umherzog und vieles andere mehr.

Die meisten an dem Tisch waren Leute vom Anzengruberbauern, unter ihnen befand sich auch Tobias. Der Bauerssohn sah den jungen Knecht der Franziska Pachner zwar neugierig an, ansonsten hielt er sich in der Unterhaltung aber zurück.

Zwei-, dreimal forderte Florian Brunner eines der Madeln zum Tanz auf, und jedesmal bestach er durch sein charmantes Lächeln und sein offenes Wesen. Die jungen Frauen waren hin und weg von diesem gutaussehenden Burschen.

Als der Tanzabend sich dem Ende neigte, hatte Florian nicht nur eine Menge neuer Bekannter, sondern vor allem auch eine ganze Reihe neuer Verehrerinnen. Gut gelaunt machte er sich auf den Heimweg, und als er am Pachnerhof ankam, der so idyllisch am Berghang lag, da war er überzeugt, daß ihm dieses Tal mit seinen Menschen eine neue Heimat werden könnte.

*

Obwohl er in der Nacht so spät nach Hause gekommen war, stand Florian Brunner mit dem ersten Hahnenschrei wieder auf. Den Tieren war es egal, was für ein Tag es war – sie waren es gewohnt, pünktlich um fünf ihr Futter zu bekommen und scherten sich nicht darum, ob die Menschen noch müde waren. Zusammen mit dem alten Valentin machte der junge Knecht sich daran, die Ställe auszumisten, die Kühe an die Melkmaschine anzuschließen und die Schweine mit neuem Futter zu versorgen.

Unterdessen waren Franziska Pachner und Maria Ohlinger im Haus damit beschäftigt, das Frühstück vorzubereiten. Als die beiden Männer bald darauf die Küche betraten, duftete es herrlich nach Kaffee. Frisches Brot und Butter standen auf dem Tisch. Dazu Marmelade, Käse und Wurst. Franziska kochte Eier, während Maria einen Blechkuchen anschnitt, den sie am Abend vorher gebacken hatte. Nach dem Dankesgebet, das die Bäuerin sprach, langten sie tüchtig zu.

»Wie war’s denn im Löwen?« erkundigte sich die Magd.

»Nett war’s«, nickte Florian und kaute munter sein Brot weiter. »Eine Menge netter Leute hab’ ich kennengelernt und viel Spaß gehabt.«

Dabei beobachtete er aus den Augenwinkeln heraus Franziska Pachner, die so tat, als höre sie gar nicht zu.

»Auf jeden Fall geh’ ich am nächsten Wochenend’ wieder hinunter. Habt’s ihr keine Lust?«

Er sah Valentin und Maria an.

Der alte Knecht schüttelte bloß schmunzelnd den Kopf, während Maria Ohlanger entsetzt die Hände hob.

»Bloß net«, wehrte sie ab. »Vor vierzig Jahren, da wär’s noch was anderes gewesen. Jetzt sind meine Knochen viel zu alt.«

»Geh«, mischte sich Franzi in das Gespräch. »Du tust ja g’rad so, als wärst’ schon mit einem Bein im Grab. Dabei bist neulich, als die beiden Kaninchen ausgebüxt sind, gelaufen wie ein junges Madel.«

»Da ging’s ja auch um mein Gemüse«, wandte die Magd ein. »Für einen Kerl hätt’ ich mich gewiß net so beeilt.«

Heiteres Gelächter war in der Küche zu hören, als Maria dies von sich gab.

Nach dem Frühstück ging es gemütlicher als sonst zu. Die Woche über gab es genug Arbeit, doch am Sonntag ließ man sie ruhen und beschränkte sich nur auf das Nötigste. Franziska hatte sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen und suchte die Sachen für die Tracht zusammen. Mochte es vielleicht auch vielen altmodisch erscheinen – im Wachnertal trug man diese festliche Tracht gerne, wenn sich ein Anlaß dafür bot. Und solch ein Anlaß war der Kirchgang am Sonntag. Nachdem sie den von der Mutter geerbten Silberschmuck angelegt hatte, betrachtete Franziska sich zufrieden im Spiegel. Was sie sah, war eine junge und schöne Frau, die stolz dreinblickte.

Aber auch ein leiser Zug von Sehnsucht war zu sehen.

Maria hatte das Essen soweit vorbereitet, daß nachher, wenn alle von der Kirche heimkamen, nur die Kartoffeln und das Gemüse gekocht werden mußten. Zusammen fuhren sie in Franziskas Wagen ins Dorf hinunter. Florian, der sich hinten hineingesetzt hatte, schaute immer wieder fasziniert auf den Kopf der jungen Bäuerin, und sein Herz klopfte bis zum Hals hinauf, als er sich vorstellte, wie es wäre, dieses Haar zu berühren, mit dem Finger den feinen Zügen des Gesichts nachzufahren und diese verlockend roten Lippen zu küssen.

Stundenlang hätte er so dasitzen und träumen mögen, doch die Fahrt ins Tal war schon nach kurzer Zeit beendet.

*

Pfarrer Trenker beendete die heilige Messe mit dem Segen. Dann stand er an der Kirchentür und verabschiedete die Gläubigen. Er war erstaunt, als er unter den Leuten, die hinausdrängten, einen jungen Mann entdeckte, dessen Gesicht ihm fremd war.

»Ihre Predigt hat mir sehr gefallen, Hochwürden«, sagte Florian Brunner, als er dem Geistlichen die Hand reichte.

»Das freut mich«, antwortete Sebastian.

Er war wirklich erfreut darüber. Es kam nicht sehr oft vor, daß jemand zu dem Stellung nahm, was er während der Messe hörte. Doch dieser Besucher äußerte sich.

»Dann darf ich vielleicht hoffen, Sie öfter zu sehen?« fragte der Seelsorger. »Herr…?«

»Ach so, entschuldigen S’, Hochwürden. Florian Brunner ist mein Name. Ich arbeite seit kurzem oben auf dem Pachnerhof. Ja, ich werd’ bestimmt an den Sonntagen zur Messe kommen.«

Sebastian nickte ihm freundlich zu und wandte sich dann den anderen Leuten zu, die geduldig gewartet hatten, daß es weiterging. Unter den letzten, die die Kirche verließen, war Franziska Pachner. Sie ließ die anderen vortreten und bat dann den Pfarrer um eine Unterredung. Sebastian, der die junge Frau schon seit ihrer Taufe kannte, nickte.

»Aber freilich, Franziska. Laß uns doch einen Moment zurück in die Kirche gehen«, schlug er jetzt vor.

Die Bäuerin gab den anderen Bescheid, daß sie noch etwas mit dem Herrn Pfarrer bereden müsse, dann kehrte sie in das Gotteshaus zurück, wo Pfarrer Trenker in der Sakristei auf sie wartete. Der Geistliche hatte sich inzwischen seines Meßgewandes entledigt und ein dunkles Sakko übergezogen. Jetzt erinnerte nur noch der weiße Kragen daran, daß Sebastian Trenker Pfarrer war.

»Worum geht es?« erkundigte er sich bei Franziska. »Ist etwas mit dem Hof?«

»Nein, nein«, wehrte die Bäuerin ab. »Mit dem Hof ist gottlob alles in Ordnung, und seit der Florian bei uns ist, hab’ ich auch keine Sorge mehr wegen der Ernte. Der neue Knecht ist wirklich tüchtig.«

»Ich habe ihn ja eben kennengelernt«, sagte Sebastian. »Er macht wirklich einen netten Eindruck.«

Der Seelsorger hatte seiner Besucherin einen Stuhl hingeschoben und setzte sich selbst ihr gegenüber.

»Also, was hast auf dem Herzen?«

Die junge Frau überlegte, wie sie beginnen sollte, und insgeheim bereute sie schon beinahe, sich überhaupt an den Pfarrer gewandt zu haben. Schließlich gab sie sich einen Ruck.

Sebastian hörte aufmerksam zu, als Franziska von ihren Ängsten erzählte, ihrer Sorge, daß ein Mann sie nur um ihres Geldes willen liebte. Zu groß war ja die Enttäuschung, die sie durchgemacht hatte und ihr Mißtrauen nur allzu verständlich.

»Ich kann dich gut verstehen«, antwortete der Geistliche, nachdem er einen Moment über Franziskas Worte nachgedacht hatte. »Ich weiß, daß es schwer für dich ist, wieder einem Mann zu vertrauen. Doch du mußt es versuchen. Nur weil einer dich so bitter enttäuscht hat, darfst du net alle anderen mit verurteilen. Das wäre dem Mann, der dich aufrichtig liebt, ungerecht.«

Er beugte sich ein wenig vor.

»Wer ist es denn?« wollte er wissen.

Franzi sah überrascht auf.

»Woher wissen Sie…?«

Pfarrer Trenker lachte.

»Ein bissel Menschenkenntnis darfst mir schon zutrauen«, sagte er. »Du hätt’s dich mir net anvertraut, wenn es da net schon jemanden gäbe, auf den du ein Aug’ geworfen hast. Ist es der Florian Brunner?«

Die junge Bäuerin schluckte und nickte schließlich.

»Ja«, erwiderte sie. »Ich spüre ganz deutlich, daß er mir mehr bedeutet, als ich es eigentlich wahrhaben will. Aber jedesmal, wenn der Florian drauf und dran ist, sich mir zu erklären, dann werde ich schroff und abweisend. Dabei will ich es eigentlich gar net. Ich hab’ ihn doch lieb…«

»Na also, Madel, dann ist doch alles in bester Ordnung«, ermunterte Sebastian die Frau. »Zeig’ es ihm doch endlich, was du auch für ihn empfindest. Hab’ Vertrauen, gib ihm eine Chance, dir zu beweisen, daß er es ehrlich mit dir meint.«

Franziska Pachner erhob sich. Sie fühlte sich sehr erleichtert und spürte, wie gut ihr dieses Gespräch getan hatte.

»Das will ich gerne tun«, antwortete sie, bevor sie sich verabschiedete.

Pfarrer Trenker sah ihr hinterher, wie sie unten an der Straße in den Wagen stieg und davonfuhr.

Sollte da schon bald eine Hochzeit ins Haus stehen?

Sebastian gönnte der jungen Frau ihr neues Glück von Herzen. Er wußte ja um die unselige Geschichte mit dem Tobias Anzengruber und hatte dem Burschen seinerzeit die Leviten gelesen.

*

»Gibt’s was Neues von dem Hochstapler und Heiratsschwindler?« erkundigte sich der Geistliche bei seinem Bruder, als sie zum Mittagessen zusammensaßen.

»Net viel«, antwortete der Polizist. »Der Bursche ist wohl irgendwo untergetaucht. Ich hab’ heut’ morgen noch eine Liste der Namen bekommen, unter denen er seine Betrügereien begangen hat. Zu dumm, daß es keine Fotos von ihm gibt.

Joseph Brunner, Varlos y Morena und Douglas Tanner.« Max Trenker konnte nur den Kopf schütteln über so viel Phantasie. In Wirklichkeit hieß der Mann Fritz Untermayr, das hatte die Polizei inzwischen herausbekommen. Doch unter keinem dieser Namen war ein Mann, auf den die Personenbeschreibung paßte, hier irgendwo in der Gegend untergetaucht oder hatte sich ein Zimmer genommen. Max hatte den ganzen Vormittag über in den umliegenden Hotels und Pensionen nachgefragt. Nach dem Essen würde er wohl oder übel zu den Almwirtschaften hinauf müssen. In den Sennereien gab es etliche Frauenzimmer, vielleicht hatte der Mann sich dort verkrochen.

Oder aber, er war längst über alle Berge! Dann war die ganze Arbeit umsonst.

Sophie Tappert tröstete den Beamten mit einem besonders großen Stück Braten.

»Damit Sie genug Kraft haben für Ihre Arbeit am Sonntag nachmittag.«

»Ein Polizist ist eben immer im Dienst«, seufzte Max.

Aber so richtig beklagen wollte er sich natürlich nicht. Der Bruder des Pfarrers von St. Johann war froh, in solch einer friedlichen Gemeinde Dienst tun zu können. Da hatten es die Kollegen in der Kreisstadt ungleich schwerer.

»Und Sie schau’n sich bitte den Grafen genau an«, trug er der Haushälterin auf. »Ich möcht’ schon wissen, was an dem dran ist.«

»Worauf Sie sich verlassen können«, nickte Sophie Tappert. »Ich bin selbst schon ganz gespannt.«

»Und womit verbringst du den schönen restlichen Sonntag?« fragte der Polizist seinen Bruder.

»Das kann ich dir ganz genau sagen«, erklärte der Geistliche. »Gleich nach dem Essen werde ich mich umziehen und zu einer Bergwanderung aufbrechen. Dabei werd’ ich dir einen Teil deiner Arbeit abnehmen. Ich muß wieder einmal zur Korber-Alm hinauf. Da kann ich mich gleich erkundigen, ob sich jemand unter einem dieser Namen dort oben einquartiert hat.«

Max nickte begeistert. Eigentlich hätte er es sich ja denken können, daß sein Bruder an solch einem Tag nicht zu Hause im Sessel hockte. Bei diesem Wetter lockten die Berge, und Sebastian war der letzte, der diesem Ruf widerstehen konnte. Nicht von ungefähr hatten seine engsten Freunde ihm den Namen »Bergpfarrer« gegeben, wußten sie doch um seine Leidenschaft für die majestätische Bergwelt. Und sportlich gestählt war Sebastian Trenker allemal. Wenn er in seiner Wanderausrüstung unterwegs war, dann ahnte niemand, der ihn nicht kannte, daß es sich um einen Geistlichen handelte. Eher hielt man ihn für eine Sportskanone, ja, sogar mit einem Filmstar hatte man ihn schon in Verbindung gebracht.

Pfarrer Trenker konnte darüber nur amüsiert lächeln. Für ihn war allein wichtig, draußen in der freien Natur zu sein. Wenn er den höchsten Gipfel erklommen hatte, dann fühlte er sich seinem Herrgott so nahe und verbunden wie nie. Dann hielt er Zwiesprache mit ihm, und sehr oft kam er dort oben auf die Lösung eines Problems, mit dem er sich vielleicht schon länger herumschlug.

»Dann vergessen S’ net, ein Stück von dem Bergkäs’ mitzubringen«, warf Frau Tappert ein »Das letzte Stück ist fast aufgebraucht.«

»Das mach’ ich, Frau Tappert. Aber nun spannen S’ uns net länger auf die Folter und verraten uns, was Sie Schönes zum Nachtisch vorbereitet haben.«

Die Perle des Pfarrhaushalts lächelte und verschwand in der Küche. Nach ein paar Minuten kam sie zurück. In der rechten Hand hielt sie eine Kupferkanne, in der es geheimnisvoll zischte und brodelte, in der anderen Hand ein Feuerzeug. Vor dem Tisch entzündete sie es und hielt es an den Pfanneninhalt. Sofort schoß eine hellgelbe Flamme in die Höhe, und ein betörender Duft breitete sich in dem Eßzimmer aus.

»So, ich wünsche einen recht guten Appetit«, sagte sie, während sie die Pfanne auf einem Untersetzer auf dem Tisch plazierte. »Zum Nachtisch habe ich Crêpes Suzette gemacht.«

»Also, Frau Tappert, wenn’s Ihnen jemals in den Sinn kommen sollte, Ihre Stelle hier im Pfarrhaus aufzugeben, dann werd’ ich Sie sofort engagieren«, meinte Max und leckte sich genüßlich die Lippen.

Sein Bruder gab ihm einen freundschaftlichen Knuff.

»Ich werd’ dir helfen, die gute Frau Tapper abzuwerben«, sagte er und drohte mit dem Zeigefinger.

*

»Also, ein bissel merkwürdig find ich’s schon, daß dein Graf uns net mit einem großen Auto abholt, so wie es sich gehört«, bemerkte Sophie auf der Fahrt zum Achsteinsee zu ihrer Freundin. »Statt dessen müssen wir den Bus nehmen.«

Hertha Breitlanger reagierte etwas gereizt. Zum einen ärgerte sie sich selber über den Umstand, mit dem Bus zu ihrer Verabredung fahren zu müssen, zum anderen war sie nervös und gespannt darauf, was Sophie wohl von dem Grafen hielt.

»Er ist net mein Graf«, gab sie zurück. »Wir sind halt gut bekannt.«

Na, dachte die Haushälterin, dafür gibt’s aber eine ganze Menge mit ihm an.

Sie zog es aber vor zu schweigen, bis der Bus die Haltestelle am See erreicht hatte.

»Da ist er«, rief Hertha aufgeregt und deutete auf einen schlanken, hochgewachsenen Mann, der etwas abseits stand und neugierig auf den haltenden Bus schaute.

Die beiden Damen stiegen aus, und Graf Friedrich von Herdingen kam auf sie zu. Er begrüßte Hertha mit einem formvollendeten Diener und schaute dann Sophie Tappert erwartungsvoll an.

»Wollen Sie mich bitte Ihrer Bekannten vorstellen?« bat er.

»Aber natürlich«, beeilte sich Hertha Breitlanger. »Sophie, das ist Graf Friedrich von Herdingen – lieber Graf, das ist Frau Sophie Tappert, eine gute Freundin von mir.«

Der Graf beugte sich über die dargebotene Hand.

»Ich bin entzückt, gnädige Frau«, sagte er und deutete einen Handkuß an.

Die Perle des Pfarrhaushalts schaute ein wenig irritiert. Sie mochte es nicht, wenn jemand sie so geschwollen ansprach. Sie war Frau Tappert, schlicht und einfach! Trotzdem machte sie gute Miene zum bösen Spiel und lächelte.

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Graf«, antwortete sie. »Hertha hat mir schon soviel von Ihnen erzählt.«

»Ich hoffe, nur Gutes«, lachte er, und Sophie mußte zugeben, daß dieses Lächeln durchaus einen gewissen Charme besaß.

Der Kavalier führte die beiden Damen zu einem Spaziergang rund um den See, wobei er nicht müde wurde, bald der einen, bald der anderen Begleiterin die nötige Aufmerksamkeit zu zollen. Sophie Tappert beobachtete den Grafen genauer. So, wie er sich gab, konnte man ihm durchaus glauben, blauen Geblütes zu sein. Sein ganzes Gehabe hatte etwas Aristokratisches an sich.

*

Auf und in dem See tummelten sich an diesem strahlenden Sonnentag unzählige Surfer, Tretbootfahrer und Wasserratten. Dementsprechend gut besucht waren die umliegenden Cafés und Wirtshäuser. Graf Friedrich kümmerte sich persönlich darum, daß sie einen freien Tisch fanden. Er stand unter einem großen gelben Sonnenschirm im Garten einer Konditorei, die besonders für ihre Linzer- und Prinzregententorte berühmt war.

»Kaffee für alle?« fragte der Graf und bestellte nach einem zustimmenden Kopfnicken der beiden Frauen.

»Ich nehme ein Stückchen Pfirsichtorte, wenn vorhanden«, fügte Friedrich hinzu. »Und Sie, meine Damen?«

Sophie Tappert entschied sich für ein Stückchen Marmorkuchen – nach Torte stand ihr der Sinn heute nicht –, während ihre Freundin dem Kavalier folgte und für sich ebenfalls von der Pfirsichtorte bestellte.

»Mit Sahne?« fragte die freundliche Bedienung.

Hertha und ihr Graf sahen sich an, beide schmunzelten.

»Es ist ja Sonntag«, meinte Friedrich. »Da sollten wir uns mal etwas gönnen.«

»Also, zweimal Pfirsichtorte mit Sahne«, bestätigte das junge Madel mit dem adretten weißen Schürzchen.

Sophie blieb bei ihren Vorsätzen und verzichtete auch auf den dicken Schlagobers. Während sie darauf wartete, daß die Bestellung an den Tisch gebracht wurde, beobachtete die Haushälterin den Bekannten ihrer besten Freundin.

Zwar hatte Sophie Tappert keine psychologische Ausbildung, aber sie besaß eine gehörige Portion Menschenkenntnis, und die sagte ihr, daß etwas an diesem Grafen merkwürdig war. Da war etwas, das sie störte, obgleich sie nicht zu sagen vermochte, was es eigentlich war.

Zum einen war ihr schon diese unstandesgemäße Anfahrt zum See sauer aufgestoßen. Für ihr Verständnis gehörte es sich, daß so ein Blaublütler die Dame, die er offensichtlich verehrte, wenn schon nicht mit einer Kutsche, so doch zumindest mit einem repräsentativen Automobil abholte, und sich nicht an einer Bushaltestelle mit ihr verabredete.

Die große Überraschung sollte aber später kommen. Zunächst gab sich Sophie Tappert alle Mühe, freundlich zu Herthas Eroberung zu sein. Sie erkundigte sich natürlich nach dem Schloß der Familie, immerhin ging sie davon aus, daß der Graf über ein solches verfügte, und es mußte doch wunderbar sein, darin zu wohnen.

Friedrich von Herdingen hüstelte etwas, bevor er antwortete.

»Wissen Sie, Gnädigste, das Schloß meiner Vorfahren ist in einem desolaten Zustand. Es ist völlig unmöglich, sich darin länger als ein paar Stunden aufzuhalten, geschweige denn darin zu wohnen.«

»Das ist aber jammerschade«, erwiderte Sophie. »Dabei hätte ich es mir zu gerne einmal angesehen. Wo steht es eigentlich?«

Der Graf fuhr sich mit dem Finger zwischen Hemdkragen und Hals. Trotz des Sonnenschirms war es ziemlich heiß, und der Kaffee tat ein übriges.

»Das Schloß steht drüben im Breestertal«, antwortete er schließlich. »Ich selbst wohne allerdings in meiner Villa in der Nähe von Waldeck.«

Das mit dem Schloß stimmte. Im besagten Tal stand wirklich eines. Aber soviel die Haushälterin wußte, war darin ein Kinderheim untergebracht. Von einem desolaten Zustand konnte also keine Rede sein.

Diese offensichtliche Lüge machte Sophie Tappert noch mißtrauischer gegenüber diesem Grafen, als sie ohnehin schon war, und sie dachte an das, was der Bruder des Pfarrers über den Hochstapler und Heiratsschwindler gesagt hatte.

Saß sie diesem »Herrn« jetzt etwa gegenüber?

*

Pfarrer Trenker hatte sich gleich nach dem Mittagessen auf den Weg gemacht. Nach so einem üppigen Mahl war eine Wanderung das beste, was man seinem Körper antun konnte. Über den Höllenbruch stieg er auf und erreichte die Korber-Alm nach einer guten Stunde Wanderung. Wie zu erwarten, waren viele Touristen hier oben, die sich nach einer ausgiebigen Wanderung an dem labten, was der Sennenwirt anbot. Neben einem warmen Tagesgericht waren es in erster Linie Brotzeiten mit kernigem Schinken und gereiftem Bergkäse. Dazu gab’s entweder Limonade, Bier oder Radler, oder aber ein Glas frische Milch, die von den meisten Wandersleuten bevorzugt wurde. So auch von Sebastian Trenker.

»Dank’ dir, Loisl«, nickte er dem alten Senner zu, als der ihm den Milchkrug auf den Tisch stellte. »Wenn’s ein Augenblick Zeit hast, dann hock’ dich her, ich muß dich da was fragen.«

»Freilich, Hochwürden«, antwortete der Alte und setzte sich Sebastian gegenüber.

Der Geistliche hatte sich absichtlich nach drinnen gesetzt, während die meisten Wanderer und Touristen es vorzogen, draußen zu bleiben. So waren Sebastian und Alois Kremner ungestört.

»Sag’, Loisl«, erkundigte sich der Pfarrer, nachdem er einen großen Schluck von der köstlich schmeckenden Milch genommen hatte, »hast im Moment auch Pensionsgäste hier droben?«

Der alte Senner nickte.

»Natürlich. Es ist ja g’rad Hochsaison. Manche Nacht könnt’ ich noch mehr Strohbetten haben. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen.«

»Ist denn auch jemand darunter, der für länger bleibt?« wollte Sebastian wissen.

Wieder nickte sein Gegenüber.

»Zwei junge Madeln wohnen seit einer Woch’ hier. Sie wollen noch bis zum nächsten Samstag bleiben.«

»Ein Mann ist nicht darunter?«

Der Alte schüttelte diesmal den Kopf.

»Suchen S’ denn jemanden? Hat er gar was ausgefressen?«

»Ja, der Max sucht einen Hochstapler und Heiratsschwindler. Er hat schon mehrere Hotel- und Pensionswirte geschädigt. Außerdem hat er Frauen die Ehe versprochen, sich von ihnen Geld geliehen und ist dann auf und davon. So einem muß natürlich das Handwerk gelegt werden.«

Dem konnte der Senner nur zustimmen. Er war ein ehrlicher, aufrechter Mann, der sein ganzes Leben lang hart gearbeitet hatte und es noch immer tat. Aufmerksam hörte er sich die Personenbeschreibung an und notierte sich die falschen Namen, unter denen dieser Fritz Untermayr auftrat.

»Ich werd’ auf jeden Fall Augen und Ohren offenhalten«, versprach er. »Sollte der Bursche sich hier blicken lassen, werd’ ich den Max gleich benachrichtigen.«

»Das ist recht«, nickte Sebastian und stand auf. »Und jetzt hätt’ ich noch gern’ ein Stückerl von deinem Bergkäs’. Meine Frau Tappert hat mir extra aufgetragen, daran zu denken.«

Der Senner verschwand im Käselager und kam nach einer Weile mit einem großen Käsestück zurück, das er in Wachspapier eingewickelt hatte. Sebastian verstaute es in seinem Rucksack.

»Was bin ich dir schuldig?« fragte er, doch der Alte winkte nur ab.

»Das ist schon recht so, Hochwürden.«

Der Geistliche gab ihm die Hand.

»Dann vergelt’s Gott, Loisl. Und bleib weiterhin so gesund und munter.«

»Das macht die gute Bergluft«, lachte der Sennenwirt. »Und ab und zu ein Glaserl von meinem Enzian.«

Dabei zwinkerte er mit dem Auge. Beinahe jeder wußte, daß der Alte seinen Schnaps selber brannte, auch wenn er es eigentlich nicht durfte.

»Das letzte hab’ ich net gehört«, sagte Pfarrer Trenker. »Sonst müßt’ ich noch dem Max davon erzählen…«

Der Alte verstand den Hinweis.

»Ist ja Medizin, Hochwürden«, grinste er.

»Na dann«, antwortete der Geistliche und machte sich auf den Heimweg.

*

Je länger Sophie Tappert mit dem Grafen zusammen war, um so unsympathischer wurde er ihr. Den Gipfel dieses Gefühls erreichte sie am Nachmittag, als es ans Bezahlen ging, da dachte der vornehme Herr nämlich gar nicht daran, die beiden Damen einzuladen, sondern bestand auf getrennte Kassen. Hertha Breitlanger war es offensichtlich unangenehm, als ihre beste Freundin sie so befremdet ansah, während Graf Friedrich so tat, als wäre es die normalste Sache der Welt.

Wäre es ja auch, wenn er vorher nicht so getan hätte, als sei er reicher als ein Scheich aus dem Orient. Fehlte nur noch, daß er sich von uns einladen läßt, dachte die Haushälterin und legte einen extra großzügigen Betrag Trinkgeld zu ihrer Rechnung, woraufhin der Graf sich bemüßigt sah, seinen Rechnungsbetrag um zwanzig Pfennige aufzurunden.

Hertha indes schien weiter nichts mitzubekommen, sie hatte nur Augen für ihren Kavalier, der sie wohl so blendete, daß sie gar nicht vermutete, mit dem Herrn könne etwas nicht stimmen. Für Sophie Tappert indes wurde es ein quälend langweiliger Nachmittag. Weitere Anzeichen dafür, daß der Graf der gesuchte Hochstapler sein könne, fand sie zwar nicht, aber so sympathisch wie auf den ersten Blick war er ihr schon lange nicht mehr. Die Perle aus dem Pfarrhaus war froh, als der Abend langsam herandämmerte und sie sich auf den Weg zur Bushaltestelle machten.

Noch bevor der Bus kam, verabschiedete sich Graf Friedrich von den beiden Damen mit dem Hinweis, noch einen geschäftlichen Termin zu haben. Er versprach Hertha, sie anzurufen und ging dann gemessenen Schrittes über den Parkplatz und verschwand irgendwo in den Autoreihen. Dort sollte nämlich nach seinen eigenen Angaben der Chauffeur mit dem Wagen warten.

Sophie Tappert war schon drauf und dran, hinterherzugehen und den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung festzustellen. Allein der heranfahrende Bus – der letzte, der heute nach St. Johann zurückfuhr – hielt sie davon ab.

Auf der Rückfahrt war sie sehr schweigsam, während Hertha darauf brannte, von der Freundin zu erfahren, was sie von dem Grafen hielt.

»Nun sag’ schon, wie findest du ihn?« drängte sie.

Sophie überlegte, wie sie sich äußern sollte. Sie wollte auf der einen Seite die Freundin nicht kränken, auf der anderen Seite sie aber auch nicht blindlings ins offene Messer laufen lassen. Daß dieser Graf zumindest ein Aufschneider war, das stand für sie seit dem Nachmittag fest. Es mochte ja gerne sein, daß er wirklich ein Graf war, dann aber stammte er gewiß aus verarmtem Adel, und da war Hertha ein geradezu willkommenes Opfer. Sophie wußte von einigen tausend Mark, die die Freundin gespart hatte. Zusammen mit der nicht unbeträchtlichen Witwenrente, die sie bezog, war sie immer noch eine lukrative Partie für jemanden, der offenbar noch nicht einmal genug besaß, um ein anständiges Trinkgeld zu geben.

»Na ja, er ist ganz nett…«, antwortete sie ausweichend.

»Nett?« entfuhr es Hertha. »Nur nett? Also, hör’ mal, immerhin ist er ein echter Graf, reich und edel!«

Sophie Tappert hielt es jetzt für angebracht, ein paar offene Worte zu sagen.

»Also, ich bin da net deiner Meinung«, erwiderte sie. »Der Graf macht auf mich eher einen schäbigen Eindruck. Ganz abgesehen davon, daß er uns net einmal mit dem Wagen nach Hause fährt – er knausert auch beim Trinkgeld, oder gar damit, dich, seine gute Bekannte, einzuladen. Wenn du mich fragst – mit dem Herrn stimmt was net.«

Herthas Augen schienen Zornesblitze abzuschießen.

»Du hast doch gehört, daß

Friedrich noch einen geschäftlichen Termin hat«, versuchte sie ihn zu verteidigen.

»Einen geschäftlichen Termin? Am Sonntagabend? Daß ich net lache. Also, Hertha, entschuldige, aber du bist ein bissel naiv. Selbst wenn es diesen Termin gäbe, so hätte dein Friedrich uns mit seinem Chauffeur fahren lassen können. Statt dessen sitzen wir hier in diesem Bus. Das hat für mich alles andere als Stil.«

»Ach, du bist ja nur neidisch«, begehrte Hertha Breitlanger auf. »Und jetzt willst ihn mir nur madig machen. Dabei hab’ ich gedacht, du wärst meine Freundin.«

Sie wandte sich gekränkt ab.

»Aber das bin ich doch auch«, versuchte Sophie einzulenken. »Gerade deswegen spreche ich ja so offen mit dir.«

Hertha reagierte nicht auf diese Worte. Sie hatte den Kopf zur Seite gedreht und starrte aus dem Fenster. So blieb sie sitzen, bis der Bus in St. Johann gegenüber vom Hotel hielt.

Nachdem sie ausgestiegen waren, unternahm die Haushälterin einen letzten Versuch.

»Bitte, Hertha, laß uns bitte so net auseinandergehen«, bat sie sie. »Wir sollten noch einen Moment über die Angelegenheit reden.«

Doch die Mühe war vergebens. Mit einem Ruck drehte Hertha sich um und ging davon, ohne Sophie Tappert noch eines Blickes zu würdigen.

Die stand noch eine Weile da und schaute der anderen kopfschüttelnd hinterher. Dann hob sie ratlos die Schulter und ging zum Pfarrhaus hinüber.

*

Florian Brunner war den ganzen Nachmittag unterwegs gewesen. Gleich nach dem Mittagessen zog er los und erkundete die Gegend. Bis jetzt kannte er ja noch nicht viel von dem Wachnertal, außer dem Teil, in dem der Hof stand, auf dem er arbeitete. Aber je mehr er sah, um so besser gefiel es ihm, und zum ersten Mal, seit er aus der Heimat fortgegangen war, hatte er das Gefühl, irgendwo wieder heimisch werden zu können.

Und das lag nicht zuletzt an Franziska Pachner. Seit ihrer ersten Begegnung klopfte Florians Herz schneller, wenn er die schöne, junge Bäuerin sah. Warum nur zögerte er, ihr seine Liebe zu gestehen?

Weil sie die Chefin war?

Der Bursche schüttelte innerlich den Kopf. Das war es nicht. Schließlich arbeitete er genauso hart, als würde ihm der Hof gehören, und niemand konnte ihm nachsagen, daß er seine Arbeit nicht ordentlich verrichtete. Nein, es mußte an Franzi, wie er sie in Gedanken nannte, liegen. Irgend etwas an ihrer Art war schuld, daß ihn der Mut wieder verließ. Dabei hatte er schon zweimal einen Anlauf gemacht. Doch beide Male – im letzten Moment – hatte ihn etwas davon abgehalten.

Florian hatte sich abseits des Weges gesetzt und über sich und Franziska Pachner nachgedacht. Los, steh’ endlich auf, geh’ und sag’s ihr, schoß es ihm durch den Kopf. Egal, was dann kommt. Selbst wenn sie dich dann hinterher vom Hof jagt – Hauptsache, du hast es ihr endlich gesagt. Sonst wirst nie erfahren, woran du bist.

Als hätte es nur dieser Ermahnung bedurft, sprang er plötzlich auf, und in seinem Gesicht spiegelte sich eine draufgängerische Miene, als er die Richtung zum Pachnerhof einschlug.

Noch bevor er die Einfahrt erreichte, sah er sie auf der Bank unter den hohen Bäumen sitzen. Zu ihren Füßen stand ein Korb mit Wolle, in den Händen hielt sie Stricknadeln. Noch konnte man nicht erkennen, was die Handarbeit werden sollte.

Außer Atem vom Laufen, setzte er sich neben sie. Franziska sah erstaunt auf.

»Himmel, bist ja ganz atemlos«, sagte sie. »Warum bist denn so schnell gerannt?«

Florian sah sie an, und etwas an diesem Blick ließ sie nicht mehr los. Sie spürte, wie er ihre Hände nahm und ließ die Nadeln fallen.

»Weil ich so schnell bei dir sein wollte«, antwortete er hastig.

»Du – bei mir?«

Er nickte und zog ihre Hände an seine Lippen.

»Ja, denn als ich da oben ganz alleine war, da spürte ich die Sehnsucht nach dir, Franzi.«

Die Bäuerin zuckte unwillkürlich zusammen, als er sie bei ihrem Kosenamen nannte. Wie lange hatte sie ihn schon nicht mehr aus dem Mund eines Mannes gehört.

»Ich kann net länger warten, sonst platz ich«, rief Florian Brunner. »Ich muß dir ganz einfach sagen, daß ich dich liebhab’ und daß nichts mehr so in meinem Leben ist wie vorher.«

Franziska war von diesem Liebesgeständnis völlig überrascht. Immer noch hielt Florian ihre Hände umfaßt und schaute sie zärtlich an. Die junge Frau wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, am liebsten hätte sie beides getan – vor lauter Glück.

»Ach, Florian…«, entfuhr es ihr.

»Ja?«

Erwartungsvoll blickte er sie an.

»Ich hab’ dich ja ebenfalls lieb«, gestand sie endlich und bot ihm ihren Mund zum Kuß dar.

*

Beim Abendessen fiel Sebastian auf, wie bedrückt seine Haushälterin war. Von Natur aus schweigsam, beteiligte sie sich nur wenig an der Unterhaltung, doch so düster schweigend wie jetzt, so hatte der Geistliche seine Perle selten gesehen.

Sie saßen am Tisch in der Küche. Dies war der Lieblingsplatz des Bergpfarrers. Das Eßzimmer wurde eigentlich nur an den Sonntagen zum Mittagessen genutzt, oder wenn Besuch erwartet wurde. Doch schon das Abendessen nahmen sie wieder in der gemütlichen Küche ein. Pfarrer Trenker und Sophie Tappert warteten nur noch auf Max. Er hatte vor einer halben Stunde angerufen und gesagt, daß er sich verspäten würde.

»Hatten Sie einen angenehmen Nachmittag?« erkundigte sich Sebastian.

Sophie winkte ab.

»Erinnern S’ mich bloß net daran, Hochwürden«, sagte sie. »Das war ein ziemlicher Reinfall mit dem Grafen.«

Im selben Moment hörten sie die Haustür klappen. Max Trenker war da. Die Haushälterin beschloß, mit ihrem Bericht noch zu warten, damit sie hinterher nicht alles zweimal erzählen mußte.

Die beiden Brüder hörten aufmerksam zu, besonders die Stelle, wo der Herr Graf mit dem Trinkgeld knauserte, amüsierte den Polizeibeamten.

»Vermutlich ein Graf aus verarmtem Adel«, mutmaßte Max.

»Aber sehr verarmt«, bestätigte Sophie Tappert und berichtete weiter, daß ihre Freundin wohl mit Blindheit geschlagen sei, weil sie nicht sah, daß dieser Friedrich von Herdingen ein Blender war.

»Ja, ja, manchmal macht Liebe eben blind«, nickte Max Trenker. »Ich denk’, ich werd mir den Herrn bei Gelegenheit mal näher ansehen. Haben S’ eine Adresse, unter der ich ihn finden kann?«

»Angeblich wohnt er in einer Villa in Waldeck«, erwiderte die Haushälterin. »In seinem Schloß im Breestertal kann er net wohnen, wie er sagt, weil der Zustand des alten Gemäuers es net zuläßt.«

Diese Bemerkung machte Sebastian stutzig.

»Sein Schloß in Breestertal?« fragte er nach. »Merkwürdig, soviel ich weiß, gibt es dort tatsächlich ein Schloß, aber es ist ein Kinderheim darin untergebracht. Und zwar seit dreißig Jahren schon. Mir ist üb erhaupt nicht bekannt, daß das Schloß unbewohnbar wäre.«

»An das Kinderheim hab’ ich auch gleich gedacht, als der Herr heute nachmittag davon erzählte«, bestätigte Sophie Tappert. »Und ich war ziemlich sicher, daß es sich nicht um eine Schloßruine handelt, wie der Graf behauptete.«

»Na, der Bursche wird ja immer interessanter«, sagte Max, während er sich sein Brot mit einer Scheibe von dem Käse belegte, den sein Bruder von der Alm mit heruntergebracht hatte. »Ich hab’ so eine Ahnung, als könnte es unser Mann sein. Das wär’ ja ein tolles Ding, wenn ich den Burschen hier bei uns festnehmen könnt’, wo doch im ganzen Landkreis nach ihm gefahndet wird.«

»Zunächst muß unsere Frau Tappert sich aber mit ihrer Freundin versöhnen«, warf der Pfarrer ein.

»Wie denn?« fragte seine Haushälterin zurück. »Die Hertha ist ja stur wie ein Maulesel.«

»Na ja, ein bissel Verständnis müssen S’ schon haben«, gab Sebastian zu bedenken. »Vielleicht hat die gute Frau Breitlanger Angst, Sie könnten ihr den Grafen wegschnappen wollen.«

Sophie Tappert verdrehte die Augen.

»Um Himmels willen«, erwiderte sie. »Dieser Mensch wäre der letzte, an den ich mein Herz hängen würd’. Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, daß er wirklich Interesse an mir hätte, sehr freundlich war ich nämlich net zu ihm.«

Pfarrer Trenker schmunzelte. Er konnte sich gut vorstellen, wie seine Haushälterin auf den knauserigen Grafen reagiert hatte. Allerdings, zwischen Frau Tappert und ihrer Freundin mußten wieder Freundschaft und Harmonie herrschen. Immerhin kannten sie sich schon seit Jahrzehnten.

»Wenn Sie möchten, red’ ich einmal mit der Frau Breitlanger«, bot er an. »Vielleicht kann ich ja vermitteln.«

»Das wäre wirklich sehr schön«, bedankte sich Sophie. »Es wär’ jammerschade, wenn unsere Freundschaft an solch einem Menschen zerbrechen würd’.«

*

Von einem Moment auf den anderen war für Franziska Pachner alles anders geworden. Seit Florian ihr seine Liebe gestanden hatte, schien sich die Welt andersherum zu drehen. Franzi hätte nur noch tanzen und jauchzen mögen.

Natürlich konnte das junge Glück nicht verborgen bleiben. Valentin tat zwar so, als kümmere es ihn nicht, Maria indes hatte Freudentränen in den Augen, wenn sie die beiden Verliebten beobachtete. Allerdings nahm sie Franzi am übernächsten Tag beiseite. Die junge Bäuerin schaute sie fragend an.

»Was gibt’s denn?«

Maria Ohlanger überlegte, wie sie sich ausdrücken sollte. Natürlich stand es ihr nicht zu, der Bäuerin Vorschriften zu machen, aber sie hielt es für ihre Pflicht, auf etwas hinzuweisen.

»Die Leut’ werden sich’s Maul zerreißen, wenn sie’s erst einmal wissen«, sagte die alte Magd. »Ihr müßt so bald wie möglich heiraten.«

Heiraten? Daran hatte Franziska im Moment überhaupt nicht gedacht.

»Worüber werden sie sich’s zerreißen, das Maul?« fragte sie. »Der Florian wohnt schließlich drüben im Gesindehaus. Was ist da schon dabei?«

»Geh’, Madel, du weißt doch, wie die Leut’ sind«, warf Maria ein. »Wenn sie über etwas reden wollen, dann finden sie auch einen Grund. Schau, Franzi, ich freu’ mich doch für dich und den Florian, und bestimmt werdet ihr beide glücklich. Aber solang’ ihr net verheiratet seid, werden die Gerüchte net verstummen. Kein gutes Haar wird man an euch lassen, und du kannst dir denken, wer da am meisten über dich und den Florian herziehen wird.«

»Der Anzengruber!«

An den hatte Franziska überhaupt nicht mehr gedacht, seit ihr Herz endgültig für den jungen Knecht schlug, aber sie fürchtete, daß die Magd recht haben könnte. Dem Tobias war alles zuzutrauen.

»Aber der Florian und ich – wir haben überhaupt noch net übers Heiraten gesprochen«, sagte sie.

»Dann wird’s aber höchste Zeit.«

Die Magd sah ihre Bäuerin an, und dieser Blick sagte alles.

»Ach, Maria…«, flüsterte Franziska und nahm sie in die Arme.

»Es ist lieb, daß du dir solche Sorgen machst. Aber verlang’ net von mir, daß ich von heut’ auf morgen heirate. Der Florian und ich, wir müssen uns ja erst einmal richtig kennenlernen.«

Maria Ohlanger nickte. Dafür hatte sie Verständnis, und sie hatte eine Idee.

»Vielleicht könnt’ man ja eure Verlobung bekanntgeben«, hoffte sie. »Dann wird die ganze Sache offiziell, und als deinen Verlobten müssen die Leut’ den Florian akzeptieren.«

»Das ist eine wunderbare Idee«, sagte Florian Brunner, als Franzi ihm am Abend von dem Gespräch mit der Magd erzählte. »Im Grunde ist’s mir zwar wurscht, was die Leut’ über mich erzählen. Aber net, wenn’s um dich geht.«

Dabei schaute er ihr zärtlich in die Augen.

»Außerdem können wir doch in den nächsten Tagen dem Pfarrer Trenker einen Besuch abstatten und das Aufgebot bestellen. Das heißt, natürlich nur, wenn du mich heiraten willst.«

Ihr Blick schien ihn für einen Moment zu verunsichern.

»Du willst doch… oder?« fragte er bange.

Franziska lächelte ihn liebevoll an.

»Von ganzem Herzen, Florian, von ganzem Herzen.«

*

»Ich freu’ mich, daß ihr euch dazu entschlossen habt«, sagte Sebastian Trenker, als die beiden Verlobten am nächsten Tag bei ihm im Pfarrbüro erschienen.

Schon bei ihrem Eintreten ahnte der Geistliche, was die beiden wollten. Selten hatte er zwei so glückliche Menschen gesehen.

»Es wird ein ganz großes Fest geben«, erklärte Franzi. »Und dazu sollen alle eingeladen werden.«

»Aber zuerst gibt’s eine große Verlobungsfeier«, fügte Florian hinzu. »Denn die Hochzeit soll erst im Herbst sein, wenn die Erntearbeiten abgeschlossen sind und wir mehr Zeit haben.«

»Natürlich, das verstehe ich«, nickte Sebastian.

Sie verbrachten beinahe den halben Nachmittag damit, alle Einzelheiten zu besprechen. Als die Verlobten das Pfarrbüro verließen, hatte der Geistliche den Eindruck gewonnen, daß selten zwei Menschen so perfekt zueinander gepaßt hatten wie Franziska und Florian.

Sebastian schaute auf die Uhr. Es war kurz vor fünf, also noch reichlich Zeit bis zur Abendmesse. Er wollte diese Zeit nutzen und Hertha Breitlanger einen Besuch abstatten. Der Seelsorger konnte nicht mehr mit ansehen, wie seine Haushälterin unter dem Streit mit der Freundin litt, zudem mußte er versuchen herauszufinden, was es mit diesem ominösen Grafen auf sich hatte. Sein Bruder hatte inzwischen alle Hebel in Bewegung gesetzt, etwas über den Verbleib des Adligen herauszufinden, doch bisher waren alle Mühen umsonst. Weder in Waldeck noch der näheren Umgebung wußte man etwas über einen Grafen Friedrich von Herdingen, und im Breestertal erfuhr der Polizeibeamte, daß jenes Schloß, in dem das Kinderheim untergebracht war, seit mehr als vierzig Jahren im staatlichen Besitz war.

Diese Nachricht hatte Sebastian Trenker alarmiert, besagte sie doch, daß dieser Mann, der Hertha Breitlanger um den Finger wickelte, nicht der war, für den er sich ausgab.

Max Trenker hatte zunächst Sophie Tapperts Freundin vernehmen wollen, doch sein Bruder riet ihm davon ab. Wer konnte sagen, ob die Frau nicht aus blinder Liebe heraus den Mann warnte, der es dann vorzog, schnellstens das Weite zu suchen? Der Geistliche hielt es zunächst einmal für angebracht, selber mit Hertha zu sprechen. Immerhin hatte sein Wort einiges Gewicht, und es war schon etwas anderes, wenn ihr Seelsorger Hertha die traurige Wahrheit überbrachte, anstatt daß Max Trenker in seiner Eigenschaft als Gesetzeshüter bei ihr vorsprach. Es würde ohnehin schlimm genug für sie werden.

Allerdings hatte Sebastian Trenker kein Glück. Als er bei Hertha klingelte, stellte sich heraus, daß sie gar nicht zu Hause war.

»Die ist mit einem feschen Herrn fortgefahren«, erklärte eine Nachbarin.

Wohin die beiden wollten, wußte sie allerdings nicht. Der Geistliche ließ sich den Mann beschreiben, und danach mußte es sich mit ziemlicher Sicherheit um den »Grafen« handeln.

Unverrichteter Dinge machte der Bergpfarrer sich wieder auf den Heimweg. Es hatte wenig Zweck, vor dem Haus auf Hertha Breitlangers Rückkehr zu warten. Außerdem wollte er nicht noch die Neugierde der Nachbarn wecken.

*

Pfarrer Trenker wußte nicht, daß Hertha am frühen Nachmittag aus allen Wolken gefallen war, als Graf Friedrich von Herdingen mit einer Luxuslimousine vorfuhr. Als hätte er ihren sehnlichsten Wunsch geahnt, lud er die Frau zu einer Spazierfahrt ein. Als sie in den Wagen stieg, da waren alle Bedenken, die sie seit dem letzten Sonntag beschlichen hatten, bei Hertha beseitigt. Sie hatte es nicht zugeben wollen, doch Sophies Worte hatten schon für nagenden Zweifel gesorgt, ob mit dem Grafen alles so stimmte, wie er vorgab. Ihr war es ja selber schon merkwürdig vorgekommen, daß er sie nie mit dem Wagen abholte, sondern sie sich immer irgendwo trafen, wohin sie auch mit dem Bus fahren konnte. Doch jetzt, als sie neben ihm saß und bewundernd auf das edel aussehende Holz des Amaturenbrettes schaute, da waren alle Zweifel fortgewischt.

»Meinem Chauffeur habe ich freigegeben«, erklärte Friedrich auf Herthas diesbezügliche Frage. »Aber Gnädigste brauchen nur einen Wunsch zu äußern und ich kutschiere Sie, wohin Sie wollen, liebste Freundin.«

So angesprochen, bekam Hertha Breitlanger vor Aufregung glühende Wangen.

»Ach, bestimmen Sie doch, wohin die Fahrt gehen soll«, antwortete sie.

Der Graf beugte sich zu ihr.

»Am liebsten bis ans Ende der Welt«, schmeichelte er. »Aber fürs Erste möchte ich Ihnen etwas zeigen, das nicht ganz so weit entfernt ist.«

Sie fuhren über eine Stunde durch die herrliche Berglandschaft, durch kleine beschauliche Dörfer, an Seen und Wäldern vorüber. Ihr Begleiter wurde dabei nicht müde, immer wieder auf Sehenswürdigkeiten hinzuweisen, und Hertha wurde immer bewußter, daß sie sich seit dem Tode ihres Mannes viel zu sehr in St. Johann verkrochen hatte. Wo war sie denn schon groß gewesen? Einige Male am Sonntag war sie zum Achsteinsee hinausgefahren, aber so richtig beschaulich war es eigentlich nie gewesen. Aber diese Fahrt heute entschädigte sie für alles, zumal sie an der Seite eines Mannes saß, der ihr Herz höher klopfen ließ.

»Wollen Sie mir nicht verraten, wohin wir fahren?« fragte sie. »Sie haben mich schon ganz neugierig gemacht.«

Graf Friedrich von Herdingen zögerte einen Moment, bevor er antwortete.

»Ich habe Ihnen ja neulich schon von der kleinen Firma erzählt«, sagte er schließlich. »Erinnern Sie sich? Die Firma in Wurzlach, die bis vor fünfzig Jahren noch unserer Familie gehörte.«

»Aber natürlich«, nickte die Frau neben ihm. »Sie meinen die kleine Porzellanmanufaktur, nicht wahr?«

»Ich sehe, Sie haben es nicht vergessen«, freute sich der Graf. »Ja, und diese Fabrik möchte ich Ihnen gerne zeigen. Zumindest von außen, hinein können wir leider nicht, sie ist nämlich geschlossen.«

*

Sie hatten den kleinen Ort Wurzlach erreicht, und der Adlige steuerte den großen Wagen durch die Straßen. Es war ein typisches Alpendorf, doch besaß es eine Besonderheit – eben jene, weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannte Porzellanmanufaktur, die vor mehr als einhundert Jahren gegründet worden war. Nach Friedrichs Worten war sie seinerzeit verkauft worden, um die Familie derer von Herdingen vor dem finanziellen Untergang zu bewahren.

Die Fabrik machte auf den ersten Blick einen enttäuschenden Eindruck. Die Gebäude waren verfallen, die Wege auf dem Gelände von Unkraut überwuchert, und überall konnte man Spuren sehen, die der Zahn der Zeit hinterlassen hatte. Graf Friedrich hatte den Wagen bis an das Tor gefahren, das das Fabrikgelände von der Außenwelt abschottete, und war ausgestiegen. Hertha Breitlanger folgte ihm.

»Ja, das hat wirklich alles mal meiner Familie gehört«, seufzte der Graf und machte eine alles umfassende Bewegung mit dem Arm. »Es war wirklich ein ganz kleines Juwel.«

Wehmut klang in diesen Worten mit. Hertha konnte nachvollziehen, wie es in Friedrich aussehen mochte, jetzt, wo er hier vor dem Werk seiner Vorfahren stand.

»Aber wenn das Schicksal es will, wird es schon bald im alten Glanz erstrahlen«, deutete er geheimnisvoll an.

Die Witwe neben ihm horchte auf.

»Soll das heißen…?«

»Ja, liebste Hertha, ich überlege, die Fabrik zurückzukaufen«, nickte Friedrich. »Allerdings – es ist nicht ganz so einfach.«

Sie machten ein paar Schritte am Zaun entlang und er erklärte, welchen Zweck welches Gebäude hatte, das Lager, die Brennerei mit den Öfen, Bürogebäude und Personalhaus.

»Dort drüben befand sich das Atelier, in dem die schönsten Stücke von Hand bemalt wurden«, deutete der Graf auf ein langgezogenes Haus mit einem Flachdach hin. »Können Sie sich vorstellen, welch eine rege Betriebsamkeit hier einmal geherrscht hat?«

Das konnte Hertha nur zu gut, und sie konnte sich auch vorstellen, wie es einmal wieder sein würde, wenn Friedrich die Fabrik erst einmal wieder auf Vordermann gebracht hatte.

Aber sie erinnerte sich an den kleinen Nachsatz.

»Was meinten Sie eben, als Sie sagten, daß es nicht ganz einfach wäre, die Fabrik zurückzukaufen?« fragte sie.

»Kommen Sie«, antwortete er und nahm ihren Arm. »Das erkläre ich Ihnen bei einer Tasse Kaffee.«

Er fuhr ins Dorf zurück und hielt vor dem Gasthof an.

»Hier bekommen wir einen guten Kaffee und einen ganz hervorragenden Kuchen«, sagte Friedrich und half seiner Begleiterin aus dem Wagen.

Sie traten durch die Tür in den hellen, freundlich eingerichteten Gastraum, und Hertha erlebte die zweite große Überraschung des Tages. Vom Tresen her kam eine junge Serviererin auf die beiden Gäste zu.

»Grüß Gott, Herr Graf«, sagte das Madel. »Schön, daß Sie auch einmal wieder vorbeischauen. Kaffee und Pfirsichkuchen, wie immer?«

Hertha glaubte einen Stein vom Herzen fallen zu hören. Mit dieser Begrüßung waren einfach alle Bedenken aus dem Weg geräumt. Wenn Friedrich hier mit Herr Graf angesprochen wurde, dann konnte es ja gar keinen Zweifel mehr daran geben, daß es sich bei ihm wirklich um einen Adligen handelte.

»Gerne, zweimal, bitte«, bestellte ihr Begleiter und führte sie zu einem Tisch am Fenster.

Die Bestellung wurde prompt ausgeführt, und während die beiden es sich schmecken ließen, erzählte Friedrich von den Schwierigkeiten, die es mit dem Rückkauf der Porzellanfabrik gab. Er gab unumwunden zu, daß ihm rund fünfzigtausend Mark fehlten.

»Wissen Sie, es wäre alles kein Problem, wenn ich an das Geld herankönnte, das ich in der Schweiz angelegt habe«, fuhr er fort. »Natürlich, ich könnte es holen, aber dann würde ich einen immensen Verlust in Kauf nehmen, und davor scheue ich zurück. Denn das Schweizer Kapital ist so etwas wie meine Rente, mit der ich meinen Lebensabend finanzieren will. Sie wissen ja, wie das ist. In unseren Kreisen zahlt man ja nicht in die Rentenkasse ein, aber zur Last fallen möchte ich später einmal auch niemandem.«

Das konnte Hertha nur zu gut verstehen. Sie selbst war froh, durch die Pension ihres verstorbenen Mannes so gut abgesichert zu sein.

»Und eine andere Möglichkeit, das Geld von einer Bank zu bekommen, gibt es nicht?«

Der Graf schüttelte den Kopf.

»Ich fürchte nicht«, sagte er. »Tja, so wie es aussieht, werde ich meinen Traum wohl begraben müssen, wenn mir da nicht noch etwas einfällt.«

Er schenkte Kaffee aus dem Kännchen nach.

»Aber wir wollen uns den schönen Nachmittag nicht mit trüben Gedanken verderben«, wechselte er das Thema. »Wie schmeckt Ihnen der Kuchen? Ist er nicht himmlisch?«

»Ganz hervorragend«, bestätigte Hertha.

Graf Friedrich hob die Hand.

»Allerdings muß ich gestehen – an Ihren Pfirsichkuchen kommt er nicht heran«, schmeichelte er.

Dabei schaute er ihr tief in die Augen.

»Was gäbe ich d’rum, ihn öfter genießen zu können.«

Herthas Herz klopfte bis zum Hals hinauf, als sie diese Worte hörte. Sollte das eben so etwas wie ein versteckter Heiratsantrag gewesen sein? Die Witwe vergaß alles um sich herum, und wie durch einen Wattebausch hörte sie ihre eigene Stimme.

»Also, das mit dem Geld – ich wüßt’ da schon eine Lösung…«

*

Fritz Untermayr hatte den Leihwagen wieder abgegeben und ging nun zu Fuß zurück zu seiner Wohnung. Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, bis er die Frau soweit hatte, daß sie bereit war, ihr gesamtes erspartes Geld locker zu machen. Aber es hatte sich gelohnt. Knapp vierzigtausend Mark hatte sie ihm in Aussicht gestellt, damit er die Fabrik »seiner Vorfahren« zurückkaufen konnte.

Er lachte innerlich, die Masche mit dem Grafentitel hatte er sich spontan ausgedacht, als er Hertha Breitlanger das erste Mal begegnete. Ein paar Tage zuvor war ihm in einer Bibliothek ein Buch in die Hände gefallen, in dem er etwas über die Familie derer von und zu Herdingen gelesen hatte. Unter anderem auch, daß das Grafengeschlecht seit rund sechzig Jahren als ausgestorben galt. Der letzter Herrscher im Schloß war, ohne Kinder zu hinterlassen, verstorben. Da sich niemand fand, der Anspruch auf das Erbe erhob, fielen Schloß und Ländereien an den Freistaat Bayern. Fritz Untermayrs Phantasie hatte sofort Kapriolen geschlagen. Er hatte schon unter allen möglichen Namen gearbeitet, aber als Adliger war er noch nicht aufgetreten.

Doch nun war es ein voller Erfolg gewesen, die intensive Beschäftigung mit dem alten Buch hatte sich also gelohnt.

Die Wohnung, in der er hauste, lag unter dem Dach eines Miethauses, das am Rande von Engelsbach stand. Selbstverständlich hatte er nicht die Wahrheit gesagt, als er erzählte, er wohne in Waldeck – und schon gar nicht in einer Villa! Außerdem hatte er diese Wohnung unter falschem Namen angemietet.

Der Hochstapler quälte sich die vier Stockwerke hinauf, bis er vor seiner Haustür angelangt war. In der Hand hielt er einige Briefe, die er unten aus dem Postkasten geholt hatte. Zwei davon waren unbezahlte Rechnungen. Fritz Untermayr entschied sich, sie gar nicht erst zu öffnen – in ein paar Tagen, wenn er das Geld der Witwe in den Händen hielt, konnte er sie ja bezahlen –, und machte sich daran, die anderen Briefe durchzusehen, nachdem er Hut und Mantel abgelegt hatte. Sie steckten in einem großen braunen Kuvert, und der Absender war die Anzeigenabteilung der Zeitung in der Kreisstadt. Es waren alles Antworten auf eine Anzeige, die Fritz Untermayr unter Chiffre in der Wochenendausgabe aufgegeben hatte.

In der Rubrik »Einsame Herzen«.

Der Gauner arbeitete nämlich schon an seinem nächsten Coup und hatte zu diesem Zweck eine Anzeige aufgegeben. Immerhin hatte er ja einiges in die Geschichte mit Hertha investieren müssen, was nicht so einfach gewesen war. Den Leihwagen heute hatte er sich auch nur leisten können, weil seine Rente endlich überwiesen worden war.

In der besagten Anzeige hatte er sich als gut situierten Herrn ausgegeben, der die Bekanntschaft einer ebensolchen Frau machen wollte. Gemeinsame Unternehmungen wie Konzertbesuche, Ausflüge oder gar Ferienreisen sollten unternommen werden. Fritz überlegte, ob es nicht ratsam wäre, sich auch hier des Grafentitels zu bedienen. Offenbar hatte er ja eine ungeheure Wirkung auf das schwache Geschlecht. Aber das wollte er von Fall zu Fall entscheiden, überlegte er sich. Zunächst las er die Antwortschreiben. Drei, vier Briefe sortierte er gleich wieder aus, weil die Damen bei gemeinsamen Unternehmungen auf getrennte Kassen bestanden, was auf eine gewisse Knauserigkeit schließen ließ, unter den anderen fand er auch ansprechende Fotos.

Er sortierte die Briefe nach Datumseingang und beschloß, sie erst zu beantworten, wenn die Sache mit Hertha Breitlanger abgeschlossen war. Dafür brauchte er noch ein wenig Zeit und Fingerspitzengefühl. Fritz Untermayr hatte nämlich schon befürchtet, die Frau könne Lunte gerochen haben – zumindest ihre Freundin. Denn die hatte keinen guten Eindruck auf ihn gemacht, mißtrauisch, wie sie gewesen war. Er hatte gar keine andere Wahl gehabt, als die dreihundert Mark in den Leihwagen zu investieren, und auch der Fünfzigmarkschein, den er am Vormittag der Kellnerin im Wurzlacher Gasthof zugesteckt hatte, damit sie ihn mit Herr Graf begrüßte, der wie gewohnt Kaffee und Pfirsichkuchen bestellte, hatte sich letztendlich gelohnt. Fritz schmunzelte, als er daran dachte, wie er es geschafft hatte, die Wirtin zu überreden, für den Nachmittag wirklich einen solchen Kuchen zu backen.

Aber alles in allem war die Vorstellung wirklich gelungen, wenn Hertha Breitlanger bis dahin noch irgendwelche Zweifel an seiner Person hatte, jetzt waren sie restlos beseitigt. Ansonsten hätte sie ihm kaum so selbstlos das Geld angeboten, damit er es in die Fabrik investieren konnte.

Alles in allem war er mit dem Verlauf und dem Tag zufrieden. Er setzte sich gemütlich vor den Fernsehapparat und ließ sich von einer Komödie unterhalten, die gerade gezeigt wurde.

*

Im Pfarrhaus saß man zum Abendessen beisammen. Neben Sophie Tapperts selbstgebackenem Brot standen kalter Braten und Käse auf dem Tisch. Außerdem hatte die Haushälterin aus Aufschnittresten, Tomaten und Gurken einen herzhaften Wurstsalat gezaubert.

»Leider hab’ ich die Frau Breitlanger net angetroffen«, bedauerte Sebastian Trenker und berichtete von dem feschen Mann, mit dem Sophies Freundin fortgefahren sei. »Könnt’ es sich um den Grafen handeln?«

Die Haushälterin zuckte die Schultern.

»Vermutlich. Einen anderen Herrn kennt Hertha ja net«, meinte sie und wandte sich wieder dem Kessel mit dem kochenden Teewasser zu. »Dann hat er wohl doch ein Auto.«

»Die Nachbarin hat net gesagt, um was für einen Wagen es sich handelt«, erzählte der Geistliche weiter.

»Schade«, wandte Max Trenker ein. »Wenn wir das wüßten und vielleicht sogar noch das Kennzeichen, dann könnt’ man herausfinden, ob der Besitzer ein Graf von Herdingen ist.«

»Na, für heut’ ist es vielleicht zu spät«, sagte Sebastian. »Aber morgen will ich gern’ noch mal versuchen, mit Ihrer Freundin zu sprechen.«

Er wandte sich seinem Bruder zu.

»Und bei dir? Was gibt’s Neues von dem verdächtigen Hochstapler?«

Max Trenker ließ das Messer sinken, mit dem er gerade Butter auf eine Scheibe Brot strich.

»Nix«, antwortete er dumpf und zog ein grimmiges Gesicht. »Der Bursche ist wie vom Erdboden verschwunden, und das ärgert mich gewaltig. So einer gehört eingesperrt.«

»Da bin ich ganz Ihrer Meinung«, ließ sich Sophie Tappert vernehmen. »Wenn ich daran denk’, daß dieser Graf vielleicht gar keiner ist, und der Gauner Hertha ihr ganzes Erspartes abknöpft, dann könnt’ ich vor Wut an die Decke geh’n.«

»Bloß net«, schmunzelte Pfarrer Trenker. »Aber ich kann Sie verstehen, Frau Tappert, und ich werde alles tun, um dahinter zu kommen, was es mit diesem Grafen auf sich hat.«

Er lehnte sich einen Moment zurück und dachte nach. Plötzlich hellte sich seine Miene auf.

»Du liebe Zeit, das hätt’ ich ja beinahe vergessen«, sagte er.

Sein Bruder sah ihn fragend an.

»Wovon redest du?«

»Von dem Buch, das der Herr Kammeier neulich in der Sakristei gefunden hat. Dadurch sind wir doch erst auf den Namen der Grafenfamilie gekommen. Erinnerst du dich nicht?«

»Doch, doch«, gab der Polizist zurück. »Jetzt, wo du es sagst – du meintest doch, daß die Familie ausgestorben sei.«

»Richtig«, nickte der Geistliche und stand auf. »Wo hab’ ich’s nur hingelegt?«

»Es ist drüben in Ihrem Arbeitszimmer, Hochwürden«, sagte Sophie Tappert. »Es liegt auf Ihrem Schreibtisch.«

»Natürlich, Frau Tappert«, lachte Sebastian. »Wenn ich Sie net hätt’… In dem ganzen Papierkram ist’s mir gar net mehr aufgefallen. Ich muß da dringend Ordnung schaffen.«

»Hätt’ ich ja längst gemacht, aber ich darf ja net an Ihre Sachen«, meinte seine Haushälterin.

»Unterstehen S’ sich«, gab der Pfarrer zurück und drohte schmunzelnd mit dem Zeigefinger.

*

Er ging in sein Arbeitszimmer und kam kurze Zeit später mit dem Buch zurück. Sebastian blätterte eine ganze Weile darin herum, während Max es sich noch schmecken ließ. Besonders der Wurstsalat hatte es ihm angetan. Schließlich legte der Pfarrer das Buch wieder aus der Hand.

»Es steht viel über das Grafengeschlecht darin«, sagte er. »Aber nichts, was uns weiterhilft. Trotzdem möchte ich weiterhin behaupten, daß es die Familie nicht mehr gibt. Ich denk’ die ganze Zeit darüber nach, wen ich deswegen fragen könnt’.«

»Vielleicht diesen Professor aus Freiburg, der vor ein paar Monaten da war und sich so lange mit den Kirchenbüchern beschäftigt hat.«

»Professor Nägeli«, rief Sebastian. »Ja, du hast recht. Der kann uns bestimmt weiterhelfen. Am besten rufe ich ihn noch gleich heut’ abend an, damit wir keine Zeit verlieren.«

Der Geistliche setzte sein Vorhaben sogleich in die Tat um und beschaffte sich über die Telefonauskunft die Nummer des Gelehrten aus Freiburg. Josef Nägeli war ein waschechter Schwabe aus Stuttgart, was man seinem Dialekt auch anhörte. Er hatte einen Lehrstuhl an der Universität Freiburg, und sein Fachgebiet war das Mittelalter.

»Pfarrer Trenker aus Sankt Johann?« fragte er erstaunt, nachdem sich Sebastian mit seinem Namen gemeldet hatte. »Natürlich erinnere ich mich an Sie und Ihre schöne Kirche. Na, und ganz besonders an die Kochkünste Ihrer Haushälterin. Wie geht es Ihnen und der Frau Tappert? Sind Sie immer noch so viel in den Bergen unterwegs?«

»Vielen Dank, Herr Professor«, antwortete der Geistliche. »Uns geht es gut, und wenn meine Zeit es zuläßt, mache ich noch oft meine Bergtouren.«

»Schön, das freut mich zu hören. Aber es gibt ja bestimmt einen Grund für Ihren Anruf.«

Das konnte der Pfarrer nur bestätigen, und er erklärte dem Professor den Zweck seines Anrufs. Am anderen Ende herrschte eine Weile Schweigen, dann lachte der Gelehrte polternd los. Sebastian schaute seinen Bruder, der neben ihm stand, nicht verstehend an und zuckte die Schultern.

»Ich weiß net, was er hat«, flüsterte er und hielt dabei mit der Hand die Sprechmuschel zu.

»Entschuldigen Sie, wenn ich so laut losgelacht habe«, meldete der Professor sich endlich zu Wort, nachdem der Lachanfall abgeklungen war. »Aber ich habe mir gerade vorgestellt, was für lange Gesichter man in der bayerischen Staatskanzlei machen würde, wenn plötzlich ein Graf von Herdingen auftauchte, der nicht nur sein Schloß und die Ländereien zurückverlangte, sondern auch noch Miete für die letzten vierzig Jahren, die das Kinderheim in dem alten Gemäuer untergebracht ist.«

»Also glauben Sie net, daß es sich bei diesem Herrn um den letzten Grafen aus dem Geschlecht derer von und zu Herdingen handelt?« wollte Pfarrer Trenker wissen.

Josef Nägeli hüstelte und wurde dann ernst.

»Lieber Pfarrer Trenker, der Mann ist ebenso wenig ein Graf wie Sie oder ich«, sagte er bestimmt. »Es gilt als gesichert, daß der letzte Herr auf dem Schloß im Breestertal ehe- und kinderlos verstarb und sein Besitz an den Staat überging. Der Mann, der sich als Graf ausgibt, ist schlicht und einfach ein Betrüger! Ihr Herr Bruder, der Polizist, sollte ihn so schnell wie möglich verhaften. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

»Nein, Herr Professor«, antwortete Sebastian. »Aber haben Sie vielen Dank. Sie haben uns sehr geholfen und verhindert, daß noch mehr Menschen zu Schaden kommen. Der Mann versteckt sich zwar irgendwo, aber durch Sie haben wir die Gelegenheit, etwas gegen ihn zu unternehmen.«

»Na, dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg«, verabschiedete der Gelehrte sich.

Pfarrer Trenker legte auf und drehte sich zu seinem Bruder um. Mittlerweile war auch die Haushälterin hinzugekommen. Gespannt schaute sie Sebastian an. Der berichtete, was der Professor in Freiburg ihm mitgeteilt hatte. Sophie Tappert war entsetzt, gleichzeitig aber auch erleichtert, daß sich ihr Verdacht bestätigt hatte. So bestand doch noch die Chance, Hertha vor einem großen Fehler zu bewahren und mit ihr wieder ins Reine zu kommen.

»Ich werd’ doch heut’ abend noch mit Frau Breitlanger reden«, kündigte der Seelsorger an. »Ich denke, sie hat ein Recht, sofort zu erfahren, wer dieser Mann ist, der sich ihr Vertrauen erschlichen hat. Hoffen wir, daß es noch net zu spät ist und sie ihm noch kein Geld anvertraut hat.«

*

Als Sebastian Trenker diesmal an Herthas Tür klingelte, brauchte er nicht lange zu warten. Die Witwe öffnete schon nach wenigen Minuten. Als sie erkannte, wer da vor ihrer Tür stand, machte sie große Augen.

»Grüß Gott, Hochwürden, wollen S’ zu mir?« fragte sie.

»Entschuldigen S’ die späte Störung, Frau Breitlanger«, sagte der Geistliche. »Ja, ich würd’ Sie gern’ in einer dringenden Angelegenheit sprechen.«

»Kommen S’ doch herein«, nickte die Frau und ließ ihn eintreten.

Merkwürdig, dachte sie dabei, ob etwa Sophie ihn geschickt hat? Hat sie wohl doch ein schlechtes Gewissen bekommen und will jetzt um gut Wetter bitten. Das sieht ihr ähnlich, daß sie da den Herrn Pfarrer vorschickt und net selbst herkommt.

»Kann ich Ihnen etwas anbieten?«

»Vielen Dank, aber ich komm’ gerad’ vom Abendessen«, verneinte der Seelsorger.

Er setzte sich auf den angebotenen Platz, während Hertha sich ihm gegenüber setzte und ihn erwartungsvoll ansah.

»Tja, Frau Breitlanger, es ist eine etwas delikate Angelegenheit, die mich zu Ihnen führt«, begann Sebastian.

Aha, schoß es Hertha durch den Kopf, hab’ ich doch recht gehabt.

»Frau Tappert erzählte mir, daß Sie die Bekanntschaft eines Grafen Friedrich von Herdingen gemacht haben.«

»Das ist richtig«, antwortete die Witwe, wobei sie vor Stolz und Aufregung erglühte.

Sebastian spürte natürlich, in welchem glückseligen Zustand sich die Frau befand, und es tat ihm unendlich leid, sie aus ihren Träumen reißen zu müssen. Aber es mußte sein.

»Frau Breitlanger, es tut mir furchtbar leid, ich weiß, daß ich Ihnen jetzt sehr weh tun werde, aber es ist net zu ändern.«

Hertha sah ihn ungläubig an. Was meinte der Herr Pfarrer bloß?

»Der Mann, der behauptet, ein Graf zu sein, ist ein Schwindler. Sehr wahrscheinlich heißt er Fritz Untermayr und wird von der Polizei gesucht. Der letzte Graf von Herdingen verstarb vor sechzig Jahren, und der ganze Besitz ging an den Staat, weil es keine Nachkommen gab, die das Erbe hätten antreten können.«

Hertha spürte, wie es sie bei diesen Worten heiß und kalt überlief. Konnte das wirklich sein? War sie tatsächlich einem Betrüger aufgesessen?

Sie schluckte schwer und rang nach Luft. Sebastian sprang auf und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter.

»Frau Breitlanger«, rief er beschwörend. »Es tut mir leid, aber das ist die Wahrheit, auch wenn sie noch so weh tut. Ich hoff’ nur, daß ich Sie vor Schlimmerem bewahrt habe.«

Die Witwe atmete tief durch. Sie hatte sich schneller wieder gefaßt, als Pfarrer Trenker gedacht hatte. Sie schaute eine Weile stumm vor sich hin, dann stand sie auf, ging an die Vitrine und holte eine Flasche mit ihrem selbstangesetzten Eierlikör heraus und goß sich ein großes Glas ein. Sie stürzte es in einem Zug hinunter und setzte sich wieder.

»Dieser abgefeimte Schuft«, sagte sie nur und sah den Geistlichen an.

*

»Hat der Mann Sie um Geld gebeten?« fragte Sebastian.

Hertha Breitlanger schüttelte den Kopf.

»Gebeten net«, erwiderte sie. »Aber ich hab’s ihm angeboten. Gleich morgen wollt’ ich zur Bank gehen und das Sparkonto kündigen. Vierzigtausend Mark wollte ich ihm für die Fabrik vorstecken.«

»Die Fabrik?« fragte der Pfarrer. »Um was für eine Fabrik handelt es sich denn?«

Die Witwe erzählte es ihm. Sie berichtete von der Fahrt in dem Luxuswagen, der Porzellanmanufaktur, dem Kaffeetrinken in dem Gasthof in Wurzlach.

»Dann hat er sich da wohl auch als Graf ausgegeben«, seufzte sie und schilderte, wie die Bedienung ihn angeredet hatte.

»Der Mann scheint sehr raffiniert vorzugehen«, sagte Sebastian. »Die Polizei sucht ihn seit geraumer Zeit. Zum Glück hat sich eine der betrogenen Frauen getraut, den Kerl anzuzeigen. So ist man ihm überhaupt erst auf die Spur gekommen.«

»Was mach’ ich denn jetzt?« fragte Hertha. »Am Sonntag wollen wir uns treffen, da wollt’ ich ihm das Geld geben.«

»Ihr Konto werden Sie natürlich net plündern«, sagte der Pfarrer. »Aber treffen müssen S’ den Herrn. Nur wird dann die Polizei dabei sein und den ›Grafen‹ verhaften.«

Er hatte sich inzwischen wieder hingesetzt, jetzt lehnte er sich zurück und überlegte, wie man am besten vorging. Dazu würde er sich mit Max besprechen müssen. Ein wenig besorgt sah er die Witwe an. Konnte er es verantworten, sie in dieser Situation allein zu lassen, oder sollte er sie besser ins Pfarrhaus einladen?

»Die arme Sophie«, sagte Hertha Breitlanger in diesem Moment. »Da hab’ ich ihr ja Unrecht getan. Ganz offensichtlich hat sie diesen Fritz Untermayr gleich richtig eingeschätzt. Ich werd’ mich wohl bei ihr entschuldigen müssen. Also, am meisten nehm’ ich diesem Kerl übel, daß er es beinahe geschafft hätte, eine Freundschaft zu zerbrechen, die so viele Jahre schon besteht.«

»Ich bin sicher, daß Frau Tappert Ihre Entschuldigung annehmen wird«, sagte Sebastian zuversichtlich. »Warum kommen S’ net mit hinüber ins Pfarrhaus? Erstens sind S’ dann net so allein, und zweitens können S’ sich mit der Frau Tappert aussprechen.«

»Und wir können beratschlagen, wie wir diesen Gauner überführen und dingfest machen«, nickte Hertha, die offenbar ihren Humor und ihre Tatkraft wiedergefunden hatte.

*

Am nächsten Morgen wirbelten zwei Frauen in der Pfarrhausküche herum. Natürlich war Hertha Breitlanger über Nacht geblieben, nachdem sie lange und ausführlich mit Sophie Tappert gesprochen hatte.

Die Haushälterin war heilfroh gewesen, als Sebastian Trenker die Witwe gleich mitbrachte. Mit Tränen in den Augen lagen die beiden Freundinnen sich in den Armen.

»Ich war ja so dumm«, sagte Hertha. »Kannst du mir noch einmal verzeihen?«

»Natürlich«, antwortete Sophie. »Durch so was lassen wir doch net unsere Freundschaft kaputt machen. Laß uns lieber überlegen, was wir gegen diesen Kerl unternehmen.«

»Das sollten wir vielleicht bei einer Flasche guten Rotwein bereden«, schlug Pfarrer Trenker vor.

Der Vorschlag wurde einmütig angenommen. Sebastian stieg in den Keller hinunter und suchte eine Flasche aus seinem Vorrat aus. Unterdessen hatte Sophie für etwas Salzgebäck und Käse gesorgt. Zusammen mit Max Trenker, der natürlich auch an dieser wichtigen Besprechung teilnahm, überlegten sie, wie sie dem angeblichen Grafen und Hochstapler am besten die Falle aufbauen konnten. Dabei war von Vorteil, daß Hertha Breitlanger ihm das Geld noch nicht gegeben hatte. So würde er sie ja unbedingt wiedersehen müssen.

»Der ist so hinter dem Geld her, der kommt bestimmt zu der Verabredung«, meinte der Polizist zuversichtlich.

»Aber was ist, wenn er alles abstreitet?« wollte Sebastian wissen. »Außer der Aussage von Frau Breitlanger haben wir ja nichts in der Hand. Wir wissen ja net einmal, ob es sich bei dem Hallodri um diesen Fritz Untermayr handelt.«

»Da laß ich mir noch was einfallen«, erwiderte Max geheimnisvoll.

Bis spät in die Nacht saßen sie beisammen und beratschlagten. Als sie sich dann zur Ruhe begaben, hatten sie sich eine Überraschung für »Graf Friedrich von Herdingen« ausgedacht.

Die würd’ er bestimmt net so schnell vergessen!

»Hast du’s denn einigermaßen überwunden?« wagte Sophie ihre Freundin zu fragen.

Hertha Breitlanger machte ein energisches Gesicht.

»Dank deiner Hilfe bin ich davor bewahrt worden, den größten Fehler meines Lebens zu machen«, sagte sie. »Jetzt brenne ich darauf, es dem Burschen heimzuzahlen. Wenn nur erst einmal Sonntag wär’.«

Die beiden Frauen deckten den Tisch, kochten Kaffee und Eier, und als später Pfarrer Trenker und Max erschienen, wurde aus dem Frühstück eine fröhliche Plauderrunde. Auf den kommenden Sonntag waren sie alle gespannt.

*

»Also am Samstag gehst mit auf den Tanzball. Dann machen wir’s ganz offiziell«, sagte Florian Brunner, als sie nach dem Abendessen auf der Bank unter den Bäumen saßen und Pläne für die Zukunft machten.

»Was ist eigentlich mit deiner Verwandtschaft?« wollte Franzi wissen. »Ich weiß gar nix von dir. Net einmal, wo du eigentlich herkommst.«

Florian machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Da gibt’s net viel zu erzählen«, antwortete er. »Zu Haus’ bin ich in einem kleinen Ort namens Rammerstorf. Das ist im Allgäuischen. Mein Vater hat dort eine Schreinerei besessen, die mein Bruder nach Vaters Tod übernommen hat. Ich selbst hab’ die Landwirtschaftsschule besucht und auf verschiedenen Höfen gearbeitet. Irgendwann hat’s mich dann gepackt, und ich bin auf Wanderschaft gegangen. Wo’s mir gefallen hat, da bin ich geblieben, manchmal für ein paar Monate, oft bin ich schon nach ein paar Wochen wieder weg.«

Er legte seinen Arm um ihre Taille und zog sie an sich.

»Aber jetzt bin ich dort, wo ich mich für immer zu Hause fühle«, sagte er.

Franziska erwiderte seinen Kuß und lehnte dann ihren Kopf an seine Schulter.

»Wird dein Bruder zu unserer Hochzeit kommen?« fragte sie.

»Ich glaub’ schon«, meinte Florian. »Schließlich ist er mein einziger Verwandter. Wir haben uns immer gut verstanden.«

»Ich freue mich, ihn kennenzulernen. Du mußt ihm bald schreiben und ihn einladen. Ist er schon verheiratet?«

»Seit sechs Jahren schon. Vielleicht sollte ich ihn erst einmal anrufen. Dann wird der Schreck net ganz so groß.«

Sie lachten beide, dann stand Franzi auf und streckte sich. Dabei unterdrückte sie ein Gähnen.

»Es hilft nix«, sagte sie. »Am liebsten würd’ ich schlafen geh’n, aber wenn ich mich net gleich an die Bücher setz’, dann wird’s wieder so ein Chaos wie bei der letzten Abrechnung.«

»Soll ich dir helfen?« bot Florian an.

Aber das Madel schüttelte den Kopf.

»Das ist lieb von dir«, antwortete Franziska. »Aber vielleicht kümmerst dich besser um die Liesl.«

»Hast recht«, nickte er.

Die Liesl war eine der besten Milchkühe auf dem Pachnerhof. Am Morgen hatte Valentin festgestellt, daß mit dem Tier etwas nicht in Ordnung war. Die Kuh fraß nicht, und allem Anschein nach hatte sie erhöhte Temperatur. Sie hatten Liesl sofort von den anderen Tieren abgesondert und in einem kleineren Stall untergebracht. Der herbeigeführte Tierarzt, Dr. Hardlinger, hatte der Kuh ein fiebersenkendes Mittel gespritzt und angeordnet, wie sie weiter behandelt werden mußte.

Florian Brunner ging in den Stall und besah sich das Tier. Liesl schaute ihn aus trüben braunen Augen an. Der Trog, der vor zwei Stunden gefüllt worden war,

schien unberührt, aber das Wassergefäß, eine alte Zinkwanne, war zur Hälfte geleert. Dr. Hardlinger hatte angemahnt, dem Tier reichlich zu trinken anzubieten. Florian holte frisches Wasser aus dem großen Stall und füllte es in Liesls Wanne. Dann maß er die Temperatur mit dem Thermometer, das der Tierarzt dagelassen hatte. Erleichtert stellte er fest, daß das Fieber im Begriff war, zu sinken. Franzi würde sich über diese Nachricht freuen.

Der Knecht kümmerte sich noch eine Weile um das kranke Tier und gab frisches Stroh in die Box. Als er später auf die Uhr schaute, stellte er fest, daß es schon kurz vor Mitternacht war, also längst Zeit, schlafen zu gehen. Morgen mit dem ersten Sonnenstrahl wartete ein neuer, arbeitsreicher Tag auf die Leute vom Pachnerhof.

*

Die ganze Woche über freute sich Florian auf den Samstagabend. Er konnte es gar nicht abwarten, allen mitzuteilen, daß Franzi und er sich verloben wollten.

Franziska Pachner freute sich ebenfalls auf den Tanzabend, gleichzeitig war sie aber auch furchtbar aufgeregt. Es schien ja eine Ewigkeit her, daß sie zu diesem Vergnügen im Dorf gewesen war. Was würden wohl die Leute sagen, wenn sie Florian und sie zusammen sahen?

»Mir ist’s wurscht, was die Leut’ reden«, hatte der Knecht gesagt, als Franzi ihm von ihrer Aufregung erzählte. »Meistens sind’s ja nur neidisch. Die Burschen auf meine hübsche Braut, und die Madeln, weil du gar so einen feschen Kerl abbekommen hast.«

Dabei zwinkerte er mit dem Auge und warf sich in Positur, wobei er wie ein stolzer, spanischer Torero schaute. Franzi gab ihm lachend einen liebevollen Klaps und ging dann hinauf in ihr Zimmer, um sich für den Abend umzuziehen.

Maria und Valentin saßen derweil in der Küche und schauten sich schmunzelnd an. Die Magd war heilfroh, daß die Bäuerin sich ihrem Vorschlag angeschlossen hatte, und Valentin freute sich, daß nun endlich wieder ein Bauer auf dem Pachnerhof das Sagen haben würde.

Als Franzi und Florian losfuhren, wünschten die beiden Alten einen vergnügten Abend.

Der volle Parkplatz vom Löwenhotel zeigte, daß wieder viele Leute, auch aus der Umgebung, zum Samstagabendball hergekommen waren. Als die beiden Verliebten ausstiegen und vom Parkplatz kamen, begegnete ihnen Dr. Wiesinger. Da Florian den jungen Arzt von St. Johann noch nicht kannte, stellte Franziska die beiden einander vor.

»Wollen S’ auch auf den Ball, Herr Doktor?« erkundigte sich die Bäuerin.

»Um Himmels willen«, wehrte Toni Wiesinger ab. »Nein, nein, ich geh’ nur zum Abendschoppen in die Wirtsstube. Das Tanzen ist nichts für mich, da hab’ ich zwei linke Füße.«

»Das sollten Sie aber schleunigst ändern«, sagte Florian und sah den Mediziner lachend an.

»Warum?«

»Weil wir Sie zu unserer Verlobungsfeier einladen, und da müssen S’ das Tanzbein schwingen, ob Sie wollen oder net.«

»Verlobung?«

»Ja, schon recht bald«, nickte Franzi stolz. »In zwei Wochen.«

»Die Hochzeit soll erst später stattfinden, wenn die Erntezeit vorbei ist«, fügte Florian hinzu.

»Na, da gratulier’ ich Ihnen beiden aber von Herzen«, freute der Arzt sich mit ihnen.

Vor dem Eingang verabschiedeten sie sich. Rechts ging es in die Wirtsstube und zum Restaurant, links war die Tür, die zum Saal führte.

»Also viel Vergnügen heut’ abend«, nickte Toni ihnen zu. »Und vielen Dank für die Einladung. Ich komme sehr gerne.«

*

Als sie den Saal betraten, reckten die anderen die Köpfe und schauten die beiden neugierig an. Es war schon so etwas wie eine kleine Sensation, daß die Pachnerin sich hier blicken ließ. Noch dazu in dieser Begleitung. Beinahe verlegen stand Franzi an der Tür. Sie fragte sich in diesem Moment, ob es richtig gewesen war, herzukommen. Aber da nahm Florian auch schon ihre Hand und führte sie zu den Tischen. An einem von ihnen saß Christel Haffner. Franzi und sie waren zusammen zur Schule gegangen. Jetzt sprang Christel auf und winkte ihnen zu.

»Kommt her«, rief sie. »Hier ist noch Platz.«

Franzi begrüßte sie und die anderen an dem Tisch.

»Grüßt euch«, kam es zurück. »Schön, daß du auch wieder mal da bist.«

Auch Florian wurde freundlich aufgenommen, viele erinnerten sich an den letzten Tanzabend, an dem der junge Bursche zum ersten Mal dagewesen war. Franziska spürte die Erleichterung, als ihr klar wurde, daß es doch gar nicht so schlimm war, wie sie es beim Betreten des Saales geglaubt hatte. Sie sah sich um und gewahrte an einem der Nachbartische Tobias Anzengruber, der seltsam lächelnd zu ihr herüberschaute. Demonstrativ drehte sie den Kopf weg und ignorierte seinen Blick total.

»Komm, laß uns tanzen«, sagte Florian und riß sie mit sich.

Auf dem Parkett vergaß sie den Anzengruber ganz schnell und wiegte sich in Florians Armen. Erst nach dem vierten Tanz hintereinander führte er sie an den Tisch zurück.

»Leute, hört gut zu«, sagte er mit lauter Stimme, damit sie es trotz der lauten Musik auch alle hören konnten. »Heut’ auf vierzehn Tag’ ist die Verlobung auf dem Pachnerhof. Die Franzi und ich laden euch dazu herzlich ein.«

Es gab ein großes Hallo auf diese Ankündigung. Und natürlich sprach es sich im Laufe des Abends weiter herum. Viele, die es hörten, kamen an den Tisch und gratulierten schon. Gleichzeitig bedankten sie sich für die Einladung. Auch wenn sie nicht persönlich darauf angesprochen waren, so war es doch selbstverständlich, daß sie zu der Verlobungsfeier kommen würden. Schließlich war es guter alter Brauch in St. Johann, daß solche Ereignisse unter Anteilnahme aller Bewohner stattfanden.

Lediglich einer fühlte sich nicht angesprochen. Er kam auch nicht an den Tisch, sondern zog sich an den Tresen zurück, wo er schnell hintereinander drei große Schnäpse trank und dann mit finsterer Miene den Saal verließ.

Tobias Anzengruber.

Mit einer mächtigen Wut im Bauch machte er sich auf den Heimweg. Die Ankündigung, daß Franziska Pachner sich verloben würde, hatte ihm die Laune gründlich verdorben.

Noch dazu mit diesem hergelaufenen Knecht!

Daß er es sich mit ihr verdorben hatte, wurmte ihn immer noch, und oft schimpfte er über sich und seine eigene Dummheit. Insgeheim hatte er sich aber immer noch Hoffnung gemacht, sich vielleicht eines Tages mit Franziska auszusöhnen und alles wieder einzurenken.

Jetzt hatte er diese Hoffnung nicht mehr.

Aber die beiden würden noch ihr blaues Wunder erleben, schwor er sich. Wenn er net glücklich würde, den beiden gönnte er es schon gar nicht. Irgend etwas mußte ihm einfallen, was Franziska und diesen Burschen wieder auseinanderbrachte.

Aber was?

Tobias Anzengruber überlegte den ganzen Heimweg lang, wie er ihnen schaden könnte, und sein Haß auf die beiden Verliebten wuchs mit jedem Schritt, den er zurücklegte. Als er auf dem väterlichen Hof ankam, hatte er sich einen Plan zurechtgelegt. Wenn der klappte, dann würde dieser Knecht, der sich einbildete, Bauer werden zu können, ganz schön dumm aussehen.

Der zweite Sohn des Anzengruberbauern grinste heimtückisch, als er in seine Schlafkammer schlich. Er war sicher, daß er mit seiner Idee Erfolg haben würde.

*

Hertha Breitlanger war aufgeregt wie lange nicht mehr.

Schon eine Stunde vor der verabredeten Zeit saß sie in dem Café, in dem das Treffen mit Graf Friedrich stattfinden sollte. Immer wieder schaute sie ungeduldig auf die Uhr oder warf einen Blick zu dem Tisch in der Ecke hinüber, an dem Pfarrere Trenker und seine Haushälterin saßen. Der Geistliche nickte ihr aufmunternd zu. Sophie Tappert hatte sich so hingesetzt, daß sie vom Nachbartisch aus nicht sofort zu erkennen war.

Jetzt fehlte nur noch Max Trenker und sie wären vollzählig für den Empfang des Hochstaplers gewesen.

Zwischendurch blickte auch Sebastian auf seine Uhr.

»Wo bleibt er denn nur?« sagte er fragend zu seiner Haushälterin.

Sophie wußte, daß Hochwürden damit seinen Bruder meinte, der eigentlich auch schon hätte da sein müssen. Max hatte sich seit Tagen in geheimnisvollen Andeutungen ergangen und von einer Überraschung gesprochen, die er für den Grafen vorbereitete. Aber nicht einmal seinem Bruder gegenüber wollte er sagen, um was es sich da handelte.

Auf dem Tisch, an dem Hertha saß, neben dem Kaffeegedeck, lag ein brauner Briefumschlag. In ihm steckten etliche Papierschnipsel. Der Umschlag sollte den Eindruck erwecken, als wären darin die vierzigtausend Mark, die Hertha Fritz Untermayr geben wollte.

In dem Café herrschte nicht viel Betrieb. Dafür war es noch zu früh. Erst in einer guten Stunde konnte man mit den Sonntagsgästen rechnen.

Die Witwe fuhr sich nervös durch das Haar, als die Eingangstür geöffnet wurde. Sie zuckte zusammen, als sie eine männliche Gestalt wahrnahm, die hinter einer älteren Frau hereinkam. Es war allerdings nicht der Graf, sondern Max Trenker, der sich an den Tisch setzte, an dem schon sein Bruder und Sophie Platz genommen hatten. Die Frau suchte sich einen Tisch aus, der an einem der Fenster stand.

Max nickte den beiden zu und rieb sich strahlend die Hände.

»Willst uns net verraten, was du da ausgeheckt hast?« fragte Sebastian.

Der Polizeibeamte machte ein lausbübisches Gesicht und schüttelte den Kopf.

»Wartet’s ab«, sagte er nur und winkte nach der Serviererin.

Dann bestellte er ein großes Stück Nußtorte und ein Kännchen Kaffee.

»Sie haben vielleicht Nerven«, ließ Sophie Tappert sich vernehmen, die immer noch an ihrem Glas Tee herumnippte. »Wie Sie jetzt bloß essen können. Keinen Bissen bekäm ich hinunter.«

»Ich schon«, grinste Max und schaute sich erwartungsvoll um. »Bis ich mit dem Essen fertig bin, könnt’ er sich ruhig Zeit lassen, der Herr Graf, aber dann dürft’ er schon kommen. Die Kollegen werden Augen machen, wenn ich ihnen den lang gesuchten Herrn Untermayr präsentiere.«

Er sah Sophie Tappert an.

»Wer weiß, vielleicht bekommen Sie sogar eine Belohnung«, meinte er.

Die Haushälterin machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Mir genügt’s, wenn der Kerl hinter Schloß und Riegel sitzt.«

*

Vergnügt pfeifend stieg Fritz Untermayr aus dem Bus. Seit er aufgestanden war, hatte er eine prächtige Laune. Es versprach aber auch, ein wunderbarer Tag zu werden. Nicht nur, daß die Sonne am wolkenlosen Himmel stand – heute würde er auch als reicher Mann wieder nach Hause fahren.

Er rückte seine Krawatte zurecht und schlug den Weg zum Café ein, in dem er sich mit Hertha Breitlanger verabredet hatte. Als er unterwegs an einem geöffneten Blumengeschäft vorbeikam, überlegte er einen Moment, ob es nicht angebracht sei, angesichts der großzügigen Geste, Hertha einen kleinen Strauß mitzubringen. Er entschied sich aber doch dagegen. Zum einen hatte er schon genug Geld investiert, und zum anderen sagte er sich, daß nur der ein reicher Mann werden könne, der sparsam mit seinen finanziellen Mitteln umging.

Als er das Café betrat, sah er sie an ihrem Tisch sitzen. Den anderen Gästen schenkte er keine weitere Beachtung. Formvollendet machte er eine Verbeugung und küßte der Witwe die Hand.

»Zauberhaft sehen Sie aus, liebste Hertha«, schmeichelte er, wobei er mit Genugtuung den braunen Umschlag registrierte, der auf dem Tisch lag.

Er setzte sich ihr gegenüber und strahlte sie an.

»Ich hoffe, es hat keine großen Umstände gemacht, die erforderlichen Mittel zu besorgen«, sagte Fritz Untermayr und griff über den Tisch nach ihrer Hand.

Hertha fühlte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Lediglich die Tatsache, daß sie Pfarrer Trenker und die beiden anderen am Nachbartisch wußte, erstickte die aufkommende Panik.

»Nein, es war ganz einfach«, antwortete sie mit belegter Stimme.

»Sehr schön«, meinte der Graf. »Aber wir wollen jetzt nicht von Geld reden. Dazu ist später noch Zeit genug. Natürlich habe ich Ihnen auch einen Darlehensvertrag mitgebracht. Aber zuerst bestellen wir mal. Möchten Sie noch Kaffee?«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, bestellte er zweimal Kaffee und Pfirsichkuchen. Hertha grauste sich insgeheim. Seit Pfarrer Trenker sie über den Mann, der ihr gegenübersaß, aufgeklärt hatte, haßte sie Pfirsichkuchen.

Fritz Untermayr plauderte munter drauflos, wobei er die Zukunft in den rosigsten Farben malte. Besonders die Zukunft der Porzellanmanufaktur.

Du gemeiner Schuft, dachte indes Hertha Breitlanger, du willst die Fabrik doch gar nicht kaufen. Dein Gerede ist doch genauso wertlos wie das Papier, auf dem der Vertrag steht.

Aber natürlich sagte sie nichts, sondern machte gute Miene zum bösen Spiel. Schließlich kam Fritz auf den Punkt. Er zog den Darlehensvertrag aus der Tasche und reichte ihn über den Tisch.

»Darin ist alles geregelt«, erklärte er. »Die Summe, die Zurückzahlung und natürlich auch die Zinsen.«

Hertha schaute das Geschriebene an und nickte automatisch. Sie faltete das Papier zusammen und schob den Briefumschlag hinüber. Der Mann, der sich Graf Friedrich von Herdingen nannte, griff sofort zu und wollte den Umschlag öffnen. Eine Stimme hielt ihn davon ab.

»Herr Fritz Untermayr«, sagte jemand zu ihm, der plötzlich neben dem Tisch stand. »Ich bin Hauptwachtmeister Trenker vom Revierposten Sankt Johann. Ich muß Sie bitten, mich zu begleiten.«

Der falsche Graf war kreidebleich geworden. Mit großen Augen starrte er den Mann an, der ihn auffordernd anblickte.

»Was… was meinen Sie?« stotterte er. »Das muß ein Irrtum sein. Sie verwechseln mich mit jemand anderem.«

Max tat verlegen.

»Sie sind nicht Fritz Untermayr?« fragte er erstaunt.

Der Hochstapler roch sofort Oberwasser. Was bildete dieser Dorfpolizist sich eigentlich ein?

»Hören Sie, mein Name ist Graf Friedrich von Herdingen«, schnarrte er und blickte den Beamten hochmütig an. »Und jetzt belästigen Sie uns gefälligst nicht länger.«

Er wandte sich Hertha Breitlanger zu, als wollte er damit zu verstehen geben, daß die Angelegenheit für ihn damit beendet sei.

Nicht aber für Max.

»Dann muß ich Sie bitten, sich auszuweisen«, forderte er den Mann auf.

Untermayr schaute ihn ziemlich entrüstet an.

»Himmelherrgott noch einmal, ich habe meinen Ausweis nicht dabei«, erwiderte er gereizt. »Fragen Sie doch meine Begleiterin. Sie wird Ihnen bestätigen, wer ich bin.«

Max tat, als kenne er Hertha nicht, als er sie ansah.

»Können Sie bestätigen, was dieser Herr sagt?« fragte er.

»Ja… also…«

»Aber Hertha, was ist denn los?« fuhr Fritz Untermayr dazwischen. »Sagen Sie doch, wer ich bin.«

Die Witwe zuckte die Schultern.

»Aber ich weiß es ja net…«, erwiderte sie und sah ihn ungerührt an.

Er starrte sie mit offenem Mund an.

»Vielleicht kann ich in der Sache Auskunft geben«, ließ sich eine weibliche Stimme vernehmen.

Es war die Dame, die vorhin zusammen mit Max Trenker das Café betreten hatte. Der Hochstapler unterdrückte einen Schrei, als er die Frau erkannte.

»Also, Herr Hauptwachtmeister, mir ist dieser Herr als Joseph Bartner bekannt«, erklärte sie. »Davon, daß er ein Graf ist, weiß ich nichts, aber er soll ja noch andere Namen benutzt haben, wenn er gutgläubige Frauen um ihr Geld brachte.«

Sebastian und Sophie waren ebenfalls hinzugetreten. Angesichts dieser Übermacht mußte Fritz Untermayr einsehen, daß er endgültig verspielt hatte.

*

»Kinder, es war einfach herrlich«, rief Hertha Breitlanger und klatschte dabei in die Hände. »Das Gesicht des ›Herrn Grafen‹ werd’ ich so schnell net vergessen.«

Sie saßen im Eßzimmer des Pfarrhauses, wo Sophie Tappert mit Herthas Hilfe den Tisch für das Abendessen gedeckt hatte. Bis auf Max Trenker waren sie alle versammelt. Sebastians Bruder war noch unterwegs von der Kreisstadt, wo er Fritz Untermayr bei den Kollegen abgeliefert hatte, zurück nach St. Johann.

Die beiden Damen waren zusammen mit dem Pfarrer zurückgekommen. Natürlich hatte sich die Unterhaltung dabei um den Hochstapler gedreht. Besonders Max’ Idee, die Frau, die Fritz Untermayr letztendlich identifizierte, hinzuzuziehen, fanden sie gewitzt. Das war also die geheimnisvolle Idee des Polizisten gewesen, von der er immer wieder gesprochen hatte.

Gertrud Birkner war um fünftausend Mark geprellt worden, die angeblich für einen gemeinsamen Urlaub verwendet werden sollten. Nachdem sie Untermayr das Geld gegeben hatte, ließ er nichts mehr von sich hören. Zunächst schämte die Frau sich, auf den Trick hereingefallen zu sein, doch als sie hörte, daß es weitere Geschädigte gab, von denen eine die Anzeige erstattet hatte, meldete auch sie sich bei der Polizei. Als Max Trenker sie nun um Mithilfe bat, den Betrüger zu überführen, war sie sofort dazu bereit.

»Der ist erst einmal für lange Zeit aus dem Verkehr gezogen«, verkündete Max, als er im Pfarrhaus erschien.

Er berichtete, daß der Hochstapler noch am Abend einem Haftrichter vorgeführt werden sollte.

»Der Richter wird gar net anders können, als Untersuchungshaft anzuordnen«, meinte der Beamte. »Bei dem, was der Kerl alles auf dem Kerbholz hat.«

Erwartungsvoll schaute Max auf den gedeckten Tisch. Dabei rieb er sich die Hände.

»Wenn die Gerechtigkeit gesiegt hat, dann schmeckt’s noch mal so gut«, lachte er und griff herzhaft zu.

*

»Nachher fahr’ ich mit dem Valentin das restliche Holz für den Ederer schlagen«, sagte Florian beim Frühstück. »Vielleicht kannst uns das Mittagsmahl hinaufbringen. Dann könnten wir durcharbeiten. Morgen soll’s ja schon geholt werden.«

Hubert Ederer, ein Sägemühlenbesitzer aus Engelsbach, hatte zwei Festmeter bestes Fichtenholz geordert. Seit Tagen waren Florian und der Altknecht damit beschäftigt, die Bäume zu fällen, die der Ederer persönlich ausgesucht und gekennzeichnet hatte.

»Maria wird euch das Essen bringen«, erklärte Franziska. »Ich fahr’ heut’ vormittag ins Dorf hinunter.«

Florian machte ein erstauntes Gesicht. Es kam äußerst selten vor, daß die Bäuerin mitten in der Woche nach St. Johann fuhr.

»Gibt’s was Besonderes?« erkundigte er sich deshalb.

Franzi schmunzelte geheimnisvoll. Natürlich gab es einen Anlaß. Am Samstag in einer Woche sollte auf dem Pachnerhof Verlobung gefeiert werden, und dafür wollte sie sich ein neues Kleid kaufen. Schon auf dem Tanzabend hatte sie es mit Christel Haffner verabredet. Christel konnte nämlich ziemlich geschickt mit Nadel und Faden umgehen und hatte ihr angeboten, zur Verlobung ein schickes Kleid zu schneidern. Und nun wurde es höchste Zeit, die Maße zu nehmen und den Stoff auszusuchen, wenn alles rechtzeitig fertig werden sollte. Aber davon durfte Florian natürlich nichts wissen, es sollte ja eine Überraschung werden.

»Ich hab’ was zu erledigen«, wich Franzi aus und begann damit, das Frühstücksgeschirr abzuräumen.

Gut gelaunt fuhr sie dann später ins Dorf hinunter. Christel wohnte bei ihrer Mutter, mit der sie zusammen eine kleine Pension betrieb. Die Schneiderei war ein kleiner Nebenerwerb, der sich immerhin so lohnte, daß Christel sich im Laufe der Zeit ein kleines Atelier einrichten konnte. Franziska staunte nicht schlecht, als sie den Raum betrat. Ein Zuschneidetisch war ebenso vorhanden wie eine elektrische Nähmaschine. Es waren sogar zwei Schneiderpuppen angeschafft worden, wie es sie auch in den professionellen Werkstätten gab.

»Schau dir doch schon mal ein paar Stoffmuster an«, meinte Christel. »Ich koch’ uns derweil einen Tee. Oder magst lieber Kaffee?«

»Tee ist schon recht«, nickte die junge Bäuerin.

Interessiert betrachtete und befühlte sie die Stoffe, die die Freundin zurechtgelegt hatte.

»Na, kannst dich net entscheiden?« fragte Christel, als sie mit einem Tablett in den Händen zurückkam.

Sie lachte, als sie das Tablett absetzte, auf dem sich alles befand – Tee, Zucker und Milch. Dazu ein Teller mit Keksen.

»Am liebsten würd’ ich mir drei Kleider bestellen«, seufzte Franzi. »Ich kann mich wirklich net entscheiden. Es schaut alles so schön aus.«

Sie strich über einen Stoffballen.

»Und wie es sich anfühlt.«

»Ich glaub’, ich hab’ das Richtige für dich«, meinte Christel und zog einen weiteren Ballen aus einem Regal.

Franziska war sofort begeistert. Ein feines graues Tuch. Die Schneiderin erklärte den Schnitt, den sie sich vorstellte und zeichnete eine Skizze auf ein Blatt Papier. Der Saum sollte eine Borte mit einem kleinen Karomuster bekommen, ebenso die Ärmel. Und natürlich sollte das Ganze im Trachtenstil gehalten sein.

»Genauso soll’s aussehen«, nickte Franzi.

Kombiniert mit weißer Spitze am Ausschnitt mußte es einfach hinreißend aussehen.

*

In den folgenden Tagen wunderte sich Florian Brunner darüber, daß Franziska so häufig ins Dorf hinunterfuhr. Vergeblich versuchte er Maria auszufragen, doch die alte Magd schwieg eisern.

»Sei net so neugierig«, antwortete sie nur lachend. »Wirst es noch früh genug erfahren.«

Der Grund war natürlich, daß Franzi immer wieder zur Anprobe mußte, weil hier und da noch etwas geändert werden sollte. Am dritten Tag fiel ihr auf, daß Christel Haffner irgendwie bedrückt schien.

»Ist was passiert?« fragte sie, als sie mit der Anprobe fertig waren.

Christel druckste ein wenig herum. Es war deutlich zu merken, daß sie etwas auf dem Herzen hatte, aber net so recht mit der Sprache heraus wollte.

»Also gut«, sagte sie schließlich. »Vielleicht ist’s besser, wenn du’s von mir erfährst als von jemand anderem.«

»Was meinst denn?«

Christel nahm sie beim Arm und zog sie aus dem Atelier hinaus. Sie gingen hinüber ins Wohnzimmer.

»Setz dich«, forderte die Schneiderei Franzi auf. »Die Mutter ist in die Stadt gefahren. Wir sind also ungestört.«

Franziska konnte sich eines unguten Gefühls nicht erwehren, als sie Platz nahm.

»Nun red’ schon«, forderte sie die Freundin auf.

»Was weißt du eigentlich vom Florian?« fragte Christel unvermittelt. »Ich mein’, so lang’ kennst ihn ja auch noch net. Hat er denn mal was über sich erzählt?«

»Ja. Woher er kommt. Daß er einen Bruder hat, und die Eltern tot sind. Aber warum fragst du denn so merkwürdig?«

»Hat er dir auch erzählt, daß er ein Madel dort hat, wo er zu Hause ist? Und daß er schon bald wieder zurück will?«

Franziska verspürte einen Stich im Magen, und ein heißer Blutstrom schoß zu ihrem Herzen.

»Was sagst?« fragte sie mit tonloser Stimme.

Weiß wie Kreide war ihr Gesicht geworden. Unsicher sah sie Christel an.

»Das ist doch net wahr! Oder? Machst dir einen Scherz mit mir?«

Die junge Frau, die ihr gegenübersaß, schüttelte stumm den Kopf.

»Der Thomas hat’s mir erzählt, und der hat’s am Stammtisch aufgeschnappt«, sagte sie endlich. »Ganz Sankt Johann redet davon, daß du schon wieder einem aufgesessen bist.«

Franziska spürte, wie alles Blut aus ihrem Kopf nach unten zu fließen schien, und vor ihren Augen verschwamm alles. Am liebsten hätte sie jetzt laut aufgeschluchzt und ihren ganzen Schmerz hinausgeschrien. Wenn das stimmte, wenn es wirklich wahr sein sollte, was sie da eben gehört hatte…

Thomas Sonnenleitner war Christels Verlobter, er arbeitete in der Kreisstadt auf der Bank.

»Ich glaub’ net, daß der Thomas so leichtfertig ein Gerücht weitergibt«, meinte Christel.

Die junge Bäuerin erhob sich, dabei wankte sie so sehr, daß Christel hinzusprang und sie festhielt.

»Danke, es geht schon«, sagte Franzi gepreßt. »Ich dank’ dir, Christel, daß du es mir gesagt hast.«

Sie nickte ihr zu und versuchte zu lächeln.

»Was… was hast denn jetzt vor?« wollte die Schneiderin wissen.

Mit einem Male war Franzi ihr unheimlich, so ruhig und gefaßt, wie sie vor ihr stand.

»Ich weiß schon, was ich tun muß«, antwortete die Bäuerin und wandte sich zum Gehen.

»Das Kleid«, rief Christel ihr hinterher. »Was soll denn jetzt mit dem Kleid werden?«

An der Tür drehte Franzi sich um.

»Das Kleid? Das machst mir fertig, so wie wir’s besprochen haben.«

*

Wie im Traum stieg sie in ihr Auto, und wie im Traum fuhr sie durch St. Johann. Überall meinte sie Leute stehen zu sehen, die mit den Fingern auf sie zeigten, über sie redeten und lachten.

Da fährt sie, die schöne Pachnerin, die doch kein Glück hat mit den Männern. Was nutzt ihr all der Reichtum? Wieder ist sie einem aufgesessen.

Gerade dieser Satz wurmte sie. Wieder einem aufgesessen!

Tobias Anzengruber hatte sich als Schuft erwiesen, und nun ärgerte Franziska sich, daß sie doch wieder schwach geworden war. Ja, sie war wieder einem aufgesessen, aber noch war es net zu spät. Zum Teufel würd’ sie ihn jagen, und zwar noch heut’! Net eine Stunde länger würd’ er auf ihrem Hof sein, und dann würd’ sich zeigen, ob sie wirklich wieder einem aufgesessen war.

Franziska war aus dem Dorf heraus. Sie fuhr rechts an den Straßenrand und hielt an. Dann stellte sie den Motor aus, lehnte sich zurück und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Beinahe eine Stunde saß sie da in ihrem Wagen. Nachdem sie sich einigermaßen von ihrem Schmerz erholt hatte, dachte sie darüber nach, wie sie es ihm sagen sollte. Würde er es abstreiten, wenn sie ihn mit dem konfrontierte, was Christel Haffner ihr erzählt hatte. Würde er sich genauso herauszuwinden versuchen, wie es seinerzeit Tobias Anzengruber getan hatte? Ob er versuchte, sie zu überzeugen, daß es alles eine Lüge war?

Warum sollte jemand solch ein Gerücht in die Welt setzen? Thomas, der Verlobte von Christel, war ein intelligenter Mann, da hatte die Schneiderin recht. Der würde niemals solch ein niederträchtiges Gerücht weitertragen.

Franziska startete den Wagen und fuhr weiter. Als sie in die Einfahrt zum Hof einbog, hämmerte ihr Herz wild in der Brust.

Drüben beim Stall führte Florian Liesl am Strick. Das Tier hatte sich wieder prächtig erholt und sollte nun zurück zu den anderen Kühen.

Franziska Pachner stieg aus und ging zum Haus hinüber.

»Florian, ich möcht’ dich sofort sprechen«, rief sie, bevor sie hineinging.

Der junge Knecht sah ihr verwundert hinterher. Da war irgend etwas Merkwürdiges in ihrer Stimme gewesen. Er führte die Kuh durch das Gatter auf die Weide, wo die anderen Tiere standen, und ließ sie laufen. Dann ging er zum Bauernhaus hinüber.

Franziska Pachner wartete in der Wohnstube auf ihn. Mit ernstem Gesicht stand sie in der Ecke vor ihrem Schreibtisch, in der Hand ein Stück Papier. Florian trat ein und schaute sie erwartungsvoll an.

»Was gibt’s, meine schöne Bäuerin?« fragte er fröhlich.

»Hat sich was mit schöner Bäuerin«, gab sie zurück und hielt ihm das Papierstück entgegen.

Florian starrte es an.

»Was ist das?«

»Ein Scheck über deinen ausstehenden Lohn«, sagte Franzi. »Ich möcht’, daß du sofort meinen Hof verläßt.«

Florian Brunner schaute ungläubig. Er meinte, nicht richtig gehört zu haben.

»Was hast du gesagt?«

»Daß du geh’n sollst, und zwar auf der Stelle.«

Hilflos hob er die Arme und ließ sie wieder fallen.

»Ja, Herr im Himmel, willst mir net sagen, was eigentlich los ist?« fragte er. »Was ist denn in dich gefahren?«

Franzi hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schaute ihn aus kalten Augen an.

»Was geschehen ist? Die Augen sind mir geöffnet worden über dich. Dem Herrgott sei’s gedankt, noch rechtzeitig. Und jetzt laß dieses dumme und peinliche Geplänkel. Ich will dich nimmer länger sehen auf meinem Hof. Hier ist dein ausstehender Lohn.«

Mit einer energischen Bewegung riß er ihr den Scheck aus der Hand und steckte ihn, ohne einen Blick darauf zu werfen, in die Brusttasche seines Arbeitshemdes. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und verließ die Stube. Franziska Pachner fühlte sich plötzlich seltsam schwach und leer. Mit einem Aufschrei sank sie zu Boden, wo sie liegenblieb und hemmungslos weinte.

*

Gerade noch rechtzeitig fand Florian einen Unterschlupf im Höllenbruch, bevor das Unwetter begann. Seit drei Tagen trieb er sich in dem Waldgebiet herum. Nach seinem Fortgang vom Pachnerhof hatte er sich als erstes mit einigen Lebensmitteln versorgt, dann hatte er sich hierher zurückgezogen. Er wollte jetzt niemanden sehen, brauchte erst einmal Zeit zu verstehen, was eigentlich geschehen war.

Vor allem fragte er sich, was in Franzi gefahren war, daß sie so merkwürdig reagierte. Aus heiterem Himmel hatte sie ihn davongejagt, ohne daß er den Grund dafür erfahren konnte.

Als hätte Petrus sämtliche Schleusen des Himmels geöffnet, prasselten die Regenmassen hernieder. Dazu blitzte und krachte es, daß einem angst und bange werden konnte. Der junge Bursche saß gemütlich im tiefsten Unterholz, wohin kaum ein Regentropfen kam, so dicht standen die Bäume beieinander. Allerdings – gar so gemütlich war’s net, denn Franzi ging ihm einfach net aus dem Kopf. Was, um alles in der Welt, war geschehen? Diese Frage stellte er sich immer wieder. Natürlich war ihm auch klar, daß er hier im Höllenbruch keine Antwort auf seine Frage bekommen würde. Dazu mußte er sich wieder unter Menschen begeben.

Aber an wen sollte er sich wenden? So gut kannte er ja niemanden, daß er sich jemandem anvertrauen konnte. Außer vielleicht einen Menschen. Von dem konnte er sich vorstellen, daß der ein offenes Ohr für seine Nöte haben würde – Pfarrer Trenker.

Noch ehe das Unwetter abgeklungen war, machte er sich auf den Weg hinunter nach St. Johann. Als er den breiten Weg erreichte, der zur Straße führte, ließ zumindest der Regen etwas nach. Ab und an blitzte es noch, und von den Bergen rollte der Donner als vielfaches Echo zurück.

In der Kirche war niemand. Florian ging zum Pfarrhaus hinüber und klingelte. Eine Frau öffnete ihm und fragte nach seinen Wünschen.

»Ich möchte Pfarrer Trenker sprechen, wenn er zu Hause ist.«

Sophie Tappert schaute ihn argwöhnisch an. Natürlich konnte man die drei Tage im Wald nicht übersehen. Aber als Haushälterin eines Geistlichen war sie es gewohnt, daß vor allem die Ärmsten der Armen an der Tür klingelten.

»Kommen S’ herein«, nickte sie und führte ihn zur Tür des Pfarrbüros.

Sebastian saß hinter seinem Schreibtisch und arbeitete längst fällige Papiere durch. Eine lästige, aber notwendige Arbeit. Als er den Besucher erkannte, stand er auf und begrüßte ihn.

»Frau Tappert, sei’n S’ so nett und bringen S’ dem Herrn Brunner und mir einen schönen heißen Tee«, bat er Sophie.

Dann bot er dem Knecht einen Stuhl an und setzte sich selbst wieder.

»Ich wußte mir einfach keinen Rat mehr, Hochwürden«, sagte Florian. »Ich hoff’, daß Sie mir helfen können.«

»Ich hab’ schon gehört, was auf dem Pachnerhof geschehen ist«, nickte der Seelsorger. »Schlechte Nachrichten sprechen sich immer schnell herum.«

»Können Sie mir dann erklären, was in die Franzi gefahren ist, daß sie sich von einem Moment auf den anderen so ändert?«

»Ich glaube, ich kann«, antwortete Sebastian.

Ihre Unterhaltung wurde unterbrochen, als Sophie Tappert mit dem Tee hereinkam.

»Vielen Dank«, nahm Sebastian ihr das Tablett ab. »Ich mach’ das schon.«

*

Nachdem er für seinen Gast und sich eingeschenkt hatte, sah er Florian an. Dem war seine Ungeduld, endlich mehr zu erfahren, deutlich anzusehen.

»An Franziskas Wandlung ist ein böses Gerücht schuld, das seit ein paar Tagen die Runde durch Sankt Johann macht«, nahm er die Unterhaltung wieder auf.

Florian setzte sich interessiert auf.

»Was für ein Gerücht?« wollte er wissen. »Und wer hat es in die Welt gesetzt?«

»Wer dafür verantwortlich ist, kann man nur vermuten«, beantwortete der Pfarrer die zweite Frage. »Wie das Gerücht lautet, ist schnell erzählt. Danach haben Sie in der Heimat ein Madel, das auf Sie wartet und zu dem Sie schon bald wieder zurückkehren wollen.«

»Was?«

Florian hatte diese Frage beinahe geschrien.

»Wer erzählt denn solchen Blödsinn?« empörte er sich.

»Wie gesagt, das kann man nur mutmaßen«, entgegnete Sebastian. »Aber vielleicht können Sie Franziskas Beweggründe verstehen, wenn Sie erfahren, was sich vor einiger Zeit zugetragen hat.«

Er erzählte dem gespannt zuhörenden Knecht die Geschichte von der schönen, reichen Erbin des Pachnerhofes und dem zweitgeborenen Sohn des Anzengruber. Pfarrer Trenker verschwieg nicht den unseligen Tanzabend, als Franziska von dem Mann, der ihr Liebe geschworen hatte, so bitter enttäuscht wurde.

»Lange Zeit hat Franziska niemanden an sich herangelassen, geschweige denn, daß sie es zugelassen hätte, daß sie sich wieder in einen Mann verliebt. Sie mußte ja Angst haben, daß jeder nur hinter ihrem Geld her sein würde.«

Florian sprang auf.

»Ich muß sofort zu ihr«, stieß er hervor. »Ich muß ihr erklären, daß nichts von dem stimmt, was da über mich erzählt worden ist. Und was das Geld anlangt, Hochwürden, ich bin kein armer Schlucker. Mein Vater hatte eine gutgehende Schreinerwerkstatt, die mein Bruder geerbt hat. Mir hat der Vater so viel Geld hinterlassen, daß ich gewiß net mit leeren Händen vor der Franzi steh’.«

Pfarrer Trenker war ebenfalls aufgestanden. Er legte dem Burschen die Hand auf die Schulter.

»Geh’ zu deiner Franzi«, sagte er. »Ich bin sicher, daß sich noch alles zum Guten wenden wird. Und was den Urheber des Gerüchts angeht – ich hab’ da so eine Vermutung und werde mich darum kümmern.«

»Danke, Hochwürden, daß Sie mir das alles erzählt haben«, sagte Florian zum Abschied und machte sich mit einem frohen Lächeln auf den Weg.

Was scherte es ihn, daß genau jetzt ein neues krachendes Gewitter über dem Tal niederging. Von ihm aus hätte es Katzen und junge Hunde regnen können. Aufgehalten hätte es ihn nicht.

*

»Es scheint, als wollte es gar nimmer mehr aufhören«, sagte Maria Ohlanger und schaute besorgt aus dem Fenster.

Die beiden Frauen waren in der Küche.

»Hoffentlich hat der Valentin einen Unterschlupf gefunden«, meinte Franziska.

»Keine Bange«, winkte die Magd ab. »Unkraut vergeht net, und schon gar net der Alte. Der kennt doch jeden Baum und jeden Busch. Der weiß schon, wo er hin muß, damit er net naß wird.«

Das Unwetter schien geradewegs über dem Pachnerhof zu stehen. Unentwegt krachte es, und Blitze zuckten, und manchmal schien ein Zittern durch das Gebälk zu gehen. Auch Franziska sah durch das Fenster hinaus dem Naturschauspiel zu.

Heiliger Florian, beschütz uns vor dem Schlimmsten, bat sie still für sich. Doch gerade, als habe der Schutzheilige sich abgewendet, schoß ein Blitz durch das Dach der gegenüberliegenden Scheune und setzte sie in Brand.

»Feuer!« schrie die junge Bäuerin auf. »Es brennt!«

Rasend schnell fraßen sich die Flammen durch die Schindeln und erfaßten den Dachstuhl.

»Schnell, ruf die Feuerwehr!« befahl Franziska. »Ich lauf’ hinaus.«

»Sei vorsichtig«, rief Maria ihr zu, während sie schon zum Telefon eilte.

Franziska schlüpfte in ihre Gummistiefel, die draußen im Flur standen, und öffnete die Haustür. In der Scheune lagerte das Stroh, außerdem stand der Traktor darin. Nicht auszudenken, wenn der verbrannte.

Regen und Wind peitschten ihr ins Gesicht, als sie über den Hof lief. Sie stemmte sich gegen das schwere Tor, das sich kaum aufschieben ließ. Endlich hatte sie es geschafft und stand in der Scheune. Während hinter ihr das Tor zufiel, warf sie einen Blick nach oben. Der Dachstuhl brannte bereits lichterloh, und die ersten Flammen züngelten nach den Stohballen, die oben auf dem Boden lagerten. Schon fielen glühende Holzstücke herab, zogen brennendes Stroh mit sich.

Franziska lief zum Traktor, der im hinteren Teil der Scheune stand. Auf halbem Weg stoppte sie. Der Schlüssel! In ihrer Aufregung hatte sie nicht an den Traktorschlüssel gedacht, der im Flur an dem Brett hing, an dem auch alle anderen Schlüssel ihren Platz hatten.

Sie lief zurück zum Tor. Beißender Qualm nahm ihr die Sicht und stieg ihr in Rachen und Nase. Franziska hustete und würgte, während sie vergeblich versuchte, das Scheunentor zu öffnen. Es ließ sich keinen Zentimeter bewegen, als wäre es zugesperrt.

*

Schon von weitem sah Florian den roten Lichtschein über dem Pachnerhof stehen. Er warf seinen Rucksack ab und rannte, als gelte es sein Leben. Endlich erreichte er die brennende Scheune, aus dem Bauernhaus kam Maria gelaufen.

»Franziska! Sie ist in der Scheune«, rief sie erregt.

Von drinnen hörten sie die Hilferufe der jungen Bäuerin. Florian riß an dem Tor. Lange, viel zu lange dauerte es, bis es sich endlich einen Spalt öffnete. Der Bursche schlüpfte hindurch und stand in einer dichten Rauchwolke. Über ihm zischte und knallte es fürchterlich.

»Franzi, wo bist du?« rief er durch den Qualm, der jede Sicht nahm.

Die Bäuerin hatte sich wieder zurückgezogen, weil der Rauch an der Tür am stärksten war. Als sie jetzt Florian rufen hörte, schöpfte sie neue Hoffnung.

»Hier!« schrie sie. »Hier bin ich!«

Mit einem erlösenden Aufschrei sanken sie sich in die Arme.

»Komm, bloß raus hier!« sagte Florian und preßte die Frau eng an sich.

Noch einmal bedurfte es aller Kraft, das Tor zu öffnen, gemeinsam schafften sie es und sprangen ins Freie. Tief atmeten sie die frische Luft ein. Aus der Ferne hörten sie die Sirenen der Feuerwehrwagen.

»Der Traktor wird wohl net mehr zu retten sein«, sagte Franziska und sah Florian an. »Es war wie ein Wunder, als du plötzlich da warst.«

»Kein Wunder«, antwortete er. »Bestimmung, denn wir sind füreinander bestimmt, wie der Himmel und die Sonne, der Sand und das Meer, wie die Berge und – ach, was rede ich. Ich liebe dich, und alles andere ist egal.«

Er sah sie ernst an.

»Was immer du über mich gehört hast, es ist dummes Geschwätz«, sagte er eindringlich. »Es gibt nirgendwo ein anderes Madel, das auf mich wartet. Und was dein vieles Geld angeht – ich pfeif d’rauf, denn ich bin auch net g’rad arm.«

Franziska schaute ihn bittend an.

»Ich glaub’, ich war etwas voreilig«, flüsterte sie. »Kannst du mir verzeihen, daß ich so dumm war?«

»Es gibt nix zu verzeihen«, antwortete er, während sein Mund den ihren suchte. »Hauptsache, du vertraust mir in Zukunft.«

»Das versprech’ ich…«, wollte sie noch antworten, doch da verschloß sein inniger Kuß schon ihre Lippen.

*

Pfarrer Trenker schaute auf seine Schäfchen. Ganz besonders auf eines von ihnen, mit dem er am Vortag ein Gespräch unter vier Augen gehabt hatte.

»Heut’ will ich über ein Gebot reden, das jeder von euch kennt, aber net immer beherzigt«, begann er seine Predigt. »Das Gebot lautet: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden…«

Mit Genugtuung sah Sebastian, wie Tobias Anzengruber immer tiefer in seinen Sitz sank. Der Geistliche ließ sich aber nicht anmerken, daß er innerlich schmunzelte. Und während er auf seine Gemeinde sah, gingen ihm ein paar Gedanken durch den Kopf. Er war dankbar, daß sich wieder einmal alles zum Guten gewendet hatte. Einem Gauner war das Handwerk gelegt worden, einem jungen Paar zu seinem Lebensglück verholfen – er konnte zufrieden sein.

Außerdem freute er sich auf den Nachmittag, denn für da hatte Pfarrer Trenker einen Ausflug in seine Berge geplant.

Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman

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