Читать книгу Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman - Toni Waidacher - Страница 31

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Das schrille Klingeln an der Haustür riß Sandra Haller aus ihren schönsten Träumen. Unwillig richtete sie sich auf und warf einen Blick auf den Wecker neben ihrem Bett. Sie schlüpfte in ihren Morgenmantel und lief hinaus auf den Flur, weil es schon wieder klingelte. Diesmal noch länger.

»Ruhe!« tönte es aus Ninas Zimmer. »Heute ist Samstag, und ich will endlich mal ausschlafen.«

Sandra konnte die Freundin gut verstehen. Es war gestern abend ziemlich spät geworden. Auf ihrem Weg zur Tür kam die junge Studentin an der Küche vorbei. Darin stapelte sich der Abwasch – der traurige Rest der gestrigen Fete.

»Ich komm’ ja schon«, rief sie, als es zum drittenmal laut schrillte und öffnete die Haustür.

Draußen stand der Briefträger.

»Einen wunderschönen guten Morgen«, wünschte er. »Ich habe hier ein Einschreiben für Frau Sandra Haller.«

Dabei hielt er den Brief in die Höhe.

Das junge Madel gähnte verstohlen.

»Das bin ich«, nickte sie.

»Bitte, hier unterschreiben.«

Der Mann hielt ihr einen Zettel hin, und seinen Kugelschreiber.

Immer noch halb verschlafen unterschrieb die Studentin und nahm den Umschlag in Empfang. Sie steckte ihn achtlos in die Tasche ihres Morgenmantels.

Der Briefträber wünschte noch einen guten Tag und ging die Treppe hinunter. Sandra hörte hinter sich eine Tür klappen. Nina Kreuzer kam aus ihrem Zimmer.

»Was ist denn los?« fragte die schwarzhaarige Mitbewohnerin. »Solch ein Höllenlärm am frühen Morgen!«

Sandra unterdrückte ein erneutes Gähnen und winkte ab.

»War bloß der Postbote«, sagte sie. »Einschreiben. Ich geh’ erstmal unter die Dusche, und dann wird aufgeräumt.«

Nina warf einen Blick in die Küche und verdrehte die Augen.

»Na, ich koch’ erst ’mal Kaffee«, meinte sie und nickte dann auf die Tür neben ihrem Zimmer. »Die Kleine hat offenbar nichts gehört, was?«

Sie meinte Anja Burger, die dritte Mieterin ihrer Wohnung in der Nürnberger Altstadt. Vor einem Jahr hatten sie sich kennengelernt. Es war kurz vor Semesterbeginn, und die jungen Studentinnen waren auf Zimmersuche gewesen. Die kleineren Wohnungen und günstigen Zimmer waren alle schon vergeben, und so hatten sie sich zu dritt hier eingemietet. Und es hatte auf Anhieb mit ihnen geklappt. Die jungen Frauen verstanden sich prächtig. Nicht nur, daß sie sich gegenseitig beim Lernen halfen, sie gingen auch sonst durch dick und dünn.

Als Sandra wieder aus der Dusche kam, duftete es schon verlockend nach frisch gekochtem Kaffee.

»Ich gehe Brötchen holen«, rief sie Nina zu, die eben ins Bad huschte.

»Und ich werde gleich Anja aus den Federn schmeißen«, gab diese zurück.

Sandra schmunzelte.

»Aber sanft!« mahnte sie und schnappte sich den Einkaufskorb.

Fröhlich summend lief sie die Treppe hinunter und trat auf die Straße. Es war zwar erst kurz vor acht, aber trotz der frühen Stunde waren schon zahlreiche Leute unterwegs. Kein Wunder bei dem Wetter! Jetzt, Ende März, konnte man schon den nahenden Frühling erahnen. Die Sonne schien am wolkenlosen Himmel, und der Wetterbericht versprach ein warmes Wochenende mit frühlingshaften Temperaturen. Sandra war sicher, die beiden Freundinnen, nach einem ausgiebigen Frühstück – und dem dringend notwendigen Abwasch – zu einem Einkaufsbummel überreden zu können. Samstag war auch gleichzeitig Markttag, und auf dem Wochenmarkt vor dem Rathaus würden bestimmt schon die ersten, jungen Frühlingsgemüse angeboten werden.

Der Bäcker war gleich um die Ecke, und die Studentin kam schon nach wenigen Minuten wieder zu Hause an. Inzwischen war auch Anja aufgestanden. Die Wohnung besaß einen Balkon, zwar nicht groß, aber ausreichend für drei Personen. Nina und Anja hatten, angesichts des schönen Wetters, hier gedeckt. Nun saßen die drei Mädel gemütlich in der Sonne und ließen es sich schmecken.

Sandras Vorschlag zu einem Stadtbummel wurde einstimmig angenommen, und mit Feuereifer machten sie sich daran, die Küche wieder auf Vordermann zu bringen. Eine Stunde später waren sie fertig und liefen die Treppe hinunter.

»Sagt mal, was war denn das für ein Lärm heute morgen?« wollte Anja wissen, als sie aus der Haustür traten.

»Hast du es doch gehört?« meinte Nina. »Wir dachten, du würdest noch schlafen.«

»Bei dem Krach? Was war denn los?«

»Der Brief!« entfuhr es Sandra.

Anja sah die beiden entgeistert an.

»Welcher Brief?«

Sie wurde ungeduldig.

»Der Postbote hat ein Einschreiben gebracht«, antwortete Nina. »Für Sandra.«

»Und was steht drin?«

Das Madel zuckte die Schultern.

»Ich weiß es net«, sagte sie.

»Wie, du hast es noch gar nicht gelesen?« fragten die Freundinnen, wie aus einem Mund.

»Zu blöd«, murmelte Sandra. »Ich hab’s einfach vergessen.«

Sie drehte sich um und ging ins Haus zurück. Der Brief steckte natürlich immer noch in der Tasche des Morgenmantels. Das Madel nahm den Umschlag und las den Absender darauf.

Es war der Name eines Rechtsanwalt!

Du liebe Güte, was habe ich denn mit einem Rechtsanwalt zu tun? durchfuhr es die Einundzwanzigjährige.

Aufgeregt öffnete sie das Kuvert und zog das Schreiben heraus. Sie überflog es, stutzte und las noch einmal.

»Das gibt’s doch gar net!« entfuhr es ihr.

Sie zwang sich, das Schreiben erneut zu lesen, diesmal langsam und Zeile für Zeile, doch immer noch konnte sie es nicht fassen, was sie da las – sie wurde gebeten, sich in einer Erbschaftsangelegenheit in der Anwaltskanzlei zu melden…

*

Montagmorgen. Sandra hatte das ganze Wochenende überlegt, wer sie wohl in seinem Testament bedacht haben könnte. Aber so sehr sie sich auch den Kopf zerbrach, es wollte ihr niemand einfallen. Ihre Eltern lebten nicht mehr, und außer ein paar Verwandten, von denen sie in all den Jahren nichts mehr gehört hatte, gab es keine näheren Angehörige, von denen sie etwas wußte.

Jetzt war sie auf dem Weg in die Anwaltskanzlei, um die Angelegenheit zu klären. Möglicherweise war es ja auch ein Namensverwechslung, und der Brief war gar nicht für sie bestimmt gewesen.

Das Büro befand sich in der Bäckerstraße, in der Nähe des Markplatzes. Sandra wurde von einer freundlichen Sekretärin empfangen.

»Dr. Weber wird gleich Zeit für Sie haben«, sagte die Frau und führte die Besucherin in einen Raum, der mit Schreibtisch, Sitzecke und einer Unmenge von Aktenordnern ausgestattet war.

Die Studentin setzte sich in einen der Sessel und wartete ab. Schon nach wenigen Minuten erschien der Rechtsanwalt und Notar, ein älterer, sehr ergrauter Herr.

»Frau Haller, nicht wahr?« begrüßte er sie. »Ich bin Dr. Weber. Schön, daß Sie so rasch herkommen konnten.«

Er setzte sich zu ihr.

»Worum geht es eigentlich?« erkundigte sich Sandra. »In dem Scheiben steht etwas von irgendeiner Erbschaftsangelegenheit, ich weiß gar nicht…«

»Warten Sie«, sagte der Anwalt. »Ich habe den Vorgang hier auf meinem Tisch liegen.«

Er holte einen Ordner und schlug ihn auf.

»Sagt Ihnen der Name Waltraud Brunnengräber etwas?« fragte er, während er sich wieder setzte.

»Brunnengräber?«

Sandra dachte angestrengt nach. Ja, da war etwas, ganz tief unten in ihrem Gedächtnis verborgen. Tante Waltraud, die irgendwo einen Bauernhof besaß. Aber war die net schon ganz lange tot…?

»Nun ja«, meinte der Anwalt. »Ihre Tante ist vor etwa einem halben Jahr gestorben, und da sie keine Nachkommen hatte, hat sie Sie in ihr Testament als Erbin eingesetzt.«

Sandra schluckte unwillkürlich. Ich habe wirklich geerbt? dachte sie und konnte es noch immer nicht fassen.

»Ihre Frau Tante hinterläßt Ihnen den Hof, mit allem lebenden und toten Inventar, sowie mehrere Morgen Land. Das ganze Anwesen befindet sich in der Nähe von St. Johann.«

St. Johann – langsam dämmerte es ihr. Sandra erinnerte sich, als kleines Kind öfter mal auf dem Hof gewesen zu sein. Aber das schien eine Ewigkeit zurückzuliegen. Waren da nicht auch Pferde gewesen?

»Ponys«, erklärte Dr. Weber. »Das Anwesen ist ein Ponyhof. Die Tiere werden dort gezüchtet, und soviel ich den Unterlagen entnehmen kann, ist das ganze auch so eine Art Ferienpension.«

Der Anwalt beugte sich vor und musterte das junge Madel eindringlich.

»Meine liebe Frau Haller«, sagte er. »Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß es mit dem Hof nicht zum besten steht. Es gibt erhebliche Lasten, finanzieller Art, und ich weiß nicht, ob Sie nicht besser beraten sind, wenn Sie sich dazu entschließen könnten, den Hof zu verkaufen.«

Er lächelte und hob dabei die Hände.

»Sie sind jung, Sie studieren, nicht wahr. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie ihr ganzes Leben auf einem Bauernhof in den bayerischen Alpen verbringen wollen.«

Sandra war völlig ratlos. Sie wußte beim besten Willen nicht, wie sie sich entscheiden sollte.

»Natürlich müssen Sie die Erbschaft erst einmal annehmen, bevor Sie sich zu diesem Schritt entscheiden. Selbstverständlich können Sie diese allerdings auch ausschlagen. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.«

*

»Grüß’ dich, Resi«, grüßte Sebastian Trenker die alte Magd vom Ponyhof. »Ich wollt’ mich mal wieder erkundigen, wie’s euch so geht.«

Seit dem Tod der Besitzerin war das Anwesen verwaist. Der Nachlaßverwalter war immer noch bemüht, die Anschrift der Nichte herauszufinden, die Waltraud Brunnengräber als Alleinerbin in ihr Testament eingesetzt hatte.

Resi Angermeier, die seit mehr als vierzig Jahren auf dem Hof war, freute sich, den Geistlichen zu sehen.

»Das ist aber schön, Hochwürden, daß Sie sich nach uns erkundigen.«

Sie schaute über den Hof, auf die Weiden dahinter. Es sah alles ein wenig heruntergekommen aus.

»Der Hubert wird wohl draußen bei den Ponys sein«, sagte sie.

»Wie viele Tiere sind’s denn eigentlich?«

»Zwölf«, antwortete die Magd. »Aber wenn net bald die Erbin auftaucht, dann seh’ ich schwarz für den Hof und die Tiere.«

»Hat sich der Nachlaßverwalter denn noch net gemeldet?«

»Doch. Letzte Woch’ war er hier. Er hat jetzt einen Anwalt aus Nürnberg beauftragt, nach dem Fräulein zu suchen. Angeblich soll’s dort studieren.«

Sebastian Trenker machte ein nachdenkliches Gesicht. Resi schien zu wissen, was er dachte.

»Gell, Hochwürden, Sie denken dasselbe wie ich – so ein junges Madel wird den Hof kaum behalten wollen. Noch dazu, wo er in so einem Zustand ist. Überall in den Ställen klaffen Löcher, das Dach vom Haus müßte neu gedeckt werden, und Geld ist auch keins mehr da. Und das Madel studiert – da wird’s kaum Lust haben, hier einen heruntergekommenen Ponyhof zu leiten.«

Der Pfarrer schmunzelte, als er die klaren Worte hörte. Resi Angermeier war dafür bekannt, daß sie sagte, was sie dachte.

»Allerdings tät’s mir schon leid, wenn ich nach all den Jahren, die ich nun hier bin, irgendwo andershin sollte«, fuhr die alte Frau fort. »Ich hab’ immer gedacht, daß ich eines Tag’s hier sterben würd’.«

»Na, na, bis dahin ist’s hoffentlich noch weit«, meinte Sebastian. »Und wer weiß – vielleicht ist es ja ein ganz patentes Madel, das genau weiß, was es an solch einem Hof hat. Er war ja mal ein Schmuckstück und könnt’s wieder werden. Wart’ erst einmal ab, ob der Anwalt in Nürnberg etwas herausfindet.«

Wann immer es sich einrichten ließ, verzichtete der Seelsorger von St. Johann darauf, sein Auto zu benutzen. Entweder ging er zu Fuß, oder er fuhr mit dem Rad, so wie heute. Auf dem Rückweg vom Ponyhof ins Dorf, war er mit seinen Gedanken bei der alten Resi und dem Hubert Bachmann, der wohl schon genauso lange in den Diensten der Verstorbenen gestanden hatte wie die Magd. Natürlich würde es für die beiden alten Leute schwer werden, irgendwo neu anzufangen, sollte sich die Erbin entschließen, den Hof gleich wieder zu verkaufen. Sebastian konnte nur inständig hoffen, daß die junge Frau – sollte sie gefunden werden – den Hof behielt.

Das würde nicht leicht für sie werden. Wie Resi schon ganz richtig gesagt hatte, war das Anwesen in einem maroden Zustand, der einen Fremden schon abschrecken konnte. Waltraud Brunnengräber war nach langer Krankheit gestorben, einer Krankheit, die ihr die Kraft geraubt und verhindert hatte, daß sie sich so um ihren Ponyhof kümmern konnte, wie sie es früher getan hatte. Irgendwann waren dann die Gäste ausgeblieben, und damit fehlte natürlich auch das Geld, um so ein Unternehmen am Leben zu erhalten.

Sollte die Erbin gefunden werden, und sie sich entscheiden, hier zu bleiben, dann würde sie es nur mit tatkräftiger Unterstützung schaffen können! Dann war da noch das Gerücht, das seit Wochen in St. Johann umging – daß der reiche Bauunternehmer Friedrich Oberlechner ein Auge auf den Hof geworfen hatte. Er wollte, so hieß es, aus dem heruntergekommenen Anwesen eine elegante Seniorenresidenz machen.

Aber, darüber war das letzte Wort noch nicht gesprochen, dachte Sebastian, als er das Ortsschild von St. Johann passierte.

*

Die Freundinnen trafen sich in einer gemütlichen Kneipe, in der Nähe der Wohnung. Mittlerweile war sie zu ihrem Stammlokal geworden, und Ritchy, wie der Wirt von den Gästen genannt wurde, drückte öfter mal ein Auge zu, wenn es kurz vor dem Ersten war. Er hatte früher selbst mal studiert, und wußte, wie knapp das Geld bei den Studentinnen war.

Da das schöne Wetter angehalten hatte, standen draußen auf der Straße Tische und Stühle, die beinahe alle besetzt waren. Ritchy wirbelte zwischen ihnen herum, bediente, kassierte und machte seine Sprüche. Die drei Madeln gehörten zu seinen Lieblingsgästen, und ganz besonders gefiel ihm die schwarzhaarige Nina…

»Nun, meine Damen, was darf ich euch bringen?« fragte er, nachdem die drei sich gesetzt hatten.

Tee und Kaffee wurden bestellt, dann schauten die beiden Madeln die Freundin erwartungsvoll an.

»Nun schieß schon los«, forderte Nina Sandra ungeduldig auf. »Was hast du denn nun geerbt?«

Die junge blonde Studentin war immer noch wie erschlagen. Sie versuchte zu lächeln.

»Ihr werdet es nicht glauben«, begann sie. »Meine Tante, von der ich annahm, sie wäre schon vor Jahren verstorben, hat mir ihren Bauernhof vererbt. Ich habe ein richtig schlechtes Gewissen, weil ich mich nie um sie gekümmert habe. Es sind mindestens achtzehn Jahre vergangen, seit ich dort gewesen bin. Und heute habe ich erfahren, daß sie vor einem halben Jahr gestorben ist.«

»Einen Bauernhof?«

Nina grinste Anja unverschämt an.

»Kannst du dir unsere Sandra als Bäuerin vorstellen, die morgens um vier die Kühe melkt?«

Beide lachten.

»Das werde ich auch kaum«, gab Sandra zurück. »Kühe gibt es dort nämlich nicht. Nur Ponys.«

»He, das ist doch prima!« rief Anja, die eine ausgesprochene Pferdenärrin war. »Bestimmt haben wir da Gelegenheit auszureiten.«

»Ich weiß nicht«, meinte Sandra skeptisch. »Möglicherweise werde ich das Erbe gar nicht annehmen. Der Anwalt schien jedenfalls nicht begeistert von dem Hof zu sein. Aus seinen Worten war zu hören, daß es mit dem Anwesen nicht so rosig aussieht. Mehr werde ich allerdings erst von dem Nachlaßverwalter meiner Tante erfahren. Ich möchte mir das ganze erst einmal ansehen, bevor ich mich entscheide. Im Moment sind keine Klausuren, und ich denke, ich kann mir ein paar Tage freinehmen, um nach St. Johann zu fahren.«

»Wohin?« fragte Nina.

»Nach St. Johann«, wiederholte Sandra. »Das ist ein kleines Dorf in den Alpen, und dort in der Nähe steht der Ponyhof.«

»Na, da kommen wir natürlich mit«, riefen Anja und Nina gleichzeitig.

Sandra fühlte, wie ihr Herz einen Hüpfer tat.

»Wirklich?« fragte sie. »Ich hatte es insgeheim gehofft, aber gar nicht zu fragen gewagt.«

»Na, hör’ mal«, antwortete Nina in gespielter Empörung. »Glaubst du etwa, wir lassen dich alleine in dein Unglück rennen?«

Auch Anja war sofort Feuer und Flamme.

»Natürlich kommen wir mit!«

Sie hob ihre Kaffeetasse.

»Laßt uns anstoßen, Mädels«, rief sie. »St. Johann – wir kommen!«

*

Alois Sonnenleitner schaute überrascht auf, als seine Sekretärin ihm den Besuch eines Herrn Trenker, Pfarrer aus St. Johann ankündigte. Der Rechtsanwalt überlegte kurz, was den Geistlichen wohl in seine Kanzlei in die Kreisstadt brachte. Er wußte sich aber keinen Reim darauf zu machen. Der Seelsorger hatte zwar keinen Termin, aber der Anwalt war dennoch bereit, ihn zu empfangen. Er hatte ihn während einiger geschäftlicher Besuche, die ihn nach St. Johann geführt hatten, kennengelernt.

»Ich danke Ihnen vielmals, daß Sie sich die Zeit nehmen«, sagte Sebastian, nachdem die Männer sich begrüßt hatten.

»Was kann ich denn für Sie tun, Pfarrer Trenker?«

Alois Sonnenleitner hatte Kaffee angeboten, den die Sekretärin gleich darauf hereinbrachte. Der Anwalt selber übernahm es, die Tassen einzuschenken.

»Weniger für mich«, antwortete Sebastian und nahm dankend die Tasse entgegen. »Es geht um den Ponyhof.«

Der Nachlaßverwalter der verstorbenen Waltraud Brunnengräber nickte. Sebastian hob die Hände.

»Ich möcht’ Sie, um Himmels willen, net ausfragen«, fuhr der Geistliche fort. »Es geht mir um die beiden alten Leut’, die noch auf dem Hof sind.«

»Die Teresa Angermeier und den Hubert Bachmann…«

»Richtig. Wissen S’, Herr Sonnenleitner, ich hab’ vorgestern mit der Resi gesprochen. Sie hat Sorge, daß sie und Hubert vom Hof müssen, wenn die neue Besitzerin gefunden ist. Ich wollt’ Sie bitten, für die beiden ein gutes Wort einzulegen, wenn Sie die Erbin gefunden haben.«

Der Rechtsanwalt lehnte sich in seinem Sessel zurück. Einen Augenblick sah er den Seelsorger nachdenklich an.

»Ich glaube, ich verstoße nicht gegen meine Schweigepflicht, wenn ich Ihnen verrate, daß für die beiden alten Leute gesorgt ist«, sagte er dann.

Sebastian richtete sich interessiert auf.

»Ist das wahr?«

»Aber ja«, nickte der Anwalt. »Frau Brunnengräber hat in ihrem Testament verfügt, daß die Magd und der Knecht ein lebenslanges Wohnrecht auf dem Ponyhof haben.«

Er hob entschuldigend die Hände.

»Du liebe Güte, wenn ich gewußt hätte, daß die beiden keine Ahnung davon hatten und sich solche Sorgen um ihre Zukunft machen, dann hätte ich es ihnen natürlich schon längst gesagt.«

»Das ist ja eine gute Nachricht«, freute sich Pfarrer Trenker.

Alois Sonnenleitener machte trodzem ein nachdenkliches Gesicht. Sebastian blieb diese Miene nicht verborgen.

»Gibt’s sonst etwas, das…?«

»Leider ja.«

Der Anwalt zuckte die Schultern.

»Ja, also, wie soll ich es sagen? Es ist ja kein großes Geheimnis, daß es mit dem Hof nicht zum besten steht. Genauer gesagt – es ist das reinste Fiasko, in finanzieller Hinsicht. Die Bank wartet seit Monaten auf ihr Geld und droht mit Zwangsversteigerung. Die Erbin, eine Frau Haller, die in Nürnberg wohnt, hat mir, über einen dortigen Kollegen, ihren Besuch für die kommende Woche angekündigt. Ich weiß nicht, ob ich ihr raten soll, den Hof zu behalten, oder lieber zu verkaufen. Zumal es ein attraktives Angebot gibt, das ein vernünftiger Mensch, angesichts des Zustandes, in dem sich der Ponyhof befindet, kaum ausschlagen kann.«

Pfarrer Trenker machte ein mißmutiges Gesicht.

»Vom Bauunternehmer Oberlechner, nehme ich an.«

Der Rechtsanwalt sah ihn überrascht an.

»Sie wissen davon?«

»Man munkelt so etwas daheim in St. Johann.«

Sebastian er hob sich.

»Eines noch, bevor ich mich verabschiede«, sagte er. »Wie ist es denn geregelt, für den Fall, daß die Erbin den Hof verkaufen wird? Wo werden Resi und Hubert dann bleiben?«

Alois Sonnenleitner war ebenfalls aufgestanden. Er brachte seinen Besucher zur Tür.

»Für diesen Fall muß aus dem Erlös jeweils ein Platz in einem Altenheim für die beiden alten Leute bezahlt werden, oder – wenn sie nicht in ein Heim wollen – wird der Betrag an die beiden ausgezahlt.«

Der Geistliche nickte. Eine schlechte Lösung, wenn man bedachte, wie sehr die beiden an dem Hof hingen, der seit Jahrzehnten ihre Heimat war. Aber immer noch besser, als von heute auf morgen auf der Straße stehen zu müssen.

Er verabschiedete sich von dem Anwalt und fuhr mit dem beruhigenden Gefühl nach Hause, daß zumindest für Resi und Hubert gut gesorgt war.

*

Beim Abendessen im Pfarrhaus sprach Sebastian mit Max darüber. Der Polizist von St. Johann ließ sich schmecken, was die Haushälterin seines Bruders aufgetragen hatte. Sophie Tappert hatte eine extra große Portion Sülze für Max Trenker hingestellt. Sie wußte ja, wie gerne er sie aß.

Überhaupt bemutterte sie ihn gerne – schließlich hätte er ihr Sohn sein können – und kochte oft extra seine Lieblingsspeisen. Sebastian registrierte es immer mit einem Schmunzeln. Allerdings konnte seine Perle manchmal auch sehr skeptisch dreinschauen, wenn Max mit am Tisch saß. Meistens handelte es sich dann um eines der gebrochenen Herzen, die der junge, gutaussehende Polizist wieder einmal irgendwo hinterlassen hatte. Nicht selten kam es vor, daß sich das betroffene Madel bei Sophie Tappert ausweinte…

»Das ist aber sehr anständig von der Frau Brunnengräber gewesen, daß sie für die Resi und den Hubert gesorgt hat«, sagte Max Trenker zu seinem Bruder. »Die beiden werden sich darüber freuen, daß sie bleiben können.«

»Das ist es wirklich«, nickte der Geistliche. »Aber leider sieht’s net gut aus mit dem Ponyhof. Eine erhebliche Schuld lastet auf dem alten Gehöft, und noch ist’s ungewiß, ob die Erbin net vielleicht verkauft. Sie ist jung und studiert noch, ich weiß net, ob sie sich da solch einen Klotz an’s Bein binden wird, und ein Klotz ist er allemal, der Ponyhof.«

Sebastian legte das Besteck auf seinen leeren Teller und schob ihn beiseite. Max nickte, als er ihm von dem Bier anbot, das auf dem Tisch stand.

»Ich bin wirklich auf dieses Madel gespannt«, fuhr der Pfarrer fort, während er einschenkte. »Sollte es verkaufen wollen, dann müssen die beiden Alten vom Hof… aber noch ist ja net aller Tage abend…«

Max Trenker sah seinen Bruder forschend an. Wenn Sebastian so geheimnisvoll redete, dann brütete er mal wieder etwas aus. Der junge Polizeibeamte wußte ja, daß Sebastian sich um jedes seiner Schäfchen sorgte. Und, als guter Hirte von St. Johann würde er nicht eher ruhen, bis er eine Lösung für dieses Problem gefunden hatte!

*

Stephan Rössner warf die Tür so wütend hinter sich zu, daß sie mit einem lauten Knall ins Schloß fiel. Mit finsterer Miene lief er durch die Halle der elterlichen Villa, die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo er in seinem Zimmer verschwand.

Walter und Ingrid Rössner, Stephans Eltern, blieben konsterniert im Salon zurück.

»Ich weiß wirklich net, was in den Jungen gefahren ist«, schluchzte die Frau und suchte nach einem Taschentuch in ihrer Kostümjacke.

»Ein Sturkopf ist er«, schnaubte Walter Rössner.

Er ging zu der Anrichte und goß sich ein Glas Cognac ein. Es war nicht seine Art, so früh am Morgen zu trinken, doch die Auseinandersetzung mit seinem Sohn hatte ihn so sehr erregt, daß er den Schnaps zur Beruhigung brauchte.

»Stur und uneinsichtig!« knurrte der Fabrikant, nachdem er den Inhalt des Glases hinuntergestürzt hatte.

Seine Frau schaute ihn an. Von wem er das wohl hat, dachte sie und wischte sich die Tränen aus den Augen. Sie schüttelte den Kopf. Der Morgen hatte so schön begonnen. Nachdem das frühlingshafte Wetter angehalten hatte, war für das Frühstück auf der Terrasse gedeckt worden. Ingrid Rössner hatte sich gefreut, endlich wieder einmal gemeinsam mit Ehemann und Sohn ein Wochenende verbringen zu können. Stephan, der in München studierte, ließ sich kaum noch zu Hause blicken, allenfalls in den Semesterferien, dann aber auch nur für ein paar Tage, und ihren Mann bekam Ingrid bestenfalls am Sonntag zu sehen – wenn er dann nicht auch noch irgendwelche geschäftlichen Termine hatte.

»Was ist bloß mit dem Bengel los?« murmelte Walter Rössner, der der Chef einer Fabrik für elektronische Geräte war.

Er steckte sich eine Zigarette an, was ihm einen mißbilligenden Blick seiner Frau eintrug. Sie sah es überhaupt nicht gerne, wenn er rauchte, zumal ihm sein Arzt besorgt geraten hatte, von diesem Laster zu lassen. Nervös drückte er die Zigarette wieder aus. Er wußte ja selber, wie schädlich das Rauchen war, aber nach dem Streit mit Stephan brauchte er irgend etwas, um sich wieder zu beruhigen.

Noch bevor der Fabrikant sein Frühstücksei geköpft hatte, teilte ihm sein Sohn mit, daß er nicht weiter studieren werde. Er denke überhaupt nicht daran, den Rest seines Lebens für die Fabrik aufzuopfern.

»Da fällt dem Burschen eine gutgehende Fabrik, in einer Wachstumsbranche, in den Schoß, und er will sie nicht«, schüttelte er den Kopf. »Was soll man bloß dazu sagen?«

Ingrid Rössner hatte ihre Tränen getrocknet und das Taschentuch wieder eingesteckt.

»Vielleicht solltest du noch einmal mit ihm reden«, schlug sie vor. »Aber nicht so wie eben.«

Er sah sie verblüfft an.

»Wie meinst du das – wie eben?«

»Naja, net, wie ein Vater zu seinem ungehorsamen Sohn spricht, sondern eher so von Mann zu Mann. Stephan ist vierundzwanzig Jahre alt und kein kleiner Bub mehr.«

Walter Rössner runzelte die Stirn.

»Aber er benimmt sich manchmal so«, knurrte er.

Seine Frau nahm ihn in den Arm und schaute ihn liebevoll an.

»Nun komm, alter Sturkopf«, sagte sie zärtlich. »Gib deinem Herzen einen Stoß. Er ist doch unser einziger Sohn.«

Walter küßte sie sanft.

»Also gut«, gab er nach. »Du hast ja recht, wie immer. Ich gehe gleich hinauf zu ihm. Vielleicht kommt er ja zur Vernunft.«

Er verließ den Salon, durchquerte die Halle und ging die Treppe hinauf. Vor der Tür zu Stephans Zimmer zögerte er einen Moment. Wenn der Bengel doch nur mal gesagt hätte, was er denn eigentlich vorhatte, aber nicht einmal das!

Schließlich klopfte er an.

»Stephan, ich bin’s«, rief er, nachdem drinnen alles still blieb.

Er klopfte noch einmal und bekam wieder keine Antwort. Als er die Klinke herunterdrückte, schwang die Tür nach innen auf.

»Stephan…?« rief Walter Rössner noch einmal.

Gleichzeitig fiel sein Blick auf die weit geöffneten Türen des Kleiderschranks. Die meisten seiner Sachen hatte Stephan in seiner Münchener Studentenwohnung, doch wenn er nach Hause kam, brachte er schon eine Reisetasche voller Kleidung mit.

Aber jetzt war der Schrank leer. So leer, als wäre Stephan nie hier gewesen…!

Der Fabrikant griff sich erschrocken an die Brust, als er erkannte, was dies bedeutete – sein Sohn hatte das Elternhaus verlassen!

*

Gleich nachdem er in sein Zimmer gestürzt war, packte Stephan sämtliche Kleidungsstücke aus dem Schrank in die Reisetasche. Dann schlüpfte er in seine Lederjacke und die festen Schuhe. Maria, das Hausmädchen, sah ihn verwundert an, als er die Treppe wieder herunterkam.

»Müssen S’ schon wieder abreisen?« fragte sie erstaunt.

»Allerdings«, gab er knapp zurück. »Hier wird’s mir nämlich zu eng.«

Mit diesen Worten ging er zur Tür hinaus. Vor einer der beiden Garagen stand sein Wagen. Der Student ließ das Fahrzeug unbeachtet. Statt dessen holte er sein altes Geländerad aus dem Schuppen, schnallte die Reisetasche hinten auf den Gepäckträger, und radelte los.

Tief atmete er die frische Luft ein. Wie lange war es her, daß er sich so frei gefühlt hatte? Frei von allen Zwängen, die seit Jahren auf ihm lasteten, seit jener Zeit, in der ihm bewußt geworden war, was man von ihm erwartete.

Betriebswirtschaft sollte er studieren, um später einmal die väterliche Fabrik zu übernehmen. Dabei hätte er viel lieber etwas gelernt, wobei er draußen in der freien Natur arbeiten konnte. Schon immer war er lieber im Freien gewesen, als irgendwo drinnen eingesperrt zu sein. Mehr aus familiären Zwängen als aus freier Entscheidung hatte er sich damit abgefunden, zu studieren. Doch immer wieder spürte er, daß es ein Fehler war, und endlich hatte er sich entschlossen, diesen Mißstand zu beenden. Zunächst einmal wollte er nur fort, dann würde er schon entscheiden, wie sein weiterer Lebensweg aussehen sollte. Eine Arbeit wird sich schon finden lassen. Und wenn’s sein mußte, dann würde er sich auch als Knecht auf einem Bauernhof verdingen. Daran sollte es nicht scheitern.

Ohne Ziel war er losgeradelt. Nach einer guten Stunde machte er Rast. Unterwegs hatte er sich mit Saft und Brot versorgt, nun saß er am Wegesrand und überlegte, wohin er sich wenden sollte. Die Semesterferien hatten gerade begonnen, vielleicht gelang es ihm, seinen Studienfreund dazu zu bewegen, ihn für ein oder zwei Wochen auf einen Urlaubstrip in die Berge zu begleiten. Markus Reinders wohnte gar nicht weit entfernt von hier. Die beiden hatten schon viel zusammen unternommen und genauso wie Stephan, war auch Markus ein begeisterter Wanderer und Kletterer.

Ein Hoch auf die Technik, dachte Stephan, während er auf dem Handy Markus’ Telefonnummer wählte.

Dabei verschwendete er allerdings keinen Gedanken daran, daß auch dieses Mobiltelefon aus der Fabrik seines Vaters stammte…

»Grüß’ dich, altes Haus«, rief er, nachdem Markus sich gemeldet hatte.

»Hey, Stephan«, gab der Freund zurück. »Wo steckst du denn?«

»Ganz in deiner Nähe. Eigentlich bin ich auf dem Weg zu dir, wollte bloß erstmal hören, ob du überhaupt daheim bist. Ich hab’ dir nämlich einen Vorschlag zu machen.«

»Laß hören.«

»In einer halben Stunde, bei dir.«

»Okay, mein Alter, ich freu’ mich. Bis gleich.«

Stephan steckte das Handy ein und stieg wieder aufs Rad. Der Gedanke an einen Wanderurlaub durch die Alpen ließ ihn kräftig in die Pedale treten. Bestimmt würde Markus von der Idee genauso begeistert sein, und wer wußte schon, was sie unterwegs alles erlebten…

*

Bei den zwei Bewohnern des Ponyhofes herrschte helle Aufregung. Gestern war der Anruf des Nachlaßverwalters gekommen, der den Besuch der Erbin ankündigte. Die beiden konnten sich gar nicht vorstellen, jemals woanders zu arbeiten. Immerhin hatte Pfarrer Trenker eine gute Nachricht überbringen können, wenngleich immer noch die Möglichkeit bestand, daß das Fräulein Haller den Hof doch nicht behalten wollte. Aber daran mochte Resi gar nicht denken. Seit dem Tode der alten Frau Brunnengräber hatten sie und Hubert in banger Erwartung weitergemacht, ohne zu wissen, was der nächste Tag für sie bringen würde. Lohn gab es keinen mehr, aber beide waren, da sie sparsam gelebt hatten, überein gekommen, erstmal von diesen Ersparnissen zu leben. Dr. Sonnenleitner hatte dagegen keine Einwände gehabt. Es war ihm sogar ganz lieb gewesen, daß die beiden alten Leute sich dazu bereit erklärten, auf dem Hof zu bleiben. So hatte der Nachlaßverwalter jemanden vor Ort, der sich auskannte, und dem er vertrauen konnte.

Resi hatte in der Küche den Kaffeetisch gedeckt und sah ungeduldig auf die Uhr. Gleich drei, und von Hubert war immer noch nichts zu sehen. Endlich hörte sie ihn durch die Tür kommen. Wenig später stand Hubert Bachmann in der Küche. Der alten Magd fielen beinahe die Augen aus dem Kopf.

In den vierzig Jahren, die sie gemeinsam auf dem Ponyhof verbracht hatten, gab es gerade mal eine handvoll Anlässen, an denen Hubert sich so hergerichtet hatte, wie heute!

Nicht nur, daß er seinen besten Anzug, dunkelbraun mit Streifen, trug, offenbar hatte Hubert sogar ein Bad genommen, sich rasiert und – sich mit soviel Kölnisch Wasser eingeduftet, daß in Sekunden die ganze Küche danach roch. Die alte Magd stand einen Moment völlig verdattert da, bevor sie ihn anfuhr:

»Sag mal, bist’ auf Freiersfüßen, oder was ist los?«

»Wieso?« fragte der Knecht und deutete auf Resis gutes Kleid und die saubere weiße Schürze. »Du hast dich doch auch fein gemacht.«

Das stimmte zwar, Hubert übersah aber die Tatsache, daß Resi schon immer Wert auf ihr Äußeres gelegt hatte, ob es nun ein besonderer Tag war oder nicht. Was man von ihm nicht behaupten konnte.

Die Magd bedachte ihn mit einem merkwürdigen Blick, den der Alte allerdings ignorierte. Mit zwei Schritten war er am Küchentisch und streckte seine Hand nach dem Teller mit dem frisch gebackenen Napfkuchen aus.

Erst Resis scharfe Stimme ließ die Hand zurückzucken.

»Finger weg!« sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Der ist für das Fräulein.«

»Nun hab’ dich doch net so«, maulte Hubert und setzte sich gekränkt auf die Eckbank. »Das merkt doch keiner.«

»Doch«, erwiderte Resi. »Ich.«

Kleine Zankereien gehörten zu den beiden, wie das Salz in die Suppe. In den gemeinsamen Jahren auf dem Hof hatten sich beide aber so gründlich kennengelernt, daß jeder von ihnen wußte, wann die Grenze vom Spaß zum Ernst überschritten war. Und etwas in Resis Blick hielt Hubert davon ab, sich dennnoch von dem Kuchen zu bedienen.

»Wie spät ist es denn?« wollte er schließlich wissen. »Die müßte doch längst hier sein.«

»›Die‹ ist Fräulein Haller«, antwortete die Magd spitz.

»Und wenn wir Glück haben, unsere neue Chefin. Was weiß ich, wo’s bleibt. Vielleicht hat’s sich verfahren.«

»Glaubst’ wirklich, daß hier alles beim Alten bleibt?«

Resi antwortete nicht. Sie stand am Fenster und schaute hinaus. Alles beim Alten? Sie hätte es selber gerne gewußt, aber wenn sie sich den Hof so anschaute… Das alte Haus, dessen Anstrich schon vor Jahren hätte erneuert werden müssen, dann das kleine Gästehaus, das auch nicht mehr besser aussah, die Ställe mit den maroden Dächern, der zerbrochene Zaun, der Geräteschuppen, der einzustürzen drohte…

Resi hätte die Liste beliebig fortsetzen können. Konnte man all dies einem jungen Madel zumuten? Konnte man wirklich von ihm erwarten, sein Studium aufzugeben und hier in den Bergen einen heruntergewirtschafteten Ponyhof zu übernehmen und in eine ungewisse Zukunft zu führen?

Die alte Magd war realistisch genug, sich zu sagen, daß dies eigentlich unmöglich sei. Aber dennnoch – seit sie von dem bevorstehenden Besuch erfahren hatte, hoffte sie in banger Erwartung auf ein Wunder.

Resi wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ein Auto in die Einfahrt des Hofes bog. Das mußte Fräulein Haller sein.

*

Der VW-Golf war Sandras ganzer Stolz. Zwar hatte er bereits etliche Jahre auf dem Buckel, aber er war immer noch gut in Schuß. Sandra hatte ihn bereits vor zwei Jahren, gleich nachdem sie ihren Führerschein gemacht hatte, günstig gekauft. Der Vorbesitzer hatten den Wagen sehr gepflegt und später mit einem Katalysator nachrüsten lassen, um der Umwelt einen Dienst zu erweisen.

Die drei Freundinnen waren am späten Vormittag aus der Kleinstadt losgefahren, nachdem sie Dr. Sonnenleitner einen Besuch abgestattet hatten. Staunend fuhren sie durch die wunderschöne Landschaft, und mehr als einmal hielten sie an, um sich etwas genauer umzusehen.

»Mensch, ist das schön hier!« hatte Nina einmal gesagt und dabei auf das atemberaubende Panorama der Berge gezeigt.

Sandra und Anja konnten ihr nur zustimmen.

»Da hat man solch eine Natur vor der Haustür und weiß nichts davon«, meinte Anja. »Ich muß gestehen, ich habe ja schon oft etwas von der Schönheit der Alpen gehört, aber hier gewesen bin ich noch nie. Eigentlich eine Schande.«

Sandra konnte nur nicken. Sie versuchte sich zu erinnern. Damals – wie war es da gewesen? Irgendwo tauchte das Bild der Frau in ihrem Gedächtnis auf. Das gütige Gesicht der Tante Waltraud. Große Tiere fielen ihr wieder ein, die Ponys. Zumindest waren sie ihr damals, als kleines Madel, riesengroß erschienen.

Die drei Madeln beugten sich über die Straßenkarte, die sie auf der Motorhaube des Wagens ausgebreitet hatten.

»Hier sind wir jetzt«, deutete Nina auf einen Punkt. »Da hinten war ein Schild, St. Johann 3 km, stand drauf. Also müssen wir in diese Richtung.«

Sie fuhr mit dem Finger auf der Karte entlang und deutete auf einen kleinen roten Punkt, der das Bergdorf kennzeichnete.

»Kann ja nicht mehr lange dauern«, sagte Sandra und faltete die Karte wieder zusammen. »Dann mal los.«

*

Nach einer halben Stunde passierten sie das Ortsschild. St. Johann machte genau den Eindruck, den sie sich vorgestellt hatten. Ein kleines hübsches Bergdorf, mit einer Kirche in der Mitte, kleinen Häuschen mit gepflegten Gärten und einigen wenigen Geschäften.

»So, das ist also St. Johann«, stellte Anja fest und nickte zufrieden. »Sieht nett aus.«

»Und wo ist der Ponyhof?« fragte Nina.

»Der liegt etwas außerhalb«, antwortete Sandra. »Wir müssen in Richtung der Jenner-Alm fahren. Vielleicht noch fünfzehn Minuten.«

Sie schaute auf die Uhr.

»Wir sollten uns beeilen«, sagte sie. »Wir werden schließlich erwartet.«

Es dauerte wirklich nur noch gut zehn Minuten, bis sie das Hinweisschild sahen, das ihnen den Weg zum Ponyhof wies. Langsam bog Sandra in die Hofeinfahrt.

»Das gibt es doch nicht!« entfuhr es ihr.

»Wie sieht es denn hier aus?« rief Nina entsetzt, während Anja nur stumm dasaß und den Kopf schüttelte.

Sandra schaltete den Motor aus und stieg aus. Die zwei Freundinnen folgten ihr. Ratlos sahen sie sich um, und der Anblick war wirklich trostlos.

»Da kommt jemand«, deutete Anja auf die Tür zum Haus hinüber.

Theresa Angermeier stand in der Tür und lächelte den Madeln zu.

»Willkommen auf dem Ponyhof«, sagte sie.

Hinter ihr schob sich Hubert Bachmann ins Bild. Er fuhr sich verlegen über das Haar.

Sandra, Nina und Anja gingen die Stufen hinauf. Resi sah die drei fragend an.

»Wer von Ihnen ist denn…?«

»Ich bin Sandra Haller«, begrüßte die Studentin die Magd und reichte ihr die Hand. »Sie müssen Frau Angermeier sein.«

»Resi, wenn’s recht ist«, nickte die Magd. »Sagen S’ einfach Resi zu mir. Das haben S’ ja früher auch getan.«

Das Madel zuckte entschuldigend die Schulter.

»Es ist so lange her. Ich kann mich wirklich nicht mehr daran erinnern.«

Die alte Frau nickte verständnisvoll. Sie zeigte auf den Knecht.

»Und das ist der Hubert.«

»Grüß’ Gott«, sagte der Alte und machte einen braven Diener.

Sandra gab auch ihm die Hand, und Resi bat alle ins Haus hinein, nachdem die frischgebackene Besitzerin des Ponyhofes ihre Begleiterinnen vorgestellt hatte.

»Setzen S’ sich doch«, bat die Magd. »Ich hab’ ein bissel Kaffee und Kuchen vorbereitet.«

»Hm, frischer Napfkuchen«, schwärmte Anja, die eine heimliche Naschkatze war. »Dafür sterbe ich.«

Sie nahmen Platz, und Resi schenkte den Kaffee ein.

»Also, dann noch mal willkommen«, sagte sie, nachdem auch sie sich gesetzt hatte. »Langen S’ nur tüchtig zu. Nachher führe ich Sie herum, damit Sie sich alles ansehen können.«

»Also, der Kuchen schmeckt himmlisch«, schwärmte Anja, die schon das zweite Stück aß.

Sandra hingegen bekam kaum einen Bissen herunter. Resi, die sie aufmerksam beobachtete, wandte sich an das Madel.

»Es ist wirklich eine Ewigkeit her, daß Sie hier waren«, meinte sie. »Ich glaub’, Sie gingen noch gar net zur Schule, als Sie das erstemal die Ferien bei Ihrer Tante verbracht haben.«

»Meine Großtante«, verbesserte Sandra. »Sie war die Tante meiner Mutter, und eine Schwester meines Großvaters. Ja, ich denke, so achtzehn Jahre ist es her. Wie gesagt, ich erinnere mich kaum.«

Sie dachte an das Bild auf der Diele, das sie beim Eintreten flüchtig gesehen hatte.

»Das Gemälde draußen…«, deutete sie zur Tür.

»Ja«, nickte Resi. »Das Bild hat ein bekannter Kunstmaler gemalt. Wenige Wochen bevor…«

Die alte Magd brach ab und kramte nach einem Taschentuch in ihrer Schürze. Sandra stand auf und ging hinaus in die Diele. Das Gemälde hing über einer Anrichte, auf der eine Vase mit frischen Blumen stand. Zwar war alles hier alt, doch man konnte die Mühe sehen, die Resi und Hubert sich gegeben hatten, alles ein wenig herzurichten und wohnlich zu machen.

Sandra betrachtete das Bild. Es zeigte Tante Waltraud mit ihrem vertrauten Lächeln, das einzige, woran die junge Frau sich erinnerte. Im Hintergrund erkannte man Teile des Hofes und die Berge dahinter. Offenbar war das Gemälde auf der Veranda entstanden. Rechts unten hatte der Maler seinen Namen gemalt. Robert Demant, entzifferte Sandra. Sie war erstaunt darüber, daß ihre Tante diesem wirklich bekannten Künstler Modell gesessen hatte.

Eine Weile blieb sie stehen, dann ging sie in die Küche zurück. Resi wartete schon darauf, den drei Madeln das Anwesen zu zeigen.

*

Der Rundgang war alles andere als erbaulich. Natürlich hatte Hubert in den letzten Tagen so gut es eben ging, aufgeräumt und kleinere Schäden beseitigt. Aber es ließ sich nicht verleugnen, daß es am nötigen Geld fehlte, dringend notwendige Reparaturen durchzuführen. Mit jedem Stück, das Sandra zu sehen bekam, wurde ihr Gesicht lang und länger. Nina und Anja begleiteten sie, enthielten sich aber jeglichen Kommentars. Allerdings war an ihren Mienen abzulesen, was die beiden dachten.

»Tja, das ist also der Hof«, erklärte Resi Angermeier, als sie wieder vor dem Haupthaus standen.

Die Magd deutete mit dem Arm nach vorn.

»Die ganzen Weiden gehören natürlich auch noch dazu«, fuhr sie fort. »Die Ponys sind jetzt draußen. Wenn S’ sie sehen wollen, müssen wir hinübergehen. Zwölf sind’s.«

»Jetzt nicht«, schüttelte Sandra den Kopf.

Sie schaute ihre Freundinnen an und wandte sich dan wieder an die Magd und den Knecht, die sie erwartungsvoll ansahen.

»Sie möchten natürlich wissen, ob ich den Hof behalten werde«, sagte sie. »Aber

zu diesem Zeitpunkt kann ich Ihnen noch nicht sagen, wie ich mich entscheide. Bitte, haben Sie Verständnis dafür. Es ist alles noch so neu. Ich muß das erst einmal auf mich wirken lassen.«

»Aber natürlich«, nickt Resi. »Das verstehen der Hubert und ich. Aber über Nacht werden S’ doch gewiß bleiben. Ich geh’ schnell und richt’ noch ein paar Zimmer her.«

Sie stupste den Knecht an.

»Und du kümmerst dich um das Gepäck der drei Damen«, befahl sie.

Hubert Bachmann beeilte sich, diesem Befehl nachzukommen. Er wußte ja, was auf dem Spiel stand...

Die drei Studentinnen schlenderten über den Hof. An der Koppel blieben sie stehen und lehnten sich an den Zaun.

»Na, eine ziemliche Misere das Ganze, was?« meinte Nina zu Sandra.

»Eine ziemliche«, antwortete sie bedrückt, während sie ihren Blick schweifen ließ.

Was sie vor sich sah, war wunderschön. Eine herrliche Alpenlandschaft, wie aus dem Ferienkatalog.

Nur hinter sich schauen, das durfte sie nicht!

»Ich weiß gar nicht, was ihr habt«, warf Anja ein. »Ich find’s toll hier.«

Sie drehte sich um und schaute über den Hof, zum Haus und den Ställen hinüber.

»Mit ein bißchen Farbe, etwas Dachpappe und ein paar Nägeln müßte das doch wieder hinzukriegen sein.«

»Na, ganz so einfach wird’s nicht«, entgegnete Nina. »Da steckt ein schönes Stück Arbeit drin. Also, ich glaub’, ich würd’s verkaufen.«

»Das war auch mein erster Gedanke«, sagte Sandra und drehte sich zu ihnen um.

Dabei schaute sie auf den Hof – ihren Hof.

»Aber, habt ihr’s nicht gesehen?«

»Was?«

»Die beiden alten Leute«, nickte Sandra zum Haus hinüber. »Die Mühe, die sie sich gegeben haben, mich zu empfangen und alles wenigstens ein bißchen herzurichten. Sie erwarten doch etwas von mir. Beinahe ihr ganzes Leben haben sie hier verbracht, hat der Nachlaßverwalter gesagt. Wenn ich den Hof jetzt verkaufe, müssen sie fort.«

Sie sah ihre Freundinnen an.

»Kann ich ihnen das wirklich antun?«

»Ja, gütiger Himmel«, fuhr

Nina auf. »Willst du vielleicht

aus lauter Sentimentalität dein Studium an den Nagel hängen und hier das Ponyhotel wieder eröffnen? Für die beiden Alten ist doch gesorgt, hat dieser Sonnenleitner gesagt. So, oder so.«

»Eben«, sagte Sandra. »So, oder so. Nämlich so, daß sie bis an ihr Lebensende auf dem Hof bleiben können, oder so, daß sie in ein Altenheim müssen...«

Anja legte ihren Arm um die junge Erbin.

»Ich versteh’, was du sagen willst«, meinte sie. »Die beiden haben sich wirklich alle Mühe gegeben, und jetzt sitzen sie drinnen und warten, bangen Herzens, auf deine Entscheidung. Also, wenn du bleibst, dann nehme ich mir ebenfalls eine Auszeit und helfe dir, den Laden hier wieder hochzukriegen. Wenn’s nicht klappen sollte, kann ich immer noch weiterstudieren.«

Sandra schluckte, als sie dies hörte. Nina stellt sich ihr zur anderen Seite.

»Dasselbe gilt für mich«, sagte sie. »Wäre doch gelacht, wenn wir drei das Kind nicht schaukeln würden!«

Sandra Haller sah ihre beiden Freundinnen an. Dabei kämpfte sie mit den Tränen.

»Ihr seid die besten Freundinnen, die man haben kann«, flüsterte sie.

»Na los, dann wollen wir die beiden treuen Seelen da drinnen nicht länger warten lassen«, rief Nina Kreuzer und zog die zwei Madeln mit sich.

»Himmel, da kommt’ was auf uns zu«, stöhnte Sandra, als sie entschlossen auf das Haus zumarschierten.

*

»Sie kommen«, rief Hubert, der in der Küche hinter der Gardine stand und aus dem Fenster schaute.

Resi Angermeier zog ihn weg.

»Geh’, was soll das Fräulein denn denken?«

Das Herz der alten Frau klopfte bis zum Hals hinauf. So sehr sie auch versucht hatte, in Sandras Gesicht abzulesen, was sie wohl dachte, so wenig war es ihr gelungen. Auch ihr Versuch, das Gespräch beim Kaffee auf die Vergangenheit zu lenken, schien nicht geglückt zu sein. Aber, es war ja auch zu lange her. Sie selber hatte in der jungen Frau das Kind von früher nicht wiedererkannt, wie konnte sie da erwarten, daß Sandra sich erinnerte!

Nun gut, dachte sie, wenn’s net sein sollte, dann würd’ sie eben ihre Sachen packen und geh’n, auch wenn’s schwerfiel. Noch arger würd’s aber den Hubert treffen, das wußte sie. Er war, im Gegensatz zu ihr, nicht mehr ganz so rüstig, daß er ohne weiteres wieder auf einem Hof unterkommen konnte. Für ihn bedeutete ein Verkauf des Ponyhofes die Unterbringung in einem Altenheim...

Eben kamen die jungen Frauen durch die Tür. Resi und Hubert konnten sie auf der Diele reden und lachen hören – aber nicht verstehen, was sie sagten. Dann, endlich, öffnete sich die Küchentür und Sandra kam herein. Die Freundinnen folgten ihr. Deutlich konnte man die knisternde Spannung spüren, die in der Luft lag.

Sandra schaute die beiden an und holte tief Luft.

»Also, Resi und Hubert, ich habe mich entschlossen«, begann sie, aber verbesserte sich gleich, »nein, wir haben beschlossen, daß das Ponyhotel wieder eröffnet wird. Wir wissen zwar noch nicht, wie wir es anstellen, aber daß wir es irgendwie schaffen werden, das ist gewiß!«

Hubert strahlte über das ganze Gesicht, während Resi sich erst einmal setzen mußte. Mit einem tiefen Seufzer sank sie auf die Sitzbank.

»Sie... Sie werden’s gewiß nicht bereuen, Fräulein Haller«, versprach sie unter Tränen.

Sandra ging zu ihr und legte ihren Arm um die Schulter der alten Frau.

»Es wird schon alles werden. Mit eurer Hilfe packen wir’s ganz bestimmt. Wenn wir uns ins Zeug legen, haben wir vielleicht schon im kommenden Sommer wieder die ersten Feriengäste. Und mit dem Fräulein Haller ist Schluß. Ich bin die Sandra. Schließlich sitzen wir alle im gleichen Boot.«

»Und wir sind Nina und Anja«, riefen die beiden anderen.

Hubert Bachmann, der bis jetzt ziemlich zurückhaltend gewesen war, holte tief Luft. Dann öffnete er den Küchenschrank und holte eine Flasche Obstler hervor, die Resi dort versteckt hatte.

»Darauf müssen wir einen trinken«, verkündete er.

Resi schaute verwundert erst auf Hubert, dann auf die Flasche. Schließlich heftete sie ihren Blick auf den Knecht. »Woher weißt denn du von der Flasche?« fragte sie in scharfem Ton.

Hubert grinste verschmitzt, während er fünf Gläser einschenkte.

»I? I weiß mehr, als d’ ahnst, liebe Resi«, antwortete er fröhlich.

*

»Ich kann nicht mehr«, stöhnte Markus Reinders und setzte sich an den Rand der Wiese nieder.

Der schwere Rucksack glitt zu Boden. Erleichtert streckte der Student die befreiten Glieder.

»Nun komm’, du müder Krieger«, frotzelte Stephan Rössner. »Wir sind noch keine zehn Kilometer gelaufen. Wenn du so weitermachst, dann kommen wir nie ans Ziel.«

Ihr Ziel war das kleine Bergdorf St. Johann. Markus hatte Stephans Vorschlag, gemeinsam eine Wandertour zu unternehmen, begeistert aufgegriffen. Weniger aus Sparsamkeit, als aus Ehrgeiz hatten sie beschlossen, auf andere Fortbewegungsmittel, als die eigenen Füße zu verzichten – bestenfalls, daß ein mitleidiger Bauer sie auf dem Anhänger seines Treckers mitnahm. Inzwischen war die Begeisterung bei Markus ein wenig gedämpft. Seit vorgestern waren sie unterwegs, hatten erst im Freien und in der letzten Nacht im Heuschober geschlafen, und dabei am Tag mehr als fünfundzwanzig Kilometer zurückgelegt.

»Also gut«, gab Stephan nach und setzte sich neben den Freund. »Machen wir erst einmal Pause. Ein zweites Frühstück kann ja nicht schaden.«

Den Proviant hatten sie am Morgen in einem Dorf gekauft, durch das sie gekommen waren. Er bestand aus kernigem Rauchspeck und herzhaftem Brot. Ihre Wasserflaschen hatten sie an einem öffentlichen Brunnen aufgefüllt. Zwar waren die beiden einem kühlen Bier nicht abgeneigt, aber sie waren klug genug zu wissen, daß das nicht das richtige Getränk für solch eine Tour war.

Markus sah den Freund von der Seite her an. Stephan machte einen nachdenklichen Eindruck. Wahrscheinlich dachte er an seine Eltern...

Er hatte dem Studienkollegen von der Auseinandersetzung zu Hause erzählt.

»Meinst’, daß sie sich Sorgen machen?« fragte Markus. Stephan sah auf.

»Meine Eltern?«

Er schüttelte den Kopf.

»Bestimmt nicht. Die denken doch, daß ich wieder in München bin.«

»Ohne deinen Wagen?«

Der junge Mann zuckte die Schultern.

»Stimmt. Daran hab’ ich gar nicht gedacht. Naja, sollen sie eben denken, daß ich auf das Auto pfeife. Immerhin hat es ja mein Vater bezahlt. Natürlich hat er ihn als Firmenwagen von der Steuer abgesetzt.«

Markus, der ein wenig feinfühliger war, als sein Freund, sah Stephan streng an.

»Ich weiß nicht«, sagte er. »Machst du dir das nicht ein bißchen zu einfach? Ich kann schon verstehen, daß deine Eltern nicht glücklich sind, wenn du so von heute auf morgen einfach alles hinwirfst. Schließlich hatten sie damit gerechnet, daß du eines Tages die Firma übernimmst.«

Stephan hieb wütend auf den Boden.

»Mensch, du redest schon wie mein Vater«, rief er erregt. »Ich will diese verdammte Firma überhaupt nicht! Wer hat eigentlich das Recht, zu bestimmen, daß ich in die Fußstapfen meines Vaters treten muß? Ich wollte nie studieren.«

Er hob beide Hände.

»Hiermit möchte ich arbeiten, damit ich sehen kann, was ich geschafft habe. Ist das denn so schwer zu verstehen? Ich lieb die Natur, ich brauche meine Freiheit. Da kann man mich doch nicht in ein Büro einsperren!«

»Hey, beruhige dich wieder«, sagte Markus sanft. »Natürlich hast du recht, aber dein Vater genauso.«

Stephan sah ihn an und grinste.

»Dann steig’ du doch bei uns ein, wenn du mit dem Studium fertig bist«, meinte er.

Markus Reinders kam aus anderen Verhältnissen als sein Freund. In seiner Familie wurde immer noch auf den Pfennig gesehen.

»Würd’ ich schon«, antwortete er. »Leider wird dein Vater nicht damit einverstanden sein.«

Er schnitt ein neues Stück Speck ab und reichte es Stephan.

»Mal sehen«, sagte er. »Eines Tages wird sich zeigen, wo wir beide gelandet sind. Aber jetzt sind wir ja erstmal auf dem Weg nach St. Johann. Wie weit ist denn das noch?«

»Stephan Rössner holte eine Wanderkarte hervor und faltete sie auseinander.

»Heut’ abend müßten wir es geschafft haben«, verkündete er und steckte den Speck in den Mund.

»Na, ich bin gespannt auf die beiden Gipfel, von denen zu erzählt hast. Woher kennst du die Gegend eigentlich?«

»Früher bin ich mit meinen Eltern oft hergefahren. Der Himmelsspitz und die Windermaid, so heißen die Gipfel, bieten ein grandioses Panorama, es wird dir gefallen.«

»Hoffentlich behältst du recht, und wir finden irgendwo auf einem Bauernhof einen Unterschlupf«, meinte Markus skeptisch. »Jetzt, um diese Zeit, werden doch noch keine Erntehelfer gebraucht.«

»Darüber mach’ ich mir erst Gedanken, wenn wir dort sind«, lachte Stephan und stieß den Freund an. »Los, komm, es geht weiter.«

Mühsam rappelte Markus sich auf und schnallte seinen Rucksack um.

»Wenigstens das Handy hätten wir mitnehmen sollen«, sagte er. »Wer weiß, ob wir es unterwegs nicht brauchen.«

»Ach was«, winkte Stephan ab. »Zurück zur Natur, ist die Devise. Da stören diese Dinger nur. Stell’ dir vor, du bist in den Bergen unterwegs, und plötzlich klingeln überall die Telefone. Das ist doch grauenhaft.«

»Wo du recht hast, hast du recht«, mußte der Freund einsehen.

Aber, insgeheim bedauerte er schon, solch ein praktisches Mobiltelefon nicht dabei zu haben – wie schnell hätte man damit ein Taxi rufen können…!

*

Nach der Abendmesse nahm Max Trenker seinen Bruder zur Seite.

»Sie ist da«, verkündete er.

»Wer?« fragte Sebastian und war einen Moment irritiert, weil er nicht wußte, wovon der Polizeibeamte sprach.

»Na, die junge Frau. Die Erbin vom Ponyhof.«

»Aha, und woher weißt du das?«

»Der Hubert war vorhin drunten im Dorf. Er hat drüben beim Herrnbacher eine lange Liste mit Sachen abgegeben, die Ignaz besorgen soll. Darunter auch Farbe und Pinsel. Offenbar wollen’s den Hof wieder auf Vordermann bringen, meint zumindest der Herrnbacher.«

Die beiden Männer standen in der Sakristei. Draußen war Alois Kammeier, der Meßner von St. Johann, damit beschäftigt, die Gesangbücher einzusammeln und zu ordnen. Pfarrer Trenker hatte sich des Meßgewandes entledigt und zog sein Jackett über.

»Das freut mich zu hören«, sagte er. »Da werd’ ich doch gleich nach dem Abendessen hinüberfahren und die neue Nachbarin begrüßen.«

Sophie Tappert hatte wie immer reichlich gedeckt, und Max schaute verzückt auf die verlockende Wurstplatte. Dabei entging ihm der Blick, mit dem sein Bruder ihn betrachtete.

»Sag’ mal, Max, täusche ich mich, oder hast du etwas zugelegt?« fragte der Geistliche und deutete auf den Hosenbund des Polizisten. »Da, am Bauch und um die Hüften…«

Max’ Hand, die gerade nach der Wurstplatte greifen wollte, blieb in der Luft hängen. Entgeistert sah er seinen Bruder an.

»Was red’st denn da?« empörte er sich. »Ich und zugenommen?«

Er bedachte Sebastian mit einem Blick, der Bände sprach.

»So ein Schmarr’n«, sagte er. »Ich kann essen was ich will, ich nehm’ kein Gramm zu!«

Pfarrer Trenker hatte seiner Haushälterin zugeblinzelt. Sophie Tappert stieß in dasselbe Horn wie Sebastian.

»Ich wollt’s ja eigentlich net sagen«, bekundete sie. »Aber aufgefallen ist’s mir auch schon…«

Jetzt war Max wirklich entsetzt. Die Perle des Pfarrhaushaltes war von Natur aus schweigsam, doch wenn sie mal etwas zu sagen hatte, dann hatte das in der Regel schon eine gewichtige Bedeutung. Der Beamte schaute an sich herunter, dann blickte er die beiden an.

»Meint ihr wirklich?« vergewisserte er sich, »oder wollt ihr mich nur foppen?«

»Bestimmt net. Das würd’ uns im Traum net einfallen«, versicherte Sebastian glaubhaft. »Aber ich weiß da einen Rat. Du hast doch vor zwei Jahren dieses Fahrrad gekauft, net wahr?«

»Fahrrad? Welches Fahrrad?«

»Na, dieses silbergraue Aluminiumrad, das so wenig wiegt. Du warst doch ganz begeistert davon.«

»Ach das«, erinnerte sich Max. »Ja, ich glaub’, das steht bei mir im Keller.«

»Siehst«, meinte Sebastian. »Nach dem Abendessen holst’ es aus dem Keller, und dann fahren wir zuammen zum Ponyhof hinauf. Und weil du’s dir ja wieder abstrampelst, darfst’ jetzt ruhig von der Salami nehmen.«

»Mit dem Rad zum Ponyhof hinauf?« fragte der Polizist entsetzt. »Das sind doch mindestens zwölf Kilometer – bergan!«

»Stimmt«, nickte der Pfarrer. »Dafür geht’s auf dem Rückweg wieder bergab.«

Max Trenker sah wieder auf die Wurstplatte, dann wieder auf seinen Bauch. Komisch, dachte er, mir ist überhaupt nicht aufgefallen, daß ich zugenommen hätte.

Den amüsierten Bilck, den Pfarrer Trenker und Sophie Tappert schnell tauschten, sah er allerdings nicht.

*

»Das beste wird sein, wenn wir uns einen regelrechten Plan machen, wie wir vorgehen«, schlug Sandra Haller vor.

Die Bewohner und Bewohnerinnen des Ponyhofes saßen draußen unter der alten Eiche an dem langen Holztisch. Resi Angermeier hatte mit Ninas Hilfe das Abendessen zubereitet. Zur Feier des Tages, und weil die drei Madeln ja den ganzen Tag unterwegs gewesen waren, gab es einen deftigen Schweinsbraten mit Kraut und Semmelknödeln.

Sandra und Anja hatten derweil mit Hubert die Ponys von der Weide geholt und in das Gatter getrieben, wo sie versorgt wurden

»Wie lang’ reicht denn noch das Futter?« hatte die junge Erbin sich sorgenvoll erkundigt.

Hubert Bachmann kratzte sich am Ohr.

»Eie gute Woch’ noch«, antwortete er zaghaft.

Es klang, als wollte er hinzufügen: Wenn wir sparsam sind!

»Ich muß morgen unbedingt erstmal auf die Bank, um zu sehen, wieviel Geld ich bekommen kann«, sagte Sandra.

Sie hatten die Tiere gefüttert und getränkt, dann riefen Resi und Nina zum Abendessen.

»Also, die Fremdenzimmer sind soweit okay«, meinte die schwarzhaarige Nina. »Resi und ich sind vorhin zusammen durchgegangen und haben alles aufgeschrieben, was noch gemacht werden muß. Bis auf ein wenig Farbe und Bettwäsche, die geflickt werden muß, sind sie in einem annehmbaren Zustand.«

»Na, wenigstens ein Lichtblick«, seufzte Anja. »Ställe machen keinen so guten Eindruck. Die Dächer müssen unbedingt repariert werden, und in den Wänden fehlen etliche Bretter.«

Das war ein Punkt, der zuerst erledigt werden mußte. Schließlich waren die Ställe vor allem auch für Gäste gedacht, die ihre eigenen Ponys oder Pferde mitbrachten.

»Gut«, nickte Sandra, während sie sich bediente. »Dann müssen wir das als erstes in Angriff nehmen. Aber wie gesagt, wir sollten uns einen Plan machen. Farbe und Pinsel sind ja schon bestellt, fehlen also noch Draht und Nägel.«

Sie schaute zur Einfahrt. Zwei Radler kamen eben hindurch und stiegen ab.

»Nanu, sollten das schon die ersten Gäste sein?« flachste Anja. »Das sind aber merkwürdige Ponys, die sie da mit sich führen.«

»Das ist ja unser Pfarrer«, rief Resi Angermeier. »Bestimmt will er dich willkommen heißen.«

Sandra stand auf und schaute die beiden Männer an.

»Grüß’ euch zusammen«, nickte Sebastian den Leuten zu, während Max grüßend die Hand hob.

Der Polizeibeamte war im Gegensatz zu seinem Bruder etwas außer Atem.

»Guten Abend«, nickte Sandra zurück und reichte Sebastian die Hand.

»Ich bin Pfarrer Trenker«, stellte der Geistliche sich vor. »Das hier ist mein Bruder Max. Er ist der Ordnungshüter in unserer schönen Gegend. Ja, herzlich willkommen. Ich hab’ von Ihrer Ankunft gehört und wollt’ Sie gleich begrüßen.«

»Das ist sehr freundlich, Hochwürden«, erwiderte das junge Madel, nachdem es sich und die beiden Freundinnen vorgestellt hatte. »Wir sind gerade beim Abendessen, dürfen wir Sie dazu einladen?«

Sebastian lehnte dankend ab, Max allerdings bekam große Augen, als er die herrlichen Klöße, den Braten und das Kraut sah. Er leckte sich die Lippen, doch dann bedankte er sich mit dem Hinweis, ebenfalls schon gegessen zu haben.

Wenn er daran dachte, wie oft er, um die Kaloerien wieder loszuwerden, auf’s Fahrrad steigen mußte, dann verging ihm der Appetit.

»Sie wollen also den Ponyhof wieder herrichten und das Hotel weiterführen?« erkundigte Sebastian sich.

Die beiden Besucher hatten dankbar die Einladung zu einem Getränk angenommen. In der Zwischenzeit war das Abendessen beendet, und Sandra und Sebastian machten einen kleinen Rundgang.

»Ja«, erwiderte die frischgebackene Hofbesitzerin. »Ich habe mich dazu entschlossen. Nicht zuletzt auch im Hinblick auf Resi und Hubert. Ich hätte es nicht über mich gebracht, die beiden in ein Altenheim zu schicken.«

Bei diesen Worten wurde es dem Geistlichen warm ums Herz. Es gehörte eine Menge Edelmut dazu, auf ein wahrscheinlich lukrativeres Geschäft zu verzichten, und sich dafür auf eine ungewisse Zukunft einzulassen.

»Sie sind eine ungewöhnliche Frau«, stellte er fest. »Andere in Ihrem Alter hätten sich’s wahrscheinlich einfacher gemacht. Auf jeden Fall sollen Sie wissen, daß Sie und Ihre Freundinnen immer mit meiner Hilfe rechnen können.«

»Vielen Dank, Hochwürden«, antwortete Sandra. »Ja, ich hoffe, daß ich es zusammen mit Nina und Anja schaffen werde. Einfach wird’s bestimmt nicht. Aber wenn wir uns beeilen, können wir vielleicht schon in dieser Saison wieder eröffnen.«

Sie waren zum Hof zurückgekehrt. An dem Tisch saßen nur noch Max Trenker und Nina Kreuzer im Gespräch vertieft. Die anderen waren im Haus.

»Ich würd’ mich freuen, wenn Sie und Ihre Freundinnen mich einmal drunten im Dorf besuchen«, lud der Geistliche Sandra ein.

»Das werden wir ganz bestimmt machen«, versprach sie.

»Also, Max, was ist?« rief Sebastian seinem Bruder zu. »Wir wollen zurück. Heut’ abend ist Stammtisch.«

Der Polizeibeamte sah auf und winkte.

»Ich komm’ schon.«

Dann schaute er der schwarzhaarigen Nina tief in die Augen. Die hatte ihm von den drei Madeln gleich am besten gefallen.

»Also, pfüat di«, sagte er. »Ich hoff’, wir seh’n uns mal auf dem Tanzabend drunten beim Löwenwirt.«

Nina erwiderte seinen Blick. Sie lächelte.

»Wer weiß«, antwortete sie. »In den nächsten Tagen haben wir hier alle Hände voll zu tun. Da bleibt nicht viel Zeit für irgendwelche Vergnügungen.«

»Na, das wär’ aber schad’«, meinte Max und blinzelte ihr zu.

Er stieg auf’s Rad und folgte seinem Bruder, der schon vorausgefahren war, und Max Trenker wunderte sich, warum sein Herz plötzlich so ungewöhnlich schnell schlug. Er wußte aber genau, daß es nicht am Radfahren lag…

*

Gleich am nächsten Morgen fuhr Sandra nach St. Johann hinunter. Das Gespräch mit dem Leiter der Bank war der wichtigste Punkt in ihrer Planung. Dr. Sonnenleitner hatte schon angedeutet, daß es nicht allzuviel sein könnte, was noch an Bargeld da war, aber zumindest für die Verpflegung der Ponys würde es doch hoffentlich reichen.

Trotz des dringenden Termins nahm das junge Madel sich die Zeit, die Gegend, die von nun an ihre neue Heimat sein würde, genauer in Augenschein zu nehmen, und als ob ihr jemand die Augen geöffnet hätte, erinnerte sie sich plötzlich an längst vergessen geglaubte Begebenheiten. Das letzte Mal, das sie ihre Großtante besucht hatte, mußte wohl achtzehn Jahre her sein, kurz bevor Sandra eingeschult wurde. Eine ewig lante Zeit, so schien es, dennoch fiel ihr plötzlich der alte Waschzuber ein, der damals immer samstags auf die Diele gestellt wurde. Samstags war Badetag!

Oder der Geschmack der köstlichen Marmelade, die Resi Angermeier aus den Früchten des Gartens kochte. Heute morgen zum Frühstück stand ein Topf auf dem Tisch. Als Sandra davon probierte, war es der alte, köstliche Geschmack, den sie von früher kannte.

Sie schaute zu den Bergen hinüber, deren Spitzen unter weißen Wolken verschwanden, sie sah eine Herde brauner Kühe, die zu einer Alm hinauf gebracht wurde, und sie blieb am Straßenrand stehen und beobachtete ein paar Wildtiere, deren Namen sie nicht kannte. Aber sie fühlte sich ihnen verbunden, spürte, daß sie dabei war, ein Teil dieser wunderschönen Landschaft zu werden.

Sandra erreichte St. Johann schneller als es ihr lieb war. Das Gespräch mit dem Bankmenschen lag ihr auf dem Magen. Langsam fuhr sie durch das Dorf und betrachtete dabei die schmucken Häuser mit den Lüftlmalereien. Beinahe majestätisch thronte die weiße Kirche auf einer Anhöhe. So hob sie sich von den anderen Häusern ab, stand aber in der Mitte des Ortes.

Die junge Frau sah die wenigen Geschäfte, die es in St. Johann gab. Wenig zwar, aber ausreichend für die Leute, die hier wohnten, oder Urlaub machten. Schließlich erreichte sie das Haus, in dem die Bank eine Filiale hatte. Sandra parkte ihren Wagen davor und stieg aus. Mit klopfendem Herzen öffnete sie die Tür und trat ein.

Nur wenige Kunden waren an diesem frühen Morgen in der Schalterhalle, die von einer Frau bedient wurden. Sandra wartete kaum fünf Minuten bis sie an der Reihe war.

Die Bankangestellte fragte nach ihren Wünschen und sah sie neugierig an, als Sandra ihren Namen sagte, und daß sie den Filialleiter zu sprechen wünschte.

»Bitte nehmen S’ einen Moment Platz«, bat die Frau. »Ich sag’ dem Herrn Rehringer gleich Bescheid.«

Sie deutete auf eine Nische, in der ein Schreibtisch und Stühle standen. Sandra setzte sich. Dabei rieb sie sich nervös die Hände. Nach kurzer Zeit erschien die Bankangestellte in Begleitung eines älteren Herrn.

Der Mann lächelte freundlich als er ihr die Hand gab.

»Guten Morgen, Frau Haller«, begrüßte er sie. »Ich hab’ schon gestern abend beim Stammtisch gehört, daß Sie den Hof Ihrer verstorbenen Tante übernehmen wollen. Schön, daß Sie gleich zu uns gekommen sind. Da können wir alle Einzelheiten besprechen.«

»Ja, mir liegt sehr daran, die geschäftliche Beziehung zu Ihrer Bank aufrechtzuerhalten.«

Anton Rehringer setzte sich ihr gegenüber und schaltete den Computer ein, der auf dem Schreibtisch stand.

»So«, sagte er. »In wenigen Augenblicken hab’ ich alles über das Konto auf dem Bildschirm.«

Er legte seine Arme auf den Tisch und faltete die Hände.

»Allerdings, Frau Haller, muß ich Ihnen gleich sagen, daß es alles andere als rosig aussieht. Der Ponyhof ist hoch verschuldet.«

Sandra zuckte bei diesen Worten zusammen. Verschuldet! Das wenig Geld da war, hatte sie ja geahnt, aber bedeutete dies, daß es überhaupt kein Bargeld gab?

»Nicht einen Pfennig«, bestätigte der Filialleiter, der ihre Reaktion richtig deutete. Er schaute auf seinen Bildschirm.

»Im Gegenteil, wir haben eine Forderung, die sich zur Zeit auf fünfundneunzigtausend Mark beläuft.«

Anton Rehringer blickte wieder auf seine Besucherin. »Ich will’s net verschweigen, Frau Haller, es steht Ihnen eine Zwangsversteigerung bevor, wenn Sie net in der Lage sein sollten, innerhalb von drei Wochen dieses Darlehen zurückzuzahlen.«

»Was?«

Sandras Augen weiteten sich vor Entsetzen.

»Aber… wieso?« fragte sie und hob hilflos die Arme.

»So sind die Bedingungen«, erklärte der Filialleiter. »Ihre Tante, die seinerzeit das Darlehen bekam, hat den Vertrag unterschrieben, und Sie, als Erbin, übernehmen automatisch alle Schulden, die auf dem Hof lasten.«

Fünfundneunzigtausend Mark! Die Zahl wirbelte durch Sandras Kopf. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nicht soviel Geld besessen. Geschweige denn, daß sie das Darlehen hätte bezahlen können. Bisher hatte sie sich mühsam von den Bafög-Zahlungen und mit Nebenjobs über Wasser halten können, doch damit war es jetzt auch aus.

Anton Rehringer schien wieder zu ahnen, welche Gedanken ihr durch den Kopf gingen. Er beugte sich vor.

»Soviel ich weiß, liegt Ihnen ein Angebot vor. Der Bauunternehmer Oberlechner würd’ den Ponyhof sofort übernehmen wollen. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Frau Haller, akzeptieren S’, und Sie sind mit einem Schlag alle Sorgen los.«

*

Wie im Traum ging Sandra Haller durch St. Johann. Noch immer konnte sie nicht glauben, was sie eben in der Bank erfahren hatte. Beinahe hunderttausend Mark benötigte sie, nur um den Ponyhof auszulösen. Da war nicht einmal das Geld eingerechnet, das gebraucht wurde, um die so notwendigen Renovierungen durchzuführen und den Hotelbetrieb wieder aufzunehmen.

In Gedanken überschlug das Madel wieviel Geld wohl noch auf dem eigenen Konto war. Notfalls konnte es gerade mal reichen, um das Futter für die Ponys zu bezahlen!

Aber war nicht sowieso alles vergebens? Sie hatte doch gar keine Möglichkeit, die drohende Zwangsversteigerung aufzuhalten. Und dann würde dieser Oberlechner den Hof wahrscheinlich für ein Butterbrot bekommen.

War es da nicht besser, vorher zu verkaufen, zu ihren Bedingungen? So wie der Nachlaßverwalter es angedeutet hatte, lag dem Bauunternehmer sehr viel am Erwerb des Ponyhofes. Auf jeden Fall konnte sie bei einem Verkauf mehr herausschlagen als bei einer Zwangsversteigerung.

Sandra blieb stehen. Sie wußte, daß sie das nicht alles alleine entscheiden konnte. Sie brauchte Rat, jemanden, der ihr sagte, was sie tun sollte.

Die Glocken von St. Johann schlugen die zehnte Morgenstunde. Sandra schaute zum Turm hinauf. Natürlich, warum hatte sie nicht gleich daran gedacht, Pfarrer Trenker um Rat zu fragen? Er hatte ihr doch seine Hilfe angeboten.

Sie überquerte die Straße und folgte dem Weg zur Kirche hinauf. Rechts und links säumten Buchsbaumhecken den Weg, dahinter war ein sorgfältig gemähter Rasen.

Die Tür zur Kirche war geöffnet. Sandra trat ein. Sofort umgab sie eine ruhige und angenehme Atmosphäre. Bewundernd schaute sie auf die Bilder und Figuren, die Personen aus der Bibel zeigten. Gold, Rot und Königsblau waren die vorherrschenden Farben. Durch die hohen Fenster fielen Sonnenstrahlen herein und tauchten alles in einen unwirklichen Schein.

Sandra sah sich um. Außer ihr war niemand in dem Gotteshaus. Sie wollte gerade wieder kehrtmachen, als jemand durch die Tür hereinkam.

»Hab’ ich mich doch net geirrt«, sagte Sebastian Trenker und reichte ihr die Hand. »Ich hatte drüben im Pfarrgarten zu tun, als ich Sie in die Kirche gehen sah. Schön, daß Sie so schnell meiner Einladung gefolgt sind.«

»Ich war gerade auf der Bank«, erklärte Sandra. »Leider war mein Besuch dort nicht sehr erfolgreich.«

Der Geistliche deutete auf die Bankreihe neben sich.

»Kommen S’, setzen S’ sich.«

Er ahnte, was Sandra auf dem Herzen hatte. Die Erbin des Ponyhofes erzählte ihm, was Anton Rehringer ihr eröffnet hatte.

»Tja, wie mir schon Dr. Sonnenleitner geraten hatte, hat auch der Filialleiter gesagt, daß es das beste wäre zu verkaufen, bevor der Hof unter den Hammer kommt.«

Sie sah Sebastian verzweifelt an.

»Was soll ich bloß machen?«

Pfarrer Trenker überlegte eine Weile, bevor er antwortete.

»Ich hab’ den Eindruck, daß Ihnen auch etwas an dem Hof liegt, und Sie ihn net nur wegen der Resi und dem Hubert behalten wollen«, sagte er schließlich. »Zusammen mit Ihren beiden Freundinnen könnten S’ es doch aus eigener Kraft schaffen, den Hof wieder flott zu machen, net wahr?«

»Ja«, nickte das Madel. »Das genau ist es ja, was wir vorhaben. Ich bin überzeugt, daß in spätestens drei Jahren der Betrieb so läuft, daß auch das Darlehen abbezahlt wäre. Nina Kreuzer, sie versteht etwas davon. Gestern abend hat sie stundenlang gesessen und alles durchgerechnet. Uns fehlen ein paar tausend Mark für die dringendsten Reparaturen und das Futter für die Tiere. Dann könnten wir sofort loslegen.«

»Und ein paar tüchtige Arbeitskräfte«, fügte Sebastian hinzu. »Aber daran soll es nicht scheitern.«

Er strich sich über das Kinn, dann stand er auf.

»Frau Haller, ich will Ihnen nichts versprechen«, sagte er, »aber ich will tun, was ich kann. Fahren S’ erst einmal zurück auf den Hof. Ich meld’ mich heut’, spätestens am Abend, bei Ihnen und sag’, ob ich etwas erreicht hab’.«

Als Sandra aus St. Johann herausgefahren war, schien es ihr schon wieder etwas leichter ums Herz. Die Worte des Geistlichen hatte ihre Zuversicht geschürt, daß doch noch nicht alles verloren war. Wenn keine größeren Pannen mehr passierten, dann bestand vielleicht eine winzige Chance.

Sie hatte diesen Gedanken kaum gehabt, als plötzlich der Motor ihres Wagens stotterte und schließlich ganz verstummte. Langsam rollte der Golf an den Straßenrand.

Sandra entriegelte die Motorhaube und stieg aus.

Nicht auch das noch, dachte sie bittend. Der Wagen war ihr einziges Kapital – und Fortbewegungsmittel.

Ratlos schaute sie unter die Haube. In dem Gewirr von Schläuchen, Drähten und Motorteilen konnte sie nicht erkennen, was die Ursache dafür war, daß der Motor streikte.

Ein Unglück kommt selten allein, ging es ihr durch den Kopf, als sie sich hilflos umschaute, ob von irgendwoher Rettung nahen müßte.

*

Stephan und Markus waren schon ganz früh am Morgen zu einer Wanderung aufgebrochen. Am Vorabnd waren sie in St. Johann eingetroffen, wo sie in einer kleinen Pension geschlafen hatten. Wäre es nach Stephan gegangen, dann hätten sie auch diese Nacht im Freien verbracht, aber Markus hatte darauf bestanden, ein Zimmer zu nehmen.

»Ich will duschen und mich nicht an einem Bach waschen«, argumentierte er. »Außerdem würd’ ich gerne wieder einmal richtig schön frühstücken mit Brötchen, Kaffee und Ei.«

Diesen Argumenten hatte Stephan sich nicht verschließen können. Der Preis für das Zimmer war erträglich, und das Frühstück am Morgen erwies sich genauso, wie Markus es sich erträumt hatte.

Gleich nachdem sie es eingenommen hatten, zogen die beiden Freunde los. Ihr Gepäck durften sie bis zum Abend in der Pension lassen, nur den kleinen Rucksack mit der Notfallausrüstung und den Fotoapparat nahmen sie mit. Weit wollten sie an diesem ersten Tag nicht. Nur ein wenig die Gegend erkunden und herausfinden, ob es irgendwo die Möglichkeit gab, auf einem der Berghöfe für ein paar Tage unterzukommen.

Doch bisher hatten sie nur ablehnende Bescheide erhalten. Fast ein wenig mutlos machten sie sich auf den Rückweg nach St. Johann.

»Du, schau’ mal da unten«, deutete Markus den Hang hinunter.

Unten auf der Straße stand ein silberfarbener Golf und davor eine junge Frau.

»Scheint ’ne Panne zu haben«, mutmaßte Stephan. »Dann wollen wir mal sehen, ob wir helfen können.«

Wie eine Gemse sprang er den Hang hinunter, Markus folgte vorsichtiger.

»Grüß’ Gott«, rief Stephan, noch bevor er die Straße erreicht hatte. »Will er nicht mehr?«

Sandra Haller hob hilflos die Arme.

»Ich weiß beim besten Willen nicht, was er hat.«

Der junge Mann stand neben ihr und schmunzelte sie an.

»Aber Benzin ist genug im Tank, oder?« fragte er grinsend.

Sandra lachte ebenfalls.

»Ja, das war das erste, was ich kontrolliert habe«, antwortete sie.

Der Bursche sah nett aus, er gefiel ihr.

Inzwischen war auch Markus herangekommen.

»Er ist der Bastler von uns beiden«, erklärte Stephan, nachdem die drei sich bekannt gemacht hatten.

»Das haben wir gleich.«

Markus Reinders steckte seinen Kopf unter die Motorhaube und rumorte dort herum. Sandra und Stephan sahen sich fragend an.

»Ich hab’ keine Ahnung was er macht«, sagte der Student.

Dann schaute er sie treuherzig an.

»Aber zur Not schieben wir Sie nach Hause«, versprach er.

»Das werden wir auch wohl müssen«, rief Markus, der die Unterhaltung mit angehört hatte. »Ohne Werkzeug kann ich da gar nichts machen. Oder haben Sie welches an Bord?«

Sandra zuckte die Schulter.

»Ich glaub’, nur ein Radkreuz…«

Markus wischte sich die Hände an der Hose ab und grinste.

»Das hab’ ich mir beinahe gedacht«, meinte er »Ist es denn weit?«

»Nicht mehr. Vielleicht so – sechs Kilometer.«

»Na, das muß doch zu schaffen sein«, sagte Stephan und spuckte in die Hände. »Also, einsteigen, Handbremse lösen und den Gang raus. Alles andere machen wir, Sie müssen nur lenken.«

*

Anton Rehringer sah verdutzt auf, als Sebastian Trenker die Bankfiliale betrat.

»Nanu, Hochwürden, das ist aber ein seltener Besuch«, stellte er fest.

Außerdem wunderte er sich, daß der Herr Pfarrer nicht schon gestern abend beim Stammtisch seinen Besuch angekündigt hatte.

Der Filialleiter stand von seinem Stuhl auf und begrüßte den Seelsorger.

»Bittschön, nehmen S’ Platz«, sagte er und deutete auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch. »Was kann ich für Sie tun?«

»Es geht net direkt um mich«, erklärte Sebastian. »Ich möcht’ vielmehr für jemand anderen mit Ihnen sprechen.«

Anton Rehringer machte ein schelmisches Gesicht. »Schade, Hochwürden«, schmunzelte er. »Ich hatte schon gehofft, Sie würden mich endlich einmal um den Überziehungskredit bitten, den ich Ihnen schon seit zehn Jahren anbiete.«

Er schüttelte den Kopf.

»Mit Ihnen ist aber auch wirklich kein Geschäft zu machen!«

Sebastian schmunzelte ebenfalls, wurde gleich darauf aber wieder ernst.

»Die Frau Haller war vorhin bei Ihnen«, begann er das Gespräch. »Sandra Haller, die neue Besitzerin vom Ponyhof.«

»Ja. Ich weiß, wen Sie meinen.«

»Es schaut net gerade gut aus, für den Hof und seine Bewohner…«

»Nein, das kann man wirklich net sagen.«

Der Filialleiter sah seinen Besucher forschend an.

»Hochwürden, ich will Ihnen net verhehlen, daß ein Verkauf an den Oberlechner die bessere Lösung wäre. Alle hätten was davon, auch unsere Bank. Denn ganz bstimmt würde die Finanzierung der Seniorenwohnanlage über uns laufen. So ein Geschäft macht man net alle Tag’. Trotzdem – eine winzige Möglichkeit gäb’s noch. Aber dazu müßte das Fräulein Haller mir einen, besser noch zwei Bürgen bringen und einer Umschuldung zustimmen.«

Er erläuterte Sebastian die Einzelheiten. Als der Geistliche sich nach einer weiteren Viertelstunde verabschiedete, schwirrte ihm der Kopf nur so von den Zahlen, die Anton Rehringer ihm wieder und wieder hingeworfen hatte. Doch wenn man es genau betrachtete, war dies durchaus eine akzeptable Lösung des Problems. Zwar würde der Ponyhof zumindest für weitere zehn Jahre verschuldet sein, doch Sebastian war überzeugt, daß das Konzept der drei Madeln funktionieren würde. Bestimmt war es kein leichtes Unterfangen, aber ohne ein gewisses Risiko konnte es wohl nicht gehen.

Immerhin konnte er am Abend mit einer positiven Nachricht zum Hof hinauffahren.

*

Die anderen staunten nicht schlecht, als Sandra, angetrieben durch die Muskelkraft zweier junger Burschen, durch die Einfahrt chauffierte. Nina und Anja kamen herangelaufen und halfen die letzten Meter zu schieben.

»Da drüben in der Scheune ist eine kleine Werkstatt«, erklärte Sandra, nachdem sie ausgestiegen war. »Vielleicht finden Sie dort, was Sie brauchen.«

Markus nickte.

»Ich will mal schau’n.«

Zusammen mit Stephan verschwand er in der Scheune.

»Was ist denn mit dem Wagen?« fragte Nina.

»Keine Ahnung«, gab das Madel zu. »Ich hoff’ nur, daß Markus ihn wieder hinkriegt.«

Anja Burger schaute zur Scheune hinüber, in der die jungen Männer verschwunden waren.

»Markus heißt er? Nicht schlecht…«

Nina stieß sie an.

»Na, na, wir haben keine Zeit für Liebeleien!«

»Also, das mußt du gerade sagen«, gab Anja zurück. »Du hast doch gestern abend schon diesen Max, den Bruder von dem Pfarrer verrückt gemacht.«

Nina wurde verlegen. Sie hatte gehofft, daß die Freundinnen nichts davon mitbekommen hätten, doch offenbar…

»Mensch, ihr habt Sorgen«, sagte Sandra und ließ die Schulter hängen.

»Was ist? War’s denn so schlimm auf der Bank?« fragten die beiden anderen.

»Viel schlimmer«, gab sie zurück. »Wir sind pleite, noch bevor wir überhaupt angefangen haben.«

Die beiden Madeln starrten sie ungläubig an. Mit solch einer schlechten Nachricht hatten sie nicht gerechnet.

Bevor sie erzählen konnte, kamen Stephan und Markus aus der Scheune zurück. Offenbar waren sie fündig geworden, sie trugen eine große Werkzeugkiste zum Wagen heran.

»So, jetzt kann’s losgehen«, meinte Markus.

Sandra hob die Arme.

»Ich weiß gar nicht, wie ich das wiedergutmachen kann. Und überhaupt: ich bin eine schlechte Gastgeberin. Besitmmt haben Sie beide fürchterlichen Durst nach dieser Schieberei.«

»Ich hol’ was zu trinken«,

bot Anja an und lief schon ins Haus.

Sandra und Nina folgten ihr. Drinnen gaben sie Resi Bescheid, daß zum Mittagessen zwei weitere Gäste da waren. Dann setzten sie sich in die Wohnstube und warteten auf Anjas Rückkehr.

*

»Mensch, das ist doch ideal hier für uns«, sagte Stephan zu Markus, der halb im geöffneten Motorraum hing und daran herumhantierte.

»Wieso?« fragte er.

»Na, schau’ dich doch nur um. Was es hier alles zu tun gibt! Ich will Oskar heißen, wenn wir nicht mindestens vier Wochen hierbleiben können.«

Er beugte sich zu Markus hinunter.

»Überhaupt, sind dir unsere reizenden Gastgeberinnen noch nicht aufgefallen? Also, die Sandra, die hat was. Na, und Anja, die uns vorhin das Bier gebracht hat, also, wie die dich angeschaut hat… Der Blick sprach Bände!«

»Wirklich? Ist mir gar nicht aufgefallen.«

»Kein Wunder, wenn du nur den Motor anhimmelst. Wie weit bist du denn?«

»Setz’ dich rein und starte mal.«

Markus tat, wie ihm geheißen. Der Motor kam auf Anhieb.

»Die Benzinleitung war verdreckt«, erklärte Markus Sandra. »Jetzt tut er’s wieder.«

Die beiden jungen Männer hatten sich die Hände gewaschen. Jetzt saßen sie, zusammen mit den Madeln, draußen auf dem Hof.

»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken kann«, sagte die Hofbesitzerin.

Stephan, der direkt neben ihr saß, blickte sie an.

»Ich wüßte da schon was«, meinte er und machte eine umfassende Armbewegung. »So wie’s hier ausschaut, können Sie ein wenig Hilfe gebrauchen. Markus und ich würden Ihnen gerne ein wenig zur Hand gehen. Dafür bräuchten wir ein Dach über dem Kopf und drei Mahlzeiten am Tag. Was halten Sie von meinem Vorschlag?«

Die drei jungen Frauen sahen sich an. Anjas Herz schlug besonders schnell, als sie an die Aussicht dachte, Markus jetzt erst richtig kennenlernen zu können.

»Keine schlechte Idee«, nickte Nina. »Handwerklich geschickte Männer kann man immer gebrauchen.«

Sandra überlegte. Ihr Besuch auf der Bank war nicht sehr glücklich verlaufen, aber Pfarrer Trenker hatte seine Hilfe zugesagt. Das mochte noch nicht viel heißen, aber sie hatte das Gefühl, daß es irgendwie weitergehen würde. Da war es doch töricht, solch ein Angebot auszuschlagen.

»Vier«, sagte sie schließlich zu den beiden Burschen. »Sie bekommen vier Mahlzeiten am Tag’, denn der Kuchen, den unsere Resi backt, ist unwiderstehlich zum Nachmittagskaffee. Aber jetzt wollen wir erst einmal Mittagessen.«

*

Im Büro des Bauunternehmers Oberlechner herrschte dicke Luft, und das lag nicht an der Zigarre, die der Chef von fünfunddreißig Mitarbeitern vor sich hinpaffte. Gerade eben hatte er einen Anruf erhalten, der alle seine Pläne mit einem Schlag zunichte machte.

»Da soll doch der Teifi d’reinschlagen!« schimpfte er und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Elfriede Hirschbiegel, seine Sekretärin, zog unwillkürlich den Kopf ein. Sie kannte solche Wutausbrüche. Schon als sie den Anruf entgegennahm, hatte sie ein ungutes Gefühl. Die Lautstärke, in der ihr Chef das Gespräch dann führte – sie konnte jedes einzelne Wort im Vorzimmer hören – bestätigte ihre Vermutung, daß Anton Rehringer keine guten Nachrichten hatte.

Die Endvierzigerin zuckte zusammen, als Friedrich Oberlechner die Tür aufriß und hereinstürmte.

»Saubande, elendige«, fluchte er fürchterlich. »Möcht’ nur wissen, woher die zwei Bürgen her hat! Abfackeln müßt’ man den ganzen Laden.«

Er ging unablässig auf und ab und brüllte dabei umher. Der bullige Bauunternehmer machte seinem Herzen derart laut Luft, daß seine Sekretärin nach und nach alle Einzelheiten zu hören bekam, ohne, daß sie auch nur ein Wort gefragt hätte.

»Aber wart’, die werden mich kennenlernen«, drohte der Chef und verließ den Raum.

Elfriede Hirschbiegel hörte ihn noch auf der Straße schimpfen, dann schlug eine Autotür, und wenig später fuhr der große Wagen ihres Arbeitsgebers vom Firmenhof. Die Frau griff zum Telefon und wählte die Nummer ihrer besten Freundin. Diese Neuigkeit konnte sie einfach nicht für sich behalten.

*

Die drei Madeln hatten gespannt zugehört, was der Seelsorger von St. Johann ihnen zu sagen hatte. Dann wurde stundenlang beratschlagt. Immerhin galt es eine Entscheidung zu treffen, die das Leben dreier Menschen von Grund auf verändern würde. Das konnte man nicht einfach innerhalb von wenigen Augenblicken tun. Schließlich, es war schon nach Mitternacht, Sebastian war längst schon wieder in St. Johann, waren die drei sich einig. Sie wollten das Risiko, das dieses Unternehmen in sich barg, eingehen. Nina und Anja würden die Bürgschaften übernehmen und zusammen wollten alle drei gleichberechtigte Partner sein. Der Ponyhof sollte wieder im alten Glanz erstrahlen.

Stephan und Markus saßen ebenfalls mit am Tisch. Die beiden bewunderten die Madeln für ihren Mut.

»Da habt ihr euch aber was vorgenommen«, meinte Stephan.

Längst war man sich einig geworden und sprach sich mit Vornamen und du an. Am Abend waren die beiden unten im Dorf gewesen und hatten ihr Gepäck aus der Pension geholt.

»Markus und ich helfen euch jedenfalls, so gut wir können. Ich sogar noch länger, Markus muß nach den Ferien zurück an die Uni, aber ich kann noch bleiben.«

»Also, wenn die Eröffnung ansteht, kann vielleicht meine Schwester etwas für euch tun«, erklärte Markus Reinders. »Sie arbeitet in einem großen Münchener Reisebüro, das mit unzähligen anderen in ganz Deutschland zusammenarbeitet. Ich werde die Kathrin mal anspitzen, daß sie ein bißchen Reklame für euren Hof macht.«

»Das wär’ ja super«, freuten die Frauen sich.

Anja lächelte Markus an, und er lächelte zurück. Offenbar hatte Stephan sich nicht getäuscht, das Madel mit den lustigen Sommersprossen auf der Nase schien sich tatsächlich ein wenig in ihn verguckt zu haben. Jedenfalls hatte es den ganzen Abend über Markus’ Nähe gesucht.

Sein Blick glitt zu Stephan hinüber, der sich angeregt mit Sandra unterhielt. Markus bemerkte, daß sie dem Freund aufmerksam zuhörte und ihn dabei anschaute, als ob…

Einzig Nina Kreuzer saß über den Tisch gebeugt. Sie hatte sich in ihre Aufzeichnungen vertieft. Neben dem Block lag ein Taschenrechner, in den sie immer wieder endlose Zahlenreihen tippte. Schließlich gähnte sie verhalten und rieb sich die müden Augen.

»Also, Leute, ich geh’ schlafen«, verkündete sie. »Morgen wird’s wieder ein langer Tag.«

»Recht hast du«, nickte Sandra und stand auf, obwohl sie eigentlich noch neben Stephan hätte sitzen mögen.

Es ist schon merkwürdig, wie das Schicksal manchmal mit den Menschen spielt, dachte sie, als sie in ihrem Bett lag. Es hatte ihr einen völlig überschuldeten Hof und zwölf Ponys beschert, und heute waren unerwartet zwei hilfreiche Menschen in ihr Leben getreten, von denen einer sie ganz besonders ansprach. Sandra spürte ganz deutlich, wie sie drauf und dran war, sich in Stephan Rössner zu verlieben, und es war ein herrliches Gefühl.

*

Obwohl es in der Nacht so spät geworden war, standen alle Bewohner des Ponyhofes pünktlich am frühen Morgen in der Küche und freuten sich auf das Frühstück. Während sie es sich schmecken ließen, wurden die Aufgaben verteilt. Stephan und Markus würden sich zuerst um die Dächer der beiden Ställe kümmern, die dringend repariert werden mußten. Noch war es herrliches Sonnenwetter, doch auch jetzt, im Mai, konnte es Regen geben.

Sandra und Hubert versorgten die Ponys, während Nina und Sandra die Fremdenzimmer in Angriff nahmen. Resi hatte genug mit der Hausarbeit und dem Kochen zu tun.

»Na, hab’ ich nicht recht gehabt?« wollte Stephan wissen, als er und Markus auf dem Dach saßen und mit Hammer und Nägeln die losen Bretter befestigten. »Anja ist doch ganz vernarrt in dich. Und die Sandra, Himmel, ist das eine tolle Frau.«

Er beugte sich zu dem Freund hinüber, der ihn angrinste.

»Im Vertrauen – ich glaub’, ich bin zum ersten Mal so richtig verliebt. Und ich denk’, daß ich ihr nicht ganz gleichgültig bin. Und du? Magst’ die Anja auch?«

Markus nickte. Ja, dieses Madel hatte sein Herz im Sturm erobert. Nur, es ihr zu sagen, den Mut hatte er noch nicht gehabt.

»Wart’s ab«, meinte Stephan. »Übermorgen fahren wir alle nach St. Johann. Im Hotel ›Zum Löwen‹ ist Tanzabend. Da findet sich schon eine Gelegenheit. Ich werd’ jedenfalls den ganzen Abend mit Sandra tanzen und sie keinem anderen überlassen!«

Sie arbeiteten fast vier Stunden ohne Pause, dann war das Gröbste geschafft. Allerdings würden früher oder später die beiden Ställe mit neuer Dachpappe gedeckt werden müssen.«

»Hallo, ihr zwei da oben«, rief Anja von unten herauf. »Sandra meint, ihr habt euch eine Pause verdient. Außerdem gibt’s Mittagessen.«

»Wir sind fertig«, antwortete Stephan.

Sie stiegen herunter und gesellten sich zu den Madeln, die schon am gedeckten Tisch saßen. Resi brauchte aber noch eine Weile. Sandra, die für die beiden Männer Bier einschenkte, wollte sich gerade erkundigen, wie weit sie mit den Stalldächern waren, als eine große blaue Limousine mit großer Geschwindigkeit auf den Hof fuhr.

»Jesses, das ist der Oberlechner«, sagte Resi, die eben mit einer Schüssel voll dampfender Kartoffeln aus der Tür trat.

Der Bauunternehmer stieg aus und knöpfte das Jackett zu. Dann kam er an den Tisch und nickte.

»Grüß’ Gott, mit einand’. Ich hätt’ gern das Fräulein Haller gesprochen.«

Sandra stand von ihrem Stuhl auf.

»Das bin ich. Was kann ich für Sie tun, Herr…?«

Natürlich kannte sie den Namen längst durch Resis Ausruf, dennoch tat sie so, als wisse sie nicht, mit wem sie es zu tun hatte.

»Oberlechner ist mein Name«, antwortete der Besucher. »Friedrich Oberlechner – Sie haben doch bestimmt schon von mir gehört.«

»Ja, richtig. Ich erinnere mich. Der Herr Sonnenleitner hat Ihren Namen genannt.«

Der Bauunternehmer schaute zu den anderen am Tisch

und wandte sich wieder Sandra zu.

»Wär’ es wohl möglich, daß ich Sie allein sprechen könnt’ – ich hätt’ da was mit Ihnen zu bereden.«

Trotz der Wut, die in ihm kochte, hatte der Mann sich gut in der Gewalt. Er wußte, daß es nichts brachte, wenn er sich jetzt und hier so gab, wie es seinem Naturell entsprach – ungeduldig und jähzornig. Immerhin war er in der Hoffnung hierher gekommen, die neue Besitzerin des Ponyhofes davon zu überzeugen, daß sie in jedem Fall besser damit fuhr, wenn sie doch noch an ihn verkaufte. Aber er wurde maßlos enttäuscht.

»Was immer Sie mir zu sagen haben, Herr Oberlechner, meine Freundinnen hier können alles mit anhören«, antwortete Sandra Haller. »Sie sind nämlich nicht nur meine besten Freundinnen, sondern auch meine Geschäftspartnerinnen. Ich weiß, daß Sie Interesse an diesem Hof haben, aber ich kann Ihnen gleich sagen, daß wir jedes Angebot ablehnen werden. Der Ponyhof steht nicht zum Verkauf!«

Die Kinnlade des Bauunternehmers klappte herunter. So wie dieses junge Ding mit ihm sprach, hatte noch niemand zu reden gewagt.

»Und Dank der Hilfe dieser beiden Männer, gehen die Renovierungsarbeiten zügig voran«, zeigte Sandra auf Stephan und Markus.

Friedrich Oberlechner rang noch immer um Fassung.

»Wissen S’ überhaupt, worauf Sie sich da einlassen?« blaffte er. »Sie haben doch gar keine Ahnung von diesem Geschäft.«

»Da machen Sie sich mal keine Sorgen«, mischte sich Nina in das Gespräch. »So etwas kann man nämlich lernen.«

Der Bauunternehmer, der sich für einen gewieften Geschäftsmann hielt, mußte einsehen, daß er hier so ohne weiteres nichts ausrichten konnte. Wutschnaubend drehte er sich um und ging zu seinem Wagen zurück.

»Ihr werdet noch sehen, was ihr davon habt, das versprech’ ich euch«, brüllte er, bevor er die Autotür zuschlug und vom Hof brauste.

»Wie hat er denn das gemeint?« fragte Sandra und sah die anderen ratlos an.

»Ach, der ist doch bloß sauer, weil er den Hof nicht bekommt«, winkte Anja ab. »Mach dir doch deswegen keine Gedanken.«

»Genau«, stimmte Markus zu. »Außerdem haben wir wichtigeres zu tun. Ich hab’ mir vorhin mal die Scheune angesehen. Dort müßten dringend die elektrischen Leitungen repariert werden. Aber dafür brauchen wir etliche Meter Kabel, verschiedene Klemmen und Steckdosen, und vor allem einen neuen Sicherungskasten. Der alte stammt ja noch aus der Urzeit des elektrischen Stroms. Wenn ihr wollt, kümmere ich mich darum. Ich bräuchte dann am Nachmittag das Auto, um die Sachen zu besorgen. Wahrscheinlich werde ich sie in St. Johann gar nicht bekommen, sondern in die Kreisstadt fahren müssen.«

»Prima«, rief Anja. »Da komm’ ich mit.«

Sandra nickte geistesabwesend.

»Ist mir recht«, erwiderte sie.

In Gedanken war sie immer noch bei dem unangenehmen Besucher. Seine letzten Worte gingen ihr nicht aus dem Sinn.

Sie hatten so etwas Bedrohliches.

*

Sebastian Trenker betrachtete forschend seinen Bruder. Seit ein paar Tagen war eine Veränderung mit Max vorgegangen, der Geistliche konnte nur noch nicht genau sagen, was es war.

Zuerst bemerkte er, daß der Polizeibeamte nicht mehr so früh zu den Mahlzeiten erschien wie früher. Und dann wirkte er immer so abgekämpft. Außerdem stellte Sebastian fest, daß Max längst nicht mehr so viel verdrückte, wie noch vor kurzem. Im Gegenteil, neuerdings ließ er sogar den Nachtisch stehen. Hatte der Bruder etwa den kleinen Schabernack mit der angeblichen Gewichtszunahme für bare Münze genommen? Oder war es etwas Schlimmeres?

»Sag’ mal, bist etwa krank?« fragte der Pfarrer, als sie gerade das Mittagessen beendet hatten.

Auch diesmal hatte Max wieder auf das Dessert – eine echt bayerische Creme mit frischen Himbeeren – verzichtet. Schon beim Hauptgang hatte er bescheidener zugelangt, als es sonst seine Art war.

»Nein, nein«, antwortete er fröhlich. »Mir geht’s bestens.«

Er stand vom Tisch auf.

»Ihr entschuldigt mich«, sagte er. »Aber bevor mein Dienst wieder beginnt, möcht’ ich noch ein paar Runden auf dem Rad drehen. Vielen Dank übrigens, daß du mich d’ran erinnert hast, Sebastian, ich fühl’ mich wie neugeboren, seit ich wieder regelmäßig radfahre. Also, pfüat euch, ich schau’ am Abend wieder vorbei.«

Damit verschwand er durch die Tür.

Pfarrer Trenker und seine Haushälterin sahen sich verblüfft an.

»Verstehen S’ das, Frau Tappert?« fragte Sebastian. »Er fährt Rad, er ißt weniger, und heut abend, da schaut er vorbei. Er hat net gesagt, er käme zum Abendessen, sondern, er schaut vorbei… hat er etwa unseren kleinen Scherz von neulich falsch verstanden?«

Die Perle des Pfarrhaushalts zuckte die Schultern.

»Entweder das, oder es gibt eine andere Erklärung, die mir für Ihren Herrn Bruder passender erscheint, Hochwürden. Ich vermute, der Max ist wieder einmal verliebt.«

*

Die junge Dame, die das Herz des Polizisten von St. Johann im Sturm erobert hatte, saß auf dem Ponyhof draußen am Tisch und schrieb und rechnete. Morgen nachmittag war der Termin bei der Bank, dann sollte der neue Darlehensvertrag unterschrieben werden. Aus diesem Grund war Nina Kreuzer seit Stunden damit beschäftigt, auszurechnen, wieviel sie wohl noch aufnehmen mußten, damit sie auch eine eventuelle Durststrecke überstehen konnten.

Nina hatte gerade eine Pause eingelegt, als sie den Polizeiwagen auf den Hof fahren sah. Sie schmunzelte, als sie Max Trenker hinter dem Steuer entdeckte. Fesch schaut’ er schon aus, dachte sie. Aber gewiß ist er auch ein Hallodri! Ich wette, es gibt so manches gebrochenes Herz auf seiner Strecke.

Max war ausgestiegen und kam herangeschlendert.

»Grüß’ dich«, nickte er dem schwarzhaarigen Madel zu. »Ich wollt’ mal schau’n, wie’s bei euch weitergeht.«

»Alles bestens«, antwortete sie. »Setz’ dich doch. Magst einen Kaffee?«

Sie lächelte.

»Oder bist’ im Dienst?«

Max lachte mit ihr.

»Nein, nein, ein Kaffee ist schon erlaubt – wenn kein Schnaps d’rin ist.«

Nina eilte ins Haus und kam mit einer Tasse zurück. Die Kanne mit dem Kaffee stand noch auf dem Tisch.

»Bist ganz allein?« erkundigte sich der Beamte.

»Anja ist mit Markus in die Stadt gefahren. Sie besorgen ein paar Sachen, um die Elektrik in Ordnung zu bringen«, erklärte sie. »Und Sandra ist mit Hubert und Stephan zu den Ponys hinaus. Der Tierarzt wollte kommen und sehen, ob die Tiere gesund sind.«

»Was ich dich fragen wollt’«, sagte Max Trenker, »magst am Samstag mit zum Tanzabend gehen? Ich tät’ mich freuen…«

Nina tat, als müsse sie überlegen, dabei war es längst beschlossene Sache. Aber nur nicht gleich zusagen. Man muß den Fisch ein bissl zappeln lassen, dann hatte man ihn um so sicherer an der Leine.

»Warum net«, antwortete sie schließlich. »Ein bißchen Abwechslung wird uns allen guttun. Ich bin sicher, daß die anderen mitkommen.«

»Prima«, freute sich Max. »Dann werd’ ich einen Tisch freihalten.«

Er trank seinen Kaffee aus und stand auf.

»Also, ich muß jetzt – leider –, aber ich freu’ mich auf Samstag abend.«

»Ich mich auch«, antwortete Nina und sie merkte, daß es nicht gelogen war.

Nachdenklich schaute sie dem davonfahrenden Wagen nach. Sie freute sich tatsächlich darauf, mit dem feschen Max Trenker zu tanzen.

*

Wie er es schon richtig geahnt hatte, mußte Markus in die Kreisstadt fahren, um die Dinge zu kaufen, die für die Renovierung der elektrischen Leitungen be

nötigt wurden. Anja Burger freute sich natürlich darüber. Um so länger war sie doch mit ihm alleine.

Am Rande der Kreisstadt gab es einen Baumarkt, in dem Markus alles fand, was er auf seine Liste geschrieben hatte. So hatten sie den Einkauf schnell erledigt. Als sie vom Parkplatz herunterfuhren, hatte Anja eine Idee. Selbstverständlich hatte sie überhaupt keine Lust, schon nach St. Johann zurückzufahren.

»Laß uns doch noch ein bißchen bummeln gehen«, bat sie. »Ich möcht’ so schrecklich gern’ mal wieder in ein Eiscafé. Ich sterbe für Spaghettieis!«

»Um Himmels willen, nur das nicht«, ging Markus auf ihre Bemerkung ein. »Da muß ich sofort etwas dagegen unternehmen.«

Statt auf die Umgehungsstraße fuhr er die Richtung zur Innenstadt. Sie stellten den Wagen in einem Parkhaus ab und schlenderten vergnügt durch die Fußgängerzone.

»Ach, ist das herrlich«, schwärmte das Madel. »Also, ich muß sagen, auf dem Ponyhof ist es ja schön ruhig und idyllisch, aber ab und zu ein Schaufensterbummel, der muß sein.«

Sie deutete auf einen Pullover in der Auslage eines Geschäftes.

»Ist der nicht todschick?«

Ihre Hand war schon nach der Tür ausgestreckt, als sie sie wieder zurückzog.

»Nee, lieber nicht«, meinte sie. »Der kostet ja fast hundert Mark. Das Geld kann ich lieber sparen. Es wird sowieso knapp genug in der nächsten Zeit.«

»Komm’, da drüben ist ein Eiscafé, ich lad’ dich ein«, sagte Markus und zog sie mit sich. »Ich find’ es übrigens toll von dir und Nina, daß ihr Sandra so zur Seite steht.«

»Und ich find’s toll, daß ihr, du und Stephan, so hilfsbereit seid.«

Sie waren stehengeblieben. Markus hielt sie immer noch am Arm fest. Anja spürte ihr Herz schneller pochen als er sie an sich zog.

»Am tollsten find’ ich dich«, flüsterte er und beugte sich über sie.

Die anderen Passanten gingen schmunzelnd an dem Paar vorüber, das sich da so innig küßte, doch ein älteres Ehepaar blieb stehen.

»So hast’ mich aber lang’ net mehr in den Arm genommen«, sagte die Frau vorwurfsvoll zu ihrem Mann.

Der schaute sie einen Moment verdutzt an, dann legte er seinen Arm um sie und drückte sie an sich.

»Was die jungen Leut’ können, das können wir schon lang’«, meinte er zu seiner Frau und küßte sie liebevoll.

*

Jeden Samstag ging es beim Löwenwirt hoch her. Das allwöchentliche Tanzvergnügen lockte immer wieder die Leute aus St. Johann und Umgebung, und natürlich nahmen sehr gerne die Touristen daran teil, die in dem Bergdorf ihren Urlaub verbrachten. So war es nur gut, daß Max einen Tisch hatte reservieren lassen. Als die fünf vom Ponyhof den Saal betraten, herrschte schon eine Bombenstimmung. Der Dorfpolizist wartete ungeduldig. Als er Nina und die anderen in der Tür stehen sah, winkte er ihnen zu.

»Schön, daß ihr da seid«, rief er durch die laute Musik und rückte dem Madel den Stuhl zurecht.

Eine der Saaltöchter nahm die Bestellung auf, und schon bald zog es Anja und Markus auf die Tanzfläche. Die beiden machten aus ihrer Liebe keinen Hehl, und die anderen freuten sich mit ihnen.

»Wollen wir auch?« fragte Stephan, als auch Nina und Max tanzten.

»Warum net?« lachte Sandra. »Deshalb sind wir ja hergekommen.«

Stephan Rössner führte sie auf das Parkett, leicht wiegte sie sich in seinen Armen. Sandra hatte das Gefühl zu schweben, als sie über die Tanzfläche glitten.

Es war eine wundervolle Stimmung, in der sich das junge Madel befand. Gestern hatten sie und die beiden Freundinnen den Vertrag mit der Bank unterzeichnet. Damit waren sie alle drei zu Eigentümerinnen des Ponygestüts geworden, auch wenn die Partnerschaft erst noch notariell besiegelt werden mußte. Aber auch das würde in der nächsten Woche geschehen. Die Hauptsache war ja die finanzielle Seite abzusichern, und das war gestern geschehen.

Dank der Hilfe durch Pfarrer Trenker. Sandra wußte, daß sie und die anderen sich gar nicht genug dafür bedanken konnten. Aber sie hatten sich schon vorgenommen, ein großes Fest für alle Bewohner des Dorfes zu geben. Einerseits, um sich allen vorzustellen, andererseits aber auch, um ein wenig Reklame für den Ponyhof zu machen. Pfarrer Trenker würde auf jeden Fall der Ehrengast sein.

Und dann gab es noch einen Grund für Sandra, glücklich zu sein – Stephan hielt sie in seinen Armen.

Glückselig tanzte sie und schaute ihn verliebt an.

Stephan, dem dieser Blick nicht verborgen bleiben konnte, lächelte sie an. Ohne ein Wort zu sagen, hatte jeder dem anderen verständlich gemacht, was er für ihn empfand.

Dann und wann schwebten Nina oder Anja mit ihren Tanzpartner vorbei, und auch ihnen war anzusehen, daß sie im siebten Himmel schwebten.

Es war kurz vor Mitternacht, als ein Mann das Podium betrat, auf dem die Kapelle spielte. Er breitete die Arme aus und bat um Ruhe.

»Alle Mitglieder der Feuerwehr zum Einsatz«, rief er durch das Mikrophon. »Das ist keine Übung – auf dem Ponyhof brennt’s!«

Sandra, die gerade wieder mit Stephan auf der Tanzfläche stand, glaubte, ihr Herz bliebe stehen. Mit aschfahlem Gesicht sah sie ihn an. Um sie herum herrschte plötzlich hektisches Treiben, als die Männer der Feuerwehr aufsprangen und hinauseilten.

»Los, wir müssen zum Hof«, rief Stephan durch den Lärm.

Markus, Anja und Nina kamen zu ihnen.

»Habt ihr das gehört?« fragte Nina ungläubig. »Das ist doch wohl ein Scherz.«

»Leider net«, sagte Max Trenker, der hinzugekommen war und die letzten Worte mitbekommen hatte. »Ich hab’ gerade mit dem Brandmeister gesprochen. Es brennt tatsächlich auf dem Ponyhof. Die Scheune steht in Flammen.«

*

Schon von weitem konnten sie den roten Feuerschein am Himmel sehen. Stephan, der am Steuer des Golfs saß, preßte die Lippen aufeinander. Markus, hinter ihm, schüttelte ungläubig den Kopf, während die drei Madeln verzweifelt und in Tränen aufgelöst waren.

Blitzschnell hatten sie ihre Zeche bezahlt und waren in das Auto gesprungen. Stephan fuhr so schnell er konnte. Vor ihnen saß Max Trenker in seinem Dienstwagen, mit Blaulicht und Sirene.

Schier endlos war die Zeit, bis sie den Hof erreichten. Die Feuerwehr war bereits vor Ort und hatte mit der Brandbekämpfung begonnen. Als die jungen Leute durch die Einfahrt bogen, stürzten Hubert und Resi auf sie zu. Bestürzt schauten die fünf auf die Scheune, die lichterloh brannte.

»Was ist denn geschehen?« fragte Sandra die alte Magd, die selbst den Tränen nahe war.

Resi Angermeier hob hilflos die Arme. Zusammen mit dem Hubert sei sie im Wohnzimmer gesessen, vor dem Fernsehgerät. Plötzlich habe das Bild geflackert und sei für einen Moment dunkel geworden. Dann war es wieder da, und es gab keine weiteren Störungen, bis es kurz vor halb zwölf irgendwo draußen einen lauten Knall gab. Als die beiden Alten nachschauten, brannte die Scheune bereits.

Max Trenker kam zu ihnen. Er hatte zwischenzeitlich wieder mit dem Brandmeister gesprochen. Was der Polizeibeamte zu sagen hatte, war niederschmetternd. Die Scheune sei nicht mehr zu retten. Die Flammen fraßen sich durch das trockene Holz, wie durch Zunder. Die Wehr hatte das Gebäude schon aufgegeben, jetzt galt es nur das Übergreifen des Feuers auf das Wohnhaus und die Ställe zu verhindern. Es war ein Segen, daß die Ponys in dieser warmen Jahreszeit auch nachts draußen auf der Weide blieben. So war den Feuerwehrleuten und den Helfern zumindest die Arbeit erspart geblieben, die Tiere zu evakuieren.

Sandra schüttelte immer wieder den Kopf. Sie wagte gar nicht daran zu denken, was dieses Feuer für ihre weiteres Schicksal und das der Freundinnen bedeutete. Unter Umständen würden ihre ganzen schönen Pläne umsonst gewesen sein. Wahrscheinlich war die Scheune nicht einmal versichert. Sandra hatte, ehrlich gesagt, schlicht und einfach vergessen zu klären, ob und wie der Hof und die Tiere versichert waren, und für einen Neubau fehlten einfach die finanziellen Mittel. Der Kreditrahmen war so eng gesteckt, daß die drei Madeln sich ohnehin schon »bis an die Decke strecken mußten«, um einigermaßen vernünftig wirtschaften und leben zu können, und jetzt war auch noch das Futter für die Ponys mitsamt der Scheune verbrannt.

Wahrscheinlich blieb ihnen doch keine andere Wahl mehr als an diesen Oberlechner zu verkaufen.

Sandra starrte auf das Feuer, und die Bemerkung des Bauunternehmers fiel ihr wieder ein, die Bemerkung, die wie eine Drohung geklungen hatte.

Sollte der Mann diese Drohung wahrgemacht ahben?

Stephan Rössner hielt sie in seinen Armen, tröstend strich er über ihr Haar. Sandra hielt die Tränen nicht mehr zurück.

»Kopf hoch, Madel«, sagte er. »Es wird schon wieder alles gut werden. Ich bin ja auch noch da.«

Sandra sah ihn durch einen Tränenschleier an. Sie versuchte tapfer zu sein, auch wenn sie glaubte, einen fürchterlichen Alptraum zu haben. Stephan holte ein Taschentuch hervor und tupfte ihr Gesicht ab. Sie äußerte ihm gegenüber ihren Verdacht gegen den Bauunternehmer. Der junge Mann schüttelte den Kopf.

»Ich weiß net, du solltest vorsichtig mit solchen Äußerungen sein«, meinte er. »Solange du keine handfesten Beweise hast – der Oberlechner bringt es glatt fertig, dich wegen Verleumdung anzuzeigen.«

Sandra hob verzweifelt die Arme.

»Aber was soll ich denn jetzt nur machen?«

Stephan versicherte noch einmal, daß sie ganz fest auf seine Hilfe zählen könne. Das junge Madel versuchte tapfer den dicken Kloß herunterzuschlukken, der in ihrem Hals saß. Die Freundinnen standen ebenso erschüttert neben ihnen. Markus hielt Anjas Hand. Sandra, die es sah, griff unwillkürlich nach Stephans Hand. Sie schauten sich einen Moment tief in die Augen, dann wartete sie sehnsüchtig darauf, daß sein Mund sanft ihre Lippen berührte.

*

Sebastian war bestürzt, als er die Nachricht vom Brand auf dem Ponyhof bekam. Aber dankbar hörte er, daß »nur« die Scheune dem Feuer zum Opfer gefallen war. Das Wohnhaus und die Ställe hatten gerettet werden können. Dennoch war es nicht zu leugnen, daß es ein schwerer Schlag für die jungen Frauen war.

»Gibt’s denn schon irgendeinen Verdacht, wie das Feuer ausbrechen konnte?« erkundigte sich der Geistliche bei seinem Bruder während des Frühstücks.

Max Trenker schüttelte den Kopf.

»Noch net. Die Brandexperten der Kripo wollen heut’ vormittag die Reste der Scheune untersuchen«, erklärte er. »Aber mit einem endgültigen Ergebnis ist net vor der nächsten Woche zu rechnen.«

»Das Feuer kann natürlich verschiedene Ursachen haben, wobei Blitzschlag ja wohl ausscheidet. Untersuchen die Experten denn auch in Richtung Brandstiftung?«

»Das tun sie sowieso. Besonders, wenn der Verdacht besteht, daß es sich um eine Versicherungsbetrug handeln könnte. Aber Sandra Haller weiß net einmal, ob der Hof überhaupt versichert ist.«

»Du liebe Zeit«, stöhnte Sebastian. »Da kommt ja noch ’was auf die Madeln zu!«

Max erhob sich.

»Entschuldige«, sagte er. »Aber ich muß zum Hof hinauf. Wenn die Kollegen von der

Brandermittlung kommen, muß ich schon vor Ort sein.«

»Natürlich«, nickte sein Bruder. »Ich werd’ nach der Messe vorbeischau’n. Vielleicht weiß man dann schon mehr, und eventuell kann ich irgendwie helfen.«

Allerdings würde es ihm kaum gelingen, Anton Rehringer dazu zu bringen, das Darlehen noch einmal zu erweitern, damit die abgebrannte Scheune wieder aufgebaut werden konnte. Der Filialleiter hatte sich ohnehin schon »viel zu weit aus dem Fenster gelehnt«, wie er sich gegenüber dem Seelsorger ausdrückte. Da würde Sebastian sich etwas anderes einfallen lassen müssen. Vielleicht konnten die Leute vom Ferienparadies »Reiterhof« einstweilen aushelfen, denn Futter für die Ponys mußte zuerst beschafft werden. Überhaupt wollte er in seiner Predigt auf das Feuer zu sprechen kommen, und darauf, daß die Menschen sich in Zeiten der Not gegenseitig helfen mußten. Vielleicht sah auf den ersten Blick für die drei Madeln alles schlimmer aus als es war.

Diese Gedanken gingen Sebastian Trenker durch den Kopf, während er das Pfarrhaus verließ.

*

In der Villa des Fabrikanten

Rössner herrschte seit zwei Wochen eine gedrückte Stimmung. So lange schon war Stephan spurlos verschwunden. Zunächst hatten seine Eltern angenommen, er sei in seine Studentenwohnung nach München zurückgekehrt, wenngleich es Walter Rössner schon merkwürdig vorkam, daß sein Sohn seinen Wagen hatte stehen lassen.

Als der Vater allerdings immer wieder vergeblich versuchte mit Stephan zu telefonieren, war es ihm doch nicht ganz geheuer. Schließlich drängte seine Frau darauf, selbst nach München zu fahren. Endlich gab der Fabrikant nach. Sie setzte sich ins Auto und fuhren los. Daß ihre Fahrt umsonst gewesen war, hörten die Eltern erst, als ein Nachbar von Stephan erklärte, daß ihr Sohn nicht zu Hause sei. Er selbst, so der junge Mann, kümmere sich um die Post und Blumen des Abwesenden, der kaum vor den Semesterferien zurückkäme.

Unverrichteter Dinge fuhren Walter und Ingrid Rössner wieder nach Hause und begannen sich wirklich sorgen zu machen.

»Himmel, das ist doch sonst net seine Art«, schimpfte der Hausherr und ging aufgeregt im Salon der Villa auf und ab.

Seine Frau drückte ihn schließlich in einen Sessel.

»So kommen wir nicht weiter«, sagte sie. »Es hat keinen Sinn, herumzuschimpfen. Wir müssen uns überlegen, wo Stephan sein könnte. Als erstes rufe ich nacheinander alle seine Freunde an. Vielleicht finden wir so heraus, wo Stephan steckt.«

Einen ganzen Nachmittag saß Ingrid Rössner am Telefon und rief alle die Freunde ihres Sohnes an, die sie selbst kannte, oder, von denen sie zumindest die Telefonnummern wußte. Allerdings waren ihre Bemühungen vergeblich. Von insgesamt zehn Bekannten hatten acht überhaupt keine Ahnung, wo Stephan abgeblieben sein könnte, bei den zwei anderen lief nur der Anrufbeantworter. Ingrid sprach eine Nachricht darauf und bat darum, zurückgerufen zu werden.

Walter Rössner hingegen saß nachdenklich in seinem Arbeitszimmer. Der Gedanke an seinen verschwundenen Sohn zerrte an ihm. Es hatte schon öfter Auseinandersetzungen zwischen ihnen gegeben, doch war es immer wieder gelungen, sich zu versöhnen. Daß Stephan diesmal so konsequent gegangen war, ließ den Fabrikanten das Verhältnis zu seinem Sohn in einem anderen Licht sehen.

Walter Rössner hatte das Unternehmen mit seinen eigenen Händen, praktisch aus dem Nichts, aufgebaut. Dank seiner Spürnase für Trends und fortschrittliche Erfindungen, hatte er den Boom mit den mobilen Telefonen vorhergesehen und alles auf diese Karte gesetzt. Nach und nach waren andere Sparten, insbesondere der Unterhaltungselektronik hinzugekommen, und heute, da der Handyboom im Abflauen begriffen war, stand sein Unternehmen, im Gegensatz zu manchem seiner Mitbewerber, bestens da. Die Rössner KG tätigte Umsätze in Millionenhöhe, und für das nächste Jahr war der Gang an die Börse geplant.

Da war es nur zu verständlich, daß der Vater seinen einzigen Sohn als seinen Nachfolger in der Firma sehen und aufbauen wollte. Walter Rössner mußte sich eingestehen, daß er da wohl zu konsequent gefordert hatte. Stephan war aus einem anderen Holz, das der kühl agierende Geschäftsmann, der sein Vater geworden war. Er hatte ein beachtliches, handwerkliches Geschick und liebte das Leben draußen, in der freuen Natur. Solch einen Menschen konnte man nicht an einen Bürojob fesseln. Immer mehr sah Walter Rössner dies ein, und er fragte sich, wie er selbst wohl gehandelt hätte, wenn sein Vater ihn gezwungen hätte, etwas zu werden, das ihm so verhaßt gewesen wäre wie für Stephan das Studium.

Nein, es hatte wohl keinen Sinn, darauf zu bestehen. Der Sohn würde seinen eigenen Weg gehen, und der Vater mußte sehen, wie er das Nachfolgeproblem löste.

Als er zu diesem Entschluß gekommen war, stand er auf und ging hinüber in das Zimmer seiner Frau, die müde und abgespannt an ihrem Schreibtisch saß. Er wollte ihr von seinen Überlegungen erzählen.

»Und?« fragte er. »Hast du etwas in Erfahrung gebracht?«

Ingrid Rössner schüttelte den Kopf. Sie berichtete von den ergebnislosen Telefonaten.

»Jetzt können wir nur noch hoffen, daß die beiden letzten zurückrufen.«

Sie schaute auf die Liste, die vor ihr lag.

»Die eine ist Bettina Holzinger«, sagte sie. »Und der letzte ist Markus. Du weißt schon, Markus Reinders. Bei beiden war niemand zu Hause. Aber es sind ja auch Ferien. Bei Markus hab’ ich die größte Hoffnung, daß sich jemald meldet, er wohnt ja noch bei seinen Eltern.«

Ihr Mann setzte sich und erzählte, was er sich überlegt hatte. Ingrid war froh zu erfahren, daß er so einsichtig war. Die Firma war ihr egal, wenn es um den einzigen Sohn ging.

Sie setzte sich zu Walter und legte ihren Arm um ihn.

»Ich glaub’ ganz fest daran, daß alles wieder gut wird«, meinte sie zuversichtlich.

*

Auf dem Ponyhof wußte man nicht aus noch ein. Die Brandexperten der Kripo hatten herausgefunden, daß die Ursache für das Feuer die alten elektrischen Leitungen waren. Zudem hatte sich herausgestellt, daß für den gesamten Hof kein Versicherungsschutz bestand. Die Gesellschaft hatte die Policen gekündigt, nachdem die monatlichen Prämienzahlungen ausgeblieben waren.

»Das bedeutet das Ende für den Ponyhof«, verkündete Sandra, als sie das Ergebnis der Branduntersuchung schriftlich in den Händen hielt.

Gemeinsam saßen sie in der großen Küche und beratschlagten. Am meisten Vorwürfe machte sich Markus. Er hatte ja alles notwendige besorgt, um die alten Leitungen zu erneuern.

»Warum hab’ ich bloß nicht gleich damit angefangen?« fragte er immer wieder.

»Ich muß mir Vorwürfe machen, Markus, nicht du«, sagte Sandra. »Schließlich hatte ich dir gesagt, daß du bis zum Anfang der nächsten Woche warten solltest. Mensch, du und Stephan, ihr hattet schon soviel geschuftet. Ich fand es einfach unverschämt von mir, euch so auszunutzen. Außerdem hätte das Feuer auch schon vorher ausbrechen können. Also, warum solltest du Schuld sein?«

Markus konnte es nur zähneknirschend einsehen. Anja, die neben ihm saß, strich ihm tröstend über den Kopf und gab ihm einen Kuß.

»Sandra hat recht«, meinte sie. »Das hat doch keiner vorhersehen können.«

Stephan, der auf der anderen Seite Platz genommen hatte, stieß ihn an.

»Mensch Alter, jetzt mach’ dir bloß keinen Kopf. Irgendwie kriegen wir die Sache wieder in den Griff.«

»Fragt sich nur wie!«, mischte sich Nina ein. »Du vergißt, daß uns erhebliche finanzielle Mittel fehlen. Wir können von Glück sagen, daß der Chef vom Reiterhof uns mit dem Futter für die Ponys ausgeholfen hat. Doch auch das reicht keine Ewigkeit.«

»Aber es muß doch irgend einen Weg geben«, rief Stephan. »Es muß!«

Sandra nahm seine Hand und schüttelte den Kopf.

»Es hat keinen Sinn, Stephan, der Zug ist abgefahren. Wir hatten eine kleine Chance, aber es hat nicht sollen sein. Morgen rufe ich den Oberlechner an und sag’ ihm daß er den Ponyhof haben kann.«

»Ja, aber zu seinen Bedingungen«, entgegnete der Student. »Der zieht dich doch glatt über den Tisch.«

»Abwarten«, konterte Sandra. »Ich kann auch hart sein, wenn’s darauf ankommt.«

Dabei sah es in ihr ganz anders aus. Am liebsten hätte sie sich in Stephans Arme geflüchtet. Sie war ihm dankbar für die Hilfe, die er ihr in der Woche nach dem Feuer gegeben hatte. Ohne ihn hätte sie das alles wohl gar nicht durchgestanden.

Resi Angermeier und Hubert Bachmann waren nicht weniger verzweifelt. So wie es nun aussah, waren auch ihre Tage auf dem Ponyhof gezählt. Die beiden Alten hatten aber auch darüber nachgedacht, wie sie den drei Madeln helfen konnten.

»Der Hubert und ich haben uns was überlegt«, mischte die Magd sich ins Gespräch. »In all den Jahren, die wir hier auf dem Hof sind, haben wir net viel ausgegeben von dem, was wir verdient haben. Es ist schon ein ganzes Stückerl Geld, das wir gespart haben. Also, wir haben uns überlegt, daß wir es euch geben wollen, als Darlehen, damit’s weitergehen kann.«

Die drei Madeln waren zu Tränen gerührt. Seit dem letzten Sonntag wurde der Ponyhof von einer wahren Hilfswelle überflutet. Der Appell des Pfarrers während seiner Predigt hatte Erfolg gezeigt. Von überall aus der Nachbarschaft kamen nicht nur Hilfsangebote, sondern auch aktive Hilfe in Form von Würsten und Käse, sowie das Futter für die Ponys. Und jetzt dieses Angebot.

Sandra nahm ihr Taschentuch und wischte sich über das Gesicht. Dann nahm sie die beiden in die Arme.

»Ich dank’ euch wirklich von Herzen«, sagte sie. »Aber ich fürchte, es reicht net. Die Scheune allein kostet ja…«

Sie unterbrach sich, weil es draußen auf dem Hof lärmte. Ein Lastwagen bog in die Einfahrt. Dahinter kam ein dunkler Mercedes. Ein Mann stieg auf der Fahrerseite aus, und drüben – Pfarrer Trenker.

*

Der Anruf aus der Sägemühle überraschte selbst Sebastian. Martin Ambuscher, der Besitzer, bot seine Hilfe an, indem er dem Ponyhof eine Wagenladung Holz liefern wollte.

»Ich ruf’ eigentlich nur an, weil ich wissen wollt’, ob die Madeln denn weitermachen«, sagte er. »Das Holz können’s umsonst haben. Ist zwar alles Ausschuß, also, für die Möbelindustrie net mehr zu gebrauchen, aber für eine neue Scheune ist’s allemal gut genug.«

»Mensch Martin, dein Angebot das könnt’ die Rettung sein«, freute sich der Geistliche. »Unter diesen Umständen müssen die Madeln einfach weitermachen. Vor allem, wenn alle mit anpacken. Weißt’ was, wir fragen gar net erst, sondern überraschen sie einfach. Wann könntest’ denn liefern?«

»Von mir aus gleich nach dem Mittag«, lautete die Antwort. »Dann fangen wir jetzt mit dem Laden an. Ich bin eh’ froh, wenn ich wieder Platz im Lager hab’.«

Die Bewohner vom Ponyhof standen wie vom Donner gerührt, als der Fahrer des Lastwagens den Kran betätigte, der das Holz herunterhob.

»Wo soll’s überhaupt hin?« rief er.

»Hier, hier drüben«, antwortete Stephan, der die Situation gleich erfaßte.

Er lief zu der Stelle dicht neben den Trümmern der abgebrannten Scheune. Sandra und ihre Freundinnen schauten mit offenen Mündern zu.

»Ich… ich versteh’ das alles nicht«, stammelte sie.

»Das ist doch ganz einfach Schatz«, lachte Stephan und gab ihr einen dicken Kuß. »Das Holz ist Ausschuß, und Pfarrer Trenker scheint den Mann da drüben gut zu kennen – bestimmt steckt er dahinter.«

»Das stimmt«, nickte der Sägemühlenbesitzer. »Der Appell unseres Geistlichen konnte net ungehört bleiben.«

Er reichte Sandra die Hand.

»Ich bin der Ambuscher-Martin. Mir gehört die Sägemühle droben an der Klamm, beim

Ainringer Wald. Als Bub bin

ich oft hier gewesen und auf

den Ponys geritten. Ich möcht’, daß meine Kinder das eines Tages auch wieder können. Darum schenk’ ich Ihnen das

Holz.«

Stephan, der neben Sebastian stand, zog den Seelsorger beiseite.

»Sagen Sie, Hochwürden, auch wenn das alles hier nur Ausschuß ist, wenn der Ambuscher das Holz an die Bauindustrie verkaufen würde, käme doch immer noch ein kleiner Gewinn dabei heraus. Ich schätze mal, daß das Holz immer noch einen Wert von, na, fünfundzwanzigtausend Mark hat.«

»Fünfunddreißigtausend hat Martin mir gesagt«, verriet der Pfarrer. »Seine Frau ist in anderen Umständen. Sie erwartet Zwillinge, und er möchte wirklich, daß sie später einmal, wie ihr Vater früher, hier auf den Ponys reiten können.«

»Das werden sie«, versprach Stephan fröhlich. »Jeden Tag und ganz umsonst!«

*

Ingrid Rössner rief ihren Mann im Büro an. Ganz aufgeregt klang ihre Stimme.

»Stell dir vor, Walter, Markus’ Eltern haben sich gemeldet. Sie waren über’s Wochenende verreist und deshalb bekam man dort niemanden ans Telefon. Jetzt eben haben ich mit Frau Reinders gesprochen.«

»Wissen sie etwas von Stephan?« fragte der Fabrikant zurück.

»Ja, darum rufe ich doch an. Er macht gemeinsam mit Markus eine Wandertour in den Alpen. Sie haben nur ihre Rucksäcke dabei und etwas Kleingeld.«

Walter Rössner lachte erleichtert.

»Na, dieser verrückte Bursche. Hat Frau Reinders denn etwas gesagt, wann die beiden zurückkommen?«

Einen Moment herrschte Schweigen.

»Ja«, antwortete Ingrid Rössner dann betreten. »Markus hat seine Rückkehr für die Woche nach Pfingsten angekündigt…«

»Wieso nur Markus? Und Stephan? Was ist denn? Du klingst so merkwürdig…«

Stephans Mutter schluchzte.

»Frau Reinders erzählte, daß unser Junge sich weigert wieder nach Hause zu kommen«, sagte sie, nachdem sie sich ein wenig gefaßt hatte.

»Was?« fragte der Fabrikant ungläubig. »Na, das wollen wir doch mal sehen. Wo stecken die beiden überhaupt?«

»Stell’ dir vor, sie sind in St. Johann. Weißt du, wo wir früher öfter mal in Urlaub waren.«

Walter Rössner erinnerte sich sehr gut. Damals hatte er noch nicht die Fabrik und damit diesen nervenaufreibenden Job am Hals. Oft und gerne war er mit Frau und Sohn in die Berge gefahren, dafür hatte man ja leider keine Zeit mehr. Wenn es ihm wirklich gelang, sich ein paar Tage frei zu machen, dann war er froh, wenn er zu Hause seine Ruhe hatte.

»In St. Johann also«, sinnierte er. »Weißt du was, wenn der Junge kein Einsehen hat, dann werd’ ich wohl dafür sorgen müssen, daß der Haussegen bei uns wieder gerade hängt. Wir fahren am Wochenende hinüber und ich spreche mich mit Stephan aus.«

»Weißt du, daß ich dich ganz fürchterlich liebe?« fragte seine Frau mit leiser Stimme. »Du bist der wertvollste Mensch, den ich habe.«

Walter Rössner spürte einen wohligen Schauer über seinen Rücken laufen. So etwas Schönes hatte seine Frau ihm eine Ewigkeit nicht mehr gesagt. Was hätte er dafür gegeben, sie jetzt in seinen Armen halten zu können!

»Ich liebe dich auch, Ingrid«, antwortete er mit belegter Stimme.

*

Auf dem Ponyhof wurde fleißig gearbeitet. Stephan, der glücklich war sein handwerkliches Geschick endlich einmal unter Beweis stellen zu können, war von früh bis spät mit dem Neubau der Scheune beschäftigt. Er hatte nicht nur die Zeichnungen gemacht, er schnitt auch das Holz zu und teilte die Arbeiter ein. Dank der Fürsprache durch Pfarrer Trenker war der Bauantrag schnell und unbürokratisch genehmigt worden.

Eine ganze Menge Helfer waren tagtäglich damit beschäftigt, die Scheune aufzubauen. Auch sie kamen, weil ihr Seelsorger in seiner Predigt darum gebeten hatte.

Resi Angermeier hatte also für viele hungrige Mäuler zu kochen, und es machte ihr riesige Freude.

»Das ist fast so wie früher, als noch die vielen Feriengäste kamen«, lachte sie, während sie in der Küche stand, und Kraut schnitt, Knödel drehte und ständig für Nachschub an Kaffee, Tee und Kuchen sorgte.

»Dann ist das ja eine gute Übung«, meinte Stephan, der zwischendurch mal hereinkam und sich ein Glas Milch aus dem Kühlschrank holte. »In einigen Wochen werden die Feriengäste wieder eintrudeln.«

Dabei freute er sich wie ein Schulbub, und so schaute er auch aus, in den viel zu großen Arbeitshosen, die er irgendwo aufgetrieben hatte und so schmutzig und verschwitzt wie er war.

Sandra, die Resi beim Kochen half, schaute ihn verliebt an. Sie konnte immer noch nicht fassen, daß das Schicksal ihr diesen Mann geschickt hatte.

Stephan trank das große Glas in einem Zug leer, dann wischte er sich den weißen Milchbart von den Lippen und gab Sandra einen Kuß.

»Ich muß wieder«, sagte er in Eile. »Heut’ abend, da feiern wir Richtfest!«

Die beiden Frauen sahen ihm hinterher.

»Wie’s scheint, haben sich da noch zwei gefunden«, bemerkte die alte Magd und nickte zum Fenster hinaus.

Dort standen Markus und Anja eng umschlungen.

»Nur die Nina scheint net so recht zu wollen…«

»Wie kommst’ denn darauf?« fragte Sandra neugierig.

»Ach, ich mach’ mir so meine Gedanken«, erwiderte Resi. »Der Max schaut ja net gerade glücklich drein.«

»Wirklich? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.«

Sie lief ans Fenster und schaute hinaus. Nina Kreuzer stand an der Säge, auch eine Leihgabe vom Ambuscher, wie fast das gesamte Werkzeug, und wartete, bis aus einem Stamm dünne Bretter gesägt waren, die sie dann zu den Arbeitern hinübertrug.

Nachdenklich sah Sandra ihr zu. Daß der Bruder des Pfarrers auffallend oft auf dem Ponyhof war, hatte sie natürlich bemerkt. Aber offenbar kam er nicht so zum Zuge wie er es gerne gehabt hätte…

Sandra ahnte nicht, daß sie

mit ihrer Vermutung goldrichtig lag.

*

Auch Sebastian merkte, daß irgend etwas seinen Bruder bedrückte. Bei den Mahlzeiten verhielt er sich äußerst schweigsam und schien seinen Gedanken nachzuhängen.

»Wie geht’s denn, d’roben am Hof?« erkundigte sich der Geistliche beim Mittagessen.

Max zuckte die Schulter.

»Wie soll’s schon gehen?« antwortete er kurz angebunden.

»Heut’ abend ist Richtfest.«

»Das weiß ich«, schmunzelte Sebastian. »Schließlich sprech’ ich ja den Segen. Ich mein’, wie steht’s denn mit dir und der Nina. Ich hab’ doch gemerkt, daß du ein Aug’ auf sie geworfen hast.«

Max ließ einen tiefen Seufzer hören.

»Net so gut«, bekannte er. »Sie weicht mir irgendwie aus. Dabei geb’ ich mir wirklich alle Mühe.«

Er schüttelte mutlos den Kopf, und sein Bruder sah ihn mitleidig an. So wie es ausschaute, hatte der fesche Max zum erstenmal wirklichen Liebeskummer!

Am frühen Abend glich der Ponyhof eher einem Rummelplatz als einem Gestüt. Unzählige Leute liefen herum, eine Musikkapelle spielte, und über dem Gebälk der neuen Scheune hing der Richtkranz, den Frauen von den Nachbarhöfen geflochten hatten.

Natürlich gab es Essen und Getränke, und nach dem Segen durch Pfarrer Trenker ließen sich die Bewohner und Gäste an langen Tischen und Bänken nieder.

Max hatte sich seinen Platz neben Nina gesucht, die ihn fröhlich anlachte, als er sich neben sie setzte. Himmel, wie klopfte das Herz des Schwerenöters, als er dieses Lachen sah. Sie prosteten sich zu, und als die Musik wieder zum Tanz aufspielte, zog Max das schwarzhaarige Madel hoch.

Sie tanzten die ersten beiden Tänze, dann bat Nina um eine Pause. Langsam schlenderten sie zur Scheune hinüber. Unter dem Vordach war eine provisorische Bar aufgebaut, an der Hubert Bachmann Sekt ausschenkte. Mit den Gläsern in der Hand schauten sie auf das Bauwerk.

»Da habt ihr aber eine tolle Arbeit geleistet«, lobte Max.

»Naja, das meiste hat Stephan getan«, wiegelte Nina ab und griff nach seinem Arm. »Aber dir haben wir auch viel zu verdanken.«

Der Polizeibeamte schaute in ihre Augen, die wie dunkler Samt schimmerten.

»Danke schön«, sagte das Madel und gab ihm einen Kuß.

Max Trenker zog sie ganz in seine Arme.

»Weißt du, daß du mich ganz narrisch machst, Madel?« fragte er.

Nina nickte keck.

»Ich weiß«, antwortete sie mit einem schalkhaften Lächeln. »Du mich aber auch!«

»Wirklich?« fragte er ungläubig. »Dabei hab’ ich schon beinah’ alle Hoffnung aufgegeben.«

Er beugte sich zu ihr und küßte sie sanft. Nina erwiderte den Kuß.

»Komm, laß uns ein Stück gehen«, sagte sie und nahm seine Hand.

Sie schlenderte von der Scheune fort zu der Koppel hinüber. Dort am Zaun blieben sie stehen.

»Weißt’ Max, ich hab’ dich wirklich gern«, begann das Madel. »Aber ich fürcht’, mehr als gute Freunde können wir nicht werden.«

Der Dorfpolizist schluckte.

»Ich möcht’ einen Mann, der mir ganz und gar gehört«, fuhr das Madel fort. »Und net einen, wo ich fürchten muß, daß er anderen Frauen nachsteigt. Sei net bös’, aber wenn du ehrlich bist, dann wirst’ zugeben, daß du net nur einer treu sein kannst.«

Den letzten Satz hatte sie mit einem Augenzwinkern gesagt. Max nickte. Er war nun mal ehrlich und er wußte, daß sie recht hatte.

»Weißt’, ich möcht’ net nur eine unter vielen sein. Wenn ein Mann mich bekommt, dann will ich die einzige sein!«

Der Polizist zog sie in seine Arme.

»Ich versteh’, was du meinst, Madel«, antwortete er. »Und ich freu’ mich, daß wir Freunde sind. Aber jetzt komm’, ich möcht’ mit dir tanzen, und am Sonntag, da wird net gearbeitet, da machen wir zwei einen Ausflug zum Achsteinsee.«

Sebastian Trenker, der zwischen Resi Angermeier und Sandra Haller saß, beobachtete seinen Bruder. Ihm war nicht verborgen geblieben, daß Max mit dem Madel verschwunden war. Jetzt, nachdem die beiden wieder aufgetaucht waren, schien der Bruder viel gelöster als seit Tagen. Schmunzelnd schaute der Pfarrer zu, wie die zwei einen Tanz nach dem anderen drehten. Offenbar hatten sie sich ausgesprochen, und das Ergebnis schien Max glücklich zu machen.

Der Geistliche schickte ein Dankgebet zum Himmel. Sollte Max endlich die Frau seines Lebens gefunden haben? Konnte man wirklich hoffen, daß aus dem Hallodri doch noch ein braver Ehemann wurde?

Nachdenklich schaute Sebastian in sein Weinglas, als wollte er darin die Zukunft lesen. Dann schüttelte er den Kopf. Wenn er es recht bedachte, dann war es völlig unmöglich, daß Max plötzlich den Pfad der Tugend gefunden haben sollte…

*

»Schau’, da sind der Himmelspitz und die Wintermaid«, deutete Walter Rössner aus dem Autofenster. »Und da drüben, daß muß die Korber-Alm sein, weißt du noch, wo wir immer diesen herrlichen Bergkäse gekauft haben.«

»Den du mit nach Hause nehmen wolltest und ihn dabei schon heimlich in der Pension aufgegessen hast. Wie könnte ich das vergessen?«

Sie lachten beide, als sie sich erinnerten.

Stephans Vater schaute auf den Kilometerzähler.

»Dann ist es ja nicht mehr weit bis nach St. Johann.«

Seine Frau deutete nach vorn.

»Schau’ doch nur, die vielen Autos!«

»Ja, offenbar ist das kleine Bergdorf ein beliebtes Ausflugsziel geworden. Ich bin froh, daß wir ein Zimmer reserviert haben. So kurz vor Pfingsten war es gar nicht so einfach. Ich hatte schon befürchtet, daß wir nach Garmisch oder Berchtesgaden ausweichen müßten.«

»Aber wir haben ja Glück gehabt. Ich bin schon ganz gespannt auf das Hotel. Damals war es ja nur ein einfaches Gasthaus.«

»Ja«, lachte ihr Mann. »Aber für uns noch zu teuer.«

Wenig später passierten sie das Ortsschild. Es war, als hätten sie eine Reise in die Vergangenheit gemacht. Kaum etwas hatte sich verändert. Noch immer war St. Johann ein schmuckes Bergdorf, dessen Häuser weiß erstrahlten und mit den typischen Lüftlmalereien verziert waren. Erst als sie auf den Hotelparkplatz fuhren, sahen sie, daß die Zeit keineswegs stehengeblieben war. Wo einst ein Dorfwirtshaus gewesen war, stand heute ein großes Hotel.

»Wo könnten die beiden nur stecken?« fragte Ingrid Rössner, nachdem sie sich bei einer Tasse Kaffee von der Fahrt erholten.

»Ich überlege die ganze Zeit schon«, entgegnete ihr Mann. »Am besten fragen wir einfach in den Pensionen nach. Irgendwo werden sie schon sein.«

Bis zum Abend hatten sie überall dort nachgefragt, wo Fremdenzimmer vermietet wurden. Aber jede Auskunft war negativ gewesen. Erst bei der vorletzten Pension hatten sie Glück. Die Wirtin erinnerte sich an die beiden jungen Männer. Mehr noch, sie konnte sogar sagen, wo die beiden abgeblieben waren.

So erfuhren Ingrid und Walter Rössner alles über ihren Sohn, dessen Freund und den Ponyhof. Die Zimmerwirtin beschrieb ihnen den Weg, und sie machten sich unverzüglich auf, Stephan zu finden.

*

»Eine herrliche Gegend«, schwärmte Walter. »Ich hatte schon ganz vergessen, wie schön es hier ist.«

»Stimmt«, nickte seine Frau und sah von der Karte auf, in der sie gelesen hatte. »Jetzt muß gleich der Abzweig kommen.«

»Ja, ich seh’s schon. Dort vorn’ ist ein Schild.«

Er bog in die Straße ein. Nach weiteren sechs Kilometern sahen sie die Gebäude des Ponygestütes. Sie fuhren durch die Einfahrt und hielten neben den Ställen.

»Nanu«, wunderte sich Sandra, die mit Stephan unter der Eiche saß. »Wer besucht uns denn da?«

»Meine Eltern«, seufzte er.

Natürlich hatte er den Wagen sofort erkannt.

»Grüß’ dich Mutter«, sagte er, nachdem Ingrid Rössner ausgestiegen war und gab ihr einen Kuß auf die Wange.

Dann hielt er seinem Vater die Hand hin.

»Wenn ich sage, ich würd’ mich freuen, dich zu sehen, dann ist das die volle Wahrheit«, sagte Walter Rössner und drückte die dargebotene Hand. »Ich würd’ gern mit dir reden.«

Er schaute zu Sandra hinüber, die aufgestanden war und nun abwartete.

»Allein, wenn’s möglich ist.«

»Warum?« fragte Stephan zurück. »Was du mir zu sagen hast, kann das Mädel, das ich liebe, ruhig hören. Aber ich sag’ dir gleich, wenn du gekommen bist, um mich wieder einmal deine Autorität spüren zu lassen, dann kannst du gleich wieder fahren. Es ist alles gesagt, was es zu sagen gab.«

Er drehte sich um und wollte zu Sandra zurückgehen.

»Stephan…«, rief seine Mutter ihm hinterher.

»Tut mir leid, Mutter«, gab er zurück und ging weiter.

Walter Rössner stand einen Moment sprachlos da, dann explodierte er.

»Zum Himmeldonnerwetter«, schnaubte er. »Der Bengel hört mir ja überhaupt nicht zu. Der ist ja noch sturer als ich!«

»Komm«, sagte seine Frau und nahm ihn beim Arm. »Im Moment hat es wohl keinen Zweck. Laß uns zurückfahren. Vielleicht red’ ich besser erst einmal alleine mit ihm.«

Dazu kam es in den nächsten Tagen allerdings nicht. Immer, wenn Ingrid Rössner auf dem St. Johann anrief, um mit Stephan zu sprechen, ließ dieser sich verleugnen. Dabei fiel es ihm offensichtlich schwerer, als er es zugeben wollte. Sandra konnte jedenfalls deutlich sehen, daß Stephan unter dem Streit mit dem Vater litt.

»Willst du ihm nicht die Hand zur Versöhnung reichen?« fragte sie eines Abends, als sie draußen spazieren gingen.

»Damit er wieder davon anfängt, daß ich eines Tages die Firma übernehmen soll? Niemals. Ich gehe nicht wieder auf die Uni zurück, und wenn er sich auf den Kopf stellt.«

*

Wieder einmal zeigte sich, daß der Apfel nicht weit vom Stamm fällt, erbost über das Verhalten seines Sohnes, schaltete auch Walter Rössner auf stur. Alles Bitten seiner Frau konnte ihn nicht umstimmen, noch einmal zum Ponyhof hinauszufahren und das Gespräch mit Stephan zu suchen.

Ingrid Rössner unternahm einen letzten Versuch und rief auf dem Gestüt an. Diesmal meldete sich zum erstenmal nicht die alte Frau, die sonst abnahm.

»Ich bin die Mutter von Stephan«, erklärte Ingird. »Kann ich ihn sprechen?«

»Es tut mir leid, Frau Rössner, Stephan möchte weder mit Ihnen noch mit seinem Vater reden«, sagte Sandra Haller.

Einen Moment war es still in der Leitung.

»Sind Sie die junge Frau, die mein Sohn…?«

»Ja. Wir haben uns neulich abend kurz gesehen.«

Von dem folgenden Gespräch erfuhr weder Stephan noch sein Vater jemals ein Wörtchen. Was die beiden Frauen verabredeten erfuhr nur Sebastian Trenker und wurde ins Vertrauen gezogen.

Am nächsten Sonntag äußerte Ingrid den Wunsch, die Messe zu besuchen. Aufmerksam hörten sie der Predigt des Geistlichen zu und bewunderten die verschwenderisch gestaltete Kirche. Besonders Walter Rössner erfreute sich an den Bildern und Figuren.

»Als nun aber der Sohn heimkehrte, freute sich der Vater so sehr, daß er ein großes Fest veranstaltete«, sagte Pfarrer Trenker, der oben auf der Kanzel stand.

Walter Rössner, der einen Moment abgelenkt gewesen war, schaute auf, als habe er das Gefühl, jemand beobachtete ihn. Sebastian, der den Mann im Blick hatet, schaute zu der Bank hinüber, in der Stephan und Sandra saßen.

»Oftmals sind es die kleinen Irrtümer, die einem das Leben so schwer machen«, fuhr er mit seiner Predigt fort. »Und so, wie der verlorene Sohn vom Vater mit offenen Armen empfangen wurde, so soll der Sohn seinen Vater umarmen und sich mit ihm aussöhnen.«

Walter Rössner drehte vollends den Kopf und schaute hinter sich. Er hatte sich nicht getäuscht. Drei Reihen weiter saß sein Sohn, neben ihm die junge Frau. Der Fabrikant spürte sein Herz klopfen, als Stephan ihm unmerklich zunickte.

Ingrid, die natürlich alles mitbekam, drückte Walters Hand. Das wird schon werden, sollte es heißen.

Nach der Messe strebten die Kirchenbesucher zum Ausgang. Nur Stephans Eltern blieben stehen und warteten, bis die Reihen sich leerten. Dann fielen Vater und Sohn sich in die Arme, auch die beiden Frauen umarmten sich.

»Entschuldige, Vater«, bat Stephan. »Ich hab’ mich ziemlich dumm benommen. Erst die Predigt heute hat mir die Augen geöffnet.«

»Ist schon gut, mein Junge«, antwortete Walter gerührt. »Wir werden uns in aller Ruhe aussprechen. Aber erstmal werd’ ich tun, was sich für einen glücklichen Vater gehört. Ich gebe ein Festessen für dich und deine Freunde.«

»Du wirst dich wundern«, lachte Stephan und hakte sich bei seinen Eltern ein. »Das wird ganz schön teuer für dich. Wir sind nämlich sieben Leute auf dem Ponyhof.«

»Keine Bange«, gab sein Vater zurück. »Das ziehe ich dir von deinem Erbteil ab.«

Dann verließen sie unter dem schmunzelnden Blick von Pfarrer Trenker die Kirche.

*

Gerade eben erst hatten sich die ersten Sonnenstrahlen gezeigt, als Stephan das Pfarrhaus verließ. In seinen Wanderschuhen und der derben Kleidung sah er nicht wie ein Geistlicher aus, eher hätte man ihn für eine durchtrainierte Sportskanone halten können. Und in der Tat hatte man ihn schon mit solch einer verwechselt.

Im Rucksack führte er Kaffee, Brot und Käse mit, und später würde er ein kleines Mittagessen auf einer Almhütte einnehmen. Ja, es wurde wieder einmal Zeit, daß er in seine geliebten Bergen unterwegs war. Aber zuviel war in den letzten Tagen und Wochen geschehen, das ihn von seinem geliebten Hobby abhielt. Die Ereignisse um den Ponyhof waren, gottlob, alle glücklich geendet, und das Zerwürfnis zwischen Stephan Rössner und seinem Vater war gekittet worden.

Nach der Aussprache wurde deutlich, daß nichts und niemand Stephan von seinen Plänen abbringen konnte, und sein Vater akzeptierte die Vorstellungen seines Sohnes. Mehr noch, er war bereit, eine beträchtliche Summe in den Ponyhof zu investieren, damit es endlich vorangehen konnte. Allerdings hatte er eine Bedingung daran geknüpft – sollte es sich zeigen, daß das geplante Ferienparadies nicht den Zuspruch der Gäste fand, sollte Stephan doch noch zu Ende studieren und in die väterliche Firma einsteigen. Sebastian fand, daß dies eine vernünftige Lösung war.

Tief atmete er ein und weit schritt er aus. Vor ihm standen die majestätischen Berge, deren Anblick sein Herz höher schlagen ließ. Es war immer wieder ein Abenteuer, das es zu bestehen galt. So manches Menschenschicksal war ihm dort oben schon begegnet, und wer konnte wissen, welches Problem heute vielleicht auf ihn wartete.

Aber, was immer es war, mit Kraft und Zuversicht würde der Geistliche sich daran machen, dieses Problem zu lösen. Denn dafür liebten die Leute von St. Johann ihren Bergpfarrer.

Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman

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