Читать книгу Überleben - Tsitsi Dangarembga - Страница 12

3. Kapitel

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An diesem Abend ist es so, als hätte das Wohnheim die Arme fester gegen dich verschränkt. Du spürst es sofort, kaum hast du den Speisesaal betreten und siehst Gertrude. Sie sitzt am Tisch ihrer Gruppe, wo die jungen Frauen über die neusten Lippenstifte sprechen und darum wetteifern, wer von ihnen die von ihrem Freund am meisten Geliebte oder am schlimmsten Misshandelte ist. Du setzt dich nie an ihren Tisch.

Gertrudes Gesicht ist wie eine der Relieflandkarten, die du im Erdkundeunterricht in der Schule studiert hast. Anhöhen und Flussbetten sind aus klaffenden Wunden und blauen Flecken modelliert, den Abdrücken von Füßen, manche nackt, andere beschuht, wieder andere gestiefelt. Das abendliche Licht tropft Schatten auf ihre Haut, erhöht Schwellungen und vertieft Platzwunden.

Isabel fährt mit dem Fingerrücken über Gertrudes Wange, vorsichtig, mit solcher Sanftheit, dass sie bestimmt nur die Härchen auf der Haut der anderen Frau berührt. Gertrude zuckt zusammen und packt Isabels Handgelenk; sogar diese leichte Berührung ist zu viel. Sie sitzen eine Weile Hand in Hand da. Die fünf vergessen blassgelbe Vanillesoße auf dunkelbraunem Pudding in den Schalen vor ihnen.

Deine Leute sagen: Man verliert nicht den Appetit, nur weil jemand anders Probleme hat. Deswegen willst du dich rasch zum Essen setzen. Du steuerst auf die weißen Mädchen zu, die weiter in der Mitte sitzen, näher an den Tischen mit dem Buffet. Sie plaudern. Sie löffeln Instantsoße auf Scheiben Rinderbraten und gekochte Kartoffeln. Deine Mitbewohnerin und ihre Freundinnen recken dir die Kinne entgegen, als du vorbeigehst, legen die Köpfe zur Seite, als wären sie eine einzige Frau.

Als du mehrere Schritte entfernt bist, wenden sie sich einander zu. Sie saugen in einem lauten Zischen Luft zwischen den Zähnen ein.

Fünf.

Das denkst du.

Gegen einen Markt. Fünf. Gegen eine Stadt, ein Land. Einen Planeten. Frauen. Fünf. Was glauben sie, dass sie erreichen können? Sie können zischen, so viel sie wollen.

Zehn Augen starren dich an, als du mit einem voll beladenen Tablett erneut an ihnen vorbeigehst. Du sitzt allein, wendest ihnen das Profil zu, um zu beweisen, dass ihre Blicke dir nichts anhaben können. Als sie gehen, machst du dich noch einmal auf den Weg zum Buffet, vorsätzlich langsam. Du lädst dir mehr Fleisch und Kartoffeln auf den Teller und eine weitere doppelte Portion Nachtisch. Du kommst am leeren Tisch deiner Mitbewohnerinnen vorbei. Dort, wo Gertrude den Arm abgelegt hatte, ist Blut verschmiert.

Kauen und schlucken; kauen und schlucken. Das tust du, bis die Glocke das Ende des Abendessens einläutet. Kellner in khakifarbenen Overalls bedecken Wärmebehälter. Sie stapeln Teller aufeinander und räumen sie ab. Ein junger Mann steht Wache neben der Eingangstür, um letzte Esser hinauszulassen und zu spät Gekommene am Eintreten zu hindern. Du lächelst ihn kurz an und bewegst dann zwischen den Zähnen ein Stück Knorpel mit der Zunge hin und her.

»Manheru! Guten Abend, guten Abend, Tante.« Er nickt respektvoll und hält dir die Tür weit auf.

»Grüße deine Familie. Alle zu Hause«, sagst du und wünschst ihm einen schönen Abend.

Das Lächeln des Jugendlichen wird breiter, als er verspricht, die Grüße auszurichten.

Du gehst leise durchs Foyer, um Mrs. May nicht zu stören. Du seufzt vor Erleichterung, als ihr Kopf über das Kreuzworträtsel geneigt bleibt.

»Ist es das, was du tust«, sagst du und bleibst vor deinem Zimmer stehen.

Du machst dir nicht die Mühe, deine Stimme zu einem Fragezeichen zu heben. Warum solltest du irgendwo ein Fragezeichen anbringen? So viele Dinge sind heute passiert, und niemand hat dich irgendetwas gefragt. Außerdem weißt du: Du wolltest nicht tun, was du auf dem Markt getan hast. Du wolltest nicht, dass all das passiert, auch sonst wollte es keiner. Niemand wollte es. Es hat einfach so stattgefunden, wie ein Augenblick des Wahnsinns.

»Jetzt stehst du also da, um mir aufzulauern«, sagst du zu Isabel.

Sie wartet im Schatten einer Säule auf dich. Deine Lippen öffnen sich in einer Parodie eines Lächelns. Du freust dich, dass die junge Frau etwas von dir will. Es gibt dir zwei Arten von Macht. Die erste beruht auf ihrem Wunsch. Du kannst über eine Frau, die etwas will, lachen, während du zusiehst, wie sie hierhin und dorthin läuft, um es zu bekommen. Die andere Macht, die sich aus der ersten ergibt, ist dein Recht, ihr den Wunsch zu verwehren.

»Wir könnten dich melden«, sagt Isabel mit leiser zittriger Stimme. »Sie hat solche Schmerzen. Sie stöhnt! Das ist nicht nichts. Du musst für das Taxi zahlen. Wir bringen sie ins Krankenhaus.«

Ein Stück entfernt im Flur öffnet Gertrude ihre Tür. Sie ruft Isabel zu, es sein zu lassen.

»Wenn was passiert, wenn ihre Verwandten Fragen stellen, wirst du viel mehr zahlen müssen. Entschädigung«, droht Isabel.

»Ist schon in Ordnung. Lass sie, Bella. Rachel hat mir ein Panadol gegeben«, sagt Gertrude.

»Hm-hm!«, schnaubst du und nimmst deinen Zimmerschlüssel aus der Tasche. »Was ist los mit dir? Verschwinde! Warum stehst du hier herum, als gäbe es was zu besprechen? Wer behauptet, dass ich verantwortlich bin?«

Am nächsten Tag entschuldigst du dich bei Mrs. May dafür, dass du das Vorstellungsgespräch mit Witwe Riley vermasselt hast. Du bittest sie, dir jeden Tag den Clarion aufzuheben, damit du in den Kleinanzeigen nach einem Zimmer suchen kannst.

Die Heimleiterin ist einverstanden. Sie schiebt die zusammengerollte Zeitung jeden Abend in eine Ecke der Rezeption. Du holst sie sofort, damit keine andere Bewohnerin sie nimmt.

»Großes Zimmer bei gottesfürchtiger Witwe.«

Die Anzeige springt dir ein paar Tage später in die Augen.

»In einem großen, attraktiven, gepflegten Haus. Für bescheidenen, alleinstehenden, gottesfürchtigen, jungen Herrn.«

Du schlägst Gott einen Handel hinsichtlich deines Geschlechts vor und nennst es Gebet.

Während du in der Telefonzelle die angegebene Nummer wählst, fügst du die Tatsache, dass du arbeitslos bist, und die Zahl der Jahrzehnte, die du auf Erden wandelst, deinem Gebet hinzu.

»Ich habe Verwandte, die wie Sie sprechen«, sagt die Witwe nach ein paar Minuten. Damit fragt sie dich, woher du kommst.

»Aus den Bergen«, sagst du. »Manicaland. Mutare.« Es ist die Wahrheit, und dieses eine Mal scheint die Wahrheit die richtige Antwort zu sein.

Am Tag der Vorstellung gehst du zu dem Haus und rüttelst am Tor. Es dauert lange, bis die Witwe kommt. Als Erstes fällt dir ihre Stimme auf.

»Mwakanaka! Mwakanaka, Mambo Jesu! Du bist gütig, du bist gütig, König Jesus«, brüllt ein grimmiger Alt.

Die Sonne blitzt dich von scheinbar einer Million Zähnen an. Sie sind zu groß und zu spitz. Du lächelst, unterdrückst den Instinkt zu flüchten. Die Witwe zieht das Tor auf und winkt dich hinein.

»Guten Tag! Ich bin so froh, so froh, so froh, dass Ihnen mein Haus gefällt«, erklärt deine potenzielle Vermieterin.

Ihr Blick schweift am Ende des Händeschüttelns zu deinen nackten Fingern. Du verschränkst sie hinter deinem Rücken und wünschst, du wärst so vorausschauend gewesen und hättest dir auf dem Markt einen falschen Ehering gekauft.

Die Frau neigt sich vor, um den Riegel des großen gusseisernen Tors zurück in den Boden zu schieben. Es ist die zweite Anstrengung innerhalb weniger Minuten. Als sie sich wieder aufrichtet, bricht Schweiß auf ihrer Nase aus und rinnt unter der grün-lila Kopfbedeckung im nigerianischen Stil hervor. Sie fächelt sich Kühlung zu. Eine Herde Nashörner trampelt auf einem breiten goldenen Band um ihren Zeigefinger. Daneben, auf ihrem Mittelfinger, glitzert ein sperriger Smaragd. Zwei Eheringe erheben sich groß, aber matt auf dem Ringfinger der anderen Hand. Dreck verkrustet die Ritzen in ihren Schmuckstücken. Sie müssten gereinigt werden.

»Ja, es ist so wunderbar, dass Sie angerufen haben und jetzt da sind«, sagt die Witwe. Sie segelt den Weg entlang. »Am Telefon muss ich vorsichtig mit den Leuten reden, und ich muss wissen, woher sie kommen. Heutzutage kann man nichts glauben, was irgendjemand sagt.«

Sie bewegt sich langsam auf zerbrechlich wirkenden spitzen Sandalen, die Mode diktiert vom Nollywood-Fernsehen. Du merkst, dass du Gefahr läufst, sie zu überholen. Du passt deine Geschwindigkeit an und bleibst einen halben Schritt hinter ihr.

»Sie haben es doch gehört, nicht wahr, wir leben in der Endzeit«, bemerkt deine potenzielle Vermieterin. »Alle großen Propheten sagen es. Ja, die Zeit ist gekommen, denn jetzt, wo wir diese schrecklichen Tage erleben, bekommt man etwas, wenn man etwas gibt? Nie. Man verliert alles. Man hat nichts mehr, wenn man etwas gegeben hat.«

Du öffnest den Mund und schließt ihn wieder, weil du erleichtert begriffen hast, dass deine Antwort bedeutungslos ist.

»Und ich, obwohl ich die Witwe meines Mannes bin«, plappert die Frau weiter, »Sie können sich nicht vorstellen, was die Leute, die herkommen, alles erzählen. Dass sie arbeiten wollen oder einen Platz zum Wohnen. Nur damit sie herausfinden können, was ich habe, und dann machen sie einen Plan, es zu stehlen. Diese Leute benutzen die Intelligenz, die Gott ihnen gegeben hat, nicht dazu, das Bisschen, das VaManyanga mir gelassen hat, zu vermehren, sondern es zu vermindern. Ich versuche es zu vermehren, größer zu machen, so wie in der Bibel steht, dass es sein muss, wenn der Mann geht. Aber die, sie wollen, dass alles, was ich habe, kleiner wird.«

Jetzt atmest du flach. Du schluckst Speichel, der plötzlich bitter schmeckt. Dir wird klar, dass du Angst vor ihr hast. Du weißt nicht, warum. Du lachst lautlos über dich selbst, weil du dieser Furcht nachgibst.

»Aber Sie haben gesagt, dass Sie seit einer Weile in Harare leben«, drängt sie weiter. »Miss Sigauke, ich wollte am Telefon nicht nachfragen. Egal, wie viele Dinge die Weißen uns gebracht haben, manche Dinge kann man nicht einfach so sagen. Aber jetzt sind Sie ja da, das ist gut. Sagen Sie, arbeiten Sie?«

Du bist überzeugt, dass irgendetwas dich verraten hat. Und zwar trotz der Lady Dis, die dir deine Cousine geschickt hat, erneut kombiniert mit dem Rock und dem dazu passenden Oberteil aus deiner Vergangenheit, die du auch für dieses Vorstellungsgespräch trägst.

»Arbeiten? Natürlich, ja. Ich bin nicht eine von denen, die nur herumsitzen. Ich bin ein Arbeitstier, ein echtes«, antwortest du nach einem winzigen Zögern. »Arbeit kenne ich, seitdem ich ein Kind war.«

»Das ist gut«, sagt die Witwe.

»Als Kind auf den Feldern, dann habe ich unterrichtet – zeitweise. Aber jetzt habe ich einen Job bei der Werbeagentur Steers, D’Arcy und MacPedius. Sie kennen sie. ›Unten im Honey Valley, wo das beste frische Essen wächst.‹ Der Spruch ist von mir. Ganz Simbabwe kennt ihn.«

Du summst den Jingle des ehemaligen Klienten und fragst dich, wer jetzt Texte für ihn schreibt.

»Oh, gehen Sie dorthin?«, ruft deine potenzielle Vermieterin, die die Melodie nach einem Augenblick des Nachdenkens erkannt hat.

»Ich bin zwischen dem Unterrichten und etwas Besserem«, versicherst du ihr, da klar ist, dass sie etwas Derartiges hören will.

»Eine große Firma! Was werden Sie dort tun?«, fragt die Witwe. »Werden Sie singen?«

Du biegst die Kante in deiner Stimme gerade. »Die Worte«, erklärst du.

»Oh, Sie singen die Worte! Wie ich. In der Kirche, ich bin eine der Besten im Team der Lobpreisleiter.«

Als ihr euch dem Haus nähert, befragt dich die Witwe zu deiner Moral: Bist du standesamtlich oder nach sonstigem Recht verheiratet oder hast du vor zu heiraten? Hast du männliche Freunde oder einen, der dich hier besuchen will? Das ist nicht erlaubt. Denn im Gegensatz zu dem, was du von den Nachbarn hören wirst, führt sie kein Bordell.

Du murmelst, dass du nicht oft in die Kirche gehst, sondern lieber allein betest.

Witwe Manyanga erwidert, dass sie eine Gebetskriegerin ist und zählt die Litanei der Leute auf, die sie geheilt hat, der Wunder, die sie gewirkt hat. Du gehst die angeschlagenen Stufen hinauf, durch eine rostige Sicherheitstür in eine düstere Veranda.

»Willkommen, Miss Sigauke«, sagt die Witwe und hält die innere Tür auf. »Sie sind in das Haus einer gottesfürchtigen Familie gekommen.

Sehen Sie die da?« Sie neigt den Kopf zur angrenzenden Wand. Gegen den blasenwerfenden Anstrich ist eine Reihe Schreibtische geschoben. Auf jedem steht ein Telefon.

»Das«, setzt die Witwe an. Sie bleibt stehen, stützt eine Hand auf einen Schreibtisch und hebt ein in sich verschlungenes Kabel vom Boden auf. »Das ist die Ernte der Offenbarung.«

Staub kriecht dir in die Nase. Du niest und entschuldigst dich für deine Allergie.

»Es war nicht meine Offenbarung«, fuhr die Witwe fort. »Sie kam zu VaManyanga. Meinem Mann. Dem Verstorbenen. Doch sie kam zu ihm, als ich mit ihm betete. Wegen mir hatte er diese Offenbarung.«

Du nickst, während du dich umsiehst, und schaffst es, anerkennend dreinzublicken, da die Umstände der Witwe zwar zweifelhaft, aber den deinigen um vieles vorzuziehen sind.

»Die Telefone, die Sie sehen«, sagt Mrs. Manyanga, »sind eins der vielen Dinge, an denen mein Mann gearbeitet hat, als er mich verließ. VaManyanga war nicht wie andere Männer, nie! Er hat es für die Universitätsstudentinnen getan, denn nachdem er die Offenbarung hatte, dass er etwas für jemanden tun muss, wusste er nicht, was er für wen tun soll. Und da habe ich beschlossen, ihm zu helfen. Ich habe gesagt: VaManyanga, es gibt immer mehr Studentinnen, weil die Regierung die jungen Leute ausbildet. Die Sache, die du tun musst, ist das nicht etwas, das wir für sie tun können? Ja, ich war es. Ich habe es gesagt!«

Du stehst in einem düsteren stickigen Flur, während deine Begleiterin an einem Schlüsselring von der Größe eines kleinen Tambourines, den sie aus den Falten ihres westafrikanischen Gewands nimmt, nach dem richtigen Schlüssel sucht.

Der erste Schlüssel passt.

»Keine Sorge«, sagt sie. »Machen Sie sich wegen nichts Sorgen. Alle Türen sind perfekt. VaManyanga wollte es so. Alles perfekt. Das wollte er.«

Nach kurzer Suche steckt sie einen weiteren Schlüssel in ein Schloss. Es schnappt hörbar. Die schwere Teakholztür schwingt auf.

»Ich danke Gott«, verkündet deine potenzielle Vermieterin und geht voran. Im Raum bleibt sie stehen, um sich zu orientieren. Das Wohnzimmer war seit Langem verschlossen. Die Luft ist muffig.

»Ja, das tue ich, ich danke Gott«, erklärt sie, »für das Geschenk eines perfekten Ehemannes.«

Der Raum ist vollgestopft mit Krempel wie ein Trödelladen: hier und da Tische und Tischchen im Tonga-, kapholländischen, Pionier- und kolonialen Schlafwagen-Stil, sowie ein paar der Sorte, wie man sie bei Straßenhändlern und Flechtern kaufen kann; und darauf alle möglichen Figürchen. Schwere Sessel und Sofas und Polsterhocker aus Kudufell füllen den restlichen Platz. Deine potenzielle Vermieterin stützt sich mit einer Hand auf einer Stuhllehne ab, als sie sich weiterschiebt.

Sie bedeutet dir, dich in einen Sessel zu setzen. Bei Kontakt entweicht dem Sitz eine Staubwolke.

»Ja, es war jedem, der über den korrekten Sinn verfügt, auf göttliche Anweisung zu hören, klar, Miss Sigauke, dass etwas für unsere jungen Leute an der Universität getan werden muss. Wie viele von ihnen haben ein Auto? Die meisten haben keins. Ist es nicht so, dass die meisten leiden? Ist das nicht so, wie es ist?«

Die Witwe setzt sich auf ein Sofa. Du neigst dich zu ihr; jetzt hat sie deine ganze Aufmerksamkeit. Leiden! Derjenigen, die keine Kinder mehr, aber auch noch nicht alt sind: Die Witwe hat dein eigenes Dilemma definiert. Es ist beruhigend und gleichzeitig beklemmend, dass jemand, den du nicht kennst, deine Lage unter die Lupe nimmt, hin und her wendet und seziert.

»Ja, Miss Sigauke, sehen Sie«, sagt die Witwe, ermutigt von deinem Interesse. »Schauen Sie sich an. Sie haben einen Abschluss.« Damit kehrt sie zu den Studentinnen zurück, fordert dich auf, sie auf eine christliche Weise zu betrachten. »Denken Sie an diese armen jungen Leute. Bei unseren kirchlichen Frauentreffen bricht es uns das Herz, wenn wir hören, wie viele dieser Mädchen an der Universität heutzutage gleich nachgeben. Zu Ihrer Zeit war das bestimmt nicht so.«

Du nickst. Du glaubst, dass du noch immer Jungfrau bist, obwohl es ein paar Vorfälle gab, bei denen du nicht sicher bist: Zählt es, wenn du, überwältigt von den Umständen, ein Tampon eingeführt hast, um sicherzugehen, dass du nicht schwanger wirst?

»Aber jetzt«, fährt die Witwe leidenschaftlich fort, »legen sich die jungen Mädchen auf diesen Colleges die ganze Zeit hin, mit jedem. Und weil die Universität, wo die Mädchen sind, gleich da drüben ist, habe ich zu VaManyanga gesagt, als er seine Offenbarung hatte, ich werde wie eine Mutter für diese notleidenden Studentinnen sein. Ich habe gesagt, ja, ich werde sie gut behandeln.«

Im Lauf des Gesprächs erfährst du, dass VaManyanga, der damals viele andere Geschäftsinteressen verfolgte, nur behutsam auf die Offenbarung hin zu handeln gedachte. Mai Manyanga andererseits, die erst ein paar Monate zuvor von der Chefsekretärin zur Ehefrau aufgestiegen war, wollte keine Sekunde verlieren. In ihrer überbordenden Begeisterung ließ sie sofort ganz hinten auf dem zwei Hektar großen Grundstück ein Betonfundament legen. Ein Stück Wellblech, an eine kurze Stange genagelt, stand noch im Garten und verkündete, dass diese Betonplatte »VaManyangas Dorf für Studentinnen« werden sollte. Als Termitengift in das Fundament des Wohnheims gegossen wurde, startete Mai Manyanga das Payphone-Projekt, damit die zukünftigen Bewohnerinnen frei kommunizieren konnten, die Investition, die jetzt verheddert die Veranda einnahm.

»Ah, die armen Studentinnen.« Deine potenzielle Vermieterin schüttelt den Kopf und starrt in ihre Erinnerungen.

»Was für ein schrecklicher Schlag für sie! Sie ahnten nicht, dass ihnen mein Mann einfach so genommen würde! Als es überhaupt kein Problem gab. Keins. Mit irgendwas. Wir wollten die Studentinnen aufnehmen. Frauen wie Sie hätten profitiert, Miss Sigauke. Und sie wären sicher gewesen. VaManyanga ist nie hier oder da rumgerannt mit etwas, das sich hinlegt! Nein, das hat VaManyanga nicht getan, nicht wie andere Männer, wir hätten die Studentinnen problemlos aufnehmen können.«

Deine Handflächen sind feucht. Du willst unbedingt, dass das Vorstellungsgespräch entweder richtig anfängt oder vorbei ist. Du schwitzt unter den Achseln in dem engen Kostüm, doch gleichzeitig möchtest du, dass die Witwe weiterredet, den Augenblick der Entscheidung, ob du ihren Ansprüchen genügst oder nicht, weiter und weiter in die Zukunft schiebt.

»Ah, ja, Sie haben sie erkannt«, kräht Mai Manyanga.

Um nicht rundheraus leugnen zu müssen, weichst du aus: »Es ist ein wunderschönes Foto.«

Das Foto, zu dem du zufällig geblickt hast, ist großspurig in der Mitte der Glasvitrine der Witwe platziert. Um es herum stehen mit Wasser, Schneeflocken und Modellen von Türmen aus diversen europäischen Städten gefüllte Halbkugeln.

»Sehen Sie es? Die Ähnlichkeit? Sie müssen es sehen«, sagt die Witwe. Sie fächelt sich mit ihrer beringten Hand Kühlung zu. »Ich bin sicher, Sie sehen, wer sie sind.«

Als du sanftmütig und wortlos lächelst, um nicht zufällig eine unpassende Antwort zu geben, hievt sich die Witwe vom Sofa hoch und an Figuren aus Bronze, Messing und Kupfer vorbei, die auf ihren Tischchen stehen.

Die Türen der Vitrine leisten Widerstand, gehorchen jedoch nach einigem Rütteln der Witwe. Sie holt zwei dicke Porzellantassen und Untertassen heraus, die neben einem silbernen, kupferrot angelaufenen Teeservice das obere Regalfach einnehmen. Unterhalb der runden Teekanne steht in einem grün gefleckten Rahmen aus Kamativi-Zinn das Foto, das zu erkennen dir die Witwe gebietet.

Er ist glatt rasiert, schwarz aber mit relativ heller Haut, von mittlerer Größe, und zu seiner makellosen Kleidung gehören eine Ansteckblume und ein Taschentuch in der Brusttasche. Er hält eine Aktentasche höher, als es für einen stehenden Mann normal ist. Er fasst den Griff mit beiden Händen, als hätte er zuerst gesessen und wäre dann aufgefordert worden aufzustehen, hätte jedoch beschlossen, die Tasche auf der gleichen Höhe zu halten. Sein Griff ist so fest, dass die Sehnen auf seinen Handrücken zu sehen sind.

Sie jedoch lächelt kokett in die Linse. Eine plumpe Hand ruht auf dem Arm, der die Aktentasche hält. Die andere liegt leicht auf der Rückenlehne eines hölzernen Stuhls, auf dem eine Handtasche aus hochglanzpoliertem pythongemustertem Kunstleder schimmert. Sie trägt Plateauschuhe und ein Etuikleid, dessen Farbe auf dem Schwarzweißfoto nicht zu bestimmen ist. Zu beiden Seiten und im Fach darunter leisten dem Foto diverse andere Ziergegenstände Gesellschaft: eine Katze aus rosa Quarz, die ein Ohr verloren hat, ein einzelner dicker Becher von einem Ort namens Kings Arms. Kupferne Plaketten mit Abbildungen von Weißflügelgirlitzen, Springböcken und leuchtenden Schalenlilien, der Blume Rhodesiens, und Wappenschildern verkünden das Jahr, den Ort und den Zweck der vielen Konferenzen, an denen Mr. Manyanga teilgenommen hat.

Die Witwe geht an einer Großvateruhr vorbei, deren Pendel schwer schwingt, aber nicht mit der Zeit Schritt hält. Sie stellt die Tassen auf einen großen Esstisch aus Mahagoni und verkündet, dass sie dir Tee machen wird. Sie mag dich. Trotz deines brennenden Verlangens, gemocht zu werden, verlässt dich der Mut. Die Schlangen in deinem Bauch gähnen. Dein Unterleib fühlt sich an, als würde er zucken. Du wirst misstrauisch, weil dich diese Frau mag, denn du weißt, dass du nichts Liebenswertes an dir hast. Verachtung für alles durchflutet dich. Sie lauert direkt unter deinem Ausdruck, als du diese Frau ansiehst, die dich mag. Gleichzeitig bist du zunehmend fasziniert von ihr und dem Leben, das sie sich eingerichtet hat, und du lächelst deine Verwirrung weg.

»Meine Männer haben es nicht geschafft, sie zu zerbrechen«, sagt die Witwe, als sie zurückkommt und ein ausfransendes Tablett aus Bast mit einer Teekanne aus Emaille, einer Zuckerdose und einem Milchkännchen abstellt. Sie schenkt dir ein und nickt in Richtung des untersten Regalfaches, auf dem sechs zusammenpassende bemalte Gläser stehen, die dank regelmäßigen Abstaubens funkeln.

»Sie sind noch alle da. Kein einziges ist zerbrochen«, sagt sie stolz. »Obwohl wir sie bei allen unseren Familienfeiern benutzt haben. Heutzutage nehme ich sie nur noch, wenn meine Söhne kommen. Aber kommen sie oft genug? Nein! Söhne eben. So sind Jungs heutzutage. Sie kommen ihre Mutter nie besuchen!«

Du gibst ein halbes Dutzend Teelöffel Zucker in die Tasse, die die Witwe dir reicht. Energie strömt in deinen Körper, und du weißt, dass du die Fahrt zurück zum Wohnheim schaffen wirst.

Du möchtest noch eine Tasse von dem heißen süßen Tee. Doch kaum hast du die Tasse abgestellt, begibt sich die Witwe auf einen Rundgang durchs Haus. Sie zieht dicke Vorhänge aus importiertem lila Satin auf, um den nicht mehr benutzten Abgrund eines Swimmingpools zu präsentieren, die Fliesen schwarz vor Schimmel.

»Jetzt, wo die Jungs weg sind, wird er nicht mehr benutzt«, sagt sie. »Selbstverständlich haben wir unseren Söhnen das Schwimmen beigebracht.«

Die Küche muss vor Kurzem noch schön gewesen sein. Du erfährst, dass sie ursprünglich unter Mr. Manyangas Aufsicht renoviert worden war. Fliesen ertrug er nur, wenn sie aus Italien kamen, und nur in einer Farbe, goldener Ocker. Doch seit seinem Ableben sind Quadrate herausgefallen. Gefolgt vom Fugenkitt. Kolonien Kakerlaken bevölkern die schmutzigen Ritzen. Ein Gecko huscht über eine Kruste aus schwarzem Öl. Dir juckt es in den Fingern, alles heftig mit Putzmitteln zu attackieren.

»Dieses«, informiert dich die Witwe, als du in ein Zimmer starrst, das noch muffiger und luftloser ist als das, das du gerade verlassen hast, »sollte das erste Zimmer sein, das ich einer Universitätsstudentin vermieten wollte. Ich war einer Meinung mit meinem Mann, als er gesagt hat, dass wir zuerst einen Pilotversuch machen müssen, bevor wir das Unternehmen richtig angehen. Ich wollte ihm und seiner Offenbarung nicht widersprechen. Ich habe gesagt: Ich weiß nichts von einem Pilot, aber Gott weiß es. Ich habe meinem Mutterherz gesagt, dass es still sein soll. Sie wissen doch, wie es im Herzen einer Frau aussieht? Es wollte so viel mehr für die Studentinnen tun.«

Die Witwe geht forsch durch die winzige Kammer, deutet aus dem Fenster. Durch eine Ecke sieht man in den Garten, der Rest geht auf die Garage hinaus. Sie bewundert einen alten Beistelltisch, dessen hinterer Teil auf Stapeln von Parade-Zeitschriften steht, und weist auf eine Kleiderstange zwischen Wolken von Spinnweben hin, verborgen hinter vergilbten Vorhängen aus rosa Satin.

Die Witwe entschuldigt sich dafür, dass sie dich am Ende des Gartens hat warten lassen.

»So etwas«, sagt sie und empört sich für dich. »Obwohl ich doch einen Gärtner habe. Und ich zahle ihn jedes Mal. Pünktlich! Es vergeht kein Monat, wo ich ihn nicht zahle. Ich wusste es schon, als er sich vorgestellt hat«, vertraut sie dir an. »Aber was soll ich machen mit diesem Herzen, dem einer Frau? Jede Frau ist im Herzen eine Mutter, Miss Sigauke. Und jede Mutter ist auch eine Frau. Deswegen habe ich gesagt, komm, ich bezahle dich, obwohl er nur ein Herumtreiber war.«

Du schweigst weiterhin, erneuerst deinen Handel mit Gott und rufst deine Vorfahren an.

»Heute Morgen habe ich zu ihm gesagt, mach auf, wenn sie kommt, ich erwarte jemand. Aber er lässt mich den ganzen Weg gehen, um das Tor zu öffnen, und geht früh nach Hause, weil Samstag ist. Ich habe gesagt, warte auf Miss Sigauke. Ich hätte ihm sagen sollen, dass sich auch noch ein paar Männer vorstellen wollen.«

Du lächelst breiter, erleichtert, weil du weißt, dass es sie nicht gibt. Mai Manyanga dagegen klingt bedauernd.

»Deswegen sage ich immer, bitte, bitte jemand vom Land. Jemand von einem unfruchtbaren Ort, wo es nicht regnet. Diese Leute wissen, wenn Gott ihnen etwas Gutes zuteilwerden lässt. Denn sie wissen wirklich, was es heißt zu leiden.«

Die Witwe hat dich richtig eingeschätzt. Und sie weiß es. Du akzeptierst ihre Bedingungen auf der Stelle, da es nicht infrage kommt, zu deiner Familie nach Hause ins Dorf deines Vaters zurückzukehren.

Sie bietet an, eins der Telefone auf der Veranda anschließen zu lassen, und freut sich, dass Gott endlich VaManyangas Offenbarung zur Erfüllung bringt. Die Miete ist zu hoch, da die Witwe sie auf Grundlage des Gehalts eines jungen berufstätigen Mannes berechnet hat. Du lehnst den Telefonanschluss ab, auch wenn sie darauf verweist, dass er für den Preis ein Schnäppchen ist. Als du zur Hauptstraße zurücktrottest, versicherst du dir, dass du dir eines Tages, irgendwie, wie auch immer, den Luxus eines Telefons neben deinem Bett leisten wirst. Als du einen Kombi heranwinkst, hast du dir drei Telefone versprochen, eins in der Küche, eins im Wohnzimmer und eins im Schlafzimmer deines zukünftigen Zuhauses. Als du im Minibus sitzt, denkst du über ein viertes im Badezimmer nach.

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