Читать книгу Überleben - Tsitsi Dangarembga - Страница 14

5. Kapitel

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Die Energie, die deine Vermieterin belebt hat, versickert nach dem Besuch. In den Wochen nach dem Treffen mit ihren Söhnen verlässt sie ihr Häuschen seltener. Sie meidet das Wohnzimmer, das sie so großartig vorgeführt hat. Sie spricht seltener von ihren Söhnen, wenn sie dir zufällig im Garten oder im Flur begegnet.

Wenn sie versucht, ein Kirchenlied zu schmettern, klingt ihre Stimme schwach. Die Melodie plätschert dahin wie das träge Fließen eines versandeten Flusses. Mitten in der Nacht ist sie ein aufrechter Schatten im vorderen Zimmer des Häuschens, als würde ihr das Sitzen Schmerzen bereiten, und nachdem sie alle Lichter ausgeschaltet hat, verebben ihre Versuche zu singen in Stille oder leisem Stöhnen. Ein paar Wochen später trägt sie einen bandagierten Arm in einer Schlinge. Du wendest den Blick ab. Niemand im Haus spricht darüber, und wenn du ihn siehst, schauderst du.

In ihrem neuen Schweigen überrascht dich die Witwe mehrmals im Garten. Du erklärst, warum du ihr Gemüse erntest. Sie hört kaum zu, den Blick auf die Betonplatte gerichtet, wo ihre Söhne gesessen haben, doch als du geendet hast, pflückt sie ein paar gelbliche Blätter vom dicken Strunk einer Pflanze. Sie gibt sie dir, ermuntert dich so sanft, wie es ihr möglich ist, hin und wieder ein Büschel zu pflücken, bevor der Gärtner alles vollständig verkommen und ihren Garten zu einem Dschungel werden lässt.

»Hin und wieder« wird zu tagtäglich. Du bedienst dich am Gemüse deiner Vermieterin mit abnehmenden Bedenken bis zu dem Tag, als du zwei Stimmen im Häuschen streiten hörst. Zu diesem Zeitpunkt hat die Witwe ihr Anwesen seit über einer Woche nicht mehr inspiziert und auf der Veranda in der Sonne gesessen. Die Auseinandersetzung wird lauter und schwingt sich in die Höhe wie ein Lied, ein glückliches Lied, als würden sich die Streitenden über die Gelegenheit freuen, einander in Stücke zu reißen, ihre Wut als wildes Geschrei in der ganzen Nachbarschaft zu verkünden.

»Diese Telefone sind veraltet«, beharrt die Gegnerin deiner Vermieterin.

»Na und? Bist du hier, um mir was über meine Sachen zu erzählen? Ein Telefon ist ein Telefon. Wo hast du ein Verfallsdatum gesehen?«

»Ich bin nicht hier, weil du mich darum gebeten hast«, sagt die Besucherin. »Und auch nicht, weil ich hier sein will. Die Leute, die mich geschickt haben, haben gesagt, kümmere dich um sie. Sie haben nicht gesagt, kümmere dich um sie und sorg dafür, dass sie alles verliert, was ihr Mann ihr hinterlassen hat. Wegen all der Dummheiten, die sie macht.«

»Dir würde es gefallen, wenn ich alles verliere«, sagt die Witwe. »Das werde ich nicht. Das sind meine Sachen. Ich habe auch dafür gearbeitet.« Die Boshaftigkeit in ihrer Stimme knattert durch die Luft und besteht auf Unterwerfung. »Wenn du hier bist, tust du, was ich sage. Sonst gehst du wieder in das Dorf zurück, aus dem du gekommen bist.«

Angst, deine wiederkehrende Furcht, dass du nicht ausreichend Fortschritte hin zu Sicherheit und einem anständigen Leben gemacht hast, sticht dich wie Nadeln, als das Wort »Dorf« fällt. Jetzt hat sie dich sogar hier bei Mai Manyanga erwischt. Du maßregelst dich, weil du nicht Praise angemacht und deine Strategie, mit dem Ältesten anzufangen, in die Tat umgesetzt hast. Wegen deiner Tatenlosigkeit werden die Manyanga-Söhne das Haus verkaufen, bevor du dich in Stellung gebracht hast, und dann droht dir der Rauswurf. Du heiterst dich auf, indem du deine zukünftige Schwiegermutter schlechtmachst. Du schwörst dir, dich nicht von einer Großmutter einschüchtern zu lassen, die vor deinen Augen immer weniger wird. Beweis für diesen Verfall ist, dass du lange Zeit mühelos ihr Gemüse klauen, es auf ihrem eigenen Herd kochen und in ihrer Küche essen konntest, ohne dass sie es gemerkt hat. Damit deine Pläne Früchte tragen, darfst du der Neuangekommenen nicht trauen. Sie könnte die Witwe auf jede mögliche Weise beeinflussen, dein Projekt, achtbar zu werden, vereiteln.

»Ich gehe nicht zurück. Das Thema ist beendet«, sagt die Neuangekommene in ruhigerem Tonfall. »Ja, zumindest bin ich jetzt nicht mehr im Dorf. Ich werde sehen, was ich tun kann, bis die Dinge geklärt sind. Aber verschwende keine Zeit mit den Telefonen: Ich werde sie nicht anrühren.«

Am Nachmittag lernst du die Verwandte deiner Vermieterin kennen.

»Mwakanaka, Mambo Jesu!« Du hörst, wie die Witwe sich nähert, als du das Gemüse kochst, das du am Morgen geerntet hast.

»Vasikana! Mädchen!«, ruft Mai Manyanga ihre Mieterinnen laut, sobald sie im Flur steht. »Und auch Bruder Shine. Heute will ich euch alle sprechen.«

Du hörst niemanden antworten, deswegen beschließt du, auch stumm zu bleiben.

Der Streit mit der Frau scheint die Hausbesitzerin in Schwung gebracht zu haben.

»Ich bin sicher, dass alle vier da sind«, bemerkt sie zu ihrer Gefährtin. »Deshalb haben wir vereinbart, dass du am Samstag kommst. Bertha! Mako!«, ruft sie, ihre Stimme laut und frustriert, weil sie so oft rufen muss, um die Besucherin vorzustellen.

Ihre Schritte halten vor einer Tür im Flur an. Auf ihr Klopfen erfolgt keine Reaktion.

Deine Vermieterin und ihre Verwandte gehen im Flur zurück, und du kannst heimlich aus der Küche schlüpfen.

»Guten Tag, Mai Manyanga«, rufst du, die Stimme gesüßt wie früher, wenn du mit der Leiterin des Wohnheims gesprochen hast. »Wollten Sie etwas?«

»Ah, Tambudzai«, entgegnet Mai Manyanga. »Sie müssen in der Küche Krach mit den Töpfen gemacht haben, weil Sie mich nicht kommen gehört haben.«

Die Vermieterin deutet auf die Frau neben ihr. »Ich habe meine Verwandte mitgebracht, um sie vorzustellen. Ich möchte nicht, dass jemand Angst kriegt und die Polizei ruft. Und behauptet, dass eine fremde Person hier ist. Die dies und das tut. Deswegen müssen alle sie begrüßen.«

Die Mieterin Bertha, die große Frau, die sich später wäscht als die andere, die schüchterne Mitbewohnerin, öffnet die Tür zur Hälfte. Sie zwängt sich durch die schmale Öffnung, um sicherzustellen, dass Mai Manyanga ihr Zimmer nicht betritt.

»Das ist Christine, das Kind meines Bruders«, verkündet deine Vermieterin und betont stolz das Wort Bruder. »Er war der Erste in unserer Familie. Sie ist seine Tochter. Ja, die Tochter des Erstgeborenen meiner Eltern. Ihr Vater wurde getötet, als wir geglaubt haben, dass Gott gnädig gewesen ist, weil er ihn durch den Krieg gebracht hat, als so viele gestorben sind, getötet entweder von den Soldaten oder von den Genossen. Sie wird Kiri genannt.«

Die Vermieterin schweigt kurz wie eine Frau, die sich davongemacht hat, um neben ihrem Bruder zu sitzen. Ihre Worte schließen eine Leere auf, aus der deine eigenen Verwundeten und Toten marschieren. Du betrachtest deine Erinnerungen aus der Ferne und wendest dich schließlich von ihnen ab.

»Ja«, sagt die Witwe nach einer Weile. Ein Schauder durchfährt sie. »Obwohl mein Bruder den Krieg überlebt hat, lag das Ungeheuer, das herumzieht, auf der Lauer. Es ist aufgestanden und hat ihn in Bulawayo gefressen.«

Nach einem weiteren Augenblick schüttelt Christine allen die Hand. Alle tauschen Freundlichkeiten aus.

»War’s das, Tete?«, fragt Christine nach der Begrüßung. »Du stellst mich vor und erzählst dann nur von meinem Vater. Und von Dingen, über die niemand in diesem Land vernünftig sprechen kann.«

Es folgt ein verlegenes Schweigen, denn ihr seid alle Mitglieder einer friedliebenden Nation. Ihr sprecht nicht darüber, dass Bürger unterschiedlicher Meinung waren und dass bei dem grausigen Schlachten Leichen in stillgelegte Minenschächte und in Eisenbahnwaggons geworfen wurden wie Trümmer, die ein Wirbelwind fallen gelassen hat.

»Willst du sagen, dass es nicht stimmt, dass es niemand gegeben hat, den ich Bruder genannt habe, Kiri?«, sagt deine Vermieterin in einem Tonfall, der alle davon abhält, irgendetwas zu denken. »Ja, hätte es diesen Zyklon dort nicht gegeben, wo diese Ndebele herkommen, dann gäbe es noch jemand, an den ich mich in diesen Zeiten wenden könnte, die so schlimm sind, dass man es gar nicht ausdrücken kann. Du selbst, Kiri, wärst du nicht eine andere Frau, eine, die einen Vater hat?«

Dann erinnert sich Mai Manyanga an den Grund, warum sie alle im Flur versammelt hat, und bemerkt beleidigt: »Wo ist das andere Mädchen, Mako?«

Obwohl die Witwe laut »Mako« sagt und ihr alle eine Reaktion erwartet, erfolgt keine.

»Was ist los?«, fragt deine Vermieterin. »Ich habe sie da drin gehört, als ich geklopft habe, und ich habe gedacht, ah, das ist die junge Frau mit den guten Manieren. Sie steht auf und macht sich bereit, zu uns zu kommen.«

»Was ist mit Shine?«, fragt Bertha, die noch immer vor ihrer Tür steht und sie blockiert. »Mai Manyanga, haben Sie auch den jungen Mann gerufen?«

»Ihr kennt mich«, sagt Mai Manyanga gönnerhaft und ignoriert Bertha. »Ich rede nicht viel. Aber alle nennen mich eine Gebetskriegerin. Wenn etwas nicht stimmt, dann sollte es diese Mako sagen. Das ist alles. Nur das. Und ich werde für sie auf die Knie gehen.«

Bertha ist stark und so groß, dass vernünftige Männer vor ihr davonlaufen, sollten sie ihr Missfallen erregt haben; eine Frau, die oft sagt, dass sie für Weiblichkeit zu hart geworden ist dank zu vieler Dinge, um darüber zu sprechen. Sie kichert tonlos.

»Shine soll wissen, dass jetzt noch jemand da ist«, sagt sie nun. Das nächste Kichern ist noch tonloser und hohler. »Er muss es wissen. Wir wollen nichts, was Sie nicht wollen, Mai Manyanga.«

Der Busen deiner Mitbewohnerin hebt und senkt sich. Du überlegst, ob du auch lachen sollst, entscheidest dich dagegen.

Mai Manyanga geht den Flur entlang.

»Ah, jetzt kommt Mako«, sagt sie, als Makos Tür quietscht. Die Witwe lächelt, denn deine Hausbesitzerin schätzt die vierte Mieterin. Mako ist eine vorbildliche Mieterin, mit Arbeitsvertrag – sie zahlt pünktlich die Miete, lässt nie ein Licht brennen oder einen Wasserhahn tropfen und spielt keine laute Musik.

Als Mako immer noch nicht herauskommt, fragt sich die Vermieterin, warum. Bertha stapft los, an der Witwe und ihrer Besucherin vorbei.

Deine Lippe hob sich verächtlich, als du deine Mitbewohnerin Mako kennengelernt hast. Es war ein paar Tage nach deinem Einzug. Sie musste sich in glücklicheren Zeiten bei der Witwe Manyanga vorgestellt haben, denn sogar die Luft im Zimmer roch jetzt nach ununterbrochenem Missgeschick und Scheitern.

»Makomborero«, sagte die Frau zu dir bei der Vorstellung. »Makomborero. Du weißt, was das bedeutet, oder? Nenn mich einfach Blessings.«

»Ich bin Tambudzai. Wie geht es dir, Blessing?«

Die stille Mieterin schüttelte den Kopf und betonte: »Blessingssss!«

»Tambudzai, ich hoffe, Sie und Mako werdet euch gut verstehen. Mako arbeitet im Justizministerium als Rechtsanwaltsgehilfin«, sagte Mai Manyanga.

»Solange die Leute nicht Rechtsanwaltsdummkopf sagen, Tante«, sagte deine Mitmieterin achselzuckend. »Solange kann ich mich nicht beklagen. Sind wir nicht alle Dummköpfe, weil wir hierbleiben, weil wir in diesem Ministerium arbeiten?«

Aus einer Ecke drang das Geräusch von Kratzen und Nagen. Kleine Füße flitzten über die Decke.

»Wenn man es Arbeit nennen kann.« Mako zuckte noch einmal die Achseln, die letzten Spuren von Vitalität erloschen in ihrer Stimme. Sie achtete nicht auf das Ungeziefer. »Was ist Arbeit? Wenn es Arbeit ist, sollte es sich auszahlen. Ist es also nicht Dummheit, dass man dableibt, wenn sie so gut wie nichts zahlen? Deswegen nennen uns die Leute so. Rechtsanwaltsdummkopf. Wir, die wir dort arbeiten, wissen es, auch wenn sie es nicht sagen, wenn wir es hören könnten.«

Während sie sprach, lief eine graue Ratte hinter einer Plastiktüte in der Ecke hervor. Ihre Krallen zogen Fasern der schmutzigen Watte hinter sich her, an der sie genagt hatte. Die Tüte fiel um, und eine rote verklebte Masse landete auf dem Boden. Du hast vor Ekel den Atem angehalten, als dir klar wurde, warum das Zimmer der jungen Frau noch schlimmer roch als deins.

»Ich hebe sie dort auf, um sie zu verbrennen«, sagte deine Mitbewohnerin teilnahmslos.

»Ja, das müssen Sie auch noch wissen.« Deine Vermieterin nickte und wandte sich dir zu. »Es muss mehr gezahlt werden, wenn eine meiner Toiletten verstopft.«

Nach der Vorstellung hast du Makos Bitte, Blessings genannt zu werden, ignoriert wie alle anderen im Haus. Sie verströmt Niedergeschlagenheit in erstickenden Wellen, die so schrecklich sind wie der widerliche Geruch.

Jetzt, mehrere Monate nach der Vorstellung, schließt Mako mit beiden Händen die Tür, kaum sind alle eingetreten. In der Sekunde, als das Schloss zuschnappt, beginnt die Rechtsanwaltsgehilfin zu weinen. Sie sackt auf den Boden. Dort rollt sich ihr dünner Körper zusammen, die Stirn vergraben in der Ellbogenbeuge. Die Finger krallen sich einen Bausch Taschentücher. Sie ist wie ein Tausendfüßler, der von neugierigen Kindern gestupst wird.

»Steh auf!«, befiehlt Bertha barsch, ihr Gesicht ausdruckslos.

»Was ist los, pfiku-pfiku, schnief-schnief, einfach so?«, sagt deine Mitbewohnerin streng. »Genug jetzt. Iwe, steh auf und sag’s uns.«

Deine Vermieterin holt tief Luft, als wollte sie singen. Bertha überlegt es sich rasch und reibungslos anders.

»Macht nichts. Macht gar nichts«, sagt sie und beugt sich über die zusammengebrochene Gehilfin. Sie hievt die junge Frau hoch.

»Nein, ich will einfach nur sterben. Mehr will ich nicht«, insistiert deine Mitbewohnerin, die nicht aufhören kann zu weinen. »Was soll ich tun?«, fährt sie fort und versucht, aus Berthas Griff zurück auf den Boden zu gleiten.

Bertha hält sie fest.

»Es gibt nichts anderes«, schluchzt die junge Frau.

»Shine!«, ruft Bertha. Ihre Stimme fliegt an der Wut vorbei und hält auf halber Strecke zwischen Abscheu und Amüsement an.

»Hi-hi! Hi-hi!« Mako weint immer lauter und bestätigt Berthas Verdacht.

Die neue Frau sieht aufmerksam zu, sagt aber nichts.

»Shine ist nicht da«, sagt die Vermieterin. »Er ist nicht gekommen, als ich ihn gerufen habe.«

Danach raten deine Vermieterin und Bertha Mako, sich das Gesicht abzuwischen.

Der gute Rat nützt nichts. Mako schluckt noch immer an Schleim und Tränen. Die Witwe sagt zu Christine: »Die hier heißt Makomborero.«

Christine nickt wortlos. Die Witwe tippt der Neuangekommenen auf die Schulter, um sie zum Gehen aufzufordern. Abgesehen davon, dass sie sich etwas schneller bewegt als üblich, verlässt Mai Manyanga das Zimmer so ruhig, als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen.

Die Tür fällt wieder ins Schloss. Du, Bertha und Mako seid allein. Es ist eine andere Zeit im Monat. Das Sargtuch der Fäulnis wiegt weniger schwer als bei deinem ersten Besuch.

»Shine«, sagt Bertha noch einmal, mit dumpfer Stimme.

Mako heult auf und sinkt wieder zu Boden.

Bertha steht vor ihr und weist sie an, nicht mehr umzufallen und sich zusammenzureißen.

Du gehst zur Tür. Bertha wendet sich auch zum Gehen und sieht aus, als ob ihr angesichts von Makos Zerbrechlichkeit schlecht wäre.

»Die Toilette«, schluchzt Mako, um sicherzustellen, dass ihr sie nicht allein lasst.

Du bleibst stehen, die Hand auf dem Türknauf.

»Die Bürste schrubbt so laut. Dann muss man spülen und weiter bürsten, deswegen habe ich nichts gehört«, keucht Mako. »Ich habe nicht gehört, dass er gekommen ist.«

Bertha zieht Mako aufs Bett.

Die Schultern der Rechtsanwaltsgehilfin beben. Ihre Stimme zittert. Sie bringt kaum heraus, dass Shine heimlich aus seinem Zimmer geschlichen ist.

»Oh, warum bin ich nur so dumm? Warum habe ich ihn nicht gehört?«, jammert sie und fällt mit Selbstvorwürfen über sich her. »Ich dachte, er wollte ausgehen. Warum habe ich mich nicht gewehrt?«

Deine Mitbewohnerin schluchzt, dass ihr Sterben genau da begonnen hat, mit ihrer Fehleinschätzung. Als sie sich vorneigte, um die Toilettenschüssel zu putzen, zwängte sich Shine herein und zwang sein Knie zwischen ihre Pobacken. Mehr als das sagt sie nicht, erzählt es immer wieder, variiert ihren gequälten Bericht des Vorfalls nur, um euch davon in Kenntnis zu setzen, dass ihre Agonie ewig andauern wird, weil sie jetzt, da es passiert ist, nicht weiß, wie sie das Sterben oder den Mitbewohner, der es verursacht hat, aufhalten soll.

Du hast die Episode auf dem Markt entschlossen hinter dir gelassen, als du bei Mai Manyanga eingezogen bist. Jetzt jedoch fällt dir Gertrude ein. Mako trägt sackartige Trainingshosen und langärmelige T-Shirts zum Putzen. Du hast sie nie in einem Minirock oder hautengen Leggings gesehen. Bei Gertrude war der Grund für das Geschehen für alle ersichtlich. Doch etwas Ähnliches ist Mako passiert. Dein Herz schlägt schneller. Du bist eine alleinstehende Frau. Dein Zimmer ist neben Shines. Werden ihn nach dem Überfall auf Mako dein Alter und deine allgemeine Unansehnlichkeit davon abhalten, auch dir nachzustellen? Du hoffst es und entfernst dich von deiner Mitbewohnerin in dem Wunsch, Distanz zwischen dich und der bedauernswerten jungen Frau zu bringen.

»Ist etwas passiert?«, fragt Bertha, als Mako sich ein wenig beruhigt hat.

»Ich habe euch gesagt, was passiert ist«, sagt Mako. »Er hat hinter mir seinen Spaß gehabt. Und ich habe gedacht, er soll nur fertig werden. Es soll vorbei sein. Lass ihn gehen. Deswegen habe ich nichts gesagt.«

»Nur das? Warum weinst du dann?«, fragt Bertha. »Er hat dir nicht gedroht? Er hat nicht gesagt, dass er wiederkommen wird? Mako, wenn du alle Frauen in deiner Arbeit, ja, alle Frauen überhaupt fragst, außer vielleicht Tambudzai da, dann wirst du erfahren, dass sich so gut wie alle so was gefallen lassen müssen.«

Berthas Stirn legt sich unsicher in Falten, als deine Mitbewohnerin daraufhin noch lauter schluchzt. Im gleichen Moment wird dir klar, dass es nichts gibt, was du sagen oder tun könntest, weil es schon passiert ist. Makos Weinen macht nichts ungeschehen. Da weder du noch Bertha weiter über die Ursache ihres Unglücks nachdenken wollt, verabschiedet ihr euch und erklärt Mako, dass ihr wieder mit ihr sprechen werdet, wenn sie sich unter Kontrolle hat. Aus dem einen oder anderen Grund geht ihr jedoch nicht.

Mako wirft sich flach aufs Bett und vergräbt das Gesicht in ihrem dünnen Kissen. Du schweigst, und auch Bertha ist jetzt verstummt. Sie streckt den Arm und zieht Mako die Trainingshose über den Hintern, die ein Stück weit heruntergerutscht ist.

Am Abend, als es dunkel ist und du dein versteckt aufbewahrtes Essen verspeist hast, weil das Unglück einer anderen kein Grund ist, dass dir der Appetit vergeht, wie deine Leute sagen, und weil es besser ist, heute Abend nicht in deinem Zimmer zu sein, sondern außer Hörweite des Seufzens und Stöhnens in Shines Schlafzimmer, plünderst du im Garten der Witwe das Gemüse für den nächsten Tag.

»Ich habe dein Paket«, sagt die Nichte deiner Vermieterin leise auf der Veranda des Häuschens. Sie sitzt so still, dass du sie nur wahrnimmst, wenn sie es will.

»Maismehl«, fährt sie fort. »Deine Leute zu Hause denken an dich.«

Dein Speichel wird bitter.

»Deine Mutter ist den weiten Weg zu uns gegangen, um es zu bringen. Sie hat gesagt, sorg dafür, dass du es dorthin bringst, wo meine Tochter ist. Und einen Brief. Den sie geschrieben hat. Sie sehen dich nicht, aber sie denken an dich. Deine Mutter hat gesagt, das soll ich dir ausrichten.«

Du schweigst lang. Christine zieht sich zurück, obwohl sie sich nicht bewegt, ihre Gestalt verschmilzt mit den Schatten.

»Deine Tante ist eine wunderbare Frau«, sagst du schließlich. »Sie ist so freundlich, so voller Liebe. Sie hat mir erlaubt, das Gemüse zu nehmen.«

»Soll ich es dir jetzt bringen?«, fragt Christine. Sie klingt nicht, als wollte sie aufstehen, die Frage eine reine Formalität.

»Nicht nötig«, sagst du. »Warum solltest du dir Umstände machen? Ich hole es morgen.«

Du verlässt den Garten mit einem kleineren Büschel Kohlblätter, als du vorhattest.

»Ich werde meiner Tante sagen, dass du dich bedankst«, sagt Christine.

»Bedanken?«

»Für das Gemüse«, sagt Christine.

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