Читать книгу Überleben - Tsitsi Dangarembga - Страница 15

6. Kapitel

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Am nächsten Tag beschließt du, das Paket deiner Mutter nicht bei Christine abzuholen. An die Tür deiner Vermieterin zu klopfen, aufgefordert werden, dich zu setzen, ein Gespräch zu führen, das Bestandteil eines Besuchs ist, all das wird dich zu eindeutig mit deinem Dorf in Verbindung bringen. Dann wirst du still und mürrisch werden. Oder zu viel reden und zu viel über die Umstände deiner Familie erzählen. Mai Manyanga würde aus erster Hand das Ausmaß der Not in deiner Familie erfahren. Sie wird sich etwas zusammenreimen und merken, dass du zwar gebildet, aber trotzdem gescheitert bist. Die Kündigung könnte folgen, da du immer noch keine Arbeit hast.

Du verbringst den Morgen damit, deiner Cousine Nyasha einen Brief zu schreiben, die jetzt Filmemacherin in Deutschland ist. Du bittest sie um Rat hinsichtlich einer Auswanderung aus Simbabwe. Du willst nichts mehr als fort von dem unerbittlichen Terror jeden Tages, den du in deinem Land verbringst – in dem du dir nicht einmal mehr hin und wieder einen Klecks Erdnussbutter leisten kannst, um das Gemüse aus Mai Manyangas Garten aufzupeppen, oder den kleinen Trost parfümierter Seife –, indem du weggehst und Europäerin wirst. Du schickst den Brief nicht ab. Stattdessen zerreißt du ihn und lachst bitterlich über dich selbst: Wenn du dir in deinem eigenen Land kein Leben aufbauen kannst, wie dann in einem anderen? Wurde dir nicht die Flucht aus Armut und dazugehöriger kompletter Desillusionierung durch viele Jahre Schulbesuch von deinem babamukuru, deinem Onkel geboten, zuerst in seiner Mission, dann in einer hoch angesehenen Klosterschule? Das alles hast du durch deine eigensinnige Kündigung bei der Steers et al.-Werbeagentur weggeworfen. Du fragst dich, ob es schließlich nicht doch dein Schicksal ist, so notleidend zu werden wie dein Vater. Um die auf nicht wenigen Halbwahrheiten und vielen kleinen Lügen beruhende Wertschätzung, die dir deine Vermieterin vielleicht entgegenbringt, nicht zu gefährden, hältst du dich von ihrem Häuschen fern.

Da du dir den Umgang mit Mai Manyangas Nichte verboten hast, gewinnt sie natürlich an Faszination. Du bewunderst die Entschlossenheit, die sie zu einem wohlhabenderen Leben mit der Witwe geführt hat, verachtest ihre Liebe zu ihrem Zuhause – die so tief in ihrem Herzen begraben ist wie eure Nabelschnüre in der Erde eurer Dörfer – und erliegst einer nervösen Obsession.

Du spionierst ihr vom Fenster des Badezimmers aus nach. Die Nichte verbringt die meiste Zeit im Garten deiner Vermieterin und erledigt die Arbeit, die der Gärtner nicht macht. Von Zeit zu Zeit hält sie inne und schaut zu dem kleinen Fenster, als könnte sie dich sehen, dann nimmt sie ihre Arbeit wieder auf. Manchmal stellst du dir ein verwandtschaftliches Verhältnis mit dieser Frau vor, die Mai Manyanga ernsthaft konfrontiert hat, eine Leistung, die bislang nur Bertha erbracht hat.

Dein Herz schlägt ängstlich gegen deine Rippen, wann immer du ihr begegnest, doch zu deiner Erleichterung erwähnt Christine das Geschenk nicht mehr. Im Lauf der Zeit wächst sich ihr Schweigen jedoch zu einer wortlosen Verurteilung aus.

Sie wird zu einer wellenartigen Präsenz, die in deinen Orbit eindringt und ihn wieder verlässt. Wenn du glaubst, dass sie mit dir übereinstimmt, ist sie eine Sonne, die Wärme und eine seltsame unsichtbare Kraft verströmt; wenn nicht, scheint sie zu hell und heftig, ein Blitzstrahl, der darauf wartet einzuschlagen. Sie arbeitet im Garten mit der gleichen geschmeidigen Ruhe, mit der sie sich bewegt und auftaucht und wieder verschwindet, wo immer sie will. Sie verbindet den Wasserschlauch auf der ganzen Länge mit den kleinen Bewässerungsschläuchen. Ihre Miene verändert sich nicht, als sie in der Garage nach etwas sucht. Sie kommt zurück und betrachtet zwei Steinschleudern. Du beobachtest neidisch die Geschicklichkeit ihrer Finger, als sie Streifen schwarzen Gummis davon abreißt und den Schlauch damit repariert. Gewandt legt sie den Wasserspeier an die höchste Stelle eines Beets mit Setzlingen und schwingt die Hacke. Sie wässert die Wicken um das Häuschen der Witwe. Sie fegt die Betonplatte der Studentinnen. Sie sät Gras unter dem Guavenbaum. Sie ist eine Frau, die gut ist in dem, was sie tut. Und das ist faszinierend.

Die neue Frau schwitzt nicht, und du siehst auch nicht, dass ihr die Luft ausgeht. Sie ist zu ruhig bei der Arbeit, als wäre ihr Innerstes an einen fernen Ort geflüchtet, der keine Verbindung zu ihrem Körper hat. Ihr Blick, versteckt unter ihrem gleichmütigen Ausdruck, schweift weit über das Häuschen der Witwe hinweg. Sie starrt in den Schacht ihres Blicks, als würde sie sich, wenn es so weit ist, darin einfädeln und zu einem Ort gleiten, wo der Blick mit einer tiefen Sehnsucht zusammentrifft. Du hast diese Verhaltensweise schon einmal gesehen, dieses Sein, wo der Körper da und nicht da ist, bei deiner Schwester Netsai, die im Krieg war, ein Bein verloren und zu dir gesagt hat, als es hieß, dass jetzt Frieden herrscht: »Ja, ich war dort, und jetzt bin ich wieder da, aber ich bin nie zurückgekommen. Die meiste Zeit bin ich noch immer dort, wandere durch das Gras und über den Sand und suche mein Bein.«

Du wirst dünner und weißt nicht, ob du dich darüber freuen sollst oder nicht. Deine Haut ist matt, als würde eine dünne Membran die Verzweiflung einhüllen. Sie sagt den Leuten, dass du an deine Grenzen gestoßen bist; du willst nicht, dass sie es erfahren. Das Gemüse wird zu ekelhaft, um es noch zu essen, als zuerst das Öl und dann das Salz von deiner Einkaufsliste gestrichen werden, und du traust dich nicht, jeden Tag etwas aus Berthas oder Makos Flasche zu nehmen. Jede Minute aller vierundzwanzig Stunden verhöhnt dich mit dem, wozu du geschrumpft bist. Obwohl es scheinbar nicht sein kann, sind die Nächte noch schrecklicher, weil dein Mitbewohner Shine praktisch an jedem Tag der Woche eine andere Frau mit in sein Zimmer nimmt.

Die Begegnungen im Nebenzimmer werden von Nacht zu Nacht schriller, als würde Shine den Geräuschpegel seiner Frauen als eine Art Standard setzen. Du bemühst dich zu schlafen, und wenn du einschläfst, wirst du nahezu sofort wieder geweckt. Du versuchst zu lesen oder ziehst dir die Decke über den Kopf. Da Schlaf wie alles andere aussichtslos ist, stehst du aus dem Bett auf und starrst in den Garten hinaus in dem Wissen, dass dir der Mut zu allem fehlt, was du willst – zum Auswandern und zum Umgarnen der Söhne deiner Vermieterin.

Eines Abends mehrere Wochen nach Christines Ankunft hörst du, wie Shines Tür früher als üblich geöffnet wird. Schritte Richtung Tür kommen an deinem Zimmer vorbei. Dankbar für die Aussicht auf Ruhe legst du deine zerfledderten Zeitschriften weg und gehst ins Bett.

»Rufst du mich an?«, schmeichelt die Frau deines Mitbewohners im Flur.

»Mache ich«, versichert ihr Shine.

»Was, wenn du es nicht tust? Erreiche ich dich hier? Unter der Nummer, die du mir gegeben hast?«, fährt die Stimme wehleidig fort.

»Hast du Angst, dass ich dich vergesse?« Shine kichert.

»Sag das nicht. Das kannst du bestimmt nicht nach heute Nacht«, sagt die Frau mit einer Andeutung von Kichern.

»Keine Sorge.« Shines Stimme klingt dunkel und zäh wie Melasse. »Du bist keine Frau, die ein Mann vergessen will.«

Du bindest dir dein Tuch für die Nacht fest über die Ohren und vergräbst den Kopf unter dem Kissen.

Die Haustür wird geschlossen. Shines Füße tappen zurück in sein Zimmer und dann in sein Bad. Kurz darauf tröpfelt seine Dusche, spritzt gelegentlich unter dem ungleichmäßigen Druck des Stadtrats.

Du bist endlich eingeschlafen, als dein Türknauf gedreht wird und klappert.

»Tambudzai! Tambudzai!«, flüstert dein Mitbewohner.

Du hältst die Luft an und antwortest nicht, froh, dass die Tür verschlossen ist.

»Tambudzai. Keine Angst, lass uns nur ein bisschen plaudern«, tropft Shines Stimme zwischen Tür und Rahmen herein.

Dein Mund ist trocken und sandig, dein Herz pocht gegen deine Rippen, du rührst dich nicht.

»Schlampe«, haucht Shine in die Stille.

Du reagierst nicht.

»Jemanden wie dich auslassen heißt keine auslassen«, beschließt er.

Er geht in sein Zimmer. Stille kehrt zurück wie ein Fausthieb. Dann ist er wieder im Korridor. Er verlässt das Haus und kommt mehrere Stunden später mit einer lauten Partnerin zurück.

Noch später schreckt dich ein vorsichtiges leises Geräusch vom Rand des Schlafs auf.

Ta-ta-ta. Fingernägel klopfen gegen dein Fenster.

»Hörst du mich?«, fragt eine leise Stimme.

Ein starrendes Auge schimmert im Mondlicht.

»Wer wohnt da?«, flüstert die Frau um das Auge. Verschwommen und schattenhaft durch die rosa Vorhänge schiebt sich ihre schlaffe Gestalt näher ans Fenster.

»Hast du einen Schlüssel? Ich will, dass du die Tür aufmachst. Du musst mich reinlassen«, sagt sie.

Du weißt, dass sie dich durch den Spalt zwischen den Vorhängen sehen kann und ziehst sie auf. Du siehst ein zweigeteiltes Gesicht, eine Seite silbrig, die andere ebenholzschwarz.

»Du kennst mich doch, oder?«, sagt die Frau.

Du starrst sie an.

»Ich war letzte Woche hier«, fährt sie rasch fort. »Bei Shine. Erinnerst du dich?«

Sie klopft noch einmal, fester. Du öffnest das Fenster.

Die Frau entspannt sich leicht. »Sind alle so?«, fragt sie. Sie meint das Gitter vor dem Fenster.

Du nickst und sagst: »Außer bei der Toilette. Aber das ist winzig.«

»Mach mir die Tür auf«, bittet sie dich.

»Versuch’s dort.« Du deutest auf Berthas und Makos Fenster. »Ich habe meinen Schlüssel verlegt«, sagst du, als sie den Mund öffnet, um zu insistieren.

Tss, deine Besucherin saugt an ihren Zähnen. Sie gleitet die Mauer entlang, zertrampelt die Kapuzinerkresse, die Christine gewissenhaft gewässert hat. Kurz darauf erneutes Klopfen.

Minuten vergehen, du liegst wieder unter deiner Decke und fragst dich, ob es besser ist, dass die Frauen deines Mitbewohners in seinem Bett liegen oder draußen vor deinem Fenster stehen. Du kneifst die Augen zu, als ein Kichern in Shines Zimmer rasch unterbunden wird, und dir wird klar, dass du es mit beiden Optionen zu tun hast. Auf ein paar Augenblicke drückender Stille im Zimmer deines Mitbewohners folgt unverständliches Murmeln, dann kurzes Geflüster. Minuten später verrät dir ein dumpfer Schlag, dass jemand ungeschickt versucht, das kleine Toilettenfenster zu öffnen.

Türen quietschen, als deine Mitbewohnerinnen in den Flur kommen.

»Chi’i? Was ist los?« Makos Stimme dringt unter deiner Tür herein.

»Diese Frauen! Stören uns, damit wir gebissen werden von dem, was sie ausgegraben haben«, flüstert Bertha.

»Vielleicht ist sie gegangen?«, hofft Mako ängstlich.

»Pah! Sie wird weggehen, wohin sie sich selbst gefolgt ist«, höhnt Bertha. »Iwe, Mako, was für eine Frau tut das? Falls du einen hast, sag mir, wo du deinen Verstand versteckt hast.«

»Du wurdest gestört?«, flüstert Mako und beschwichtigt Bertha mit Mitgefühl. »Sie hat auch an mein Fenster geklopft.«

»Warum sollte ich sonst rauskommen?«, schnauzt die große Frau. »Ich habe zu dem Mädchen gesagt, hör auf zu klopfen, als wär’s dein Fenster. Und ich habe gesagt, weißt du denn nicht, dass es nicht das Fenster deines Mannes ist? Jetzt schau sie dir an, sie glaubt, dass man Zucker nicht mit dem eigenen Geld kauft, sondern mit Shines blöden Geschlechtsteilen.«

»Dem nachzulaufen«, pflichtet ihr Mako mit zittriger Stimme bei.

Bertha kichert hässlich, wie es ihre Gewohnheit ist, wenn sie sich am Unglück anderer weidet.

»Ha, ich wette, seine Mutter vergießt Tränen, weil sie sich um ein halbes Dutzend, wenn nicht gar um ein ganzes Dutzend Kinder kümmern muss. Wenn ich Shines Mutter wäre, würde ich ihn verschlingen. Ich würde ihn ausscheiden wie Scheiße, und damit wäre die Sache erledigt«, sagt sie.

»Pst«, warnt Makomborero sie. »Was, wenn er dich hört?«

»Das werden wir schon sehen!«, gluckst Bertha.

Während sich deine Mitbewohnerinnen unterhalten, setzt im Garten deiner Vermieterin ein Medley aus gellenden Schreien ein.

Du stolperst aus dem Bett, deine Füße tasten nach den Turnschuhen. Obwohl du nichts mit der ganzen Aufregung zu tun haben willst, musst du informiert sein, um deiner eigenen Sicherheit willen. Da du nicht in deinem ausgefransten Nachthemd mit den fehlenden Knöpfen gesehen werden willst, ziehst du Jeans und ein T-Shirt an.

Bertha zieht die Haustür auf, als du den Flur betrittst. Sie geht hinaus. Mako eilt ihr nach, und du folgst ihnen.

Im Garten bindet sich deine Vermieterin hastig ein Sambia-Wickeltuch um den Bauch, während sie sich von der Seite ihres Häuschens nähert.

Sie, du, Bertha und Mako versammelt euch und schaut über das struppige Gras. In der Mitte dieses Versuchs mit Rasen, an einer sandigen Stelle, kämpft die neue Frau mit ihrer Kleidung.

Sie trägt eine helle Bluse mit bauschigen Rüschen vorn, als wäre sie für ein Abendessen angezogen. Eine schmale dunkle Hose vervollständigt das Outfit. Sie fummelt zuerst an den Knöpfen ihrer Bluse herum, dann an den Knöpfen ihrer Hose. Entsetzt siehst du zu, wie sie an ihrem Reißverschluss zerrt.

»Siehst du«, schreit die Frau.

»Schau her. Ich ziehe meine Kleider aus, Shine. Ich werde es tun. Und ich will sehen, was du tun wirst.«

»Kachasu«, sagt Bertha. »Oder Zed. Ich habe noch nie eine Frau erlebt, die schwarzgebrannten Schnaps verträgt.«

Deine Augen werden feucht, während du zusiehst. Die Raserei der Frau spiegelt die Panik wider, die dich ein paar Stunden zuvor überwältigt hat, als Shine vor deiner Tür stand. Was hättest du getan, wenn ein Mann wie Shine, ein Buchhalter mit einem Job, aufmerksam auf dich geworden wäre? Berthas Worte klingen harsch in deinen Ohren. Dein Magen zieht sich zusammen, als du an Gertrude und den Stein in deiner Hand denkst. Du weichst vor Bertha und deinen Erinnerungen zurück, rückst näher an Mai Manyanga.

Die Frau zieht ihre Bluse aus und schleudert sie davon. Das Kleidungsstück bleibt an einem Büschel Pampasgras hängen. Ihre Hände kriechen über ihre Schultern und schieben die Träger ihres BHs herunter. Wieder und wieder fummeln ihre Finger. Als sie sich zu ihrem Reißverschluss vorgearbeitet hat, schnaubt nicht einmal mehr Bertha, denn die Wut der Frau quillt aus ihr heraus und raubt wie Rauch allen die Luft.

Deine Vermieterin bricht den Bann, indem sie gereizt tief einatmet. Sie blickt zu Shines Zimmer, in dem kein Licht brennt, dann zurück zu der wütenden Frau.

»Shine ist verschwunden. Wurde aber auch Zeit!«, sagt Bertha und grinst.

Du und Mako pflichtet ihr bei, woraufhin Bertha hinzufügt: »Ich habe die ganze Zeit still gewartet. Ich möchte jemand von meiner Arbeit hierherbringen.«

Witwe Manyanga flüstert verärgert: »Was macht das kleine Ding da?«

Deine Vermieterin benutzt das Präfix ka, um Shines Frau zu beschreiben, nennt sie ein kleines, dummes Objekt, das die Aufmerksamkeit nicht wert ist.

»Wer hat ihr gesagt«, ruft deine Vermieterin, »dass man hier so etwas tun kann? Wo hat sie das gehört? Dass ich hier ein Bordell führe?«

Bertha schnaubt auf eine Weise, die viele Antworten auf die Fragen der Witwe impliziert. Du bleibst stumm, und Mako zittert.

Die halb nackte Frau schreit weiter. Sie triumphiert über ihren Reißverschluss. Sie schiebt die Hose über ihren Hintern, windet sich und hüpft wie die Tänzerin einer die Hitparade stürmenden Rumba-Truppe.

Bertha lacht, unterbricht deine Vermieterin mitten in großer Empörung. Die Witwe nutzt die Unterbrechung, um ihre Optionen zu sichten, zieht ihr Sambia-Tuch nach oben, schiebt die Schultern zurück und holt tief Luft.

»Maria!« Mai Manyanga öffnet ihre Lunge und wirft die rechte Hand hoch. Diese Geste tröstet dich so sehr, dass du froh bist, neben ihr zu stehen.

»Maria na Marita vakataura naIshe«, grölt die Witwe und lässt ihrer Stimme zum ersten Mal seit ihrer Zeit des Schweigens in einem Gebrüll rechtschaffener Empörung freien Lauf.

Entsetzt über die Ereignisse der Nacht, hebst du ebenfalls die rechte Hand. Dann hebst du auch den anderen Arm und schwenkst beide im Rhythmus der Witwe.

»Vakataura naIshe, dai magara pano, Lazaro haaifa«, bellt Mai Manyanga. »Wenn du geblieben wärst, Herr, wäre Lazarus nicht gestorben.«

Deine Vermieterin schwankt ekstatisch, beide Hände über dem Kopf, die Handflächen der Frau zugewandt, die auf dem Rasen strippt.

Mako senkt den Kopf, faltet die Hände, bewegt die Lippen. Du beginnst zu summen.

Bertha geht zur Bluse im Pampasgras. Sie hebt sie auf und stapft ein paar Schritte weiter.

»Zieh dich an«, sagt Bertha und wirft der Frau das Kleidungsstück zu. »Du machst uns allen hier Schande.«

Deine Vermieterin beendet ihr Lied.

»Ja, bedeck dich«, sagt sie, nachdem sie ihre eigene Aufregung mit dem Lied beruhigt hat. »Und dann verschwinde!«

Shines Frau steht da, die Hose um die Knöchel, den Blick auf die Bluse zu ihren Füßen gerichtet, und weiß nicht, was sie tun soll.

»Dumme Mädchen«, höhnt deine Vermieterin. »Was kann ihnen dieser Junge geben? Ein Paar Schuhe? Sie sollten sich an uns ein Beispiel nehmen«, fährt die Witwe fort. »Sie müssen von ihren älteren Schwestern lernen. Denn einen Mann zum Heiraten zu finden, ist kein Spiel. Es ist so schlimm wie Krieg, und man muss wissen, wie man kämpft.«

Du summst weiter, die Arme erhoben, und wedelst mit den Händen, um deine Vermieterin zu unterstützen.

Dieser Rückhalt scheint sie zu inspirieren.

»Warum sich hinlegen.« Sie zuckt die Achseln und wendet Shines Frau den Rücken zu. »Warum, wenn du nichts dafür bekommst?«

Sie überlegt es sich anders, geht nicht, sondern bleibt neben dir stehen.

»Bleibt stehen, sage ich«, mahnt sie. »Und haltet eure Beine zusammen. Damit bei diesen Männern alles dortbleibt, wo es sein soll. Ist das nicht richtig, vasikana?«

Müde lässt du die Arme sinken. Mai Manyanga versteht deine Erschöpfung als Signal, wendet sich ihrem Häuschen zu und erklärt: »Wir werden das Feuer des Heiligen Geistes auf was immer niederfahren lassen, das dieses alberne Ding in meinen Garten geführt hat. Wir werden beten, dass ihr vergeben wird. Denkt dran, Mädchen, das Königreich Gottes wird nur mit Gewalt eingenommen. Lasst uns heute Nacht gewalttätig sein und um Vergebung beten.«

»Wir sind müde«, wendet Bertha ein. »Außerdem muss die da beobachtet werden«, fährt sie rasch fort, um Mai Manyangas Protest zu unterbinden. »Sie könnte wieder anfangen und einen Fluch auf uns alle herunterschreien, denn deswegen ist sie gekommen. Mako und ich werden sie durch die Vorhänge genau im Auge behalten.«

»Lass uns auf die Knie gehen«, schlägt dir deine Vermieterin vor. »Du und ich, Tambudzai. Wir werden für diese Frau beten.«

Ergriffen von dem Bedürfnis zu beten, blickt sie hinunter auf den Kies, beschließt jedoch, nicht darauf zu fallen. Stattdessen füllt Witwe Manyanga erneut ihre Lunge und brüllt noch einmal ihr Lied.

»Hat irgendjemand gesagt, dass ich irgendwohin gehe?«, ruft Shines Frau. Ihre Stimme wird lauter, bis sie wie ein nörgelnder Stern in der Nacht hängt. »Passt bloß auf. Passt einfach nur auf. Das hier ist die richtige Adresse. Ich gehe nirgendwohin.«

Christine sitzt schon die ganze Zeit unter dem Jacarandabaum neben dem Tor, so still und ruhig, dass weder du noch deine Gefährtinnen sie bemerkt haben.

»Also, Schwester, was ist los?«, ruft die Nichte der Vermieterin.

Mai Manyanga erstarrt. Sie ignoriert ihre Nichte, bringt ihren Mund nahe an dein Ohr und sagt: »Tambudzai, komm mit.« Dann stolziert sie davon.

Du eilst ihr nach, froh, den Tatort verlassen zu können.

»Geh und sag Christine, dass sie die Frau loswerden soll«, sagt deine Vermieterin. »Und dann soll sie das Tor verriegeln. Diese Frau darf keine Dämonen hier reinbringen.

Kommt her, um so etwas zu tun!«, murmelt die Witwe, als sie weitergeht. »Habe ich eine Spelunke? In VaManyangas Garten! Tsts, warum glaubt sie, dass sie sich bei VaManyanga aufführen kann, wie sie will?«

Als du mit Mai Manyangas Anweisung zurückkehrst, steht Christine bereits auf dem Rasen und drängt die Frau, sich wieder anzuziehen. Shines Frau lässt sich beruhigen, und bald geht ihr zu dritt zum Tor.

»Da.« Christine hält ihr ein Paar Schuhe hin, lehnt sich an den Torpfosten und sieht zu, wie Shines Frau hineintritt.

»Jetzt geh und komm nicht zurück«, sagt Christine, als die Frau fertig angezogen ist.

Shines Frau zögert.

»Weg da«, drängt Christine.

Christine steht wortlos Wache, als Shines Frau zu einem dunklen Fleck schrumpft, sich im silbernen Mondlicht bewegt, das die schlaglöchrige Straße flutet. Du lässt dich auf einen großen Granitstein unter dem knorrigen Baum sinken, zuinnerst wieder einmal zerrissen, ohne zu wissen, warum, und kämpfst mit den Tränen.

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