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KAPITEL 1

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Sie wusste nicht, wo sie sich befand, und zu allem Überdruss konnte sie sich nicht bewegen. Riemen, die sie an eine harte Unterlage fesselten, schnürten sich in ihre Oberarme und Schienbeine. Ihre Hände strichen über eine kalte und glatte Oberfläche. Es fühlte sich wie Stein an. Ja, Stein, wie kühler, polierter Marmor. Anscheinend lag sie auf einer marmornen Platte.

Sie öffnete die Augen und sah nichts außer: Grau. Undurchdringlicher Nebel hüllte sie ein. Sie drehte den Kopf nach rechts und links, doch der graue Dunst gab ihren Blick nur für einen Meter frei. Dann hob sie ihren Kopf, und sah an sich herunter. Es war genauso, wie sie vermutet hatte. Sie war mit ledernen Riemen an Armen und Beinen auf einer dunklen Marmorplatte gefesselt. Gefesselt wie ein Opfertier, das auf das todbringende Ritualmesser wartet.

Etwas eisig Kaltes kroch ihr linkes Schienbein hinauf. Was war das? Eine Schlange? Sie begann an ihren Fesseln zu zerren, ihr Oberkörper wollte sich aufbäumen, doch die Lederriemen gaben keinen Millimeter nach. Das kalte Unbekannte schob sich weiter hinauf, hinauf bis zu ihrem ungeschützten Schoß. Voller Ekel und Panik schrie sie auf, als das eisige Etwas in sie eindrang und von ihrem Unterleib Besitz nahm.

Ein Blitz schoss vom Himmel auf die Erde hinab, gefolgt von tiefem Donnergrollen. Alles um sie herum erzitterte. Mit lautem Knirschen und Dröhnen zerbrach die steinerne Platte unter ihr und sie war frei.

Der Nebel löste sich auf. Um sie herum standen dicht an dicht Laubbäume, deren Blätter sich im Wind hin und her wiegten, als wollten diese sie tiefer in den Wald hinein locken. Unter ihren Füßen spürte sie Gras und der Waldboden gab bei jedem ihrer Schritte federnd nach.

Ein Lichtstrahl, der sich seinen Weg durch das dichte Grün der Bäume bahnte, erregte ihre Aufmerksamkeit. Dort, ein paar Meter vor ihr, auf einem auf dem Boden liegenden Baumstamm, wurde hell das Sonnenlicht reflektiert. Irgendetwas lag da.

Neugierig näherte sie sich dem Baum und erblickte darauf ein Schwert. Um die dunkle Lederscheide war eine silberne Kette, in Form einer Schlange, geschlungen. Die roten Steinaugen des Reptils schienen sie verschwörerisch anzufunkeln und neben dem Schlangenkopf lag ein metallenes Amulett: ein Hexagramm in dessen Mitte ein Ziegenkopf, mit gedrehten Hörnern und spitzem Maul, prangte. Ihr Blick wanderte hinauf, zu dem Griff des Schwertes. Dort ruhte ein fein gearbeitetes Schmuckstück in Form eines Engels, dessen gezücktes Schwert direkt auf den Kopf der Schlange zielte.

Um sie herum herrschte Totenstille. Der Wind hatte sich gelegt. Die Äste und Blätter der Bäume waren wie zu Eis erstarrt.

Aus weiter Ferne ertönte ein undefinierbares Grollen. Es hörte sich an, als würden Steine über den belaubten Waldboden gerollt, die sich immer näher auf sie zu bewegten. Das Geräusch wurde lauter und lauter.

»Guten Morgen, Sie hören die Sieben-Uhr-Nachrichten. Wir möchten, dass sie heute gut in den Tag kommen. Und denken Sie immer an mein Motto: Vergib Deinen Feinden, aber vergiss niemals ihre Namen…«

Kate schlug auf den Radiowecker, der sofort verstummte. Verwirrt fragte sie sich, wo sie war und riss die Augen auf. Natürlich daheim, in ihrem Bett. Sie drehte sich um und wollte gerade wieder in den Schlaf wegdriften, als vier weiche Pfoten mit einem kaum hörbaren Plumps auf ihren Beinen landeten. Sekunden später, vier weitere Pfoten, die über ihre Bettdecke balancierten, gefolgt von einem Schnurrkonzert, das ab und zu von forderndem Maunzen unterbrochen wurde. »Ja, ja. Ich steh schon auf«, krächzte Kate mit schlaftrunkener Stimme. Die Realität drang langsam in ihr Bewusstsein, das immer noch von dem seltsamen Traum gefangen war. Seit einer Woche habe ich nun immer den gleichen Traum und nie träume ich ihn zu Ende. Wenn das so weitergeht, muss ich noch zu einem Seelenklempner, dachte sie müde. Mit einem Schwung warf sie sich aus dem Bett, was von einem begeisterten Miauen begrüßt wurde.

Sie streckte und reckte sich genüsslich, schlurfte langsam ins Badezimmer, gefolgt von zwei wuscheligen, vierbeinigen Pelztieren. Wie immer kam erst minutenlang kaltes Wasser aus dem Duschkopf, bis die Temperatur auf ein morgendlich erträgliches Maß angestiegen war. Kate stieg mit einem wohligen Seufzer unter die heiße Dusche, während sie von zwei blauen Augenpaaren, neben dem langen, cremefarbenen Fell eine typische Eigenschaft der Katzenrasse »Heilige Birma«, neugierig beobachtet wurde. Die Katzen konnten sich nie an dem merkwürdigen Schauspiel satt sehen, das ihre geliebte Dosenöffnerin unter dem herab rieselnden Nass veranstaltete. Endlich wurde das allmorgendliche Badezimmerritual beendet, und ihr menschlicher Mitbewohner machte sich auf den Weg in die kleine Küche. Liebevolles Streichen um die Beine sollte ihrem Menschen nun eindeutig zu verstehen geben, dass es höchste Zeit für ihr Frühstück war.

»Hier, Bangla«, Kate schob einen vollen Futternapf unter des Kätzchens Nase »und dieser Napf ist für dich, Desh«. Zufriedenes Schnurren erfüllte den Raum. Kate streckte sich und schaltete die Kaffeemaschine ein. Dann begab sie sich ins Schlafzimmer, zog sich Jeans, weiße Bluse und einen blauen Blazer an, strich ihr Bett glatt und trat dabei auf etwas Weiches, Nachgiebiges. »Oh, nein. Der Morgen fängt ja gut an.« Auf dem dunklen Holzparkett prangte ein grüner, öliger Farbfleck, während sich Kates dicker Zeh langsam von der daneben liegenden Farbtube hob. Fluchend griff sie nach einem alten Lappen, der von Farbe nur so strotzte und wischte den Klecks auf. Die Tube flog im hohen Bogen in eine Schachtel, in der weitere Malutensilien lagen. Dabei fiel ihr Blick auf die bemalten Leinwände, die gestapelt an der Wand lehnten. Das oberste zeigte eine Tänzerin in rot und schwarz gekleidet, die schwerelos durch eine Menschenmenge kreiste. Doch irgendwie fehlte dem Bild noch der letzte Schliff. Ihre innere Version von dem Gemälde wollte einfach keine Gestalt annehmen. Dieses Wochenende würde sie sich endlich wieder der Malerei widmen.

Köstlicher Kaffeeduft lockte sie in die Küche, in der die beiden Katzen genießerisch ihr Mahl kauten. Kate trank die Tasse Kaffee im Stehen, wischte die Küchenzeile sauber, gab Bangla und Desh einen Abschiedskuss und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Ein Tag, wie jeder andere, ging es ihr durch den Kopf, als sie sich in die wie jeden Tag überfüllte U-Bahn von New York City zwängte. Die Leute um sie herum hingen ihren Gedanken nach oder lasen die Tageszeitung. Jeder war ganz für sich.

Aus der U-Bahn aussteigen, die Station hoch, einen Block weitergehen, durch die Drehtür in das riesige Bürogebäude, den Pförtner grüßen, in den Lift hinein, mit anderen unwilligen Mitmenschen in den 6. Stock hochfahren, dann raus ins Großraumbüro und auf den Stuhl fallen lassen. Tag ein, Tag aus, das Gleiche. Ich bin genau das geworden, was ich nie sein wollte: ein funktionierender Großstadtmensch, der seinen Job hasst und darauf hofft, dass irgendetwas ihn aus seiner Lethargie reißt.

Kate zog eine Grimasse und fuhr sich durchs Haar, das wie üblich aussah, als hätte es viel zu selten einen Kamm gesehen. Sie schaltete den PC ein, gleichzeitig zog sie sich ihr Headset über die Ohren und drückte auf den blinkenden Knopf an ihrem Telefon. »Guten Morgen, hier ist die Multi Medex Cooperation«, trällerte sie freundlich ins Mikrofon. »Mein Name ist Kate Wilson. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

Endlich, Mittagspause! Kate ging zu ihrer Kollegin Lucy, die wie immer wild gestikulierend auf ihr Mikro einredete. Sie musste schmunzeln, und die mandelförmigen Augen der zierlichen Asiatin blinzelten Kate belustigt an. Kate zeigte demonstrativ auf ihre Armbanduhr und Lucy nickte so heftig, dass ihr das glatte, schwarze Haar tief ins Gesicht fiel. Innerhalb von Sekunden wurde der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung abgewürgt, und die Asiatin schmiss ihr Headset auf den Schreibtisch. Kate lachte.

»Es ist immer dasselbe mit dir. Vor lauter Arbeit vergisst du sogar die Mittagspause. Dir scheint der Job ja richtig Spaß zu machen.«

»Na klar. Dir etwa nicht?«

Kate brummte etwas Unverständliches. »Los, lass uns nach nebenan ins Bistro gehen. Ich habe richtig Kohldampf.«

Das Bistro war gut gefüllt. Kate und Lucy genossen ihren Lunch. Lucy brachte das Kunststück fertig, auch noch mit vollem Mund weiter zu plappern und Kate konnte sich das Lachen über den munteren Redeschwall nicht verkneifen. »Du Kate, ich habe Neuigkeiten von Charlene. Sie wird bald ihr Kind bekommen.«

Kate stutzte. »Ich dachte, sie wäre noch nicht so weit. Ist sie nicht erst im 6. Monat?«

»Nein, das hat anscheinend nicht gestimmt. Sie war wohl etwas durcheinander mit dem, ähm, Empfängnistermin. Sie muss die ersten Schwangerschaftszeichen nicht bemerkt haben. Na, ist ja auch egal. Hauptsache sie bekommt endlich ihr Kind. Wie lange hat sie darauf gehofft, schwanger zu werden und es wollte und wollte nicht klappen.«

»Ja, ich weiß, es war eine schwere Zeit für Charlene und Martin. Aber das weißt du ja bestimmt besser, Lucy, schließlich bist du mit Charlene enger befreundet als ich.« Lucy beugte sich über den Tisch zu Kate und begann zu flüstern: »Stimmt, sie hat mir auch erzählt, dass sie die Antidepressiva sofort abgesetzt hat, nachdem sie sich sicher war, schwanger zu sein. Sie war in einer solchen Hochstimmung gewesen, als wir uns damals verabredet hatten, so hatte ich sie schon lange nicht mehr erlebt. Allerdings glaube ich kaum, dass sie noch mal zurück ins Büro kommt. Bestimmt will sie nur noch für ihr Kind da sein.« Die beiden Frauen verstummten und hingen ihren Gedanken nach.

»Oh je«, Kate sah auf ihre Uhr, »unsere Pause ist längst vorüber. Wir müssen gehen.« Im Eiltempo verließen die Freundinnen das Café und hasteten durch den sich ständig bewegenden Menschenstrom zurück in Richtung Bürogebäude.

Kate stoppte unvermittelt, als eine junge, attraktive Frau auf sie zu stolzierte. In dem Menschengedränge war es unmöglich, ihr auszuweichen. Die Frau blieb direkt vor ihr stehen, sah Kate desinteressiert an und schien darauf zu warten, dass ihr Gegenüber den Weg frei machte. Kate starrte die Frau gebannt an. Noch nie hatte sie eine solch schöne Frau gesehen. Die Unbekannte war etwas größer als sie, sehr schlank und trotzdem kurvenreich. Kate schätzte sie auf Anfang zwanzig. Das lange, rotblonde Haar umspielte in weichen, fließenden Wellen ihr ebenmäßiges Gesicht. Dunkelgrüne, schräg stehende Augen musterten sie kühl unter schwarz glänzenden, gebogenen Wimpern. Der rote Mund, dessen vollkommen geschwungene Linie jeden Mann um den Verstand bringen musste, verzog sich zu einem arroganten Lächeln. Ein betörender Duft ging von ihr aus, und der locker um die Schulter drapierte Pelz verstärkte die leicht verruchte Aura, die sie umgab.

Lucy zog Kate zur Seite. »He, was ist denn los? Stehst du in letzter Zeit vielleicht auf Frauen?«

Die sexy Fremde schritt unbeirrt weiter. Männer blieben stehen und drehten sich mit offenem Mund nach ihr um. »Also, ich muss ehrlich sagen, das war die erotischste Frau, die ich je gesehen habe, und ich mache mir wirklich nichts aus Frauen, das musst du mir glauben.«

Lucy kicherte. »Schau dir nur die ganzen Kerle an, wie denen der Sabber aus dem Mund läuft.« Sie traten durch die Drehtür in die Lobby des Firmengebäudes. »Kein Wunder, dass ich nur Pech mit Männern habe«, meinte Kate, während sie auf den Aufzugsknopf drückte, »die gehen doch immer nur nach dem Äußeren.«

»Was hast du denn? Du siehst doch gut aus. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass die Jungs nicht auf deine Grübchen stehen.« Kate grinste und auf ihren Wangen erschienen zwei wirklich entzückende Grübchen. »Ja, klar«, Kate stupste Lucy leicht mit dem Ellenbogen in die Seite und stieg in den Lift. »Die Männer finden mich drollig. Das ist es meistens dann auch.«

»Wie wäre es denn, wenn wir heute Abend auf eine After-Work-Party gehen und so richtig einen draufmachen?« Sie waren an ihrem Arbeitsplatz angelangt, Kate sah Lucy entschuldigend an.

»Du weißt doch, meine zwei Stubentiger sind schnell beleidigt, wenn ich sie so lange alleine lasse. Lass uns lieber am Wochenende was unternehmen, dann wurden meine Katzen den ganzen Tag bespaßt und ich habe abends Ausgang. Du darfst auch bestimmen, wo es hingeht.«

Lucy baute sich vor ihrer blonden Kollegin auf und grinste breit. »Wie wäre es denn mit der Karaoke Bar, dem Planet Rose?«

»Oh nein, da kann ich mich nicht mehr blicken lassen.« »Wieso, du hast doch eine tolle Show geliefert, nachdem du drei Erdbeer-Daiquiries intus hattest.«

Kate stöhnte auf und schüttelte den Kopf. »Ich habe mich zum Volldeppen gemacht und du hast dich dabei köstlich amüsiert.« Die Asiatin riss unschuldig ihre dunklen Mandelaugen auf. »Aber das stimmt doch gar nicht. Die Leute hatten einen solchen Spaß, als du deine einzigartige Version von »We are the champions« zum Besten gegeben hast.«

Kate kicherte. »Ja und die gesamte Bar ist in deine Zugabe-Rufe mit eingefallen.« Lucy prustete nun auch los, doch sie verstummte sofort und deutete mit dem Kopf in Richtung Tür.

Mrs. Marsh, ihre Teamleiterin, stand breitbeinig in der Tür, die Hände in die Hüften gestemmt. Der dunkelrote Pullover, der ihr wie so oft ein paar Nummern zu groß war, hing ausladend über einem blauen Faltenrock. Noch vor Monaten hätte man Mrs. Marsh als stark übergewichtig bezeichnen können. Dann hatte sie sich von einem Tag auf den anderen für eine Radikalkur entschieden, dessen glückliches Ergebnis der Verlust etlicher Kilos war, aber unglücklicherweise eine enorme Bauchschürze hinterlassen hatte. Der weitere negative Nebeneffekt des Abnehmmarathons war ihre chronisch schlechte Laune, die sie mit Vorliebe an Kate und Lucy ausließ. Nicht, dass Mrs. Marsh zu moppeligeren Zeiten von sonnigem Gemüt gewesen wäre, aber die Schikanen an ihren Untergebenen hatten in dem Ausmaß zugenommen, in dem die Pfunde gepurzelt waren.

Vor einigen Tagen, sie war noch mieser gelaunt als sonst gewesen, hatte sie Kate außer der Reihe zu einem Mitarbeitergespräch in ihr Büro gerufen. »Mrs. Wilson, ich würde gerne mit Ihnen über Ihre Arbeitsleistung sprechen.« Kate nickte kurz und drückte sich tiefer in den Stuhl, den ihr die Chefin angeboten hatte. »Mir ist in letzter Zeit aufgefallen, dass sie nicht mehr mit dem nötigen Elan bei der Sache sind.«

»Wieso? Wie kommen Sie darauf?«

»Nun, ich habe das Gefühl, dass Ihnen die Arbeit nicht allzu viel Spaß macht. Das hat mir auch ein Kollege aus Ihrem Team anvertraut.«

»Und, darf ich erfahren, welcher meiner Kollegen so etwas behauptet?«

»Den Namen darf ich Ihnen aus Diskretionsgründen nicht verraten. Nur, durch diese Aussage ist mein Eindruck von Ihnen bestätigt worden. Ihnen fehlt die Freude an Ihrem Job.« »Nein«, erwiderte Kate sofort, wenn auch nicht ganz wahrheitsgemäß, »ich bin gerne hier und mir macht die Arbeit Spaß. Es ist nämlich so, dass…«

»Das mag ja alles sein,« unterbrach sie Mrs. Marsh im harschen Ton, »aber, wenn ich Ihre Leistungen mit denen der anderen Mitarbeiter vergleiche, liegen Sie eindeutig im unteren Drittel. Ihre Kollegen bearbeiten mehr Kundenanrufe als Sie, und die Kundenzufriedenheit ist auch deutlich höher als bei Ihnen.« Kate wandte ihren Blick zum Fenster und versuchte verzweifelt die Tränen zurückzuhalten. »Also, Mrs. Wilson, strengen Sie sich in Zukunft mehr an und bleiben Sie abends ein oder zwei Stunden länger, das machen Ihre Kollegen auch oft so. Dann ist Ihr Schreibtisch am nächsten Tag aufgeräumt und bereit für neue Herausforderungen. Sie werden sehen, dann wächst die Freude an Ihrer Tätigkeit. Aber letztendlich zwingt Sie niemand hier zu bleiben. Wenn Sie verstehen, was ich meine?« »Ja, ich verstehe Sie. War das jetzt alles?« »Ja, das war’s. Sie dürfen wieder zurück an Ihren Platz.«

Mit einem Kloß im Hals und voller Wut im Bauch verließ Kate das kleine Büro. Lucy fragte voller Mitgefühl, ob es schlimm gewesen wäre und Kate antwortete ihr, es sei ihr egal, was Mrs. Schwabbelbauch über sie dächte. Von diesem Moment an hatte die Teamleiterin ihren Spitznamen weg. Manchmal pikste Kate zwar ihr Gewissen, wenn sie ihre Chefin so betitelte, aber so konnte sie wenigstens etwas Dampf ablassen, wenn die versteckten Demütigungen und Spitzen der Vorgesetzten ihr zu viel wurden.

»Was gibt es denn hier zu lachen? Ich würde gerne mit lachen. Ist ja schön, wenn die Kollegen so viel Spaß bei der Arbeit haben.« Der schneidende Ton der Teamleiterin versetzte die beiden Freundinnen in Hab-Acht-Stellung.

»Ja, gerne«, antwortete Kate süßlich und drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme kam. »Wenn Sie möchten, können Sie uns ja am Wochenende begleiten, Mrs. Marsh. Dann hätten wir alle drei doch etwas zu lachen. Es wäre bestimmt schön, wenn wir unsere Teamleiterin auch privat näher kennenlernen könnten.«

Mrs. Marsh zog die Oberlippe nach oben, zeigte ihre großen Zähne und entgegnete in ähnlich süßlichem Ton: »Zu gerne, Mrs. Wilson, aber auf mich wartet mein Mann und er mag es nicht, wenn ich mich am Wochenende irgendwo herumtreibe. Aber, vielen Dank für das Angebot. Bitte gehen Sie nun an Ihre Arbeit, die Mittagspause ist längst vorbei.«

Die Teamleiterin verließ mit raschen Schritten das Großraumbüro. Kate zwinkerte Lucy zu, verdrehte demonstrativ die Augen, um sich dann brav an ihren Schreibtisch zu setzen.

Endlich konnte Kate nach Feierabend in ihre Wohnung zurückkehren. Sie fühlte sich leer und schlapp, als wäre ihre gesamte Energie zwischen endlosen Telefonaten zerrieben worden. Doch ihre Laune verbesserte sich schlagartig, nachdem sie von Bangla und Desh freudig begrüßt worden war. Kate machte es sich mit ihrem Abendessen und den zwei Katzen auf ihrer Couch in der kleinen Wohndiele gemütlich, stellte ihren Laptop vor sich auf den schmalen Couchtisch und schaltete ihn an. Es erschien eine Message, ihre jüngere Schwester Susan war online. Sie schaltete das Mikro und die Webcam ein und ein paar Sekunden später erschien das mädchenhafte Gesicht ihrer Schwester. Ihr Haar, ebenso mittelblond wie Kates, war wie immer zu einem straffen Pferdeschwanz zurückgebunden.

»Hi Susan, wie geht’s?« »Oh, hallo Kate, schön, dass du dich meldest. Mir geht’s gut.« Dabei grinste sie bis über beide Ohren und zeigte ihre Zahnspange.

»Musst du die Spange noch immer tragen? Ich dachte, der Zahnarzt wäre mit deinen Zähnen nun zufrieden.« Susans Lippen bedeckten sofort den festen Draht in ihrem Mund. »Er meinte, ich sollte sie noch ein halbes Jahr behalten. Was gibt’s bei dir, hast du jemand neues kennengelernt?«

Kate seufzte. »Nein. Ich glaub, das wird eh nichts mehr mit mir. Ich bin ein hoffnungsloser Fall. Die New Yorker Männer und ich passen anscheinend nicht zusammen.« »Mensch, dabei sollte es doch in Big Apple so viele Singles geben, bestimmt ist auch der Richtige für dich dabei. Möglichkeiten, jemanden kennenzulernen, hast du ja genug. Wenn du willst, könntest du bestimmt jeden Abend in einen anderen Club gehen und hättest sie in einem Jahr noch nicht alle durch.« Kate schüttelte den Kopf. »So wild ist es hier nun auch wieder nicht und im Übrigen fehlt mir das nötige Kleingeld, um mich jeden Abend ins Nachtleben zu stürzen. Mein Gehalt ist nicht allzu üppig.« Sie sah die Enttäuschung in Susans Gesicht. Ihre Schwester stellte sich das Großstadtleben bunt und spannend vor. Kate konnte es ihr auch nicht verdenken, schließlich war in Auburn der Hund begraben und die Jugendlichen waren gezwungen, entweder zu Hause bei ihren Eltern vor dem Fernseher zu versauern oder sich an irgendwelchen öffentlichen Plätzen zu treffen. Wieder einmal war Kate froh, ihre Heimatstadt hinter sich gelassen zu haben.

»Warum versuchst du nicht, deine Bilder in einer Galerie auszustellen? Wer weiß, dem ein oder anderen gefallen sie vielleicht.«

»Ach, das bringt doch nichts. Es gibt so viele junge, aufstrebende Künstler, da bin ich nur eine unter vielen. Du kannst nur etwas werden, wenn du aus der Masse herausstichst.«

»Warum hast du auch dein Kunststudium geschmissen?«

Kate schloss die Augen, der altbekannte Kloß steckte wieder in ihrer Kehle und sie musste schlucken. »Tut mir leid, ich hab das nicht so gemeint.« »Schon gut. Es ist halt nur, Mom und Dad haben mir ja vorausgesagt, dass man von der Kunst nicht leben kann.«

Hinter Susan wurde eine Tür geöffnet und Kates Mutter, Alexa Wilson, steckte den Kopf herein. Mit ihrer blonden Kurzhaarfrisur und ihrer schlanken Figur, wirkte sie viel jünger als sie tatsächlich mit ihren 49 Jahren war.

»Mit wem redest du da, Susan?« Kate sah, wie ihre Mutter neugierig auf den Monitor schaute. Als sie ihre Tochter erkannte, strahlte sie. »Ach du bist es Kate, ich habe ja schon so lange nichts mehr von dir gehört. Ich und dein Vater fingen schon an, uns Sorgen zu machen.« Kate unterdrückte den Wunsch, demonstrativ mit den Augen zu rollen.

Jetzt geht das wieder los. Wann wird meine Mom endlich begreifen, dass ich erwachsen bin und mein eigenes Leben führe. Ach, sie wird mir den Umzug nach New York nie verzeihen.

»Wann wirst Du uns wieder mal besuchen? Dein Vater meint, er wüsste gar nicht mehr, wie du aussiehst.«

»Bald, aber momentan hab ich zu viel zu tun. Wir müssen auf der Arbeit Überstunden machen und…«

»Du lässt dich ausnutzen. Ich habe es dir ja gleich gesagt, was erwartest du, wenn du einen solch miesen Job annimmst. Arbeiten sollst du bis zum Umfallen und das für einen Hungerlohn. Und dann hast du noch diese Wohnung am Hals mit der überteuerten Miete.«

Kate schaltete innerlich ab. Sie sah, wie sich die Lippen ihrer Mutter bewegten, aber die Worte schwirrten ungehört an ihr vorbei. Es war immer die gleiche Leier und meistens endete sie damit, dass ihre Mutter mit einem erwartungsvollen Blick die Frage stellte, wann sie wieder zurück nach Hause käme. Doch sie wollte nicht. Sie hatte genug von der spießigen Kleinstadt, in der es jedes Wochenende einen unausgesprochenen Wettbewerb gab, wer am schnellsten und am saubersten den Rasen vor dem Haus mähte. Und unter einem Dach mit ihren Eltern leben, das konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen.

Als Alexa Wilson den Namen Ray fallen ließ, war sie wieder hellwach. »Ray? Hast du ihn getroffen?«

»Das habe ich dir doch gerade erzählt.« Die Augenbrauen ihrer Mutter zogen sich verärgert zusammen. »Ich traf ihn vor dem Wal-Mart. Er hat nach dir gefragt.«

»So? Was wollte er denn wissen?«

»Wie es dir geht und ob du einen neuen Freund hast.« »Du hast ihm doch hoffentlich nicht darauf geantwortet, oder?«

»Aber natürlich. Ich hab ihm erzählt, dass du dich in New York halb tot arbeitest und immer noch Single bist.« »Oh Mann, das geht ihn doch gar nichts an.«

»Warum nicht? Ich habe das Gefühl, er macht sich immer noch Hoffnungen.«

»Pah, er hat doch wieder eine Freundin.«

»Ach, das ist doch nichts Festes. Wer weiß, wenn du dich öfters hier blicken lassen würdest, dann könnte es zwischen euch beiden doch wieder etwas werden.«

»Nie und nimmer!«

»Ich kann nicht verstehen, warum du dich so sträubst.« »Weil er mich gegen Ende unserer Beziehung nur noch kritisiert hat. An allem hatte er etwas zu meckern, sogar meine Figur hat ihm nicht mehr gepasst.«

»Er hat deine Entscheidung nach New York zu gehen, um dort Bildende Kunst zu studieren, nie verstanden.« »Na klar, weil er von Kunst keinen blassen Schimmer hat.« »Es ist besser, wir reden über etwas Anderes, du wirst bei diesem Thema immer kribitzig.«

Kate hätte am liebsten das Notebook zugeklappt. Sie suchte nach einer Möglichkeit, das Gespräch schleunigst zu beenden.

»Was macht denn dein Asthma? Ist es schlimmer geworden?« Die Stimme ihrer Mutter klang besorgt.

»Es geht schon. Das neue Spray ist ein echter Segen.« »Na ja, bei den ganzen Autoabgasen, da ist es auch kein Wunder.«

Kate verschränkte die Arme. »Ich muss aufhören. Bangla und Desh haben Hunger und wollen ihr Futter.« »Gut, dann hören wir lieber auf zu reden. Schön, dass du dich gemeldet hast.«

»Ja, bis dann und grüß Vater und Nathalie von mir. Meine jüngste Schwester bekomme ich ja so gut wie nie zu sehen.«

»Du weißt ja, wie sie ist. Basketballtraining von morgens bis abends, das ist das Einzige, was sie im Kopf hat.« »Ja, ich weiß, du hast halt drei sehr unterschiedliche Töchter.« Nach kurzem Zögern antwortete ihre Mutter: »Und das ist auch gut so.«

Nachdem Kate den Computer runtergefahren hatte, blieb sie mit geschlossen Augen auf dem kleine Sofa sitzen.

Nie traut sie mir etwas zu. In ihren Augen habe ich in meinem Leben alles falsch gemacht. Die falsche Stadt, das falsche Studium, der falsche Job, falsche Freunde, bis auf Ray, den fand sie super und manchmal denke ich, das war auch der Hauptgrund, warum ich damals mit ihm gegangen bin. Einmal im Leben wollte ich es meiner Mutter recht machen. Am liebsten wäre es ihr, ich hätte einen anständigen Beruf gelernt, Bürokraft oder noch besser Managerin oder so, und ich hätte Ray geheiratet. Dann hätten wir, wie es in einer Durchschnittsfamilie üblich ist, 2,5 Kinder bekommen und mein größtes Glück hätte zuerst aus Windeln-Wechseln und später aus allmonatlichen Tupperware-Partys bestanden.

Sie gab sich einen Ruck, räumte das Geschirr in die Spüle und schaltete den Fernseher ein. Sofort wurde ihre Aufmerksamkeit geweckt. Die Nachrichtensprecherin berichtete über mysteriöse Todesfälle von Haustieren in New York und Umgebung. Mehrere Tierärzte waren misstrauisch geworden, nachdem die Sterberate von ihren tierischen Patienten sprunghaft angestiegen war. Sie ließen die Todesursachen untersuchen, und zu ihrem Entsetzen war der Grund für die hohe Sterblichkeit ein neuartiges Gift in gängigen Futtermitteln. Der oder die Täter seien bisher unbekannt.

Kate zog ihre beiden Katzen an sich und streichelte sie liebevoll. Was für ein Glück, dass ich euer Futter online bei einem Bioshop bestelle. Ich werde denen gleich noch heute eine Mail senden, ob euer Futter wirklich in Ordnung ist. Welcher Mensch macht denn so etwas Furchtbares und warum nur? Kate lief ein Schauer über den Rücken und sie wechselte den Fernsehkanal.

In dieser Nacht träumte Kate wieder den gleichen Traum, doch diesmal wachte sie nicht nach dem bedrohlichen Grollen auf.

Sie befand sich in einem dunklen, quadratischen Raum. Vor jeder der vier Wände hingen schwere, dunkelrote Vorhänge. Sie ging auf einen der samtigen Behänge zu. Vorsichtig schob sie den schweren Stoff beiseite und schritt durch die Öffnung. Ein dicker, glatzköpfiger Mann saß mit dem Rücken zu ihr auf einer schwarzen Ottomane. Um seine Hüften war ein blutrotes Tuch geschlungen, ansonsten war er nackt. Sehr langsam begann sich die Ottomane zu drehen. Eine dunkle Vorahnung überkam Kate.

Hastig kehrte sie um und trat wieder in den quadratischen Raum zurück. Auf der gegenüberliegenden Wand gab der nächste Vorhang die Sicht auf eine weitere Szenerie frei. Kate schnappte erschrocken nach Luft, als sie ihr Ebenbild erblickte. Sie sah sich in einem dunklen Teich stehen. Das schwarze, trübe Wasser reichte ihr bis zu den Schultern, ihre Augen waren geschlossen. Bleiche Tierschädel, mit leeren Augenhöhlen, schwammen um sie herum. Sie sah sich selbst die Lippen bewegen, konnte aber nichts hören. Als sie nähertrat, fiel der rote Vorhang herab. Aus dem Augenwinkel nahm sie einen schwachen rötlichen Lichtschein wahr. Sie drehte sich nach links und schritt auf das Licht zu, welches durch einen dünnen Vorhang schimmerte. Als sie den feinen Stoff zur Seite schieben wollte, zerfiel er in ihren Händen und verwandelte sich in Spinnweben, die sich in ihren Haaren verfingen. Voller Ekel riss sich Kate das Gespinst vom Kopf, taumelte, fiel und rutschte durch die frei gewordene Öffnung in den dahinterliegenden Raum.

Dort saß eine rothaarige Frau seitlich zu ihr, mit nacktem Oberkörper und hochgestecktem Haar, auf einem großen Kissen, das sich, wie die schwarze Ottomane in dem ersten Raum, langsam zu drehen begann. Schützend hatte sie ihre Arme um die Knie geschlungen. Als die Sicht auf ihren Rücken frei war, bemerkte Kate, dass auf den Schulterblättern zwei lange Wunden klafften. Hautfetzen hingen lose herab. Kate wirbelte herum, sie wollte hier raus. Doch wo eben noch der zerbröselte Stoff gehangen hatte, war jetzt nur noch eine undurchdringliche Wand.

Verwirrt trat sie einen Schritt zurück und ihre Wade stieß gegen einen Widerstand. Zögernd drehte sie ihren Kopf nach hinten und erblickte erneut den kahlköpfigen, halbnackten Mann, der weiterhin reglos auf der sich unermüdlich drehenden Ottomane verharrte. Gleich würde sie sein Gesicht sehen. Doch das wollte sie nicht, nein, das wollte sie ganz und gar nicht. Wie hypnotisiert starrte sie weiterhin auf den Mann, der ihr langsam und unabwendbar sein Gesicht zuwandte. Sie schrie, aber kein Ton entwich ihrer Kehle und dann sah sie es. Er hatte keine Augen! Dort wo seine Augen sein sollten, war nichts. Nur glatte Haut. Plötzlich, unendliche Dunkelheit. Der Boden unter ihren Füßen glitt zur Seite und sie fiel in ein großes, schwarzes Nichts. Laut schreiend wachte sie auf..

Gottessöhne

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