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KAPITEL 4

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Kate blickte aus dem fahrenden Zug hinaus in die Dunkelheit des U-Bahnschachtes. Sie träumte mit offenen Augen. Die Arbeit hatte ihr seit langer Zeit wieder Spaß gemacht. Die olle Mrs. Marsh war heute viel freundlicher als sonst gewesen und gestern Abend hatte sie endlich eines ihrer Bilder vollendet. Sie schmunzelte, als sie an die Mittagspause dachte. Diesmal war sie es gewesen, die Lucy mit ihrem Redeschwall mundtot gemacht hatte. Lucy hatte ihr zugezwinkert und gemeint, dass sie sich wohl in diesen Sam Soundso verguckt hätte. Kate musste ein Kichern unterdrücken. Da piepste ihr Handy: eine SMS von Martin, dem Mann ihrer schwangeren Kollegin. »Charlene ist soeben Mutter geworden und würde sich freuen, wenn du sie im Memorial Krankenhaus besuchen kommst.« Wenn sie die nächste Station aussteigen würde, um dann die Linie 5 zu nehmen, könnte sie direkt zum Memorial Krankenhaus fahren. Sie war einfach zu neugierig auf Charlenes Baby.

Hospitäler lösten in Kate immer Beklemmungen aus. Als sie durch die Linoleum belegte Empfangshalle schritt, sank ihre gute Laune sofort. Sie stieg in den Fahrstuhl und drückte auf den 3. Knopf – die Geburtenstation. Verstohlen wischte sie ihren Finger an der Jeans ab. Gab es in Krankenhäusern nicht eine Unmenge von gefährlichen Keimen, die es nur auf einen abgesehen hatten?

Im 3. Stock angekommen, fragte sie eine Krankenschwester nach Charlenes Zimmernummer und steuerte diese zielstrebig an.

Kate klopfte. Niemand antwortete. Vorsichtig öffnete sie die Tür und spähte hinein. Charlene saß aufrecht im Bett, den Mund weit aufgerissen, Tränen liefen über ihre eingefallenen Wangen. Strähniges, braunes Haar hing ihr bis über die Schulter, während sie stumm den Kopf schüttelte. Kate erblickte Martin, der neben Charlenes Bett stand. Er hielt ihre Hand und redete leise und beruhigend auf sie ein. In seinem Gesicht war Entsetzen und Verbitterung zu lesen. Eine Krankenschwester trat neben das Bett, in der rechten Hand hielt sie eine Spritze. Kate zog erschrocken die Luft ein und alle Augenpaare hefteten sich auf sie. »Kate!«, hörte sie Charlene mit Tränen-heiserer Stimme flüstern. »Du hier? Kate, das ist nicht mein Kind! Das ist nicht mein…«

Martin berührte seine Frau an der Schulter, sie drehte sich von ihm weg. »Liebes, wie kannst du nur so etwas sagen? Es ist doch unser gemeinsames Kind, auf das wir so lange gewartet haben.« Sein verstörter Blick glitt flehend von Charlene zu Kate, die noch immer in der Türöffnung verharrte.

»Was wollen Sie?«, fragte die Krankenschwester barsch. »Ich muss Sie bitten zu gehen. Sofort!«

»Kate, nein! Bleib hier.« Kate trat zögernd ein und zog die Tür hinter sich zu. In Charlenes weit aufgerissenen Augen, die ihren Blick suchten, flackerte wilde Panik. »Es hat kein Gesicht! Das Ding hat kein Gesicht!«

»Bitte gehen Sie jetzt!« Die Krankenschwester schob Kate mit Nachdruck aus dem Raum und schloss die Tür. Fassungslos starrte Kate auf die weiße Tür des Krankenzimmers. Sie schaute den Flur hinunter und entdeckte einen Kaffeeautomaten. Wie betäubt ging sie zu dem Automaten, zog sich einen kräftigen Kaffee und ließ sich auf einen der nebenstehenden Sessel sinken.

Was war nur los mit Charlene? Sie wirkte, als wäre sie komplett durchgedreht. Kates Hand zitterte leicht und heißer Kaffee tropfte auf den Boden. Eine Tür schlug. Schritte näherten sich ihr. Sie blickte auf und genau in Martins verzweifeltes Gesicht.

»Ich weiß nicht, was mit meiner Frau geschehen ist. Sie behauptet die ganze Zeit, dass unser Sohn nicht ihr eigenes Kind ist. Und dann dieses wahnsinnige Gefasel. Er hätte kein Gesicht... Du solltest sein Gesichtchen sehen, es ist vollkommen. Er ist jetzt schon der Liebling der gesamten Station.«

»Was sagt denn der Arzt dazu?«

»Er vermutet eine besonders schwere Form der Kindbettdepression. Wäre ja auch nicht auszuschließen, bei Charlenes gesundheitlicher Vergangenheit.« Er schluchzte. Kate berührte kurz seine Hand. »Martin, es tut mir so leid.«

»Wieso bist du eigentlich hier?« Martins Stimme bekam einen misstrauischen Klang und er trat einen Schritt zurück. »Woher wusstest du, dass Charlene im Krankenhaus ist?«

Verwundert schüttelte Kate den Kopf. »Du selbst hast mir doch die SMS gesendet, in der stand, dass Charlene das Kind bekommen hat und mich gerne sehen würde.« »Nein, ich habe dir keine SMS geschrieben. Was soll das?« Kate kramte in ihrer Tasche, holte ihr Handy heraus und blätterte durch die Nachrichten. »Komisch, ich kann sie nicht finden. Ich muss sie aus Versehen gelöscht haben.« Bitter lachte Martin auf. »Lass doch die Komödie. Dein Besuch war doch bestimmt der Wunsch von Charlenes Chef. Du sollst dich über Charlenes Gesundheitszustand informieren, um es dann an den Big Boss weiterzugeben. Na, jetzt kannst du ihm ja berichten, dass meine Frau verrückt geworden ist. Wird wohl nicht mehr lange dauern, bis uns die Kündigung ins Haus flattert.« Wütend sprang Kate von ihrem Sessel hoch. »Was denkst du von mir? So etwas würde ich nie tun.«

Martin hörte ihr aber nicht mehr zu, er hatte sich umgedreht und ging den Flur hinunter. Unheimliche Stille breitete sich aus, nachdem er die Tür zum Krankenzimmer seiner Frau ins Schloss hatte fallen lassen. In Kates Augen traten Tränen. Sie schluckte mehrmals und schüttelte fassungslos den Kopf. Was passierte hier? Wieso bat Martin sie erst zu kommen, um sie dann übelst zu beschimpfen? Oder hatte ihr jemand einen bösen Streich gespielt? Aber wer? Sie wollte nur noch nach Hause und die Wohnungstür hinter sich schließen.

Der folgende Tag wurde von dem Erlebnis im Krankenhaus überschattet. Lucy hatte in der Mittagspause nur stumm da gesessen, nachdem Kate ihr von Charlenes schrecklichem Zustand erzählte hatte. Das Ganze blieb rätselhaft, besonders Martins Verhalten. Am Abend ließ Kate sich müde und traurig auf ihr Bett fallen, sogar die Katzen konnten sie nicht aufheitern.

Kate seufzte und drehte sich zur Wand. Das Telefon klingelte. »Hallo«, meldete sie sich gleichgültig.

»Hi Kate, hier ist Sam. Sam Saveal. Erinnerst du dich noch an mich?«

Kate saß plötzlich kerzengrade auf der Bettkante. »Na klar. Mein edler Kaffeespender, mit der kleinen Hundephobie. Natürlich erinnere ich mich.« Ein warmes, weiches Lachen antwortete ihr. Ihr Herz schlug schneller und in ihrem Bauch kribbelte es.

»Hättest du am Samstag Zeit?«

»Ja, doch, am Samstag habe ich noch nichts vor.«

»Ich hole dich um drei Uhr ab. Und dann, ja dann, lass dich einfach überraschen.«

»Oh!« Sei doch nicht so einsilbig, sonst denkt er noch du bist langweilig oder debil.

»Okay, dann stehe ich morgen Nachmittag vor deiner Tür und entführe dich. Ich hoffe, dass dir meine kleine Überraschung gefallen wird.«

»Bestimmt.«

»Dann mach's gut, ich freue mich schon darauf, dich wiederzusehen.«

Kate legte auf und stieß dann ein enthusiastisches »Yippieeh« aus, grabschte sich Bangla, die gerade ihren Weg kreuzte, knutschte die überrumpelte Katze auf die Nase und tanzte durch den Raum. Noch immer vor sich hin strahlend hielt sie vor einer weißen Leinwand inne, stellte diese auf ihre Staffelei und begann mit wilden Pinselstrichen eine sonnengelbe Farbkomposition zu kreieren.

Bangla und Desh strichen ihr unermüdlich um die Beine, während Kate sich ein Outfit nach dem anderen vom Körper streifte und aufs Bett schmiss. Nicht zu sexy, aber auch nicht zu bieder, nicht zu bunt, aber auch nicht zu trist. Panik breitete sich in ihr aus, während sie wohl zum hundertsten Mal auf die Armbanduhr schielte. »Ich habe einfach nichts anzuziehen«, sagte sie genervt zu den Katzen, die begonnen hatten, den Kleiderberg auf ihrem Bett zu untersuchen. »Was soll’s, ich ziehe einfach meine weiße Lieblingsbluse und die Dreiviertel-Jeans an.« Halbwegs zufrieden musterte sie sich im Spiegel. Die tailliert geschnittene, weiße Leinenbluse betonte ihre schlanke Figur, ihre frisch gewaschenen Haare, verwandelt in eine wahre Wellenpracht, glänzten und umspielten locker ihr dezent geschminktes Gesicht. Aufgetakelt! Sie streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus. Ein Blick auf die Uhr, kurz vor drei. Ihr Herz schlug heftiger. Ein Fauchen ertönte von ihrem Bett. Kate drehte sich um. Bangla und Desh hatten ihre Nackenhaare aufgestellt und fauchten um die Wette. Die Krallen ausgefahren, zogen sie feine Fäden aus Kates bestem Pulli. Mit einem verärgerten Seufzen verscheuchte Kate die beiden Katzen. Es klingelte. Ihr Herz setzte kurz aus, ihr Magen verkrampfte sich. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und öffnete die Tür. »Hi Kate.« Ein überaus attraktiver Mann stand in ihrem Türrahmen. Seine Augen strahlten in tiefem Meerblau, ein herzliches Lächeln erhellte sein gebräuntes, makelloses Gesicht. Schüchtern hielt er ihr eine lachsfarbene Rose entgegen. Dieser Traum von einem Mann steht leibhaftig vor meiner Tür. Es ist alles zu perfekt, um wahr zu sein, war der einzige klare Gedanke, den sie fassen konnte.

»Ich habe dir eine kleine Aufmerksamkeit mitgebracht.« »Oh, danke, komm doch kurz rein. Wenn du magst, kannst du auch einen Kaffee trinken. Ich stell die Blume nur schnell in eine Vase.« Lautes Fauchen drang aus ihrem Schlafzimmer, das beharrlich zu einem aggressiven Katzengeschrei anschwoll.

Was ist nur los mit den Viechern? So kenne ich sie gar nicht.

Sie deutete Sam mit ihrer Hand einzutreten, doch Unsicherheit lag in seinem Gesicht. Sein Blick fiel auf die beiden Fressnäpfe auf dem Boden. »Du hast zwei Katzen?« »Ja, wie man unschwer überhören kann. Keine Ahnung, warum die sich heute so schlecht benehmen.«

»Tut mir leid, ich habe eine schwere Katzenhaarallergie. Es ist besser, wenn ich draußen auf dich warte. Wenn du fertig bist, komm einfach runter. Ich warte vor der Haustür auf dich.« Er drehte sich ohne ein weiteres Wort auf dem Absatz um und verschwand. Prima, das läuft ja super. Warum musst du auch jeden tollen Typen gleich vergraulen?

Unten auf der Straße erwartete sie die erste Überraschung. Sam hielt ihr die Tür eines nagelneuen, schwarz glänzenden Maserati auf. »Wow, ich wusste gar nicht, dass man als freier Journalist so viel Geld verdient.« »Nun ja, so viel ist es auch nicht, man kommt so über die Runden.«

Souverän bewegte er das schwere Auto durch den New Yorker Stadtverkehr. »Du hast mir noch gar nicht erzählt, was Du genau als Journalist machst. Bist Du als Auslandskorrespondent unterwegs, recherchierst Du übers Weltgeschehen oder machst Du eher Boulevard? Anscheinend bist du gut in deinem Job, sonst könntest du dir ein solch heißes Gefährt nicht leisten.«

Sam lachte verlegen. »Ja, es läuft ganz gut. Ich schreibe über alles Mögliche. Zurzeit verfasse ich einen Artikel über Manhattan und seine Bewohner. Hier gibt es wirklich eine Menge Leute mit interessanten Lebensgeschichten.« Konzentriert schaute er auf die Straße und seine Hände verkrampften sich um das Lenkrad. Der New Yorker Verkehr schien seine Aufmerksamkeit so zu fordern, dass Kate nicht weiter fragen wollte und so verlief der Rest der Fahrt recht schweigsam. Ein paar Minuten später bogen sie am East River am Pier 6 ab.

Kate konnte es kaum fassen, als sie sah, wo sie sich befanden. »Das ist doch nicht dein Ernst. Du willst doch nicht mit mir einen Helicopterflug über Manhattan machen?«

»Doch, genau das. Ich hoffe, meine Überraschung ist gelungen. Gefällt’s dir?«

»Das kann man wohl sagen, ich finde es phänomenal.«

Neben dem Hubschrauber wartete ein schwarz gekleideter Pilot mit verspiegelter Sonnenbrille und winkte in ihre Richtung. Sam zwinkerte Kate aufmunternd zu, fasste ihre Hand und zog sie mit sich. Der Hubschrauber wirkte aus der Nähe nicht so groß, wie Kate gedacht hatte, doch das beruhigte sie keineswegs, eher das Gegenteil. Während der Pilot vorne Platz nahm, sprang Sam leichtfüßig ins Innere und hielt Kate die Hand hin. Als sie ihre Plätze eingenommen hatten, machte sich Beklemmung in Kate breit. Blinkende, kompliziert wirkende Technik umgab sie und als sie etwas zu Sam sagen wollte, setzte ohrenbetäubender Lärm ein. Die Rotorblätter begannen sich zu drehen und der Helicopter erhob sich schwankend in die Luft. Kate wurde es flau im Magen, doch dann hatten sie einen wundervollen Blick auf den East River, die offene See und die Freiheitsstatue.

»Das ist phantastisch. Schau dir die Skyline von Manhattan an«, schrie sie durch das laute Rattern der Rotoren. Begeisterung strahlte in Sams Augen. Das Sonnenlicht fiel auf die nimmermüden, wogenden Wellen des Atlantiks. Das Meer glitzerte wie eine riesige Fläche, die übersät war mit funkelnden Diamanten.

»Ist die Sonne nicht eines der überragendsten Werke Gottes?« Sam sah mit großen Augen hinaus ins Weite. Kates Blick folgte seinem, doch sie musste die Hand schützend vor ihre Augen halten, so sehr blendete sie das gleißende Licht. »Ohne sie wäre kein Leben auf der Erde möglich. Allein die Photosynthese der Pflanzen ist eine großartige Leistung der Natur. Wusstest du, dass 0,1% der Sonnenenergie für die Photosynthese gebraucht wird und diese Energie dann später von den höheren Lebewesen durch die Futteraufnahme aufgenommen wird? Wenn Lebewesen dann sterben, bleibt ein Teil der Sonnenenergie in ihren organischen Substanzen gespeichert, und nach tausenden von Jahren wird diese Energie durch den Verbrauch von fossilen Brennstoffen wieder freigesetzt.«

»Wow, du kennst dich auf diesem Gebiet aber gut aus.«

»Ja, ich hatte vor einem Jahr mit einem Wissenschaftler zusammen an einem Artikel über Sonnenaktivität gearbeitet. Ich finde die Erforschung der Sonne unheimlich spannend.« Sam tippte auf ihre Schulter und zeigte nach rechts. »Dort hinten kannst du Ground Zero sehen. Was für eine Schande, dass es die Twin Towers nicht mehr gibt.«

Etwa 15 Minuten später rauschte es immer noch in Kates Ohren, während mit wackeligen Beinen über den Landeplatz marschierte. Sie war heilfroh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Sam wirkte so gelassen und standfest wie immer, als ob er sein ganzes Leben schon in schaukelnden Helicoptern verbracht hätte. Lachend öffnete er die Beifahrertür seines Maserati. »Kommen Sie, schöne Frau, der Tag ist noch nicht zu Ende.

Kate ertappte sich immer wieder dabei, wie sie ihre Augen nicht von Sam lassen konnte. Das einfallende Licht ließ sein hellbraunes Haar golden aufleuchten. Vollkommen beeindruckt vom Helicopterflug, sprudelte seine Begeisterung über das eben Erlebte aus ihm heraus. Ab und zu sah er dabei zu Kate und seine Augen glühten vor Freude. Schwungvoll chauffierte er den Maserati in eine freie Parklücke. Ein Portier öffnete Kate die Tür. Sam warf ihm seinen Autoschlüssel zu.

»Fahren Sie den Wagen bitte in die Tiefgarage.«

»Na, die zweite Überraschung des Tages ist dir auch gelungen. Meinst Du, sie lassen mich in meinem Aufzug überhaupt in diesen Nobelschuppen hinein?«

Irritiert sah er sie an. »Und wieso nicht? Ich traue mich das doch auch.« Dabei zeigte er auf sein weißes Hemd unter einem blauen Sakko sowie auf seine Jeans.

»Sam, du hättest mir ruhig vorher sagen können, dass wir in ein solch teures Restaurant gehen.«

»Ach, halb so wild. Ich hab gehört, hier gibt es mit Abstand das beste Essen. Außerdem haben sie eine bezaubernde Dachterrasse mit einem atemberaubenden Blick auf die Stadt. Für meine Lebensretterin ist mir das Beste gerade gut genug. Oder bist du mir jetzt böse?« Dabei sah er so zerknirscht aus, dass Kate sich das Lachen verbeißen musste. »Diesmal will ich dir noch einmal verzeihen. Das zeigt mir nur, dass dir dein Leben, das ich ehrenhaft gerettet habe, lieb und teuer ist.«

»Ja und ob.«

Als später ein Kellner mit hochgezogenen Augenbrauen und gezücktem Stift neben ihrem Tisch stand, wurde es Kate unbehaglich. Sam hatte ihr die Wahl des Essens und der Getränke überlassen. Tolle Idee, wo ich doch ein solch großer Gourmet und Weinkenner bin.

»Ich bin Vegetarierin. Was könnten Sie mir da empfehlen?« Der Ober ratterte eine Anzahl verschiedener Gerichte herunter. »Gut ich nehme das mit dem gedünsteten Gemüse. Und welchen Wein können Sie mir dazu anbieten?« »Wie wäre es mit einem Baron de Rothschild

»Den nehmen wir.«, bestimmte Kate.

»Bitte bringen Sie mir das Gleiche.« Sie glaubte, einen Tick Unsicherheit in Sams Stimme zu hören.

»Puh, mit der Nouvelle Cuisine kenne ich mich gar nicht aus.« Kate atmete erleichtert auf, nachdem der Kellner ihren Tisch mit steifen Schritten verlassen hatte.

»Tja, ein Heimspiel war das für mich gerade auch nicht.« gab Sam zu.

»Ach ja, wo gehst du denn normalerweise essen, wenn nicht in Fünf-Sterne-Restaurants?«

»Mal hier, mal da. Kommt ganz darauf an, worauf ich gerade Hunger habe.«

»Und was ist dein Lieblingsessen? Italienisch, mexikanisch oder chinesisch? Die englische Küche ist ja nicht gerade wegen ihrer Vielfältigkeit berühmt.«

Sam räusperte sich. »Du bist Vegetarierin? Warum hast du dich dazu entschieden komplett auf Fleisch zu verzichten?«

»Für mich gibt es zwei gute Gründe fleischlos zu leben. Erstens, heutzutage weiß man nicht mehr, ob man sich nicht mit jedem Bissen Fleisch irgendein Gift zufügt und zweitens finde ich es unerträglich, dass ein lebendes und fühlendes Wesen für mich leiden muss, nur damit ich meine Lust am Fleischessen befriedigen kann.« Er nickte zustimmend und sein Blick wurde nachdenklich.

Mit professioneller Förmlichkeit wurden ihnen zwei große Teller, mit übersichtlich angeordnetem Gemüse, und Kristallgläser serviert. Der rote Wein verströmte ein köstliches, fruchtiges Aroma.

»Sam, nun bin ich aber mal an der Reihe, etwas mehr aus deinem Leben zu erfahren. Ich weiß so gut wie gar nichts über dich. Lebt deine Familie in England? Hast du Geschwister, Haustiere, viele Freunde oder sogar ein dunkles Geheimnis?«

Sam betupfte seinen Mund mit der Serviette. Sein linkes Augenlid zuckte kurz. »Ich habe, oder besser gesagt, ich hatte nie eine große Familie. Meine Eltern sind letztes Jahr bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Und mein einziger Bruder ist vor Jahren von Zuhause ausgezogen und seitdem verschollen. Es hatte einen bösen Streit zwischen ihm und meinen Eltern gegeben und er ist untergetaucht. Leider hat er nie versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen. Das ist alles.«

»Das klingt traurig. Jetzt habe ich dich mit meiner neugierigen Fragerei an deine Vergangenheit erinnert, an die du gar nicht mehr denken wolltest. Ich habe wirklich ein großes Talent, in alle möglichen Fettnäpfchen zu treten. Es tut mir leid.«

»Nein, nein, schon gut. Du konntest es ja nicht wissen.«

»Bei deinem Job als Journalist, da kommst du doch bestimmt viel rum. Ich stelle mir das sehr interessant vor.« Er sah von seinem Teller auf und sein makelloses Gesicht erhellte sich. »Ja, bei meinen zahllosen Recherchen bin ich bereits auf viele interessante Menschen gestoßen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was es alles für Schicksale auf der Welt gibt. Eine Geschichte finde ich besonders beeindruckend, die muss ich dir erzählen.« Er schilderte die Lebensgeschichte eines alten Mannes, der nach 45 Jahren seine große Liebe wiederfand, mit so viel Wärme und Einfühlungsvermögen, dass sich Kate unmittelbar in die Handlung hineingezogen fühlte. Sie litt, hoffte und freute sich mit diesem unbekannten Mann.

Später tranken sie Champagner, der Kate perlend die Kehle hinunter rann. Ein Gefühl von Leichtigkeit umhüllte sie. Sam berührte zart ihre Hand. »Komm mit. Ich will dir den umwerfenden Blick von der Dachterrasse auf die Stadt zeigen.« Ihre Hand umfassend, führte er sie in Richtung Fensterfront. Der wackelige Gang der jungen Frau, ausgelöst durch den ungewohnten Wein- und Sektkonsum, ließ so manchen Gast schmunzeln. Ein kühler Wind wehte ihnen entgegen, nachdem sie die Glastür der Terrasse hinter sich geschlossen hatten. Die Sonne stand tief und ließ den Hudson River silbern glänzen. Kate seufzte glücklich, als sie die Stadt vor sich liegen sah und sog das Gefühl von Freiheit ein.

»Dir ist kalt. Warte hier, ich hänge dir mein Jackett über.« Sie kuschelte sich tief in seine Jacke. Sam stand neben ihr, bestaunte die abendliche Aussicht und legte schützend einen Arm um ihre Schultern. »Oh Sam, das ist einer der schönsten Tage, den ich bisher in New York erlebt habe.«

»Freut mich, dass dir meine Überraschung gefällt.«

»Gefallen ist gar nicht der richtige Ausdruck. Der ganze Tag heute war einfach nur, ja er war einfach nur phantastisch. Und gegen eine Fortsetzung hätte ich nichts einzuwenden.«

»Wie darf ich das verstehen?«

»Werden wir uns wiedersehen?« fragte Kate während ihr Herz voller Erwartung immer heftiger schlug.

Er ließ sie los, stellte sich vor sie hin, verschränkte die Arme und runzelte mit gespielter Entrüstung die Stirn. »Das will ich doch hoffen! Oder hast du gedacht, ich hätte nur aus Dankbarkeit so viel in den heutigen Tag investiert? Du weißt doch, wie die Kerle so sind. Beim ersten Date tragen sie immer dick auf, und warum? Nur, um den kleinsten Widerstand der Frauen schachmatt zu setzen.«

Kate lachte. »Jetzt sei doch mal ernst.«

»Aber ich bin ernst.« Er schaute ihr in die Augen, die Pupillen ganz dunkel und geweitet. Ein Schwindelgefühl erfasste sie, Zeit und Raum schienen sich aufzulösen. Kate, hast du denn noch nicht bemerkt, was ich für dich empfinde? Er hatte nicht gesprochen, doch es war, als würde seine Stimme direkt in ihrem Bewusstsein erklingen.

Sein Kopf neigte sich ihr zu, eine Frage in seinem Blick. Kates Augen beantworteten diese stumm. Er küsste sie leicht. Seine Lippen auf den ihren fühlten sich weich und wundervoll an. Ich schwebe. So oder so ähnlich muss es sich anfühlen, im siebten Himmel zu schweben.

Kate legte ihre Hände auf seine Wangen und erwiderte seinen Kuss. Leichte Küsse bedeckten ihre Stirn, ihre Augen, Ohren und wieder ihren Mund. Abrupt stoppte er. Mit einem leicht gerötetem Gesicht sah er sie an, zwinkerte und flüsterte: »Ich glaube, es ist besser, wenn wir jetzt gehen. Ich habe so das Gefühl, das wir zu viel Aufmerksamkeit erregt haben.« Tatsächlich stand ein paar Schritte von ihnen entfernt ein älteres Paar, das sie verstohlen musterte.

Im Inneren des Maserati war es angenehm warm, und Kate verspürte überhaupt nicht den Wunsch auszusteigen, obwohl die Türe ihres Wohnhauses nur ein paar Schritte von dem parkendem Wagen entfernt war. Doch einfach sitzen zu bleiben, erschien ihr auch nicht angebracht.

»Möchtest du noch mit hochkommen, auf einen Kaffee oder so?« Ein leichtes Krächzen in der Stimme verriet ihre Nervosität.

»Tut mir leid, du weißt doch, meine Katzenallergie.« »Ach ja, dann ist es wohl besser, wenn ich dich das nächste Mal abhole.« Sie wurde rot.

Sam lachte leise. »Ich wünsche dir eine gute Nacht. Morgen werde ich dich anrufen. Ich kann es kaum erwarten, bis wir uns wiedersehen.« »Ich auch nicht.« Kate beugte sich zu ihm, um ihm einen Gutenachtkuss auf die Wange zu geben, da drehte er den Kopf und ihr Mund berührte seine Lippen. Ein heißes Prickeln lief durch ihren Körper. Sie fühlte, wie er mit einer Hand durch ihr Haar wühlte und ihr mit der anderen über den Rücken streichelte. Ihre Lippen begannen zu zittern, als er beim nächsten leidenschaftlichen Kuss Katie my love murmelte. Sein weicher Mund strich langsam ihren Hals entlang und Kate fühlte, wie sie dahin schmolz. Abrupt löste er sich von ihr »Ich muss jetzt fahren. Es ist schon spät und ich habe morgen noch einen anstrengenden Tag.«

Irritiert über den rüden Abschied sah sie den Rücklichtern seines Wagens nach. Was war das denn jetzt? Hatte sie etwas falsch gemacht?

Dennoch durchströmte sie das Glücksgefühl von neuen, als sie langsam die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufstieg. Warum sollte sie nicht auch einmal Glück im Leben haben? Ja, warum nicht?

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