Читать книгу Nakkita - Udo Meeßen - Страница 10
ОглавлениеKitty Kitten
Mittwoch 15. Mai 2047, 7:20 Uhr, Wesenweg am Baggersee im Norden von Porta Westfalica:
„Nee, oder? Der Mann sieht aus, als wäre er so wie der Burgmeister letzte Woche von einem Auto gebügelt worden.“
„So sieht es aus, Charly. Aber sag, was machst Du hier? Ist das nicht der Zuständigkeitsbereich von Minden?“
„Nee. Porta Westfalica gehört formal zu Minden Lübbecke und Neesen zu Porta. Also ist unser Dezernat zuständig und mich hat’s erwischt, Tom.“
„Okay? Also… die junge Dame da drüben war vorhin mit ihrem Hund hier spazieren und hat die Leiche gefunden.“
„Und das sieht aus wie bei Burgmeister. Der hat auch Reifenspuren im Gesicht.“
„Jou. Walter Hoffner aus Neesen. So wie es aussieht, hat der Wagen wiederholt gewendet und Hoffner auf den Kühler genommen.“
„Das muss Spuren hinterlassen haben. Wenn Du ein popeliges Kaninchen erwischst, kann das schon zu Schäden am Stoßfänger führen, oder nicht?“
„Doch, sicher, Charly. Ich hab hier ein Fragment aus Kunststoff, kobaltblau-metallic lackiert mit einer Prägung… eine Art Katzenkopf.“
„Ein Katzenkopf? Kobaltblau? Lass mal sehen.“
Berger reichte Charlotte den Siegelbeutel mit dem Kunststoffstück und deren Augen wurden groß.
„Was ist, Charly?“
„Opel hat damals, 2033, basierend auf der Anime-Serie Kitty Kitten ein Sondermodel des Nakkita aufgelegt. Das Auto war extrem tiefer gelegt, sehr viel breiter in den Kotflügeln mit irre großem Spoiler, war ab Werk mit Chip getunt, hatte 220 PS und war perfekt gestylt. Da wurden nur fünfzig von produziert und alle Girls wollten ein Exemplar haben. Die letzten zehn Exemplare wurde online versteigert und erzielten irre Preise. Da hätte man sich nen Rolls Royce von kaufen können. Ich hab damals auch von einer Kitty-Nakkita geträumt, war aber noch nicht in der Lage, die Anzahlung dafür aufzubringen.“
„Also war das ein echter Streetracer für Kitty-Fans?“
„Ja. Das war ein echter Bolide auf 19 Zoll Felgen mit Schlappen im Format 245 auf 45. In der Anime-Serie fährt Kitty einen Streetracer einer fiktiven Marke und der sah schon immer einer Nakkita sehr ähnlich. Opel hat das erkannt und sich die Verwertungsrechte gesichert.“
„Autsch. Und dieses Modell hatte diesen Katzenkopf als Logo?“
„Ja. Kitty Kitten saß mittig auf dem Bug und Heck anstelle des Opel-Logos, säumte die Front- und die Heckschürze und war sogar in die hinteren Seitenscheiben graviert.“
„Und… Du… als ich sagte, das Teil sei kobaltblau…“
„Ja, sicher. Kitty Kitten ist kobaltblau und die Sonderauflage der Nakkita war exklusiv in dieser Farbe erhältlich. Nurda!“
„Ja bitte Charly,“ sagte Kommissar-Anwärterin Nurda Ölgümet, welche aktuell Charlottes Assistentin war.
„Frag mal beim Kraftfahrtbundesamt an, wie viele Nakkita der Edition Kitty Kitten noch zugelassen sind und wenn da noch welche sind, such die Halter bitte raus.“
„Kann ich machen, Charly. Aber ich denke, ich kann das abkürzen.“
„Wie das?“
„Gestern Nachmittag hat es auf der Kirchsiek, Höhe Albersburg bös gerappelt. Da ist im Moment eine Baustelle mit Ampel und der Fahrer eines Audi ist mit hoher Geshwndigkeit in das Heck eines an der Ampel wartenden Nakkita gesemmelt.“
„Und woher weißt Du das?“
„Ich fuhr hinter dem Audi, sah noch wie es schepperte und die Karre nach dem Aufprall über die Leitplanke flog. Ich hab dann bei der Fahrerin des Nakkita erste Hilfe geleistet.“
„Und das war eine Kitty Kitten?“
„Jou. Sogar das Logo im Lenkrad ist kobaltblau und nicht das übliche von Opel.“
„Und… wie geht es der Fahrerin des Autos? Und was ist mit dem Fahrer des Audi?“
„Birgit Hofreiter hat es mit einem Schleudertrauma überstanden und die Feuerwehr sagte mir, dass der Fahrer des Audi unverletzt aus seinem Wrack krabbelte.“
„Du weißt, wie die Fahrerin des Nakkita heißt. Weißt Du auch, wie der Fahrer des Audi heißt?“
„Auch das. Ich hab mich den Kollegen von der Feuerwehr und der Polizei gegenüber als Kommissar-Anwärterin zu erkennen gegeben und alle Informationen erhalten. Der Fahrer des Audi liegt da hinten und hieß Walter Hoffner.“
„Ich nehme an… wenn der Audi mit deutlich über 80 in den Nakkita fuhr, blieb von dem nicht viel übrig, oder?“
„Das Stimmt. Das Heck wurde bis zur B-Säule eingedrückt und das Auto ist Schrott.“
„Und wo wurde es hin gebracht?“
„Zu Pfeifers Werkstatt. Der Fahrer des Abschleppwagens sagte mir, dass der ADAC die Autos grundsätzlich zu Werkstattpartnern oder Vertragswerkstätten der jeweiligen Automarke bringt, weil die Versicherungen darauf bestehen. Und die Werkstatt Deiner Schwester in Barkhausen ist die nächst gelegene im Bezirk.“
„Verstehe. Prüf bitte mal, ob hier im Raum noch weitere Kitty Kitten zugelassen sind. Du sagst, dass der Wagen von Birgit Hofreiter bis zur B-Säule zerstört wurde, also kann sie Hoffner nicht umgelegt haben.“
„Birgit kann das sicher nicht getan haben. Ich hab vorhin noch mit ihr telefoniert. Sie ist noch immer im Krankenhaus unter Beobachtung, weil der Verdacht besteht, dass ein Halswirbel angeknackst ist und sie wartet auf das CT.“
„Du klingst, als nähme Dich das persönlich mit.“
Ölgümets Fassung bröckelte schlagartig zusammen, als Charlottes Verstand die subtilen Zeichen identifizierte und sie Nurdas Gemütszustand ansprach.
„Wenn… wenn meine Biggi… Ich hoffe, da ist nix kaputt.“
„Kennst Du sie schon länger?“
„Nee,“ mühte Nurda sich, ihre Fassung wieder zu bekommen, „als ich sie aus dem Auto zog und in meinen Armen hielt… sie ist so ein… ein zierliches Püppchen und da hat der Blitz eingeschlagen.“
„Und jetzt stehst Du dumme Nuss hier an einem Tatort? Du solltest bei Deinem Püppchen sein, oder?“
„Ich… Ich hab mich nicht getraut zu fragen, weil Du vor vier Wochen schon angepisst warst, weil ich mir einen Tag frei genommen hab.“
„Hä? Ich war angepisst?“
„Ich hab Dich gefragt und Du hast nur geknurrt, dass ich mich verziehen soll.“
„Ja, nee, oder? Süße, ich war nicht wegen Dir angepisst.“
„Nicht?“
„Nee. Mein letzter Anwärter, Pawlow Jurinshiczi, wurde in Düsseldorf auf der Kö mit einem halben Pfund Kokain in der Tasche hopps genommen. Ich hab ihn ausgebildet, am Ende unterschrieben und meine Unterschrift war es, die dafür sorgte, dass er befördert wurde. Und dann wird er zivil mit einem halben Pfund Koks erwischt. Deshalb war ich angepisst. Aber doch nicht, weil Du Rückenschmerzen hattest. Los, mach Dich vom Acker und geh zu Deiner Biggi.“
„Ich…“
„Los, hau ab, Süße. Ich komm hier ohne Dich klar.“
„Danke. Und… Ich hab grad eine Mail vom Kraftfahrtbundesamt bekommen. Es gibt nur noch drei Kitty Kitten und zwei davon sind in Pfaffenhofen in Bayern zugelassen.“
„O.k. Danke. Und jetzt verzieh Dich zu Deiner Biggi. Tom!“
„Ich bin hier, Charly.“
„Sorry… das geht mir nah. Meine Assistentin hält mich für’n Arschloch und hat Angst um ihren Schatz. Das nimmt mich mit.“
„Weil Du ne tolle Frau bist, Charly. Eine tolle Frau und eine tolle Vorgesetzte. Ich nehm Dir nix krumm.“
„Danke, Tom. Kannst Du den Lack irgendwie analysieren? Ich meine, ob das Teil wirklich mit dem originalen Lack lackiert wurde? Ist das der von der Kitty Kitten – Edition, oder sieht der nur so aus?“
„Kann ich machen, Charly. Aber das dauert einen Moment.“
„Schon klar. Die werden die Rezeptur des Lacks nicht öffentlich gemacht haben. Wobei… Du kannst ja eine Gegenprobe vom Wagen der Hofreiter nehmen. Ich beschlagnahme das Wrack vorläufig.“
-*-
„Du was? Du konfiszierst dieses Wrack? Muss ich das verstehen, Charly?“
„Tut mir leid, Nadja. Aber so bescheuert es klingt, es besteht der Verdacht, dass dieses Wrack in einem Mord als Tatwaffe benutzt wurde.“
„Vor dem Crash?“
„Danach.“
„Das glaubst Du doch selber nicht, oder? Guck Dir mal die Hinterradaufhängung an. Als der Abschleppwagen das Ding hier im Hof abgeladen hat, gab es Furchen im Asphalt. Die Karre fährt nie wieder aus eigener Kraft.“
„Da stimmt Dir wahrscheinlich jedes Kleinkind zu. Aber wie ich sehe, fehlt vorne in der Schürze des Wagens ein Stück. Das passt zu einem Beweisstück von einem Tatort und die Farbe ist auch identisch. Du solltest wissen, dass es die Kitty Kitten – Edition nur fünfzig Mal gab und der Lack eine spezielle Mischung war.“
„Ja, schon. Aber guck Dir das Ding doch mal an. Das Heck ist total im Eimer und ich kann allenfalls noch den vorderen Teil als Ersatzteillager verwenden. Die Karre fährt garantiert nicht mehr.“
„Keine Sorge, Schwesterchen. Du kannst das Ding natürlich verwerten. Ich brauche nur ein wenig vom Lack an der Schürze und die Karre zu beschlagnahmen gibt mir die Möglichkeit, das legal zu tun.“
„Du hättest mich auch einfach fragen können?“
„Nee. Ich benötige das formale Protokoll der Beschlagnahme. Hab ich das nicht, unterstellt mit die Staatsanwältin, ich würde ein Beweisstück faken.“
„Ziemlich bescheuert… Aber gut. Wo muss ich unterschreiben?“
„Hier, bitte.“
„Gut. Und erklärst Du mir auch, wie Du auf die Idee kommst, das Ding da wäre eine Tatwaffe? Du sagtest nach dem Crash, also irgendwann letzte Nacht, nach 23:00 Uhr.“
„Wir haben einen Toten am Wesenweg am Baggersee. Der Tote ist der Mann, der gestern Abend mit seinem Audi in diesen Nakkita gerauscht ist und er wurde heute Morgen am Wesenweg mehrfach in Tötungsabsicht überfahren.“
„Und das mit diesem Wrack?“
„Klingt bescheuert, aber wir haben dieses Bruchstück aus der Frontschürze und das passt zu diesem Auto.“
„Das klingt logisch. Aber ich denke, mein Schwesterchen verrennt sich da in etwas.“
„Wie das?“
„Na. Hast Du schon mal die Motorhaube eines Autos gesehen, welches einen ausgewachsenen Mann auf den Kühler genommen hat? Die Kitty Kitten – Edition war so tief, wie die EU-Zulassung es erlaubt, gelegt. Jeder normale Mann, jede Frau, ja sogar jedes Kind würde dicht über dem Fußgelenk von der Schürze erfasst, von den Beinen gerissen und würde dann auf die Motorhaube knallen. Du kannst mit einer Kitty niemanden überrollen. Du kannst das ‚Ziel‘ nur von den Beinen hebeln und riskierst, dass es in der Windschutzscheibe landet. Und jetzt guck Dir mal die Haube von diesem Auto an. Die ist absolut in Ordnung. Mit diesem Auto wurde Niemand überrollt.“
„Und nehmen wir mal nur an, der Angriff erfolgte rückwärts fahrend?“
„Jetzt willst Du es wissen, hm? Der Wagen hatte Einzelradaufhängungen an der Hinterachse und die sind, wie Du sehr gut sehen kannst, komplett zerstört. Zwischen dem, was vom Querträger noch vorhanden ist und Boden passt vielleicht noch ne Tafel Schokolade, aber bestimmt kein Mensch.“
„Ich hab’s Dir gesagt, Tom. Mein Schwesterchen hat’s drauf. Hörst Du das?“
„Jou, Charly. Aber ich wusste das schon vorher.“
„Hö? Du lässt mich den ganzen Scheiß erklären und weißt es schon? Was soll der Mist?“
„Aus Deiner Sicht mag das absoluter Schwachsinn sein, Nadja. Aber ich habe einen Tatverdacht und dem Augenschein nach die Tatwaffe. Die Staatsanwältin ist jung und heiß… also heiß auf Erfolg… und bastelt aus idiotischen Herleitungen noch Indizien, welche sie vor Gericht verwendet. Also benötige ich schon von Anfang an stichhaltige Expertisen, um ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen, weil sie mich sonst in die Ecke drängt und mich in meiner Arbeit behindert.“
„Und das, was ich eben gesagt habe, ist die Expertise, welche Du brauchst?“
„Ja. Ich hab das alles aufgenommen und bitte Dich um die Erlaubnis, das so zu den Akten nehmen zu dürfen.“
„Du hast mich also nicht verarscht, sondern nur einen auf dumm gemacht, damit ich Dir die Expertise liefere?“
„Du bist KFZ-Meisterin und wenn Du das sagst, was ich denke, dann ist es eine Expertise.“
„Dann darfst Du das gerne verwenden. Ich geb meinen Segen dazu. Und ich erkläre jeder Staatsanwältin gerne die Gesetze der Physik, wenn sie genug Mumm im Höschen hat, mich zu fragen.“
„Danke. Und es bleibt bei heute Abend?“
„Sicher. Allerdings mit einer Änderung.“
„Aha? Lass hören.“
„Tanja hat noch Resturlaub und musste nur noch bis gestern arbeiten. Also wird sie mich heute begleiten.“
„Dann können wir beide einander unsere Süßen vorstellen?“
„So sieht es aus.“
„Das… wow… das ist toll, Schwesterchen. Ich freue mich drauf.“
„Du heißt Tanja willkommen?“
„Ja sicher. Sie ist Dein Schatz, also ist sie willkommen. Sag nicht, Du hattest Angst, ich würde Deine Süße nicht willkommen heißen.“
„Es ist… Du weißt, wie Mama damals reagierte. Sie hat Constanze förmlich aus dem Haus gejagt.“
„Mama… Schon klar. Zwei uneheliche Töchter von zwei verschiedenen Männern, aber die große Moralhüterin vor dem Herren, welche Homosexualität als Sünde verteufelt. Schon klar, Schwesterchen. Als Du damals wegen Constanze geweint hast, hat es mir das Herz zerrissen und ich hab Mama dafür gehasst.“
„Du hast das so deutlich mitbekommen?“
„Wer war die erste Frau, welche Dich an der Muschi gestreichelt hat? Und welcher Frau hast Du das erste Mal die Zunge in den Schlitz gesteckt?“
„Du. Da waren wir dreizehn und vierzehn.“
„Und mir war damals schon klar, dass das nicht nur das Entdecken der Sexualität war. Schon damals wusste ich, dass ich auf Mädchen, respektive Frauen stehe und Dich hab ich immer geliebt.“
„Aber Du hast Julius geheiratet und Dich von ihm schwängern lassen.“
„Weil ich einfach nur doof war. Ich glaube, das war meine Trotzphase. Aber sag… Du hast erwähnt, dass Du auch ein Töchterchen hast. Anika, oder? Also hattest Du auch mal was mit nem Kerl?“
„Nee. Ich war mit Sevtja verheiratet und wir wünschten uns Kinder. Sevtja war angeblich unfruchtbar also hab ich mich von meiner Gynäkologin mit einer Samenspende befruchten lassen und Anny ist das Resultat.“
„Aber Anika hat nur ihre Mama Nadja kennengelernt? Was ist passiert?“
„Sevtja war russische Agentin, hat mich nur zur Tarnung benutzt und ist aufgeflogen. Ich hab sie mal in Spandahlem in der U-Haft besucht und sie hatte nur Spott und Hohn für mich und meinen Babybauch übrig.“
„Fuck. Und… Du liebst Deine Anny aber, oder?“
„Klar liebe ich sie. Ich wollte doch das Baby haben, hab der Ärztin beschrieben, wie ich mir den Vater vorstellen würde und sie hat bei der Samenbank passendes Sperma raus gesucht. Anny ist perfekt, genau so, wie ich sie mir vorgestellt hab und sie ist mein Baby. Ich hab sie ausgetragen und zur Welt gebracht.“
„Und heute Abend stellst Du mir Deinen Schatz, Deine Tanja vor. Die Frau, welche Du liebst.“
„Ja. Ich liebe endlich wieder und ohne meine Süße geht nichts mehr.“
„So geht es mir mit meiner Denise. Die freut sich schon voll drauf, Dich kennenzulernen.“
„Sie ist auch Polizistin?“
„161 Zentimeter pure Energie, Lebenslust und Kriminalkommissarin. Ich hab sie ausgebildet… Na ja… sie kam als ausgebildete Kommissarin in unsere Abteilung, aber ich hab sie am Händchen genommen und ihr bei ihrem ersten Fall geholfen.“
„Und irgendwann bist Du morgens aufgewacht und sie hat Dich mit ihren niedlichen Kulleraugen angesehen und Dir gesagt, dass sie Dich liebt.“
„So in der Art. Allerdings war das ziemlich abgedreht und ist eine verrückte Story. Die erzähl ich Dir bei Gelegenheit.“
Thomas Berger hatte sich dezent zurück gehalten und dem emotionalen Dialog der beiden Frauen mit halbem Ohr zugehört. Als er jetzt erkannte, dass der Spannungsbogen wieder abflachte, fand er es wäre die richtige Zeit, Charlotte wieder in die Realität zu holen und schaltete sich in das Gespräch ein.
„Was mich betrifft, Charly, verplempern wir hinsichtlich des Falls hier nur Zeit. Nadja hat recht mit ihrer Behauptung. Walter Hoffner hätte sichtbare Spuren an diesem Wrack hinterlassen müssen, aber die Frontpartie ist jungfräulich glatt und bis auf die Bruchstelle in der Frontschürze sind keinerlei Beschädigungen zu finden.“
„Fragt sich nur, wie dieses Stück aus der Schürze an den Tatort kam. Das… das wirkt irgendwie wie dort platziert, um uns auf eine falsche Fährte zu locken. Oder Hoffner starb gar nicht dort…“
„Nee, Charly. Das ist sicher. Hoffner starb dort, wo wir ihn vorfanden. Da haben wir ausreichend Spuren und Beweise vor Ort gefunden.“
„O.k. Mach trotzdem bitte diese Diagnose. Ich will wissen, wo der Lack an diesem Stück herkommt und ob er zum Wrack passt. Jemand scheint uns verarschen zu wollen und bislang erfolgreich damit zu sein.“
„Ich geb das Ding gleich ins Labor und sehe zu, dass Opel mir die Zusammensetzung des Lacks gibt, um einen Abgleich machen zu können. Das wird denen zwar nicht schmecken, aber notfalls gehe ich damit zu einem Richter.“
„Mach das bitte. Ich verstehe eh nicht, warum die das Rezept wie einen heiligen Gral hüten. Das Modell wird seit wie vielen Jahren nicht mehr gebaut?“
„Seit rund dreizehn Jahren. Die Kitty Kitten – Edition kam so ziemlich am Ende der Laufzeit der Produktion auf den Markt und war wohl ein verzweifelter Versuch den Standort Eisenach als Produktionsstätte zu erhalten.“
„Aber das ging in die Hose?“
„Nee. Tatsächlich zogen damals die Verkaufszahlen wieder an und der Astra profitierte vom Erfolg des Nakkita deutlich. Der Astra ist etwas kleiner und eroberte sich seinen Platz als Mädchen-Auto zurück. Und was die Farbe betrifft… Also dieser Lack ist etwas Besonderes. Setzt man ihn unter Spannung, verändert sich die Farbe und beginnt zu fluoreszieren. Bei Vollgas auf der Autobahn leuchtete eine Kitty förmlich.“
„Hm… Über Sinn und Unsinn lässt sich streiten. Aber wie haben die diesen Lack zugelassen bekommen. Jedes Auto verliert seine ABE, wenn der Besitzer Leds unter den Schweller baut und die Karre von unten her leuchtet, weil das gegen die Zulassungsordnung ist und die Kitty durfte komplett leuchten? Muss man nicht verstehen, oder?“
„EU-Recht beugt deutsches Recht, nehme ich an. Oder was meinst Du, Nadja?“
Nadja runzelte einen Moment die Stirn, weil Berger sie mit dem Vornamen ansprach und sie kurzerhand duzte. Dann sagte sie sich, dass man bei der Kripo offenbar sehr vertraut miteinander umging und das vieles einfacher machte. Anscheinend betrachtete Berger sie in diesem Augenblick quasi als Teil des Ermittlerteams in ihrer Eigenschaft als Expertin und das schmeichelte ihr letztlich sogar.
Tatsächlich hatte sie schon mehrere Auftritte als Sachverständige vor Gericht wenn es um Unfall-Rekonstruktionen ging und hätte selber zum Beispiel das Unfallgutachten für die Schätzung des Wertes von Tanjas Nakky vornehmen können. Das allerdings ließen die Versicherungen nicht zu, weil sie nicht als Sachverständige Gutachten erstellen und gleichzeitig als Betreiberin einer Werkstatt auftreten durfte.
„So sehe ich das auch, Tom,“ sagte sie daher gelassen, „das deutsche Zulassungsrecht ist wie üblich das strengste und in anderen EU-Staaten sind Fahrzeug-Anbauten zulässig, welche man hier in Deutschland nie genehmigt bekäme. Also muss man irgendwo Kompromisse machen, weil der Deutsche dann sagt: ‚Aber der Niederländer darf das und ich nicht.‘“
„O.k. Das macht Sinn,“ meinte Charlotte und umrundete nachdenklich das Wrack, fragte sich wie es sein konnte, dass Birgit Hofreiter mit einem Schleudertrauma, beziehungsweise einem angeknacksten Halswirbel aus der Sache heraus kommen konnte. Da mussten unzählige Schutzengel oder einer mir irrer Spannweite zugegen gewesen sein, weil die Front-Airbags bei einem Einschlag im Heck natürlich nicht zündeten und die Rückbank des Wagens so weit nach vorne verschoben wurde, dass die Vordersitze aus ihren Schienen rissen und die Frau schlagartig zwischen der Rückenlehne und dem Lenkrad eingequetscht wurde. Der Aufprall musste gewaltig gewesen sein und Nadja sah ihrer Schwester die Frage förmlich an.
„Was steht im Unfallbericht, Charly?“
„Hm? Wie meinst Du das?“
„Du überlegst, dass der Audi den Wagen mit deutlich höherer Geschwindigkeit traf. Sehe ich das richtig?“
„Stimmt. Was sagt die Unfall-Sachverständige?“
„Das waren meines Erachtens mindestens 140 km/h und hätte die Frau auf der Bremse gestanden, oder die Handbremse angezogen gehabt, wäre sie nicht lebend da raus gekommen. Ich bin überzeugt, dass Eure Forensiker, wenn sie den Speicher des Audis auslesen zu diesem Ergebnis kommen und ich würde, wäre ich Staatsanwältin, Strafantrag wegen versuchter Tötung stellen.“
„Tjo… Wir haben Walter Hoffner vorhin von der Straße gekratzt und den klagt Niemand mehr an. Das Problem hat sich also erledigt. Aber Du gehst mit mir konform, dass Frau Hofreiter einen riesigen Schutzengel gehabt haben muss?“
„Ich sag’s mal so… Ein ausgewachsener Mann wie Tom zum Beispiel wäre da nicht mehr raus gekommen. Die Hofreiter scheint recht klein und zierlich zu sein. Hätte sie Silikonimplantate in den Möpsen, wären die wahrscheinlich kaputt gegangen.“
„Dann stehe ich mit meiner Vorstellung also nicht alleine da. Allerdings ist das wohl müßig, weil Hoffner jetzt tot ist und es darum geht zu klären, wer ihn auf dem Gewissen hat. Die Hofreiter bekommt nur den Zeitwert von der Versicherung Hoffners und das war’s dann. Mit ein wenig Glück wird sie pauschal mit einem geringen Schmerzensgeld abgespeist, weil der Kerl der ihr das antat jetzt tot ist und Reifenspuren im Gesicht hat.“
„Der hat Reifenspuren im Gesicht? Ist das Dein Ernst?“
„Ja. So wie Hans Burgmeister.“
„Wenn ich nicht irre, wurde Burgmeister auf einem Acker überfahren, oder?“
„Jou.“
„O.k. Dann kann das mit den Reifenspuren im Gesicht durchaus sein, weil der Untergrund nachgab und der Kopf im Schlampes versank. Aber Hoffner wurde auf einem asphaltierten Weg getötet und sein Kopf hätte niemals unter die Frontschürze der Kitty gepasst. Eher hätte diese ihm den Kopf abgerissen. Wenn er wirklich Reifenspuren im Gesicht hat, dann muss es ein hochbeiniges Auto, wahrscheinlich ein SUV gewesen sein. Um jemandem auf den Kopf zu fahren benötigst Du auch einen gewissen Rad-Durchmesser und den hast Du auf 19-Zoll-Felgen nicht. Das passt hinten und vorne nicht zusammen.“
„Siehst Du das auch so, Tom?“
„Deine Schwester sollte für die Forensik arbeiten. Sie hat absolut recht und ich bin überzeugt, dass man uns im Fall Burgmeister und hier bei Hoffner auf eine falsche Fährte locken will. Allein schon die Nakky von Frau Sorg hätte gewaltige Probleme, sich überhaupt auf dem Acker zu bewegen, weil da kaum Bodenfreiheit ist und Hofreiters Kitty liegt nochmals tiefer. Das stimmt weder hinten noch vorne und Jemand verarscht uns.“
„Und das offenbar mit Erfolg. Wisst Ihr… Mich stört außerdem, dass in beiden Fällen die Spuren zu Deiner Werkstatt führen und die Opfer zuvor Autos beschädigten, die bei Dir im Hof landeten. Mich beschleicht der Verdacht, dass man auch Dir am Zeug flicken will und Dich im Visier hat.“
„Fragt sich nur, warum. Ich hab keiner Fliege was zuleide getan.“
„Aber Du fertigst zuweilen Unfall-Gutachten für die Staatsanwaltschaft an und bist vor Gericht als Sachverständige zugelassen. Was, wenn ein Gutachten von Dir Jemanden schwer belastet hat und der vielleicht sogar in den Knast deswegen ging. Dann hätte der ein Motiv.“
„Da fällt mir spontan nur Volker Reimers ein. Der hat versucht, seine Ex platt zu fahren und ich konnte beweisen, dass es kein Unfall, sondern versuchter Mord war. Aber der sitzt noch im Knast.“
„Nee.“
„Nicht?“
„Nee. Da hat Jemand sehr lange Arme. Reimers wurde in seiner Zelle in der JVA mit durchschnittener Kehle aufgefunden. Auf seiner Stirn klebte ein Post-It mit einem Gruß im Namen seiner Ex.“
„Aua. Und woher weißt Du das? Ist das einer Deiner Fälle?“
„Nee. Aber ich hab die zuständige Ermittlerin letztes Jahr auf einer Tagung in Düsseldorf kennen gelernt und ihr ins Höschen geguckt.“
„Ops? Weiß Deine Denise das?“
„Sicher. Sie hat Renate auch ins Höschen geguckt. War ein schöner Dreier.“
„Erspar mir die Details, bitte. Zumindest jetzt und hier. Bettgeschichten machen mich grundsätzlich an und mein Kopfkino funktioniert erstaunlich gut.“
„Du meinst, Du schmorst dann im eigenen Saft?“
„Jou und unterm Overall trag ich Feinripp. Das wirkt wie’n Schnellkochtopf.“
„Riecht bestimmt toll, wenn Du den Overall dann ausziehst. Deine Tanja kann sich glücklich schätzen.“
„Öh, Ladies. Denkt Ihr bitte dran, dass ich auch hier bin? Ist ja schon schlimm genug, dass Ihr zwei so heiße Bräute, aber leider lesbisch, seid. Da müsst Ihr mich nicht auch noch mit so etwas quälen.“
„Heiße Bräute?“
Charlotte und Nadja sahen Thomas verwundert an.
„Hast Du grad wirklich über Nadja und mich gesagt, wir wären heiße Bräute?“
„Euch würd ich sicher nicht von der Bettkante schubsen.“
„Dann bedank Dich bei Peter und Markus. Die haben mir nach Julius endgültig den Spaß an Männern verdorben.“
„Du bist nicht durch und durch lesbisch?“
„Nee. Ich bin ursprünglich bi, aber Deine Artgenossen haben mich durch ihr Wirken in die lesbische Ecke gedrängt und mir guckt kein Kerl mehr ins Höschen. Und das gilt sogar für Dich. Du bist ein feiner Kerl und siehst gut aus, aber schon beim Gedanken schüttelt es mich.“
„Wir sind uns zehn Jahre zu spät begegnet, hm?“
„So ungefähr. Also träum ruhig von mir. Aber mach Dir keine Hoffnung.“
„Da mach Dir mal keine Sorgen. Wenn ich Laura erzähle, was ich mir mit Dir vorstelle, geht sie ab wie Schmitz’ Katze und ich komme nicht zu kurz. Also alles gut.“
„Du erzählst Deiner Frau, wie Du Dir vorstellst, es mit mir zu treiben?“
„Sicher. Die würde Dir ohne zu zögern an die Wäsche gehen. Sie kann sich das bildhaft vorstellen und bekommt dann mächtig Druck auf dem Kesselchen.“
„Das Sommerfest vor zwei Jahren?“
„Jou. An diesem Abend kam wieder Leben in unser Schlafzimmer. Sie war auf Dich geil wie Nachbars Lumpi und als sie merkte, dass auch ich auf Dich stehe, hat sie mich förmlich zerlegt. Du warst und bist eine tolle Therapie für unsere Ehe.“
„Aua. Ich muss hier raus.“