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ОглавлениеTanjas geliebte Nakky
11. Mai 2047, 14:25 Uhr, Porta Westfalica / Minden-Lübbecke: Hans Burgmeister fuhr von Süd-West kommend mit seinem schweren SUV viel zu schnell über die Mindener Straße, bog mit quietschenden Reifen nach links in den Postillionweg ein, verlor für einen Moment die Kontrolle über seinen Wagen und rammte auf Höhe der Hausnummer 2 ein dort abgestelltes Auto am Heck.
Der Wagen, welchen er rammte, war ein schnittiges Coupe vom Typ Opel Nakkita GTC, welches vor allen bei jungen Frauen sehr beliebt war und fiel durch seine ungewöhnliche Lackierung auf, weil er in Türkis mit Perlmutt-Effekt lackiert war.
„Scheiße!“
Burgmeister überlegte einen Moment, einfach weiter zu fahren, dann dachte er, dass mit Sicherheit irgendein Anwohner den Knall gehört haben könnte. Wenn der dann den Besitzer des Nakkita kannte und diesen verständigte, könnte es laut werden, denn auf der schwarzen Heckscheibe des Wagens klebte in gelber Schrift eine deutliche Warnung:
Halt Abstand!
Verbeulst Du meine Nakkita,
verbeule ich Dein Gesicht!
Der Wagen war zweifelsohne getunt, mit teuren Alufelgen, großem Heckspoiler, verbreiterten Kotflügeln und passte in seiner Erscheinung zu einem hitzköpfigen, jugendlichen Autonarr, welcher an den Wochenenden in den Bars und Clubs auf Beutefang ging. Solche Leute hatten den Ruf erst zuzuschlagen und darauf wollte Burgmeister es nicht ankommen lassen.
Vor allen, weil er das bereits erlebt hatte. Ein paar Jahre zuvor war er ebenfalls mit viel zu hoher Geschwindigkeit in ein dicht besiedeltes Wohngebiet gefahren, weil Zeit ja schließlich Geld war. Er musste in die Siedlungen, weil er biometrische Schließanlagen für Häuser und Wohnungen an Privatleute verkaufte und dabei stand er ständig unter Zeitdruck, weil er nur mäßig erfolgreich war, also die Masse es bringen musste.
Kaum hatte es damals gescheppert, flog schon eine Haustür auf und im nächsten Augenblick zerrte ihn ein durchtrainierte Kerl Anfang Zwanzig aus dem Auto. Der schlug erst zu, verpasste Burgmeister einige harte Faustschläge und gestaltete sein Gesicht um. Burgmeister war sich sicher, dass der Kerl ihn tot geprügelt hätte, wäre nicht die von einem Anlieger gerufene Polizei dazwischen gegangen.
Also überlegte er, dass es besser wäre dem vermuteten Zeugen zuvor zu kommen und rief die Polizei, um den Unfall ordentlich aufnehmen zu lassen. In Gegenwart der Polizisten würde auch der Geschädigte sich im Zaum halten und ihm nicht aufs Ohr hauen.
Missmutig stellte er den Motor seines Wagens ab, stieg aus und besah sich die Bescherung, machte dabei Fotos mit seinem Smartphone für die Versicherung. Sein Wagen war vorne rechts am Kotflügel eingedrückt und der rechte Scheinwerfer hatte sich in seine Einzelteile aufgelöst. Der Nakkita indes war schwer beschädigt. Die Heckschürze war abgerissen und – weil der Kunststoff schon einige Jahre auf dem Buckel hatte, der Weichmacher daraus verschwunden war – in zahlreiche Teile zersplittert. Darüber hinaus war der linke Kotflügel zerdrückt, die Verbreiterung lag auf dem Asphalt und die 17-Zoll-Felge zeigte einen frischen, breiten Riss. Aber damit nicht genug… die Rückleuchte war gleichfalls zerstört und in der Heckscheibe zeigte sich ein großer Sprung.
‚Panzer gegen Seifenkiste,‘ dachte Burgmeister und versuchte den Schaden einzuschätzen, als ein Streifenwagen in die Straße einbog und sich langsam näherte.
„Guten Tag,“ sprach ihn der Fahrer des Streifenwagens an, „dumm gelaufen, hm? Was ist passiert?“
„Ich kam von der Mindener-Straße, musste niesen und verlor für einen Moment die Kontrolle,“ antwortete Burgmeister und machte eine hilflose Geste, um seine Unschuld zu betonen.
„Aha. Dann darf ich mal um Führerschein, Fahrzeugschein und Versicherten-Karte bitten.“
Die Kollegin des Polizisten, Roswitha Schleimer, betrachtete indes die Unfallstelle, machte Fotos für den Unfallbericht und ermittelte anhand des Kennzeichens mittels eines kurzen Telefonats den Halter des Nakkita.
Während Polizeiobermeister Wulfrad sich mit dem Papierkram beschäftigte, eine Unfallskizze anfertigte und die Personalien Burgmeisters aufnahm, sah Schleimer sich kurz um und ging dann zu Haus Nummer 4.
„Guten Tag. Schleimer von der Polizei. Ist Frau Tanja Sorg im Haus?“ fragte sie die angegraute Mittfünfzigerin, welche die Tür öffnete.
„Tanja? Hat sie was angestellt? Einen Moment bitte. Tanja arbeitet Nachtschicht und schläft.“
„Danke. Und angestellt hat sie nichts. Aber ihr Wagen wurde beschädigt.“
„Was?! Meine Nakky ist kaputt?“ rief eine brünette, zierliche Mittdreißigerin, welche in diesem Augenblick aus einem der Zimmer kam, weil das Klingeln an der Tür sie geweckt hatte.
„Sie sind Tanja Sorg?“
„Ja, die bin ich. Was ist passiert?“
„Ich denke, Sie ziehen sich etwas an und kommen bitte mal raus zu Ihrem Wagen.“
„Oh, ja,“ sagte Tanja und blickte an sich herab. Sie trug lediglich ein verspieltes Negligee aus halbtransparentem Stoff in Türkis und ein dazu passendes Höschen. Insgesamt war sie in Schleimers Augen sehr appetitlich und diese konnte sich angenehmeres vorstellen, als das niedliche Ding mit ihrem beschädigten Auto konfrontieren zu müssen.
-*-
„Was? Wegen diesem Püppchen…“ entfuhr es Burgmeister schnaubend und dann schluckte er den Rest dessen, was er auf der Zunge hatte, runter.
„Wie bitte?“ fragte Wulfrad.
„Nichts. Ich hab nur laut gedacht.“
„Ah. O.k. So wie das aussieht, Herr Burgmeister, waren Sie zu schnell unterwegs. Hätten Sie sich an die vorgeschriebenen 30 km/h gehalten, hätten Sie keinen Totalschaden produziert und diesbezüglich werden Sie noch von uns hören.“
„Totalschaden? Was soll das denn heißen?“
„Na. Vorsichtig geschätzt, werden die Reparaturen mit rund 3.000 Euro zu Buche schlagen. Aber der Nakkita ist laut Zulassung schon 14 Jahre alt und sein Zeitwert entsprechend niedrig. Für die Versicherung ist das ein wirtschaftlicher Totalschaden und in Ihrem Fall schwere Sachbeschädigung.“
„Sachbeschädigung? Das war ein Unfall. Ich musste niesen.“
„Sicher. Wenn Sie gestatten, lese ich mal eben das Geotracking Ihres Wagens aus. Sie haben doch sicher nichts dagegen, oder? Ich meine… Muss ich Ihren Wagen zwecks Spurensicherung konfiszieren, oder kooperieren Sie?“
Burgmeister wurde bewusst, dass der Polizist ihn am Haken hatte und die ganze Angelegenheit ein Nachspiel haben würde, weil das System seines Wagens natürlich jeden Meter seines Weges samt Geschwindigkeitsangaben protokollierte und man ihm daraus einen Strick drehen würde. Deshalb beschloss er zu kooperieren und dem Polizisten nicht noch mehr Anlass zu geben, ihm in den Hintern zu treten.
„Was haben Sie gemacht?!“ fuhr Tanja ihn mit Tränen in den Augen an, „Meine Nakky, Sie haben meine Nakky kaputt gemacht! Warum? Waren Sie zu schnell, oder sind Sie besoffen?“
„Ihre Nakky? Alte aufgemotzte Karre, eher,“ raunzte Burgmeister absolut nicht empathisch für die Gefühle der Frau.
„Meine schöne Nakky,“ sagte Tanja immer wieder und Tränen kullerten über ihre Wangen. Schleimer hätte sie in diesem Augenblick am liebsten in die Arme genommen, um sie zu trösten und lieb zu haben, so leid tat ihr das Püppchen.
„So leid es mir tut, Frau Sorg… ich fürchte, das ist ein Totalschaden.“
„Vierzehn Jahre… vierzehn Jahre und nie auch nur ein Kratzer und jetzt… kaputt,“ Tanjas Stimme brach und sie begann herzzerreißend zu weinen, sodass Schleimer sie an der Hand nahm und zurück ins Haus führte.
„Kümmern Sie sich bitte um Ihre Tochter? Ihr geht es gerade nicht wirklich gut.“
„Ist es so schlimm? Sie liebt ihren Wagen.“
„Leider ja, Frau Sorg. So wie es aussieht, ist es ein Totalschaden und die Versicherung wird lediglich den Zeitwert erstatten.“
-*-
Wulfrad hatte Burgmeister schließlich fahren lassen. Zuvor hatte er das System des SUV ausgelesen, einen Unfallbericht ausgefüllt, von Burgmeister unterschreiben lassen, ihn dazu gedrängt in seiner Gegenwart seine Versicherung vom Schaden zu informieren und den Mann darüber informiert, dass er Strafantrag stellen würde.
Das Team saß bereits wieder im Streifenwagen, als Schleimer noch etwas einfiel und sie die Tür wieder öffnete.
„Ich muss nochmal kurz zu Frau Sorg. Rauch ne Zigarette und trink Deinen Kaffee. Es dauert einen Moment,“ sagte sie und ging zurück zum Haus.
„Mir ist da eben etwas eingefallen, Frau Sorg.“
„Was?“ fragte Tanja, welche mit verweinten Augen fürchterlich gequält aussah und sich offenbar kaum beruhigen konnte.
„Im Flurweg in Barkhausen ist eine Autowerkstatt, welche auf Opel spezialisiert ist. Die Besitzerin ist auch leidenschaftliche Nakkita-Fahrerin und ich bin sicher, sie wird Ihnen einen guten Preis machen.“
„Sie meinen für die Reparatur? Sie sagten doch, das ist ein Totalschaden.“
„Sicher. Wirtschaftlich… Wissen Sie, die Versicherung wird Ihnen den Zeitwert des Wagens, wohl höchstens 2.000 Euro erstatten und von Rechts wegen gehört das Auto dann denen. Aber die Versicherungen bestehen üblicherweise in dieser Preisklasse nicht darauf das Fahrzeug in Besitz zu nehmen, weil sie es teuer verschrotten müssten. Also können Sie das Geld verwenden, um den Schaden beheben zu lassen und können Ihre Nakky weiter fahren.“
„Aha? Und warum sollte diese Frau mir einen guten Preis machen?“
„Weil sie eine gute Freundin ist und ein großes Herz für Mädchen hat. Hier, nehmen Sie die Visitenkarte. Ich hab auf die Rückseite einen Gruß für sie geschrieben.“