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1. Kapitel Einleitung: Vom Nutzen einer einheitlichen Darstellung des „Fiskalstrafrechts“ › A. Der Ruf nach mehr Fiskalstrafrecht

A. Der Ruf nach mehr Fiskalstrafrecht

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Parallel zu diesen Forderungen nach Sparmaßnahmen ist der Ruf nach „mehr Strafrecht“ zum Schutz der öffentlichen Haushalte, nach mehr Fiskalstrafrecht, laut geworden. So hat der Bund der Steuerzahler im Mai 2013 eine Broschüre mit dem Titel Verschwendung von Steuergeldern bestrafen herausgegeben, der ein Gutachten von Schünemann aus dem Jahr 2011[1] zugrunde liegt. Hier wurde ein neuer § 349 StGB vorgeschlagen, der die „Haushaltsuntreue“ in einer eigenständigen Strafvorschrift mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bedroht und dabei auf ein tatbestandliches Schadenserfordernis verzichtet. Ob staatliches Sparen die richtige Maßnahme in Zeiten stagnierender wirtschaftlicher Entwicklung ist, muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Die Vermeidung unsinniger oder gar rechtswidriger Ausgaben ist jedoch fraglos eine grundlegende Verpflichtung eines Rechtsstaates in jeder Haushaltslage. Solche fehlgeleiteten Ausgaben stören die Belastungsgleichheit und damit den Rechtsfrieden. Nicht nur die Sicherung der finanziellen Basis und damit der Lebensgrundlage eines modernen demokratischen Staates erfordert die Bekämpfung von Angriffen auf die öffentlichen Haushalte, sondern letztlich gebieten dies auch die Grundrechte und andere Verfassungsprinzipien. Ein Rechtsstaat darf von seinen Bürgern nur die Zahlung von Steuern und Abgaben verlangen, wenn dieses vermeintliche Opfer allen Bürgern und juristischen Personen im Sinne des Gleichheitssatzes mit Blick auf ihre Leistungsfähigkeit gleichmäßig abverlangt wird; ansonsten wird die Steuer zum Sonderopfer, dessen Legitimation mit Blick auf Art. 3 GG schwer fällt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts[2] gilt dieses Gebot der Belastungsgleichheit nicht nur für die Steuergesetzgebung und Steuerfestsetzung, sondern auch für die Steuererhebung einschließlich des Vollzugs. Damit ist die strafrechtliche Sanktionierung von Steuerhinterziehungen und anderen Angriffen auf die öffentlichen Haushalte sowie Missbräuchen von Haushaltsmitteln durch die materielle Gerechtigkeit geboten.

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Natürlich besteht kein Anspruch auf Gleichheit im Unrecht, so dass niemand sich darauf berufen kann, ein anderer leiste auch keine Abgaben. Dennoch schwächt mangelnder strafrechtlicher Schutz von Erklärungspflichten und Täuschungsverboten im Interesse der öffentlichen Haushalte die Normakzeptanz (für das Steuerrecht insbesondere die Steuermoral[3]) und Legitimationsbasis der staatlichen Finanzierung.[4] Belastungsungleichheit führt zwangsläufig zur Überlastung einzelner und gibt dem Argument, nicht leistungspflichtig zu sein, wenn andere sich ihrer Pflicht entziehen, subjektive Kraft. Mangelnde Sanktion führt nach gesicherten kriminologischen Erkenntnissen zur Neutralisierung von Gebotsnormen.[5] Ein Staat, der seine steuerehrlichen Bürger nicht vor Benachteiligung durch Steuerhinterzieher schützt, schädigt sich am Ende selbst. Er verführt die bisher Steuerehrlichen nämlich dazu, früher oder später ebenfalls Steuern zu hinterziehen. Er fördert auch die Steuer- und Staatsverdrossenheit.[6]

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Dannecker betont – unter Rekurs auf Schünemann[7] – neben der Steuermoral komme auch der Besteuerungsmoral eine wichtige Rolle bei der Erhaltung der Normakzeptanz zu: Zur Besteuerungsmoral gehört auch die sparsame und wirtschaftliche Verwendung der Steuermittel. […] Der Gesetzgeber, der die Steuermittelverschwendung durch Politiker und Beamte nicht als strafwürdig, nicht einmal als ordnungswidrig ansieht, bestimmte Arten von Steuerhinterziehung aber zum Verbrechen erklärt, darf nicht mit Akzeptanz rechnen.[8] Damit wird offenbar, wie eng der Schutz der Steuereinnahmen und die Verhinderung von ungerechtfertigten Ausgaben aus öffentlichen Haushalten soziologisch und (kriminal-)politisch zusammenhängen; sie sind letztlich nicht sinnvoll voneinander zu trennen.

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Für das vorliegende Handbuch soll nicht die politische Frage, sondern die Frage nach der strafrechtlichen Umsetzung der zum Gesetz gewordenen politischen Vorgaben in den Blick genommen werden. Die Haushaltskonsolidierung steht auf zwei Säulen: Der Staat muss neben dem Sparen darauf bedacht sein, Angriffe auf seine Haushalte zu unterbinden. Denn es steht außer Zweifel, dass die Bekämpfung der Steuerhinterziehung […] angesichts der leeren Kassen der öffentlichen Hand hohe politische Priorität erlangt hat, denn der staatliche Finanzbedarf kann im Wesentlichen nur durch Steuern gedeckt werden.[9] Jede Verlagerung von Steuern zu Gebühren führt weg von dem in Art. 20 Abs. 1 GG statuierten Sozialstaat. Die Steuermittel müssen „zusammengehalten“ und gegen unberechtigt ausbleibende Zuflüsse ebenso effektiv geschützt werden wie gegen rechtswidrige Abflüsse.

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Daher sind trotz aller – zum Teil berechtigten – strafrechtsdogmatischen und verfassungsrechtlichen Kritik im folgenden Zusammenhang zwei Aspekte zu bedenken, bevor der Stab über den Gesetzgeber gebrochen und sein zu scharfes Steuerstrafrecht gebrandmarkt oder eine ausufernde Strafbarkeit wegen Schädigungen des Haushalts angeprangert werden: Zum einen ist die deutsche Rechtsordnung einem erheblichen Druck aus der Europäischen Union ausgesetzt, der Umgehung[10] und Hinterziehung und dem Steuerbetrug mit verhältnismäßigen, aber wirksamen und abschreckenden Maßnahmen entgegenzutreten. Der Umfang, in dem die Europäische Union in die Steuerrechtssysteme ihrer Mitgliedstaaten einwirkt und damit mittelbar auch Druck auf das nationale Strafrecht ausübt, wird an Entscheidungen des EuGH wie Italmoda[11] unübersehbar deutlich. Entsteht der Eindruck von Nachlässigkeit bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung oder Missbrauch von Haushaltsmitteln, so könnte sich die Europäische Union veranlasst sehen, auf die – nach mittlerweile h.M.[12] – bestehende originäre strafrechtliche Gesetzgebungskompetenz gegen Steuerhinterziehung und Betrug zum Nachteil öffentlicher Haushalte nach Art. 325 AEUV zurückzugreifen. Ob das wünschenswert ist, soll hier offenbleiben.

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Dass die Europäische Kommission die Betrugsbekämpfung zum Nachteil der EU als eine Kernaufgabe der Union ansieht, wird durch die zum 17.8.2017 in Kraft getretene Richtlinie (EU) 2017/1371 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.7.2017 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug[13] deutlich. Hier werden den Mitgliedstaaten für die Bestrafung der Hinterziehung von Unionssteuern ebenso Vorgaben in Form von Mindesthöchstfreiheitsstrafen gemacht wie für die Sanktionierung von Subventionsbetrug, Haushaltsuntreue, Korruptionstaten oder Geldwäsche (vgl. 2. Kap. Rn. 16). Zudem wurde mit der Europäischen Staatsanwaltschaft eine neue europäische Institution der Strafverfolgung geschaffen (VO [EU] 2017/1939),[14] die in grenzüberschreitenden und schwerwiegenden Fällen solcher Delikte tätig werden und eine effektive und einheitliche Strafverfolgung garantieren soll.

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Zum anderen darf nicht vergessen werden, dass Steuerhinterziehung nach vorsichtigen Schätzungen allein in Deutschland jährlich einen Schaden von 30 Mrd. € verursacht.[15] Eine Schätzung der NGO Tax Justice Network aus dem Jahr 2011 geht sogar von Schäden durch Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit von ca. 215 Mrd. $ aus.[16] Selbst wenn die tatsächlichen Schäden zwischen diesen beiden Werten liegen dürften, wird deutlich, dass bislang die Verfolgung von Steuerumgehungen und Steuerbetrug nicht hinreichend effektiv gewesen ist. Daher ist kaum zu bestreiten, dass sich die Europäische Union ebenso wie die Mitgliedstaaten weiterhin vermehrt bemühen müssen Steuerstraftaten intensiver zu verfolgen. Die Forderung nach einem effektiveren, vielleicht auch schärferen Steuerstrafrecht ist damit plausibel, um das Stigma des Rechtsbruchs deutlich zu machen und gegen die Fehleinschätzung der Steuerhinterziehung als Kavaliersdelikt anzugehen.[17] Dem US-Bundesrichter Oliver Wendell Holmes (1841-1935) wird der Satz zugeschrieben, der am Gebäude der US-Steuerbehörde in Washington DC prangt: Taxes are the price we pay for a civilized society. Diesen Ansatz spiegelt auch eine Aussage Abdirashid Hussein Shires, eines Hoteliers, aus Mogadishu wider: 70 % meiner Einkünfte gebe ich für Sicherheit aus, ich würde gerne Steuern zahlen, wenn ich dafür eine handlungsfähige Regierung bekäme.[18]

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In den letzten Jahren wurden durch die Presse einige schwerwiegende Fälle von Steuerhinterziehung oder Steuervermeidung von bislang unbekanntem Ausmaß aufgedeckt. Die sog. Panama-Papers, Bahamas-Liste und Paradise-Papers haben deutlich gemacht, dass nicht nur Wirtschaftsgrößen und Sportler ihre hohen Vermögen durch Auslandstransfers vor einer Besteuerung in ihren Heimatstaaten zu schützen versucht haben.[19] Folge waren in Deutschland nicht nur Änderungen im Strafrecht und die Einführung des Transparenzregisters im Geldwäschegesetz, auch zur Bekämpfung von Briefkastenfirmen, sondern auch global eine erhöhte Bereitschaft zum Datenaustausch.[20] Wie viel von diesen Maßnahmen Aktionismus ist und welche gesetzgeberischen Maßnahmen sinnvoll und angemessen sind, wird sich erst in Zukunft zeigen und voraussichtlich sehr unterschiedlich bewertet werden.

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Ein staatlich mitverursachtes und durch das Bundesfinanzministerium wohl auch geduldetes Problem waren und sind dagegen die massiven Steuerausfälle durch die nicht berechtigte Geltendmachung von Kapitalertragsteuern bei sog. cum-ex-Geschäften und cum-cum-Geschäften. Hierdurch sollen dem Haushalt der Bundesrepublik seit 2001 mindestens 31,8 Milliarden Euro „verloren gegangen“ sein,[21] bis die (angebliche Lücke) im Steuerrecht 2012 geschlossen wurde. Die Wirtschaftswoche berichtete am 22.11.2018 über sog. Cum-fake-Geschäfte, mit denen dem deutschen Fiskus erhebliche Schäden zugefügt worden sein sollen. Hier werden die Strafverfahren zeigen, welche strafrechtlichen Konsequenzen diese Formen des Gestaltungsmissbrauchs haben.

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