Читать книгу Armadale - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 10

Erster Band
Zehntes Kapitel

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Die ersten frischen Lüfte des anbrechenden Tages zogen durch das offene Fenster herein, als Mr. Brock die letzten Zeilen des Bekenntnisses las. Schweigend und ohne aufzublicken legte er dasselbe fort. Die erste Erschwerung, welche die Entdeckung seinem Gemüthe verursacht hatte, war jetzt Vorüber. In seinem Alter und bei seiner Gewohnheit zu denken war sein Geist nicht stark genug, um die Enthüllung sofort in ihrem ganzen Umfange zu erfassen. Wie er das Manuscript beenden, war sein ganzes Herz mit der Erinnerung an das Weib beschäftigt, welches die geliebte Freundin seiner späteren und glücklicheren Lebensjahre gewesen war; alle seine Gedanken richteten sich auf den unseligen Betrug, den sie gegen ihren Vater gespielt und welchen der Brief ihm jetzt enthüllt hatte.

Das Erzittern des Tisches unter einer schwer auf denselben herabsinkenden Hand entriß ihn dem Sinnen über seinen eigenen kleinen Kummer. Ein lebhaftes unwillkürliches Widerstreben war in ihm rege, doch überwand er dasselbe und blickte empor. Dort, in dem Zwielicht der gelben Kerzenlampe und der matten, grauen Dämmerung des anbrechenden Tages, stand schweigend der Ausgestoßene aus der Dorfschenke vor ihm – der Erbe des unglückseligen Namens Armadale.

Mr. Brock schauderte, wie der Anblick des Mannes ihm plötzlich die Angst vor der Gegenwart und die noch größere Angst vor der Zukunft wieder vor die Seele führte. Der Mann bemerkte dies und ergriff zuerst das Wort.

»Blickt das Verbrechen meines Vaters Ihnen etwa aus meinen Augen entgegen?« frug er. »Ist das Gespenst des Ertrunkenen mir bis in dies Zimmer nachgefolgt?«

Der Schmerz und die Leidenschaft, die er zu unterdrücken strebte, machten die Hand zittern, die noch immer auf dem Tische lag, und erstickten fast die Stimme, die bis zum Flüstern herabsank.

»Ich wünsche nicht, Sie anders als gerecht und rücksichtsvoll zu behandeln «, erwiderte Mr. Brock. »Lassen Sie mir Ihrerseits Gerechtigkeit widerfahren, indem Sie mir nicht die Grausamkeit zuschreiben, die darin liegen würde, wenn ich Sie für das Verbrechen Ihres Vaters verantwortlich hielte.«

Diese Antwort schien ihn zu beruhigen. Er neigte schweigend das Haupt und nahm das Bekenntniß vom Tische auf.

»Haben Sie dies durchgelesen?« fragte er ruhig.

»Von Anfang bis zu Ende.«

»Habe ich bis hierher offen gegen Sie gehandelt? Hat Ozias Midwinter —«

»Geben Sie sich noch immer diesen Namen«, unterbrach ihn Mr. Brock, »jetzt, da Ihr wahrer Name mir bekannt ist?«

»Seitdem ich das Bekenntniß meines Vaters gelesen«, war die Antwort, »gefällt mir mein häßliches Alias besser denn je. Erlauben Sie mir, die Frage zu wiederholen, die ich soeben an Sie zu richten im Begriff war: Hat Ozias Midwinter bis hierher sein Möglichstes gethan, um Mr. Brock über ihn aufzuklären?«

Der Pfarrer wich einer directen Antwort aus. »Wenige Männer in Ihrer Lage würden den Muth gehabt haben«, sagte er, »mir jenen Brief zu zeigen.«

»Bilden Sie sich keine zu gute Meinung über den Vagabonden, den Sie in einer Dorfschenke gefunden haben, Sir, bis Sie etwas mehr über ihn wissen als Ihnen bis jetzt von ihm bekannt ist. Sie sind mit dem Geheimnisse meiner Geburt, nicht aber mit der Geschichte meines Lebens vertraut. Diese müssen und sollen Sie kennen lernen, ehe Sie mich mit Mr. Armadale allein lassen. Wollen Sie warten und ein wenig ausruhen, oder soll ich Ihnen dieselbe jetzt erzählen?«

»Jetzt«, erwiderte Mr. Brock, noch ebenso weit entfernt wie je, den Charakter des Mannes begriffen zu haben.

Alles, was Ozias Midwinter sagte, alles, was er that, sprach gegen ihn. Er hatte mit einer erzwungenen Gleichgültigkeit, ja fast mit einer Frechheit gesprochen, die jeden abgestoßen haben würde, der ihn hörte. Und jetzt hatte er, anstatt sich an dem Tische niederzulassen und seine Erzählung direct an den Pfarrer zu richten, schweigend und mißmuthig sich nach dem Fenstersitze zurückgezogen. Dort saß er, mit abgewandtem Gesichte; seine Hände schlugen mechanisch die Blätter des Briefes von seinem Vater um, bis er zu der letzten Seite desselben kam. Die Augen auf die Schlußzeilen des Manuscripts heftend und mit einer seltsamen Mischung von Gleichgültigkeit und Trauer in seiner Stimme begann er dann folgendermaßen die versprochene Erzählung:

»Das Erste, was Ihnen über mich bekannt ist«, sagte er, »ist das, was meines Vaters Bekenntniß Ihnen bereits mitgetheilt hat. Er sagt hier, daß ich ein kleines Kind war und schlummernd an seiner Brust ruhte, als er seine letzten Worte in dieser Welt sprach und die Hand eines Fremden dieselben an seinem Sterbebette niederschrieb. Der Name dieses Fremden steht, wie Sie vielleicht bemerkt haben, auf dem Couverte geschrieben: »Alexander Neal, am Signet-Journal in Edinburg angestellt.« Meine erste Erinnerung aus meiner Kindheit ist die an meinen Stiefvater Alexander Neal, wie er mich einst auspeitschte – was ich wahrscheinlich verdient hatte.«

»Haben Sie aus derselben Zeit keine Erinnerung an Ihre Mutter?« frug Mr. Brock.

»Ja; ich erinnere mich, wie sie mir alte abgetragene Kleider gab, den beiden Kindern aus ihrer zweiten Ehe aber schöne neue Kleider kaufte. Auch erinnere ich mich, wie ich von der Dienerschaft wegen meiner schädigen alten Kleider verlacht und dann wieder gezüchtigt wurde, weil ich wüthend geworden und meine alten Kleider zerrissen hatte. Meine nächsten Erinnerungen datieren sich ein paar Jahre später. Ich erinnere mich, wie ich bei Brod und Wasser in der Rumpelkammer eingesperrt war und darüber nachsann, warum nur meiner Mutter und meinem Stiefvater schon mein bloßer Anblick zuwider zu sein schien. Diese Frage war ich bis gestern nie zu beantworten im Stande; doch nachdem ich meines Vaters Brief gelesen habe, ist das Geheimniß gelöst. Meine Mutter wußte, was sich in Wirklichkeit auf dem französischen Holzschiffe zugetragen hatte, und ebenso mein Stiefvater; sie wußten außerdem beide, daß das schmachvolle Geheimniß, das sie so gern jedem lebenden Geschöpfe verborgen hätten, eines Tages zu meiner Kenntniß gelangen müsse. Dies konnte nicht verhindert werden – das Bekenntniß befand sich in den Händen des Testamentsvollstreckers und dort war ich, ein ungezogener Junge, der das Negerblut seiner Mutter im Gesichte und die Leidenschaftlichkeit seines mörderischen Vaters im Herzen trug and ihnen zum Trotz Erbe ihres Geheimnisses war! Ich verwundere mich jetzt nicht mehr über die Peitsche, oder die abgetragenen alten Kleider, oder die Einsperrung bei Brod und Wasser in der Rumpelkammer. Dies alles waren natürliche Strafen, die das Kind für die Sünde des Vaters trafen.«

Mr. Brock warf einen Blick auf das dunkle, verschlossene Gesicht, welches noch immer hartnäckig von ihm abgewendet war. »Ist dies die starre Gefühllosigkeit eines Vagabonden«, frug er sich, »oder die verstellte Verzweiflung eines unglücklichen Menschen?«

»Meine nächste Erinnerung betrifft die Schule«, fuhr der Andere fort. »Eine wohlfeile Anstalt in einem entlegenen Winkel von Schottland. Dorthin steckte man mich, und ein ungünstiger Bericht Seiten meiner Pfleger war die einzige Mitgift, die mir beim Beginne meines Lebenslaufes von ihnen zu Theil wurde. Ich verschone Sie mit der Geschichte der Schläge, die ich von dem Lehrer in der Schulstube, und der Fußstöße, die ich von den Knaben auf dem Spielhofe zu erdulden hatte. Die Undankbarkeit lag vermuthlich in meiner Natur; jedenfalls lief ich davon. Die erste Person, die mir begegnete, fragte mich nach meinem Namen. Ich war zu jung und zu dumm, um denselben zu verhehlen, und ward natürlich noch an demselben Abende nach der Schule zurückgebracht. Der Erfolg brachte eine Lehre für mich mit sich, die ich seitdem nicht vergessen habe. Vagabond, wie ich war, lief ich ein paar Tage später abermals fort. Allein der Hofhund der Schule hatte vermuthlich seine Instructionen erhalten; er hielt mich fest, ehe ich bis ans Thor gelangt war. Hier auf der Rückseite meiner Hand befindet sich unter andern Zeichen auch das seiner Zähne. Die Zeichen, die sein Herr auf mir zurückgelassen, kann ich Ihnen nicht zeigen; dieselben befinden sich alle auf meinem Rücken. Können Sie sich eine Vorstellung von meinem Eigensinne machen? Es lebte ein Teufel in mir, den kein Hund aus mir herauszuschütteln im Stande war; denn sowie ich wieder mein Lager verlassen konnte, rannte ich nochmals fort, und diesmal entkam ich. Gegen Abend befand ich mich, mit einer Tasche voll Hafergrütze die ich im Schulhause entwendet, auf einer Haide und legte mich unter dem Schutze eines großen, grauen Felsens in dem weichen Haidekraut nieder. Glauben Sie etwa, daß ich mich einsam fühlte? Wahrlich, nein! Ich war den Stockschlägen meines Lehrers, den Fußstößen meiner Schulkameradem meiner Mutter und meinem Stiefvater entwischt, und ich legte mich an diesem Abend als der glücklichste Knabe in ganz Schottland am Fuße meines Freundes, des Felsens, nieder!«

Durch den Einblick in die jammervolle Kindheit, den dieser einzige bedeutungsvolle Umstand zuließ, ward Mr. Brock Manches klar, was ihm bisher an dem Charakter des Mannes, der jetzt zu ihm sprach, unerklärlich gewesen war.

»Ich schlief fest am Fuße meines Freundes, des Felsens«, fuhr Midwinter fort, »und als ich am Morgen erwachte, sah ich an meiner Seite einen derben alten Mann mit einer Geige sitzen, der zwei tanzende Hunde in scharlachrothen Jacken mit sich führte, Die Erfahrung hatte mich zu schlau gemacht, um die ersten Fragen des Mannes der Wahrheit gemäß zu beantworten. Er drang auch nicht weiter in mich, gab mir ein gutes Frühstück aus seinem Ranzen und ließ mich mit den Hunden spielen. Nachdem er hierdurch mein Vertrauen gewonnen, redete er mich von neuem also an. »Ich will Dir etwas sagen. Du bedarfst dreier Dinge, mein kleiner Mann; eines neuen Vaters, neuer Geschwister und eines neuen Namens. Ich will Dein Vater sein; die Hunde will ich Dir zu Brüdern geben, und wenn Du mir versprechen willst, dieselben wohl in Acht zu nehmen, so sollst Du auch meinen Namen haben. Ozias Midwinter junior, Du hast ein gutes Frühstück genossen; verlangt es Dich nach einem guten Mittagessen, so komme mit mir!« Er stand auf, die Hunde trabten ihm nach, und ich folgte den Hunden. Wer war mein neuer Vater? werden Sie fragen. Ein halber Zigeuner, Sir, ein Trunkenbold, ein Raufbold und ein Dieb – und der beste Freund, den ich je besessen! Ist nicht der Mann, der uns unsre Nahrung, unser Obdach und unsre Erziehung giebt, unser Freund? Ozias Midwinter lehrte mich den Highland-Fling tanzen, Purzelbäume schlagen, auf Stelzen gehen und Lieder zu seiner Geige singen. Zuweilen strichen wir im Lande umher und ließen uns auf den Jahrmärkten hören und sehen; zuweilen versuchten wir es in großen Städten und unterhielten schlechte Gesellschaften bei ihren Trinkgelagen. Ich war ein hübscher, lustiger, kleiner Knabe von elf Jahren, und die schlechte Gesellschaft – namentlich die Weiber – fand Gefallen an meinen gewandten Füßen. Ich war Vagabond genug, um Behagen an dieser Lebensweise zu finden. Die Hunde und ich lebten zusammen – wir aßen und tranken und schliefen zusammen. Ich kann jener armen, kleinen, vierfüßigen Brüder selbst jetzt nicht ohne ein Gefühl der Wehmuth gedenken. Wir haben manche Tracht Schläge erhalten, haben manchen Tag mühseligen Tanzens mit einander verlebt, manche Nacht mit einander auf dem kalten Erdboden geschlafen und gewinselt. Ich wünsche nicht, Sie zu betrüben, Sir; ich erzähle Ihnen bloß die Wahrheit. Trotz allem Mühsale war dies ein Leben, das mir zusagte, und der Raufbold und halbe Zigeuner, der mir seinen Namen gab, war ein Mensch, den ich lieb hatte.«

»Ein Mensch, der Sie schlug!« rief Mr. Brock erstaunt.

»Habe ich Ihnen nicht gesagt, Sir, daß ich mit den Hunden zusammen lebte? und haben Sie je von einem Hunde gehört, der seinen Herrn weniger liebte, weil dieser ihn schlug? Hunderte und Tausende von Männern, Weibern und Andern würden jenen Menschen geliebt haben, wie ich ihn liebte, wenn er ihnen gegeben, was er mir gab – das heißt, genug zu essen. Es war meistens gestohlenes Gut, und mein neuer Zigeunervater war freigebig mit demselben. Wenn er nüchtern war, traktierte er uns selten mit dem Stocke; doch in der Trunkenheit belustigte es ihn, uns schreien zu hören. Er starb im Rausche und genoß seine Lieblingsunterhaltung noch, wie er seinen letzten Athemzug that. Eines Tages – ich war etwa zwei Jahre in seinem Dienste gewesen – setzte er sich, nachdem er uns auf der Haide ein gutes Mittagessen gegeben, mit dem Rücken an einen Felsblock gelehnt, nieder, und rief uns zu sich, um sich mit seinem Stocke seine gewohnte Unterhaltung zu verschaffen. Zuerst machte er die Hunde heulen und dann rief er mich zu sich. Ich ging nicht sehr bereitwillig, denn er hatte mehr als gewöhnlich getrunken, und je mehr er trank, desto größeren Genuß gewährte ihm diese Unterhaltung. Er war an diesem Tage in vortrefflicher Laune, und er traf mich so kräftig, daß er, in seinem Zustande der Trunkenheit, durch die Gewalt seines Schlages niedergeworfen ward. Er fiel mit dem Gesichte in eine Pfütze und blieb dort regungslos liegen. Ich und die Hunde standen in einiger Entfernung und sahen nach ihm hin; wir glaubten, er verstelle sich, damit wir herangingen und er uns nochmals prügeln konnte. Allein er verstellte sich so lange, daß wir uns endlich zu ihm heran wagten Es währte einige Zeit, ehe ich ihn herum legen konnte, denn er war ein schwerer Mann. Als es mir endlich gelang, war er bereits todt. Wir erhoben ein so lautes Geschrei wie möglich; doch die Hunde waren klein, und ich war klein, und es war ein entlegener, einsamer Ort; kurz es kam keine Hilfe. Ich nahm seine Geige und seinen Stock und sagte zu meinen beiden Brüdern: »Kommt, wir müssen uns jetzt unsern Lebensunterhalt verdienen.« Schweren Herzens gingen wir von dannen und ließen ihn auf der Haide liegen. Es mag Ihnen unnatürlich erscheinen – aber ich trauerte um ihn. Ich behielt seinen häßlichen Namen auf allen meinen späteren Wanderschaften bei und habe noch genug von dem alten Geist in mir, um an dem Klang desselben noch immer Gefallen zu finden. Midwinter oder Armadale – das ist jetzt alles einerlei – wir wollen davon später sprechen; vorher müssen Sie noch das Schlimmste von mir erfahren.«

»Warum nicht das Beste von Ihnen?« sagte Mr. Brock sanft.

»Ich danke Ihnen, Sie, aber ich bin hier, um die Wahrheit zu reden. Wir wollen jetzt, wenn es Ihnen gefällt, zu dem nächsten Kapitel in meiner Geschichte übergehen. Die Hunde und ich machten nach dem Tode unseres Herrn schlechte Geschäfte – das Glück war gegen uns. Ich verlor einen meiner kleinen Brüder, den besten Tänzer der beiden; er wurde mir gestohlen, und ich fand ihn niemals wieder. Dann nahm mir ein Landstreicher, der kräftiger war als ich, mit Gewalt meine Geige und meine Stelzen ab. Diese Unglücksschläge knüpften Tommy und mich – ich bitte um Vergebung, Sir, ich meine den Hund – immer fester an einander. Ich denke mir, wir hatten beide eine unbestimmte Ahnung, daß unser Unglück noch nicht aus sei; jedenfalls währte es nicht lange, bis wir auf immer von einander getrennt wurden. Wir waren zwar keine Diebe, denn unser Herr hatte sich damit begnügt, uns tanzen zu lehren; dessen ungeachtet machten wir uns beide einer Eigenthumverletzung schuldig. Junge Geschöpfe, selbst wenn sie halb verhungert sind, können zuweilen nicht der Versuchung widerstehen, eines schönen Morgens einen Wettlauf zu halten. Tommy und ich rannten in die Baumanlagen eines vornehmen Herrn; der Herr gab viel auf sein Wild, und der Jäger des Herrn kannte seine Pflicht. Ich hörte den Knall einer Flinte – dass Uebrige können Sie errathen. Gott verhüte, daß ich je wieder solchen Jammer fühle, wie in dem Augenblicke, da ich neben Tommy, lag und ihn todt und blutend in meinen Armen hielt! Der Jäger versuchte, uns zu trennen – ich biß ihn, wie ein wildes Thier, wofür er zunächst seinen Stock an mir probierte – er hätte ihn ebenso gut an einem Baume versuchen können. Der Lärm drang bis zu den Ohren zweier jungen Damen, die in der Nähe ritten – die Töchter des Herrn, in dessen Eigenthum ich eingedrungen war. Sie waren zu wohlerzogen, um ihre Stimmen gegen das heilige Recht des Wildschutzes zu erheben; aber sie waren gutherzige Mädchen; sie bemitleideten mich und nahmen mich mit sich nach Hause. Ich erinnere mich, wie die Herren des Hauses, die alle leidenschaftliche Jäger waren, ein helles Gelächter aufschlugen, als ich, meinen kleinen todten Hund in den Armen, weinend an dem Fenster vorüberging. Denken Sie nicht, daß ich mich über ihr Gelächter beklage; dasselbe leistete mir gute Dienste – es erweckte die Entrüstung der beiden Damen. Die eine derselben führte mich in ihren eignen Garten und zeigte mir eine Stelle, wo ich meinen Hund unter den Blumen begraben könne, ohne befürchten zu müssen, daß er je von andern Händen gestört werde Die andere ging zu ihrem Vater und überredete ihn, dem verlassenen kleinen Vagabonden unter einem der oberen Diener im Hause eine Gelegenheit zur Verbesserung seiner Lage zu geben.

Ja! Sie sind in der Gesellschaft eines Mannes umhergesegelt, der einst ein Bedienter war! Ich sah, wie Sie mich anblickten, als ich Mr. Armadale an Bord der Jacht durch mein Tischdecken belustigte; jetzt begreifen Sie, wie es kam, daß ich dies so ordentlich zu thun im Stande war und nichts dabei vergaß. Ich habe das Glück gehabt, einiges von der Gesellschaft zu sehen; ich habe geholfen, derselben den Magen zu füllen und die Stiefel zu putzen Meine Erfahrungen in der Bedientenstube waren jedoch nicht von langer Dauer. Ehe ich noch meine erste Livree abgetragen hatte, Ward ein Diebstahl im Hause begangen. Es war die alte Geschichte, und es ist unnöthig, dieselbe zum tausendsten Male zu erzählen. Es hatte Jemand Geld auf einem Tische liegen lassen und dasselbe dort nicht wiedergefunden; die ganze Dienerschaft konnte sich aus Zeugnisse ihrer Ehrlichkeit berufen, der Bedientenjunge ausgenommen, der unvorsichtigerweise zur Probe angenommen worden war. Nun, nun, ich hatte in diesem Hause bis zuletzt Glück, ich wurde nicht verklagt, etwas gestohlen zu haben, das ich nicht nur niemals angerührt, sondern sogar nicht einmal gesehen hatte – ich wurde bloß fortgejagt. Eines Morgens ging ich in meinen alten Kleidern nach der Stelle, wo ich Tommy begraben hatte, küßte das Grab und nahm von meinem kleinen todten Hunde Abschied; dann stand ich wieder in der weiten Welt da. Ich war jetzt bereits dreizehn Jahre alt!«

»Kam Ihnen in dieser Verlassenheit und bei so zartem Alter nie der Gedanke, wieder zur Heimath zurückzukehren?« frug Mr. Brock.

»Ich kehrte noch an demselben Abende nach meiner Heimath zurück, Sir – ich schlief auf dem blanken Erdboden. Welche andere Heimath gab es wohl für mich? In ein paar Tagen sah ich mich wieder in die großen Städte und in die schlechte Gesellschaft zurückgetrieben – die großen öden Gefilde waren mir jetzt so einsam, da ich meine Hunde verloren hatte! Zunächst ward ich von zwei Matrosen aufgegriffen, ich war ein gewandter Bube und erhielt eine Stelle als Kajütenjunge an Bord eines Küstenfahrers, Eine Stelle als Kajütenjunge haben heißt soviel als im Schmutze leben, Unrath essen, die Arbeit eines Mannes auf Knabenschultern tragen und in regelmäßigen Zeiträumen das Tauende auf dem Rücken fühlen. Das Schiff legte in einem Hafen der Hebriden an. Ich war so undankbar wie gewöhnlich gegen meine Wohlthäter – ich lief abermals davon. Einige Frauen fanden mich halb verhungert in den nördlichen Wildnissen der Insel Skye. Es war unsern der Meeresküste, und ich versuchte es zunächst unter den Fischersleuten. Bei meinem neuen Herrn ward ich zwar weniger mit dem Tauende tractirt, allein ich war jedem Wind und Wetter ausgesetzt und hatte Arbeit, die einen Knaben, der nicht wie ich durch ein Vagabondenleben abgehärtet war, getödtet haben würde. Ich kämpfte mich indessen durch alles hindurch, bis der Winter kam, und dann sandten die Fischer mich wieder in die Welt hinaus. Ich tadele sie nicht dafür – es gab wenig Lebensmittel auf der Insel und viele hungrige Mägen. Warum sollten sie, Hungersnoth vor Augen, einen Knaben bei sich behalten, der nicht zu ihnen gehörte? Eine große Stadt war im Winter meine einzige Chance; deshalb ging ich nach Glasgow, und wäre, dort angelangt, fast dem Löwen in den Rachen gefallen. Ich hatte die Aufsicht über einen leeren Karren auf dem Broomielaw übernommen, als ich plötzlich auf der Trottoirseite von dem Pferde, das ich hielt, die Stimme meines Stiefvaters hörte. Er war einem Bekannten begegnet, und zu meinen! Erstaunen und Schrecken unterhielten sie sich von mir. Hinter dem Pferde versteckt, hörte ich genug von ihrem Gespräche, um zu erfahren, daß ich, ehe ich an Bord des Küstenfahrers gegangen, mit genauer Noth der Entdeckung entgangen war. Zu jener Zeit war ich mit einem Vagabonden meines Alters zusammengetroffen, da wir aber Streit mit einander bekommen, hatten wir uns wieder getrennt. Den Tag darauf stellte mein Stiefvater in demselben Districte seine Nachforschungen nach mir an, und da er keine genaue Personenbeschreibung zu erlangen vermochte, war er mit sich uneinig, welchem der beiden Knaben er folgen solle. Der eine, hörte er, sei unter dem Namen Brown, und der andere unter dem Namen Midwinter bekannt. Brown war gerade der gewöhnliche Name, den ein schlauer fortgelaufener Knabe annehmen, Midwinter dagegen ein auffallender Name, den er wahrscheinlich meiden würde. Man hatte deshalb Brown verfolgt und mir dadurch Gelegenheit zum Entkommen gegeben. Ich überlasse es Ihnen, sich zu denken, ob ich danach nicht doppelt und dreifach entschlossen war, den Namen meines Zigeunerherrn beizubehalten. Mein Entschluß ging jedoch noch weiter; ich beschloß, das Land ganz zu verlassen. Nachdem ich ein paar Tage im Hafen umher gelauert, entdeckte ich, welches der fremden Schiffe zuerst absegeln werde, und versteckte mich an Bord desselben. Der Hunger hätte mich fast aus meinem Versteck hervorgetrieben, ehe der Lootse das Schiff verlassen hatte, aber der Hunger war nichts Neues für mich, und ich blieb, wo ich war. Als ich auf dem Verdeck erschien, war der Lootse fort, und es blieb dem Capitän nichts weiter übrig, als mich entweder zu behalten oder über Bord zu werfen. Er sagte. – und ich bezweifle nicht, daß er die Wahrheit sprach – er würde mich lieber über Bord geworfen haben; doch die Majestät des Gesetzes ist zuweilen selbst die Freundin eines Vagabonden wie ich. Aus diese Weise kehrte ich zum Seeleben zurück und lernte genug, um mich auf, Mr. Armadales Jacht nützlich zu machen. Ich machte mehr als eine Reise, in mehr als einem Schiffe, nach mehr als einem Theile der Welt, und ich hätte dieses Leben vielleicht fortsetzen können, wenn es mir möglich gewesen wäre, mir alles und jedes ruhig gefallen zu lassen und mein Temperament zu beherrschen. Ich hatte viel gelernt; doch da ich dies Eine nicht gelernt hatte, mußte ich den letzten Theil meiner letzten Heimfahrt nach Bristol in Eisen zurücklegen; und dort sah ich, der Meuterei gegen einen meiner Vorgesetzten angeklagt, zum ersten Male das Innere eines Gefängnisses Sie haben mich mit außerordentlicher Geduld angehört, Sir, und ich freue mich, Ihnen dafür sagen zu können, daß wir nicht mehr weit von dem Ende meiner Geschichte entfernt sind. Wenn ich nicht irre, so fanden Sie einige Bücher, als Sie in dem Wirthshause in Sommersetshire mein Gepäck durchsuchten?«

Mr. Brock bejahte die Frage.

»Jene Bücher bezeichnen den nächsten Wechsel in meinem Leben, und zwar den letzten bis zu der Zeit, wo ich die Stelle eines Unterlehrers an jener Schule annahm. Meine Gefangenschaft war nicht von langer Dauer. Meine Jugend sprach vielleicht für mich, oder die Magistratsherrn von Bristol zogen möglicherweise den Umstand in Betracht, daß ich schon so lange an Bord des Schiffes in Fesseln gelegen hatte. Wie dem immer sein mochte, als ich wieder in die Welt hinaustrat, war ich eben siebzehn Jahre alt. Ich hatte keine Angehörigen, von denen ich aufgenommen zu werden hoffen durfte; ich hatte keine Heimath. Das Seeleben war nach dem, was ich dabei erfahren, ein Leben, vor dem ich mit Abscheu zurück bebte. So stand ich unter der Menschenmenge auf der Brücke zu Bristol und dachte, was ich nur mit meiner Freiheit anfangen solle, da ich dieselbe jetzt zurückerhalten. Ob in dem Gefängnisse eine Veränderung mit mir vorgegangen war, oder ob ich den Charakterwechsel fühlte, der das herannahende Mannesalter begleitet – ich weiß es nicht; aber das alte leichtsinnige Vergnügen an dem früheren Vagabondenleben schien gänzlich aus meiner Natur gewichen. In einem fürchterlichen Gefühl der Einsamkeit wanderte ich, da mir vor dem freien Felde graute, bis nach Einbruch der Nacht in den Straßen von Bristol umher. Mit jämmerlichem Neide gegen die, welche in den Häusern wohnten, sah ich, wie in den Erdgeschossen derselben die Kerzen angezündet wurden. Ein Wort des Rathes würde in jenem Augenblicke viel für mich werth gewesen sein. Nun, dasselbe ward mir vergönnt: Ein Constabler befahl mir, weiter zu gehen. Er hatte vollkommen Recht – was konnte ich wohl anders thun? Ich schaute zum Nachthimmel empor, und dort sah ich meinen alten Freund von mancher Nachtwache auf dem Wasser her – den Polarstern. »Die Punkte des Compasses sind mir alle einerlei«, dachte ich bei mir; »ich will deiner Richtung nachgehen.« Doch selbst der Stern wollte mir an diesem Abend nicht Gesellschaft leisten. Er verbarg sich hinter einer Wolke und ließ mich im Regen und in der Finsternis; allein. Tastend fand ich den Weg nach einem Karrenschuppen, schlief dort ein und träumte von den alten Zeiten, als ich noch meinem Zigeunerherrn diente und mit den Hunden zusammenlebte. O Gott, was würde ich nicht darum gegeben haben, wenn ich beim Erwachen Tommy’s kleine feuchte Schnauze in meiner Hand gefühlt hätte! Doch warum Verweile ich bei diesen Dingen? Warum eile ich nicht lieber dem Ende zu? Sie sollten mich nicht durch so geduldiges Zuhören dazu ermuthigen, Sir.«

Nachdem ich wieder eine Woche lang, ohne Aussicht auf Hilfe, umhergewandert war, befand ich mich eines Tages in den Straßen von Shrewsbury und stierte in die Fenster eines Buchhändlerladens. Es kam ein alter Mann an die Ladenthür; er schaute um sich und erblickte mich. »Sucht Ihr Arbeit?« frug er mich, »und haltet Ihr Euch nicht zu gut, um es billig zu thun?« Die Aussicht auf Beschäftigung und auf die Gelegenheit, ein Wort mit einem menschlichen Wesen reden zu können, verlockte mich und ich übernahm ein schmutziges Tagewerk in einer Buchhändlerniederlage für einen Schilling. Ich erhielt noch mehr Arbeit dieses Schlages. Nach einer Woche ward ich dazu befördert, den Laden auszukehren und die Fensterläden zu schließen; bald darauf wurden mir die Bücher zum Austragen anvertraut, und als das Vierteljahr zu Ende war und der Ladendiener seine Stelle verließ, erhielt ich dieselbe. »Erstaunliches Glück!« werden Sie sagen; denn hier hatte ich endlich den Weg zu einem Freunde gefunden. Ich hatte den Weg zu einem der unbarmherzigsten Geizhälse in ganz England gefunden und mich durch ein ganz einfaches commercielles Verfahren in der kleinen Welt von Shrewsbury emporgearbeitet, indem ich meine Dienste wohlfeiler gab, als alle meine Mitbewerber. Die Arbeit in der Niederlage war von allen Leuten der Stadt, die gerade beschäftigungslos waren, ausgeschlagen worden – und ich übernahm dieselbe. Der regelmäßig angestellte Markthelfer nahm seinen armseligen Wochenlohn unter allwöchentlichem Protest in Empfang; ich dagegen begnügte mich mit zwei Schillingen weniger und erhob keine Klage. Der Ladendiener sagte seinem Herrn den Dienst auf, weil er nicht allein zu schlecht besoldet, sondern auch zu schlecht beköstigt wurde. Ich erhielt die Hälfte seines Gehalts und ernährte mich von den spärlichen Brocken, die mir mein Herr zukommen ließ. Noch nie paßten zwei Menschen besser für einander, als jener Buchhändler und ich! Sein einziger großer Lebenszweck ging dahin, Jemand zu finden, der bereit war, seine Arbeit für Hungerlohn zu thun; mein einziger Lebenszweck, Jemanden zu finden, der mir ein Obdach geben wollte. Ohne ein einziges Gefühl mit einander gemein zu haben; ohne daß überhaupt irgendein Gefühl, ob der Feindschaft oder Freundschaft, zwischen uns erwuchs; ohne einander abends an der Haustreppe Gute Nacht, oder morgens am Ladentische Guten Morgen zu wünschen – lebten wir, von Anfang bis zu Ende einander fremd, zwei Jahre lang zusammen in jenem Hause. Dies war eine traurige Existenz für einen Burschen in meinem Alter, wie? Sie sind ein Geistlicher und Gelehrter und können deshalb gewiß errathen, was mir jenes Leben erträglich machte.«

Mr. Brock erinnerte sich der zerlesenen Bände, die in der Handtasche des Unterlehrers gefunden worden waren. »Die Bücher machten Ihnen dasselbe erträglich«, sagte er.

Die Augen des Armen funkelten in einem neuen Lichte.

»Ja«, sagte er, »die Bücher – die großmüthigen Freunde, die mir ohne Argwohn entgegenkamen – die barmherzigen Lehrer, die mich nie mißhandelten! Die einzigen Jahre meines Lebens, auf die ich mit einer Art von Stolz zurückzublicken im Stande bin, waren die, welche ich im Hause des Geizhalses zubrachte. Das einzige unverdorbene Vergnügen, das ich je genossen, ist das, welches ich auf den Bücherbrettern des Geizhalses fand. Früh und spät, an den langen Winterabenden und den stillen Sommertagen, trank ich an der Quelle des Wissens, ohne des Trunkes überdrüssig zu werden. Wir hatten wenig Kunden zu bedienen, denn die Bücher waren meistens von der soliden, wissenschaftlichen Sorte. Es ruhten keine Verantwortlichkeiten auf mir, denn die Rechnungsbücher wurden von meinem Herrn geführt und es gingen nur geringe Geldsummen durch meine Hände. Er lernte mich bald hinreichend kennen, um zu wissen, daß er meiner Ehrlichkeit vertrauen und sich auf meine Geduld verlassen dürfe, wie er mich immer behandeln mochte. Der einzige Einblick, den ich in seinen Charakter that, entfernte mich noch mehr von ihm. Er war im Geheimen ein leidenschaftlicher Opiumesser – in Laudanum förmlich verschwenderisch, obgleich in allem Uebrigen ein Geizhals. Er gestand mir diese Schwäche niemals ein, und ich sagte ihm nie, daß ich dieselbe entdeckt habe. Er genoß sein Vergnügen allein, und ich genoß das meinige ebenso. Eine Woche nach der andern, einen Monat nach dem andern saßen wir da, ohne je ein freundschaftliches Wort mit einander auszutauschen; ich allein mit meinem Buche an dem Ladentische, er allein mit seinem Rechnungsbuche in seinem Privatzimmer, wo er mir durch das schmutzige Fenster der Glasthür undeutlich sichtbar war, wie er zuweilen stundenlang über seinen Zahlen brütete oder regungslos in der Verzückung des Opiumrausches dasaß. Die Zeit verging und brachte keine Veränderungen für uns mit sich; die Jahreszeiten zweier Jahre wechselten und ließen uns unverändert. Eines Morgens, zu Anfange des dritten Jahres, erschien mein Herr nicht wie gewöhnlich, um mir mein Frühstück zuzumessen. Ich ging auf sein Zimmer und fand ihn hilflos im Bette. Er weigerte sich, mir die Schlüssel zum Vorrathschranke anzuvertrauen oder mich einen Doctor holen zu lassen. Ich kaufte mir ein Stückchen Brod und kehrte zu meinen Büchern zurück, und zwar ohne mehr für ihn zu fühlen – dies gestehe ich offen – als er unter ähnlichen Umständen für mich gefühlt haben würde. Ein paar Stunden später ward ich von einem gelegentlichen Kunden, einem Arzte, der seine Praxis aufgegeben, in meiner Lectüre gestört. Er ging in das Zimmer meines Herrn hinauf, und ich war froh, seiner los zu werden, um zu meinen Büchern zurückzukehren. Er kam wieder herunter und unterbrach mich nochmals. »Ihr gefallt mir nicht besonders, mein Bursche«, sagte er zu mir; »aber ich halte es für meine Pflicht, Euch zu sagen, daß Ihr bald für Euch selber zu sorgen genöthigt sein werdet. Ihr seid nicht sehr beliebt im Orte und werdet deshalb vielleicht einige Mühe haben, eine neue Stelle zu finden. Laßt Euch daher ein schriftliches Zeugniß von Eurem Herrn geben, ehe es zu spät ist.« Er sprach mit Kälte. Ich dankte ihm meinerseits ebenfalls kalt und verschaffte mir noch an demselben Tage das Zeugnis. Glauben Sie etwa, mein Herr habe mir dasselbe umsonst gegeben? Er dachte nicht daran! Noch auf dem Sterbebette handelte er mit mir. Er war mir den Gehalt für einen Monat schuldig und wollte keine Zeile von dem Zeugnisse schreiben, bis ich ihm verspräche, jene Schuld nicht von ihm zu fordern. Drei Tage später starb er, nachdem er bis zuletzt die Seligkeit genossen, seinen Ladendiener zu übervortheilen. »Aha!« flüsterte er, als der Arzt mich zu ihm gebracht hatte, damit ich Abschied von ihm nähme; »ich hab’ Euch wohlfeil gehabt!« War wohl Ozias Midwinters Stock so grausam wie dies? Mir scheint es nicht!

Nun, da stand ich wieder draußen in der Welt, doch diesmal sicherlich mit besseren Aussichten. Ich hatte auf eigene Hand Lateinisch, Griechisch und Deutsch gelernt und hatte ein schriftliches Zeugniß aufzuweisen, das zu meinen Gunsten sprach. Es nützte alles nichts! Der Arzt hatte vollkommen Recht – ich war nicht beliebt im Orte. Die niederen Klassen verachteten mich, weil ich dem Geizhalse für seinen schmalen Lohn gedient hatte. Was die besseren Klassen betrifft, so ging es mir mit ihnen – Gott mag wissen, wie es kam wie es mir, Mr. Armadale ausgenommen, stets mit allen Leuten ergangen ist – ich machte im ersten Augenblicke einen unangenehmen Eindruck, und dies konnte ich später nicht wieder gut machen. Es ist höchst wahrscheinlich, daß ich alle meine Ersparnisse, mein armseliges kleines goldenes Erzeugniß zweier kümmerlicher Jahre ausgegeben hätte, wenn ich nicht in einem Localblatte eine Schullehrerstelle angezeigt gefunden hätte. Die herzlosen Bedingungen derselben ermuthigten mich, mich um die Stelle zu bewerben, und ich erhielt dieselbe. Wie es mir in der Schule erging und was dann ferner aus mir wurde, brauche ich Ihnen nicht zu erzählen. Der Faden meiner Erzählung ist völlig abgewunden; mein Vagabondenleben liegt, alles Geheimnisses entkleidet, vor Ihnen, und Sie wissen endlich das Schlimmste von mir.«

Armadale

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