Читать книгу Die Heirath im Omnibus - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 10
Erster Band
Zehntes Kapitel
ОглавлениеLondon erwachte überall zur Thätigkeit des Morgens. Während ich die Straßen durchschritt, öffnete man die Schaufenster der Kaufläden. Die Branntweinverkäufer, diese Vampyre, welche an dem Leben Londons saugen, öffneten die Augen und suchten schon ihre neue Beute für diesen Tag zu erspähen. In den ärmeren Stadttheilen begannen die kleinen Tabak- und Kramläden und unsaubern Schankwirthschaften ihr Tagewerk.
Hier beschleunigte ein verspäteter Arbeiter den Schritt, um auf den Zimmerhof oder in die Maschinenbauwerkstätte zu gelangen. Dort trat ein alter Bürger von pedantischer Lebensweise aus dem Hause, um vor dem Frühstücke seinen gewohnten Morgenspaziergang zu machen.
Bald fuhr ein schon seiner Fracht entledigter Gemüsekarren an mir vorüber, um auf das Land zurückzukehren; bald war es eine mit Gepäck beladene Droschke, welche bleiche, verschlafen aussehende Reisende nach einem Eisenbahnhofe oder einer Dampfschiffstation brachte.
Die Bewegung der großen Stadt begann und setzte sich nach allen Richtungen»hin fort. Ich nahm ein ganz ungewohntes Interesse daran, denn diese Aufregung erinnerte mich an die meines eigenen Herzens.
Auf Hollyoak Square aber ruhte noch immer die Ruhe und Erstarrung der Nacht. Es war, als ob diese, eintönigem verlassenen Regionen das Vorrecht hätten, die letzten zu sein, die auch nur zu einem Scheine von Thätigkeit und Leben erwachten.
Bis jetzt rührte sich in der Nordvilla noch Nichts. Ich ging weiter bis über die letzten Häuser hinaus und kam in jenes eintönige freie Feld, welches die Umgebung von London bildet.
Ich bemühte mich, an das Mittel zu denken, welches ich anwenden mußte, um Margarethen zusehen und zu sprechen, ehe ich wieder nach, Hause zurückkehrte.
Als aber eine halbe Stunde auf diese Weise verflossen war, kehrte ich ohne Plan und ohne eine bestimmte Idee nach dem Square zurück, war aber nichtsdestoweniger entschlossen, eine Unterredung mit ihr zu haben.
Die Gartenthür der Nordvilla stand jetzt offen. Eine Dienerin des Hauses stand auf der Schwelle, athmete die frische Morgenluft und schaute sich ringsum, ehe sie ihre gewohnte Arbeit begann.
Ich trat näher, entschlossen, mich ihrer Dienste, wo nicht durch Ueberredung, durch ein Geldgeschenk zu versichern. Sie war jung – dies, war schon ein Umstand zu meinen Gunsten – munter und drall, und schien mir ganz besonders nicht gleichgültig gegen die Wirkung zu sein, sie hervorbringen könnte, was ein zweiter günstiger Umstand war. Sobald sie mich näher kommen sah, und fuhr sich rasch mit der Schürze übers das Gesicht, gerade wie ein Meubleshändler einen Tisch oder eine Kommode abwischt, wenn er einen Käufer kommen sieht.
»Steht Ihr ins Mr. Sherwin’s Diensten?« fragte ich, als ich bis an die Gartenthür gelangt war.
»Ja, als Köchin Sir« antwortete die Gefragte, indem sie sich nochmals mit ihrer Schürze das Gesicht rieb.
»Jhr würdet ohne Zweifel Euch sehr wundern, wenn ich Euch bäte, mir einen großen Dienst zu leisten.«
»Das ist allerdings wahr – ich kenne Sie gar nicht – aber dennoch – ich weiß nicht –«
Sie schwieg und trug die Operation, welche bis jetzt auf ihr Gesicht beschränkt gewesen, auf die Arme über.
»Ich hoffe, daß wir einander nicht mehr lange fremd sein werden. Wie wäre es, wenn ich die Bekanntschaft mit Euch damit begänne, daß ich Euch sagte, Euer Gesicht würde sich noch viel hübscher ausnehmen, wenn Ihr Bänder von lebhafterer Farbe trüget, und Euch bäte, einige dergleichen zu kaufen, bloß um zu sehen, ob ich nicht Recht habe?«
Indem ich dies sagte, drückte ich ihr ein Geldstück in die Hand.
»Sie sind sehr freundlich, Sir, und ich danke Ihnen,« entgegnete sie lächelnd und rückte ihre Haube ein wenig. »Haubenbänder sind aber das Letzte, was mir in einem Dienste wie der meinige erlauben würde zu kaufen. Unser Herr ist hier Herr und er hat Damen, und ich glaube, er machte uns toll durch den Lärm, den er über Hauben und Bänder zu schlagen versteht. Er ist ein so strenger Mann, daß wir hier die Hauben so tragen müssen, wie er es will. Es ist schon unangenehm, wenn eine Dame sich um die Haubenbänder einer armen Dienerin kümmert; aber einen Herrn zu haben, der in, die Küche herunterkommt – doch ich brauche Ihnen dies weiter nicht zu sagen mein Herr. Ich danke Ihnen aber für Ihr Geschenk und bin Ihnen sehr. verbunden.«
»Ich hoffe, es wird dies nicht das letzte Mal sein, daß ich Euch ein Geschenk mache. Ich komme nun auf den Dienst, um den ich Euch ersuchen möchte. Könnt Ihr ein Geheimnis bewahren?«
»Und ob, Sir! Ach, wie viele Geheimnisse hab’ ich schon bewahrt, seitdem ich unter den Leuten bin!«
»Schön; ich möchte nämlich Gelegenheit finden, Miß Margarethen zu sehen und unter vier Augen mit ihr zu sprechen; aber man dürfte ihr kein Wort vorher davon sagen – versteht Ihr mich?»
»Ach Sir, das kann ich nicht wagen!«
»Nun, errathet Ihr denn nicht, warum ich Euere junge Dame sehen möchte und was ich ihr zu sagen habe?«
Die Köchin lächelte und schüttelte verlegen den Kopf.
»Es ist möglich, daß Sie sich in Miß Margarethen verliebt haben, Sir; aber so Etwas werde ich nicht thun. Ich wage es nicht.»
»Nun gut, aber wenigstens könnt Ihr mir sagen, ob Miß Margarethe alle Tage einen Spaziergang zu mache pflegt?«
»Ja Sir, sie geht fast alle Tage aus.«
»Ihr begleitet sie wohl alle Mal, wenn sie ohne ihre Eltern in die Stadt geht?«
»O, ich bitte, fragen Sie mich nicht!« rief die Köchin mit kläglicher Miene, indem sie zugleich verlegen die Zipfel ihrer Schürze durch die Finger zog.« »Ich weiß gar nicht, wer Sie sind, und Miß Margarethe weiß es sicherlich auch nicht. Ich kann Ihnen Nichts sagen, Sir – fragen Sie mich nicht,« »Na, seht mich doch an! Sehe ich wohl aus wie ein Mensch, der Euch oder Eurer jungen Herrin etwas Uebles zufügen möchte? Bin ich ein gefährlicher Mensch, dem man sich nicht anvertrauen kann? Würdet Ihr auf mein Wort glauben, wenn ich, Euch ein Versprechen,gäbe?«
»Ja, Sir ganz gewiß könnte ich Vertrauen zu Ihnen haben. Sie sind ja schon so gütig gegen mich gewesen!
»Nun, dann nehmt an, daß ich Euch ersten verspreche, Miß Margarethen kein, Wort davon zu sagen, daß ich mit Euch von ihr gesprochen, und zweitens, daß ich wenn Ihr mir gesagt haben werdet, zu welcher Stunde Miß Margarethe mit Euch ausgeht, nur in Eurem Beisein mit ihr sprechen und sie verlassen werde; sobald Ihr mir einen Wink gebt. Wenn ich Euch dies Alles verspreche, werdet Ihr dann nicht wagen, mich ein wenig zu unterstützen?«
»Nun, dann freilich wäre die Sache etwas Anderes. Aber, sehen Sie, ich fürchte mich gar so sehr vor unserm Herrn. Wollen Sie nicht lieber erst mit diesem sprechen?«
»Denkt Euch einmal an Miß Margarethens Stelle! Würdet Ihr es wohl gern sehen, wenn man Euch mit Erlaubniß Eures Vaters den Hof machte, ohne vorher Euern eigenen Willen befragt zu: haben? Würdet Ihr einen Heirathsantrag wie eine Botschaft durch Vermittlung Eures Vaters gemacht haben wollen? Gesteht mir einmal offen – würde so Etwas Euch gefallen?«
Sie lachte und warf auf sehr ausdrucksvolle Weise den Kopf empor. Ich merkte, daß ich mit diesem letzten Argument die richtige Stelle getroffen hatte, und wiederholte:
»Denkt Euch also an Miß Margarethens Stelle.«
»Still, still! sprechen Sie nicht so laut!« hob das Mädchen in leisem, vertraulichem Tone wieder an. »Ich bin überzeugt, daß Sie ein ganz solider, anständiger Herr sind und daß Sie ehrenwerthe Absichten haben – ich möchte Ihnen. auch gern behilflich sein, aber ich wage es nicht, denn –«
»Ihr seid ein gutes Mädchen,« entgegnete ich. »Sag mir bloß, zu welcher Stunde Miß Margarethe heute ausgeht und wer sie in die Stadt begleitet.«
»Ach, es ist sehr Unrecht von mir, wenn ich es sage, aber ich muß. – Doch still, still! Unser Herr steht jetzt auf – ach, mein Gott, wenn er an das Fenster käme und uns sähe! – Nun, so hören Sie – sie wird heute Vormittag gegen elf Uhr mit mir auf den Markt gehen. Es ist dies seit voriger Woche alle Tage geschehen. Unser Herr liebt diese Gänge nicht, aber Miß Margarethe hat ihn so lange gebeten, bis er ihr die Erlaubnis dazu gegeben hat. Sie sagt sie würde ja niemals fähig sein, zu Heirathen, wenn sie sich nicht von den Dingen der Wirthschaft unterichtete, wenn sie nicht den Preis der Waaren, den Unterschied zwischen guten und schlechten Fleische und Alles, was sonst noch dazu gehört, kennen lernte – Sie verstehen mich schon, nicht wahr?«
»Tausend Dank. Ihr habt mir nun den Aufschluß, gegeben dessen ich bedurfte. Um elf Uhr werde ich wieder hier sein und warten, bis Ihr das Haus verIasset.«
»Nein, kommen Sie nicht hierher, Sir, ich bitte Sie! Ich hätte Ihnen überhaupt Nichts sagen sollen.«
»Fürchtet Nichts; Ihr sollt nicht bereuen, mir es gesagt zu haben. Ich verspreche Euch Alles, was ich vorhin versprochen habe, jetzt nochmals. Auf Wiedersehen! und Vergeßt nicht, jetzt kein Wort zu Miß Margarethen zu sagen, so lange ich sie nicht gesehen habe.«
Während ich mich nun beeilte, nach Hause zurückzukehren, hörte ich die Köchin einige Schritte mir nachlaufen, dann stehen bleiben, umkehren und die Gartenthür leise hinter sich verschließen. Augenscheinlich hatte sie sich noch ein Mal an Miß Miargarethe’s Stelle gedacht, und jeder Gedanke, den Widerstand weiter zutreiben, hatte sie verlassen.
Niemals war Clara mir freundlicher aufmerksamer erschienen als an diesem Morgen, wo wir uns alle drei, mein Vater, sie und ich, am Frühstückstische vereinigt sahen. Gegenwärtig entsinne ich mich mit Beschämung – und ich mache mir bittere Vorwürfe darüber – der geringen Aufmerksamkeit, die ich ihr erwies, der wenigen Worte, die ich an sie richtete, und der Schroffheit, mit welcher ich mich weigerte, sie diesen Nachmittag in Gesellschaft zu begleiten.
Mein Vater war in die Betrachtung irgend einer Geschäftsangelegenheit versenkt. Meine Schwester wollte ihn nicht stören und richtete daher an mich mit ihrer sanften Stimme jene gewohnten Fragen und Bemerkungen, die der Morgen mit sich brachte.
Ich hörte kaum darauf und antwortete in ausweichender Weise.
Als das Frühstück beendet war, verließ ich das Haus, ohne weiter ein Wort zu sagen. Als ich die die Stufen des kleinen Perrons vor dem Hause hinunterging, wendete ich mechanisch den Kopf nach dem Fenster des Speisezimmers.
Clara stand daran und sah mir nach. Derselbe Ausdruck träumerischer Unruhe, welchen ich schon am Abende vorher in ihren Zügen bemerkt, war denselben auch jetzt wieder aufgeprägt. Sie lächelte, als ihre Augen den meinigen begegneten, aber dieses peinliche und ein wenig erzwungene Lächeln gab ihr eine ganz andere Miene als welche sie gewöhnlich hatte. Sie machte in diesem Augenblicke keinen Eindruck auf mich; denn mein Herz mein Urtheil, mein ganzes Gemüth waren nur auf mein bevorstehendes Zusammentreffen mit Margarethen gerichtet Nach dieser Richtung hin fühlte ich eine Uberfülle von Leben und Feuer in mir, gegen alles Andere war ich kalt, stumpfsinnig und gleichgültig.
Beinahe eine Stunde vor der bestimmten Zeit war ich schon in Hollyoak Square. Von Ungeduld gefoltert, gönnte ich mir keinen Augenblick Ruhe.
Ich schritt auf dem Platze hin und her und machte lange Umwege durch die nächstgelegenen Gassen, während ich alle Viertelstunden auf der Uhr einer benachbarten Kirche schlagen hörte, und mechanisch beschleunigte ich den Schritt, so wie die erwartete Stunde heranrückte.
Endlich hörte ich den ersten Schlag jener für mein Schicksal ewig denkwürdigen Stunde. Ehe noch der elfte erscholl, stand ich der Eingangsthür der Nordvilla gegenüber.
Es vergingen fünf Minuten, dann zehn aber Niemand kam zum Vorscheine. In meiner Ungeduld hätte ich gern heftig die Klingel gezogen, um trotz der Begegnungen, die mir vielleicht bevorstanden, und alles Dessen, was geschehen konnte, in’s Haus zu dringen.
Es schlug ein Viertel auf Zwölf, und in diesem Augenblicke hörte ich die Thür sich öffnen und sah Margarethen mit der Dienerin, mit welcher ich gesprochen, die kleine Terrasse herabkommen.
Sie durchschritten langsam die Gartenthür und gingen über den Square in einer meinem Standorte entgegengesetzten Richtung; aber ich hatte Zeit, den verstohlenen Blick zu erhaschen, den die Dienerin mir zuwarf.
Die junge Dame schien mich nicht gesehen zu haben.
Im ersten Augenblicke bemächtigte sich meiner eine solche Aufregung, daß ich buchstäblich nicht im Stande war, die Füße fortzusetzen. Nach wenigen Augenblicken jedoch gewann ich den Gebrauch meiner Glieder wieder und eilte den Beiden schnell nach, bevor sie sich in einem belebten Theile der Nachbarschaft befanden.
Als ich ihnen ganz nahe war, drehte Margarethe sich rasch um und sah mich mit Augen an, in welchen sich eben so viel Zorn als Erstaunen malte.
Einen Augenblick später ward ihr reizendes Gesichts von« einer lebhaften glühenden Röthe überzogen. ihr Kopf senkte sich ein wenig. Sie schien zu zögern, dann begann sie mit noch»rascherem Schritte weiterzugehen. Dachte sie an mich? Schon diese Vermuthung machte mich dreist und –
Nein, ich, kann nicht die Worte niederschreiben, welche ich an sie richtete. Seht, wenn ich bedenke, wohin diese verhängnisvolle Begegnung führte, fühle ich seine mit Entsetzen gemischte Scham, welche mich abhält die Worte, mit welchen ich ihr meine Liebe erklärte, Andern wieder zusagen oder ihnen eine dauernde Form zu geben. Vielleicht ist es verletzter, krankhafter, elender Stolz, aber er beherrscht mich.
Nach Dem, was geschehen ist, scheue ich mich, mit der Feder und in Gedanken mir selbst Alles zu wiederholen, was ich zu Margarethen sagte. Bis jetzt habe ich mich mit strengem Freimuthe ausgesprochen. Ich habe mir zur Pflicht gemacht, meine Eigenliebe der Wahrhaftigkeit meiner Bekenntnisse zu opfern. So wie ich weiterkommen werde und überall – ausgenommen an dieser Stelle meiner Geschichte – bin ich sicher, daß ich vor Nichts zurückbeben, sondern vielmehr in alle nothwendige Einzelheiten eingehen und meiner Eigenliebe Zwang anthun werde.
Hier aber, auf dem Punkte, wo ich jetzt mit meiner Erzählung stehe, wo, wie es scheint, mir die geringsten Einzelheiten am leichtesten in die Erinnerung zurückkehren und von mir ohne Anstrengung erzählt werden müßten, hier muß ich zum ersten und zum letzten Male abkürzen und schnell darüberhin gehen.
Ich behaupte nicht, daß ich diesen Widerwillen durch gute Gründe rechtfertigen könnte, aber ich kann und will diese nicht analysiren.
Ich ließ es auf jede Gefahr ankommen und redete Margarethen an. Meine Worte konnten verworren sein, aber es war unmöglich, darin die Stimme des Herzens zu verkennen.
In Zeit von wenigen Minuten theilte ich ihr Alles mit, was ich hier mühsam auf so viele Blätter niedergeschrieben – ich sagte ihr noch mehr. Ich bediente mich meines Namens, meines gesellschaftlichen Ranges – die Gluth der Scham steigt mir jetzt noch in die Wangen, wenn ich daran denke – um ihrer mädchenhaften Eitelkeit zu schmeicheln, um sie zu bestimmen, meinem Bekenntnisse aus Rücksicht aus meinen Rang, wenn nicht aus Rücksicht für meine Leidenschaft, Gehör zu leihen, obgleich diese Leidenschaft sich auf vollkommen ehrenwerthe Weise kund gab.
Niemals vorher hatte ich Etwas aus so gemeine Weise berechnet; niemals hatte ich die Vorzüge meiner Geburt benutzt, um Etwas zu erlangen, das ich nicht durch mich selbst erlangen zu können fürchtete.
Man hat Recht, wenn man sagt, daß die Liebe höher erhebt als andere Leidenschaften, aber es ist auch wahr, daß sie tiefer erniedrigen kann.
Auf all’ meine feurigen Worte gab Margarethe verworrene, nichtssagende, ziemlich erkältende Antworten. Ich setzte sie in Erstaunen; ich schreckte sie Es sei, sagte sie, unmöglich, daß sie solche Worte aus dem Munde eines Mannes anhöre, der ihr vollständig fremd sei. Es sei Unrecht von mir, sie aus diese Weise anzureden, und Unrecht von ihr, daß sie stehen bleibe, um mich zu hören. Ich solle des Anstands eingedenk sein, den ein Mann wie ich stets achte. Ich dürfe solche Erklärungen ihr gegenüber nicht wieder erneuern. Ich wisse ja Nichts von ihr und es wäre unmöglich, daß sie sich in so kurzer Zeit meines Gemüthes in diesem Grade bemächtigt hätte. Sie bäte mich daher, sie ihren Weg ungehindert weiter fortsetzen zu lassen.
So sprach sie, indem sie bald stehen blieb, bald wieder rasch einige Schritte weiter ging. Sie hätte sich in strengeren und härteren Worten aussprechen können, ohne daß der Zauber, den sie aus mich ausübte, im Mindesten geschwächt worden wäre. Ihr Antlitz erschien mir in ihrer Unruhe und in ihrer beweglichen Lebhaftigkeit liebenswürdiger als je.
Ein oder zwei Mal erhob sie ihre schwarzen beredten Augen bis zu den meinen empor, senkte sie aber sofort wieder.
Was mich betraf, so kümmerte ich, schon zufrieden, sie von Angesicht zu Angesicht zu schauen, mich wenig um ihre Antworten.
Sie redete die Sprache, welche die Erziehung sie gelehrt hatte. Nicht ihre Worte waren es, wonach ich ihre Gedanken oder ihre Gemüthsbewegungen zu beurtheilen suchte, sondern der Ton ihrer Stimme, die Sprache ihrer Augen, der ganze Ausdruck ihrer Züge, und in allem Diesem entdeckte ich beruhigende Anzeichen.
Ich bat sie auf die inständigste, aber zugleich ehrerbietigste Weise, mir eine abermalige Begegnung möglich zu machen, aber sie antwortete, indem sie wiederholte, was sie mir bereits gesagt, und während sie noch so sprach, begann sie rasch weiterzugehen.
Die Dienerin, welche einige Schritte zurückgeblieben war, näherte sich nun ihrer jungen Herrin wieder und sah mich auf bedeutsame Weise an, wie um mich an mein Versprechen zu erinnern.
Ich fügte nur noch wenige Worte hinzu, in dem ich mich von ihr trennte. Für eine erste Unterredung hätte ich zu viel auf’s Spiel gesetzt, wenn ich sie noch länger hätte aufhalten wollen, und die Beiden setzten ihren Weg weiter fort.
Die Dienerin drehte sich herum, nickte mir zu und lächelte, wie um mir zu versichern, daß meine Handlungsweise nicht allzuhart beurtheilt werde. Margarethens Schritt ward nicht langsamer, auch sah sie sich nicht um.
Dieser letzte Beweis vo«n Bescheidenheit und Zurückhaltung zog, weit entfernt, mich zu entmuthigen, mich im Gegentheile noch mächtiger zu ihr hin. Es war dies nach einer ersten Unterredung ein Gebot des Anstandes. Die Liebe, welche ich ihr bis jetzt gewidmet, war Nichts im Vergleiche zu der, welche ich für sie in dem Augenblicke fühlte, wo sie mich verließ, ohne mir mit einem Blicke Lebewohl zu sagen.
Gern wäre ich niedergekniet, gern hätte ich den Boden geküßt, welchen sie mit ihren Füßen berührt, obschon dies der Weg war, welchen sie eingeschlagen, um sich von mir zu trennen.
Und zu welchen Auskunftsmitteln sollte ich nun greifen? Konnte ich hoffen, daß Margarethe nach Allem, was sie mir gesagt, den nächstfolgenden Tag wieder zu derselben Stunde ausgehen würde? Nein, diese wohlanständige Schüchternheit und Zurückhaltung, welche sie bei unserer ersten Unterredung bewiesen, wich gewiß nicht so schnell von ihr. Wie sollte ich mich mit ihr in Mittheilung setzen? Wie sollte ich diesen ersten günstigen Eindruck, den ich, wie es schien, hervorgebracht und zu welchem meine Eitelkeit sich noch keinen Beifall zu wünschen wagte, zu einem guten Ende führen? Ich beschloß, ihr zu schreiben.
Ha! wie verschieden war der Styl dieses Briefs von den Blättern meines Romans, an dem ich bis jetzt gearbeitet, an dem ich schon nicht mehr arbeitete, den ich vielleicht ganz liegen ließ!
Wie langsam war diese, Ausarbeitung gegangen, mit welcher Vorsicht mit welchem Mißtrauen gegen mich selbst formulierte ich meine Ideen! – Jetzt dagegen, wo ich nur die Liebe zu Rathe zog, wie eilte da die Feder rasch über das Papier, gerade als ob die geheimen Wünsche meines Herzens ohne alle Mühe Worte fänden, um sich zu dolmetschen.
Meine Gedanken hatten Flügel. Auf diese war das Schreiben keine Kunst mehr, sondern ein Instinct. Ich konnte beredt schreiben, ohne erst lange nach Ausdrücken suchen oder den Sinn meiner Worte erwägen zu müssen.
Im Dienste des Ehrgeizes glich meine Arbeit dem langsamen Erklimmen eines Berges. Im Dienste der Liebe dagegen war es das rasche, leider zu rasche Herabsteigen.
Ich brauche hier meinen Brief an Margarethen nicht wörtlich mitzutheilen.
Ich faßte darin bloß Alles zusammen, was ich bereits gesagt habe. Besonders hob ich wiederholt und mit Nachdruck die Ehrenhaftigkeit meiner Absichten hervor.
Zum Schlusse bat ich Margarethen, mir einige Zeilen Antwort zu schreiben und mir eine zweite Unterredung zu gewähren.
Der Brief ward durch die Dienerin befördert.
Ein zweites Geschenk, durch meine überredende Beredsamkeit und besonders durch die Treue unterstützt, mit welcher ich mein Versprechen gehalten, gewann die Dienerin und bewog sie, bereitwillig sich meines Interesses anzunehmen. Sie erklärte, daß sie sich gern dazu verstehe, mir in allen Dingen behilflich zu sein, nämlich so lange als ihr Herr Nichts davon erführe.
Vergebens wartete ich einen ganzen Tag auf die Antwort auf meinen Brief.
Die Dienerin konnte mir keine Erklärung über dieses Schweigen geben. Ihre junge Herrin hatte seit dem Morgen unserer Begegnung auch nicht ein einziges Wort mit ihr über mich gesprochen.
Ich verlor den Muth deswegen aber nicht, sondern schrieb nochmals.
Dies Mal war mein Brief ein Gemisch von Bitten und Drohungen, so wie nur die Liebe sie dictiren kann, und er äußerte seine Wirkung.
Ich bekam eine Antwort.
Es war ein sehr kurzes Billet von eiliger, zitternder Hand geschrieben, worin Margarethe mir einfach sagte, daß der Unterschied unseres Standes es ihr zur Pflicht mache, mich inständig zu bitten, jeden ferneren Verkehr, sowohl mündlichen als schriftlichen, mit ihr abzubrechen.
»Der Unterschied unseres Standes!«
Dies war also der einzige Einwurf. »Ihre Pflicht!« Also war es nicht ihre Neigung, welche der Beweggrund ihrer Weigerung war.
Ein so junges Wesen bewies demnach schon diese edle Selbstverleugnung, diese Festigkeit der guten Grundsätze.
Ich drückte das Briefchen an meine Lippen – denn ihre Hände hatten es berührt – fest entschlossen, ihr ungehorsam zu sein und sie wiederzusehen.
Mein Stand! Was war mein Stand oder Rang? Ich wollte ihn Margarethen zu Füßen werfen.
Ich nahm abermals meine Zuflucht zu meiner treuen Verbündetem der Dienerin. Nach einigen Verzögerungen, die, so unbedeutend sie auch waren, doch meine Ungeduld auf den höchsten Gipfel trieben, willigte sie ein, meinen Plänen förderlich zu sein.
Eines Nachmittags, welchen Mr. Sherwin wie gewöhnlich seinen Geschäften widmete, während seine Gattin in die Stadt gegangen war, verstand die Dienerin sich dazu, mich in den hinter dem Hause liegenden Garten einzulassen, wo Margarethe eben beschäftigt war, ihre Blumen zu begießen.
Sie erschrak bei meinem Anblicke und machte Miene, in das Haus zurückzukehren. Ich ergriff sie bei der Hand, um sie zurückzuhalten. Sie entzog sie mir aber ohne Schroffheit und ohne Zorn.
Die Gelegenheit benutzend, welche sich darbot, während sie nicht wußte, ob sie sich entfernen oder bleiben sollte, wiederholte ich ihr Alles, was ich ihr schon bei unserer ersten Unterredung gesagt.
Besteht die wirkliche Sprache der Liebe wohl in etwas Anderem als in fortwährenden Wiederholungen?
Sie antwortete mir, wie sie schon in ihrem Briefe gethan, daß der Unterschied ihres gesellschaftlichen Ranges und des meinen es ihr zur Pflicht mache, mich nicht zu ermuthigen.
»Aber wenn dieser Unterschied nun nicht bestünde« sagte ich, »wenn unser gesellschaftlicher Rang genau derselbe wäre, Margarethe?« "
Sie schlug mit rascher Bewegung die Augen auf und that einige Schritte, um sich zu entfernen, als sie mich sie bei ihrem Vornamen nennen hörte.
»Beleidige ich Sie, wenn ich Sie sobald schon Margarethe nenne? Margarethe ist es, an die ich denke, aber nicht Miß Sherwin. Wollen Sie mir einen Vorwurf daraus machen, daß ich spreche, wie ich denke?«
Sie gab keine Antwort.
»Gesetzt, dieser Unterschied des Ranges, den Sie unglücklicher Weise zum Einwande benutzen, bestünde nicht, würden Sie mir dann eben so kalt wie jetzt sagen, daß ich nicht hoffen soll? daß ich mich enthalten soll, mit Ihnen zu sprechen?
Ich hätte diese Frage nicht an sie stellen sollen. Sie war zwecklos, denn der Unterschied des Range bestand, deswegen nicht weniger.
»Vielleicht bin ich Ihnen zu spät begegnet. Vielleicht sind Sie schon –«
»Nein, o nein!«.
Sie schwieg, nachdem diese Worte ihren Lippen entschlüpft waren.
Dasselbe lebendige Incarnat, welches ich schon auf ihrem Antlitze gesehen, kam in diesem Augenblicke wieder zum Vorscheine. Offenbar fühlte sie, daß sie diese Worte thörigter Weise gesprochen und daß sie mir eine Antwort in einem Falle gewährt, wo ich den Regeln des weiblichen Liebes-Codex zufolge nicht das Recht hatte, eine zu erwarten.
In diesem Augenblicke war die Schönheit ihres Gesichts eine so bezaubernde, daß ich, ganz in ihren Anblick versunken, nicht sprechen konnte. Sie brach zuerst das Schweigen mit der Bitte, daß ich mich entfernen möchte und indem sie mich beschuldigte – hier ward aber ihre Stimme matt und gebrochen – dadurch, daß ich mich bei ihr eingeschlichen, eine Indelicatesse begangen zu haben, welche sie von mir nicht erwartet hätte.
»Ich werde Ihre Achtung wiedergewinnen,« sagte ich, indem ich rasch die günstige Deutung ihrer letzten Worte erfaßte, »wenn ich Sie das nächste Mal und zwar fortan immer mit der Erlaubniß Ihres Vaters besuche.«
Sie sah mich an und gleichzeitig malte sich eine gewisse Unruhe in ihren Augen.
»Ja, Margarethe,« fuhr ich fort, »denn ich muß Sie Margarethe nennen, vielleicht wird es mir bald gestattet sein, theure Margarethe zu sagen – noch heute werde ich an Ihren Vater schreiben, um ihn um eine Unterredung unter vier Augen zu bitten. Ich werde ihm genau sagen, was ich Ihnen gesagt habe. Er soll wissen, mit welcher vollkommenen Würde Sie meine ersten Eröffnungen aufgenommen haben, aber es gab kein anderes Mittel, mich zu erklären. Ich werde ihm sagen, daß Sie in Folge Ihrer Schönheit, Ihrer Herzensgüte und alles Dessen, was die reinsten Huldigungen der Männer erwecken und ihr Glück sichern kann, einen Rang einnehmen, der hoch über dem meinigen steht und der übrigens auch der einzige ist, den ich mit Neid betrachte.«
Ein Lächeln, welches sie sich vergebens bemühte zu unterdrücken, umspielte ihre Lippen.
»Ja, das werde ich thun,« hob ich wieder an.
»Sehen Sie vielleicht voraus, wie seine Antwort lauten wird? Ich werde nicht eher Abschied von ihm nehmen als bis ich eine günstige erlangt habe, und wie wird dann die Ihrige lauten? Ein Wort, Margarethe, ein einziges Wort und ich verlasse Sie.«
Ich versuchte zum zweiten Male ihre Hand zu ergreifen, aber sie machte sie rasch wieder los, sah mir eine Secunde lang in’s Gesicht – wie beredt war dieser Blick! – und eilte dann schnell in das Haus hinein.
Was konnte ich mehr wünschen? Konnten die natürliche Zurückhaltung und Bescheidenheit eines jungen Mädchens mir mehr gewähren? Sobald ich wieder nach Hause zurückgekehrt war, schrieb ich an Mr. Sherwin. Auf der Adresse stand das Wort »Eigenhändig«, und ich ersuchte ihn ganz einfach, eine passende Stunde zu bestimmen, um mit mir über einen wichtigen Gegenstand zu sprechen.
Da ich diesen Brief nicht mit der Post abschicken wollte, so vertraute ich ihn einem Boten an – nicht einem unserer Diener – dies verbot mir die Klugheit – und sagte meinem Manne, daß er die Antwort und, im Falle von Mr. Sherwin’s Abwesenheit, die Rückkunft desselben erwarten solle.
Nach einer langen Frist – lang für mich, denn meine Ungeduld verwandelte die Minuten in Stunden – empfing ich eine Antwort auf Papier mit Goldsehnitt und von gemeiner Hand geschrieben, wenigstens ließ sich dies aus den Verzierungen schließen, mit denen die Schrift. überladen war.
Mr. Sherwin grüßte mich darin ehrerbietigst und antwortete mir, daß er die Ehre haben werde, mich den nächstfolgenden Tag um fünf Uhr Nachmittags in der Nordvilla zu empfangen, wenn mir diese Zeit gelegen sei.
Ich faltete den Brief wieder sorgfältig zusammen.
Er war mir beinahe eben so kostbar als ein Billet von Margarethen selbst. Ich verbrachte eine schlaflose Nacht, indem ich bei mir alle möglichen Eventualitäten in Bezug auf meine morgende Besprechung überlegte. Ich kannte Mr. Sherwin’s Charakter nicht im Mindesten, und dennoch mußte ich ihm ein Geheimniß anvertrauen, welches ich nicht einmal meinem eigenen Vater zu enthüllen wagte.
In Bezug auf den Namen, den ich trug, und auf den Rang meines Vaters ließ jeder Vorschlag, seiner Tochter den Hof zu machen, anfangs nur ungünstige Vermuthungen aufkommen.
Von welcher Art von Heirath sollte zwischen uns die Rede sein?
Eine öffentliche, anerkannte Vermählung war ein Ding der Unmöglichkeit. Von einer geheimen Vermählung sprechen, war eine kritische Eröffnung, deren Folgen verderblich sein konnten.
Vergebens dachte ich über das Problem nach. Die einzige Lösung, die ich dafür fand, war, daß es auf jede Gefahr hin das Beste sein würde, die Sprache der Aufrichtigkeit zu reden. Und konnte es mir wohl schwer fallen, aufrichtig zu sein, wenn ich meiner Leidenschaft gemäß sprach?
Nachdem einmal diesen Entschluß gefaßt begann ich meine. Phantasie mit den Gedanken zu bezaubern welche Margarethens Bild in mir erweckte, Gedanken, die erfüllt waren von blinder Hoffnung und fieberhafter Freude, und die meinen Geist mit Ausschluß aller anderen beschäftigten.
Erst am nachfolgenden Tage beim Herannahen der von Mr. Sherwin zu unserer Unterredung festgesetzten Stunde beschäftigten mich endlich Gedanken, die einer praktischen Richtung angehörten.
Indem ich den Eindruck bedachte, den selbst mein Aeußeres auf ihn machen könnte, verwendete ich auf meine Toilette ganz ungewöhnliche Sorgfalt.
Dies war aber noch nicht Alles. Ich wendete mich an einen Freund, denn ich für so discret hielt, daß er keine Fragen an mich richten würde, um ihn zu bitten, mich in einem seiner Wagen nach der Nordvilla fahren zu lassen; denn ich kannte jene den Leuten von Mr. Sherwin Classe so gemeinsame Schwäche, ein ungewöhnlich großes Gewicht auf Rang und Vermögen zu legen, und selbst von dieser Schwäche wollte ich den für mich vortheilhaftesten Nutzen ziehen.
Mein Freund stellte mir seine Equipage sehr gern zur Verfügung, und sie holte mich meiner Instruction gemäß an der Thür eines Handelshauses ab, wohin ich mich sehr oft begab.
Hätte ich zu diesem Zwecke den Wagen meines Vaters oder den meiner Schwester verlangt, so hätte ich zu unseren Dienern mehr Vertrauen haben müssen als ich geneigt war, ihnen zu schenken.
Die Ereignisse, welche ich so eben erzählt, nahmen eine ganze Woche in Anspruch.
Ward ich während dieser Zeit von neuen Befürchtungen, von neuen Ahnungen unter unserem Dach behelligt? Nein. Beschäftigte ich mich mit Dem, was Clara fühlen konnte, indem sie eine solche Veränderung in meinen Gewohnheiten gegen sie bemerkte? Nein. Während dieser ganzen Zeit liehen Hoffnung und« Eitelkeit der Liebe ihre bereitwillige Mitwirkung, und der Dunst ihres Weihrauches wiegte mein Herz in Vergessenheit aller äußeren Einflüsse, selbst ohne Ausnahme jenes süßen und solange geliebten Einflusses des Familienlebens.
Ich stand aber noch im ersten Acte des düstern Drama’s, welches meinen Eintritt in das Mannesalter bezeichnete. Die andern Acte sollten sich entrollen bis zum Tage der Vergeltung.