Читать книгу Die Heirath im Omnibus - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 11

Erster Band
Elftes Kapitel

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In der Nordvilla angelangt, ward ich in ein Gemach geführt, welches, wie ich vermuthete, der Salon war.

Alles war hier so neu, daß es unangenehm berührte. Die Thür mit ihrem frischen glänzenden Firnißanstriche öffnete sich mit einem Knarren, welches einem Pistolenschusse zu vergleichen war. Die Tapete mit ihren blendenden Malereien und vergoldeten rothen und grünen Blumen schien noch nicht trocken zu sein. Die pomphaften weißen und himmelblauen Vorhänge und der noch pomphaftere gelbwollene Teppich schienen erst am Abende vorher aus dem Magazin geholt worden zu fein. Der runde Tisch von Rosenholz war so blank polirt, daß Einem die Augen wehthaten.

Die illustrirten Bücher in Maroquinband, die man hier aufgestellt sah, schienen niemals von ihrer« Stelle entfernt, ja seit ihrem Ankaufe nicht ein einziges Mal geöffnet worden zu sein. Die auf dem Piano liegenden Musikalien waren ebenfalls neu, und keine Spur verrieth, daß man sich ihrer jemals bedient hatte.

Kein reich möblirtes Zimmer wäre geeigneter gewesen, einen Menschen, der seine Bequemlichkeit liebt, zur Verzweiflung zu bringen. Das Auge ward nach allen Richtungen hin peinlich berührt und fand nirgends einen Ruhepunkt.

Es– gab keinen einzigen schattigen, verschwiegenen Winkel, der zwischen diesen glänzenden und funkelnden vier Wänden zur Ruhe eingeladen hätte. Alle hier den Beschauer umgebenden Gegenstände schienen in die Augen zu springen und ihm näher zu sein als sie wirklich waren. Ein nervenschwacher Mensch wäre keine Viertelstunde in diesem Zimmer geblieben, ohne Kopfschmerzen zu bekommen.

Ich brauchte nicht lange zu warten. Ein abermaliges lautes Knarren der neuen Thür verkündete mir den Eintritt Mr. Sherwin’s in eigener Person.

Er war ein langer, hagerer Mann, mit ziemlich krummen Schultern und schwachen Beinen, welchen Uebelstand er durch die Weite seiner Beinkleider zu verdecken suchte.

Er trug ein weißes Halstuch und einen übermäßig hohen Hemdkragen. Seine Gesichtsfarbe war fahl, die Augen klein, schwarz, funkelnd und immer in Bewegung.

Ueberhaupt waren alle seine Gesichtszüge in ganz eigenthümlicher Weise beweglich und mit krampfhaften Zuckungen behaftet, welche Stirn, Mund und Wangenmuskeln von oben nach unten und nach allen andern Richtungen hin zerrten. Sein Haar war schwarz gewesen, gewann aber jetzt allmählich eine eisengraue Farbe. Es war sehr trocken, sehr stark und borstig, und ragte fast horizontal über die Stirn hervor.

Eine der besondern Angewohnheiten dieses Mannes bestand darin, daß er sein Haar nöthigte, diese Richtung anzunehmen, indem er von Zeit zu Zeit wüthend mit den Fingern darin herumfuhr. Seine Lippen waren schmal, farbloß und von zahlreichen Falten umgeben.

Wenn ich ihn unter gewöhnlichen Umständen gesehen hätte, so würde ich gleich aus den ersten Blick. der Meinung gewesen sein, daß er ein Mann von sehr beschränktem Verstande sei. Ein kleinlicher Mann in seiner kleinen Sphäre gegen Alle, die von ihm abhängig waren – ein niedriger Schmeichler alles Dessen, was in Bezug auf Vermögen und Rang über ihm stand; ein überzeugter Anhänger der herkömmlichen Theorieen in Bezug auf sociale Respectabilität – ein Mann von unerschütterlichem Glauben an seine eigne Unfehlbarkeit beseelt.

Jedoch, er war Margarethens Vater, und ich hatte mir einmal vorgenommen, ihn nach meinem Geschmacke zu finden.

Er begrüßte mich mit übertriebener Höflichkeit, näherte sich dem Fenster, um hinauszusehen, machte, als er den Wagen sah, der mich vor seiner Thür erwartete mir eine zweite ehrerbietige Verbeugung und wollte mich durchaus mit seinen eignen Händen meines Hutes entledigen.

Nachdem er dies gethan, schneuzte er sich und fragte mich, was er thun könne, um mir angenehm zu sein.

Ich empfand eine gewisse Verlegenheit, wie ich das Gespräch eröffnen sollte. Dennoch aber durfte ich ihn nicht lange auf eine Antwort warten lassen. Ich begann damit, daß ich mich entschuldigte.

»Ich fürchte, Mr. Sherwin, daß Sie meinen Schritt als den eines Fremdlings, der ich für Sie bin –«

»Nun, ein Fremdling sind Sie eigentlich nicht für mich, wenn ich mir erlauben darf, diese Bemerkung zu machen.«

»Wirklich nicht?«

»Ich habe das große Vergnügen, den seltenen Genuß und, wie ich wohl sagen kann, die ausgezeichnete Ehre gehabt, voriges Jahr, während Ihre Familie von London abwesend war, Ihre Stadtwohnung in Augenschein nehmen zu dürfen. In der That ein sehr schönes Haus! Ich hatte Gelegenheit, die Bekanntschaft des Intendanten Ihres Herrn Vaters zu machen, und er hatte die Güte, mich in allen Zimmern herumzuführen. Es ist wirklich interessant, so Etwas zu sehen. Die Möbels, die Draperieen und alles Uebrige war im höchsten Grade geschmackvoll und trefflich arrangiert. Und die Gemälde – einige davon gehören zur Zahl der schönsten, die ich jemals gesehen. Ich war ganz entzückt – förmlich hingerissen!«

Sein Sprachorgan war ein dumpfes und seine Aussprache, besonders bei gewissen Worten, eine auffallend schleppende. Die Nerven seines Gesichts hörten nicht auf zu zucken, eben so wenig als seine Augen zu blinzeln, während er mit mir sprach.

In dem Zustande von Aufregung und Verlegenheit, in welchem ich mich befand, hatte diese Angewohnheit für mich etwas Störendes und brachte mich mehr aus der Fassung, als ich zu sagen wage.

Ich hätte Alles in der Welt darum gegeben, wenn; er mir den Rücken gekehrt und Zeit gelassen hätte, wieder das Wort zu ergreifen.

»Ich freue mich, zu hören, daß meine Familie und mein Name Ihnen nicht unbekannt sind, Mr. Sherwin, hob ich wieder an. »In Folge dieses Umstandes fühle ich mich ermuthigt, Sie ohne weitere Umschweife von dem Zwecke meines Besuchs in Kenntniß zu setzen«.

»Ja wohl, ja wohl; kann ich Ihnen mit Etwas dienen? Mit einem Glase Sherry, oder –«

»Ich danke,. ich danke, Mr. Sherwin. Vor allen Dingen muß ich Ihnen sagen, daß ich Gründe habe, zu wünschen, daß die Eröffnung, welche ich Ihnen zu machen habe, wie Sie dieselbe auch ausnehmen mögen, als eine streng vertrauliche betrachtet werde. Kann ich überzeugt sein, daß ich in dieser Beziehung von Ihrer Gefälligkeit nicht zu viel verlange?«

»Versteht sich – versteht sich – die unbedingteste Verschwiegenheit Rechnen Sie darauf. Fahren Sie fort, wenn ich bitten darf«

Er rückte mir mit seinem Stuhle ein wenig näher. Trotz des Zuckens seiner Gesichtsmuskeln und des Blinzelns seiner Augen erkannte ich in seinem Gesichte den Ausdruck der Neugierde und einer Verschmitztheit die auf ihrer Hut ist.

Er hielt meine Karte zwischen den Fingern und rollte sie unaufhörlich zusammen und wieder aus, denn die Ungeduld, zu wissen, was ich ihm zu sagen hätte, ließ ihm keine Ruhe.

»Ich muß Sie« auch bitten, sich nicht eher auszusprechen, als bis Sie mich zu Ende gehört haben. Vielleicht wären Sie von vorn herein geneigt, mich ungünstig zu beurtheilen – Kurz, Mr. Sherwin, ohne weitere Einleitung, mein Besuch betrifft Ihre Fräulein Tochter, Miß Margarethe Sherwin.«

»Meine Tochter, Meine Margarethe – bei meiner Seele, das hätte ich nicht gedacht!««

Er schwieg, halb außer Atem, neigte den Kopf vorwärts nach mir zu und zerzauste meine Karte in ganz kleine Stückchen.

»Es ist ungefähr eine Woche her,« fuhr ich fort, »so begegnete ich Miß Sherwin zufällig in einem Omnibus Sie war von einer älteren Dame begleitet –«

»Von meiner Frau,« sagte er, indem er mit der Hand eine ungeduldige Geberde machte, als ob Mistreß Sherwin ein unbedeutendes Hinderniß für unsre Conversation wäre, das er so schnell als möglich zu beseitigen wünschte.«

»Sie werden wahrscheinlich nicht überrascht sein, zu erfahren, daß ich von Miß Sherwin’s seltener Schönheit betroffen gemacht ward. In Dem, was ich für sie fühlte, lag nicht bloß der Impuls einer lebhaften Bewunderung. Offen gesprochen – haben Sie schon ein Mal von Etwas wie Liebe auf den ersten Blick, sprechen hören, Mr. Sherwin?«

»In den Büchern, Sir,« antwortete er, in dem er auf eins der in Maroquin gebundenen auf dem Tische liegenden Bücher tippte. Dabei lächelte er.

Es war ein seltsames, gleichzeitig ehrerbietiges blind sarkastisches Lächeln.

»Sie würden vielleicht weniger geneigt sein, zu lachen, wenn ich Sie bäte, mich anzusehen, um Ihnen zu beweisen« daß so Etwas, was man Liebe auf den ersten Blick nennt, nicht bloß in den Büchern vorkommt. Ohne jedoch jetzt weiteres Gewicht auf diesen Umstand zu legen, halte ich es für meine Pflicht, Ihnen rund heraus und aufrichtig zu erklären, daß der Anblick Miß Sherwin’s sofort einen solchen Eindruck auf mich gemacht hat, daß ich von Stund’ an nach dem Glücke trachtete, ihre Bekanntschaft zu machen, und um Ihnen Nichts zu verschweigen, gestehe ich Ihnen, daß ich ihre Wohnung dadurch entdeckt habe, daß ich ihr bis an dieses Haus nachschlich.«

»Ja der That, Sir, erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen – bei meiner Seele, das ist –« »Ich bitte Sie, mich ausreden zu lassen, Mr. Sherwin Mein Benehmen, davon bin ich überzeugt, wird Ihnen nicht tadelnswerth erscheinen, wenn Sie die Güte haben, mich zu Ende zu hören.«

Er murmelte etwas Unverständliches – seine Gesichtsfarbe ward noch gelber – er ließ meine in tausend Brocken zerknitterte Karte fallen und fuhr sich mit der Hand rasch durch das Haar, so daß es beinahe wie eine Bürste von seiner Stirn emporstand, während die Nerven seines Gesichts heftiger als je zuckten und er mich mit einem gleichzeitig widrigen und unheimlichen Gesichtsausdrucke ansah.

Ich sah, daß es vergeblich sein würde, mit ihm so zu verfahren, wie ich einem Manne aus der guten Gesellschaft gegenüber gethan haben würde. Augenscheinlich hatten die zarten, schonenden Wendungen, von denen ich bis jetzt in meinen Worten Gebrauch gemacht, nur dazu gedient, ihn die plumpesten und gemeinsten Vermuthungen fassen zu lassen.

Ich änderte daher meinen Plan und ging direct aus die Frage ein – aus unser »Geschäft,« wie er es genannt hatte.

»Ich hätte mich, deutlicher erklären sollen, Mr. Sherwin. Vielleicht hätte ich Ihnen gleich anfangs sagen sahen, daß ich komme; um – um –«

Ich wollte sagen : »um bei Ihnen um die Hand Ihrer Tochter anzuhalten,« aber so vergeßlich in Bezug auf mich selbst hatte die Liebe mich gemacht, daß in diesem Augenblicke der Gedanke an meinen Vater mich durchzuckte, so daß jene Worte nicht über meine Lippen wollten.

«Nun, Sir, warum denn? warum denn?«

Der Ton, in welchem dies gesagt ward, war so schroff, ich möchte fast sagen, so insolent, daß er in mir eine»Reaction zu Wege brachte, und sofort war ich wieder im Besitze meiner vollständigen Selbstbeherrschung.

»Um Sie, Mr. Sherwin, um die Erlaubniß zu bitten, Ihrer Tochter meine Huldigungen darbringen zu dürfen.«

Und um mich noch verständlicher zu machen, setzte ich hinzu:

»Und um ihre Hand anzuhalten«

Die Worte waren gesprochen. Mein Herz pochte gewaltig; ich fühlte, daß ich bleich ward. Wenn selbst es von mir abgehangen hätte, aus das, was ich so eben gesagt, zurückzukommen, so würde mir doch der Wille dazu gefehlt haben. Dennoch aber zitterte ich wider Willen, indem ich den ersten und entscheidenden Schritt in diesem gewagten Spiele, das ich unternommen, that, indem ich in geeignetes und gewöhnlichen Ausdrücken den Wunsch aussprach, den ich bis jetzt in meinen wonnigen Träumen gehegt, die von nun an aufhörten, nur mir bekannt zu sein.

»Mein Himmel« rief Mr. Sherwin, indem er sich kerzengerad an der Lehne seines Stuhles emporrichtete und mich mit so überraschter Miene ansah, daß seine beweglichen, zuckenden Züge einen Augenblick lang das Bild der Ruhe darboten; »Himmel, das ist ja etwas ganz Anderes – das ist sehr erfreulich! Ich fühle mich sehr geschmeichelt, mein werther Herr; denn vorhin fing ich an zu glauben, Sie würden mir den Vorschlag machen – Sie wissen schon! Die jungen Herren des Standes, welchem Sie angehören, setzen sich zuweilen Ideen in den Kopf, die in Bezug auf die Frauen und Töchter der Leute, die sich nicht als ihres Gleichen betrachten können, sehr frei und ungeniert sind. Aber darum handelt es sich also nicht. Ich Dummkopf! Ich bitte Sie, gestatten Sie mir, Ihnen nochmals ein Glas Wein anzubieten – Sie wollen durchaus nicht? Gut. – Also meine Tochter hat einen solchen Eindruck auf Sie gemacht – in der That, dies rührt mich. Sie haben aber wohl noch gar nicht mit ihr gesprochen?«

»O ja,»sagte ich die Augen niederschlagend.

»So so! Das sollte ich Ihnen eigentlich übel nehmen, aber man muß sich in die Dinge zu schicken wissen. Meine Tochter verdient aber auch Ihre Bewunderung – sie verdient sie wirklich.«

«Niemand ist davon mehr überzeugt als ich, Mr. Sherwin. Jetzt muß ich Sie bitten, mir Ihre Aufmerksamkeit noch ein wenig länger zu« schenken, denn ich muß Ihnen erklären in welche ungewöhnliche Stellung ich mich versetze, indem ich diesen Antrag an Sie richte.«

»Ja. ja«

Er neigte sich wieder mit dem Kopfe vorwärts und sein Gesicht gewann einen durch dringenderen und schlaueren Ausdruck als je.

»Ich habe Ihnen schon mitgetheilt, Mr. Sheriwin, daß ich es möglich gemacht habe, mit Ihrer Tochter zu sprechen, ja, sogar zwei Mal mit ihr zusprechen; Ich habe ihr als ehrlicher Mann meine Erklärung gemacht, und sie hat sie mit jener Bescheidenheit und jenem vollkommenen Anstande des Tones und der Manieren aufgenommen, den ich von ihr erwartete, und welchen die vornehmste Dame der Erde nicht auf bessere Weise hätte an den Tag legen können.«

Mr. Sherwin drehte sich nach dem an der Wand hängenden Bildnisse der Königin herum, dann suchten seine Augen die meinigen und er machte eine feierliche Verneigung mit dem Kopfe.

»Obschon sie,« fuhr ich fort, »mir kein einziges Wort gesagt hat, welches geeignet wäre, mich zu ermuthigen, so glaube ich doch ohne Anmaßung hoffen zu können. daß mehr das wohlverstandene Gefühl ihrer Pflicht als eine Abneigung gegen mich sie bewogen hat, so zu sprechen.«

»Ja, ja, ich verstehe; ich habe ihr die bewundernswürdigsten Grundsätze eingeprägt. Sie würde Nichts thun, ohne vorher meine Einwilligung erlangt zu haben, das versteht sich von selbst.«

»Ohne Zweifel ist dies einer von den Gründen, welche sie gehabt hat, mich so zu empfangen, wie sie gethan. Es ist aber auch noch ein andrer vorhanden, den sie mir auf die bestimmteste Weise entgegengestellt hat – die Ungleichheit unsres Standes.«

»Ah, davon hat sie also gesprochen! Sie hat daran gedacht! Das steht zu erwägen. Sie hat hierin eine Schwierigkeit gesehen. Ohne Zweifel, ohne Zweifel! Es find das ganz vortreffliche Grundsätze, mein Herr. Gott sei Dank, meine Tochter hat vortreffliche Grundsätze.«

»Ich brauche Ihnen wohl kaum zu sagen, Mr. Sherwin, wie ich das zarte Ehrgefühl zu würdigen weiß, welches Ihre Tochter durch diesen Einwand bethätigt hat: Was mich natürlich persönlich betrifft, so ist der Einwand so gut wie keiner, das werden Sie leicht begreifen. Von Miß Sherwin hängt das Glück meines ganzen Lebens ab. Die Schönheit und die Herzensgüte des Weibes, welches wir lieben sind Eigenschaften, die wir Höher stellen als alle anderen. Was mich betrifft, so besteht das größte Glück, welches ich mir denken kann, darin, Ihre Tochter meine Gattin zu nennen. Dies habe ich, ihr gesagt und ihr zugleich angedeutet, daß ich hierüber mit Ihnen– sprechen würde. Sie hat Nichts dagegen eingewendet, und deswegen bin ich, glaube ich, zu entschuldigen, wenn ich denke, daß, wenn Sie durch Ihre väterliche Autorität die Bedenklichkeiten Ihrer Tochter beseitigen – diese Bedenklichkeiten, welche ihr gegenwärtig zur Ehre gereichen – sie sich vielleicht dazu verstehen würde, weniger streng und unerbittlich gegen mich zu sein.«

»Das nenne ich eine vortreffliche Anschauung. Man kann die Sache nicht besser darstellen als Sie eben gethan, ich nenne dies eine praktische Auffassung, wenn Sie mir erlauben, diesen Ausdruck zu gebrauchen. Und nun, mein werther Herr, müssen wir uns nach einer andern Seite hinwendem Was wird Ihre Familie – Ihre sehr ehrenwerthe Familie dazu sagen, die mit Recht in so hohem Ansehen sieht – wie?«

»Sie berühren gerade den kritischen Punkt. Mein Vater, von welchem ich in meiner Eigenschaft als jüngerer Sohn abhängig bin, ist in seiner Anschauungsweise hin sichtlich der socialen Ungleichheiten sehr eigenthümlich. Er hat Vorurtheile – ich sollte vielmehr sagen Ueberzeugungen –«

»Ah, das läßt sich denken, – das ist« sehr natürlich. Ich, mein werther Herr, achte solche Ueberzeugungen. Wenn man so schöne Landgüter besitzt, wenn man einer Familie angehört wie die Ihrige, die, wie ich glaube, besonders von Seiten Ihrer seligen Mutter, mit mehreren adeligen Häusern verwandt ist, dann kann man sich schon Etwas einbilden. Ich sage daher, die Ueberzeugungen Ihres Herrn Vaters gereichen ihm zur Ehre und ich achte sie eben so sehr als ich ihn selbst achte –«

»Ich freue mich, daß die Ideen meines Vaters in Bezug auf die socialen Unterschiede Ihnen in einein« so günstigen Lichte erscheinen. Mr. Sherwin. Sie werden dann auch weniger überrascht sein, zu hören, wie sehr diese Ideen geeignet sind, mich lebhaft zu beschäftigen, namentlich in dem Augenblicke, wo ich bei Ihnen diesen Schritt thue.«

»Er mißbilligt ihn, das versteht sich – er mißbilligt – ihn vielleicht sehr. Allerdings, mag meine Tochter eines noch so hohen Ranges würdig sein, und mag ein Mann, der sich den Handelsinteressen mit so1chem Eifer widmet wie ich, auch glauben, daß er das Recht habe, den Kopf hoch zu tragen, denn er ist eine der Stützen unsers Handel treibenden Vaterlandes –« hier fuhr er sich rasch mit den Fingern durch die Haare und schien sich die Miene einer unabhängigen Würde geben zu wollen – »so bin ich doch bereit, Zuzugeben, daß unter allen Umständen – bemerken Sie wohl, sage unter allen Umständen – die Mißbilligung Ihres Vaters eine sehr natürliche ist und daß man sich darauf gefaßt halten mußte.«

»Er hat keine Mißbilligung ausgesprochen, Mr. Sherwin.«

»Aber wie meinen Sie das?«

»Ich habe ihm noch keine Gelegenheit dazu gegeben. Ich habe bis jetzt weder ihm noch irgend – einem andern Mitglied meiner Familie ein Wort von meiner Begegnung mit Ihrer Tochter gesagt und werde auch fernerhin dieses Geheimniß bewahren.

Ich spreche nicht leichtfertig, sondern gestützt auf die Kenntniß, die ich von dem Charakter meines Vaters habe, wenn ich Ihnen sage, daß ich überzeugt bin, er würde, wenn ich ihn von meinem Wunsche, Sie zu besuchen, in Kenntniß gesetzt hätte, vor keinem Mittel zurückgetreten sein, um diesen Besuch zu einem erfolglosen zu machen. Er ist für mich immer der beste und aufmerksamste Vater gewesen, aber ich bin fest überzeugt, daß, wenn ich auf seine Einwilligung wartete, meine inständigsten Bitten eben so vergeblich sein würden als die der Personen, die sich mir anschlössen Mein Schmerz, und selbst wenn mich derselbe vor seinen Augen verzehrte, würde ihn nicht bestimmen, seine Einwilligung zu der Heirath zu geben, die ich Ihnen vorzuschlagen gekommen bin.«

»Aber, mein Himmel, da Sie von ihm abhängig sind, wie zum Teufel soll denn dann die Sache zu Stande kommen?«

»Wir müssen mein Verhältniß zu Ihrer Tochter und unsre Vermählung streng geheim halten.«

»Eine heimliche Ehe – mein Himmel»

»Ja, wir würden das Geheimniß sorgfältig unter uns bewahren bis zu dem gelegenen Augenblicke, den ich zu wählen wissen würde, um diesen Schritt meinem Vater zu entdecken, ohne allzu große Gefahr zu laufen, daß er – daß er –«

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es iß dies die außer ordentlichste Sache, die mir in meinem Lebens vorgekommen ist. Aber wie sollen wir denn überhaupt dabei zu Werke gehen?

»Es würden uns mehrere Mittel freistehen. Zum Beispiel, wenn einmal die Heirath geschlossen und jeder Widerstand und alle Bedenken beseitigt wären, würde ich es so einrichten, daß mein Vater Gelegenheit bekäme, Ihre Tocher zu sehen, ohne sie zu kennen. allmählich, ohne ihre Absichten durchschauen zu lassen, würde sie seine Liebe und Achtung gewinnen und bei ihrer Schönheit, der Distinction ihrer Manieren und ihrer Liebenswürdigkeit kann sie des Sieges sicher sein, während ich den günstigen Augenblick erwarten würde, um Alles zu gestehen. Wenn ich dann zu ihm sagte: »Diese junge Dame, welcher Du Deine Sympathieen schenkst, lieber Vater, ist meine Gattin,« glauben Sie, daß er uns dann seine Verzeihung verweigern könnte? Wenn ich dagegen jetzt zu ihm sagte: »Dies ist das. Mädchen, welches ich heirathen will dann würden seine Vorurtheile selbst die günstigsten Eindrücke wieder zu Nichte machen und er uns seine Einwilligung verweigern. Um die Sache kurz zu machen, Mr. Sherwin, vor der Vermählung wäre es unmöglich, meinen Vater zur Zustimmung zu bewegen. Nach der Vermählung wenn sein Widerstand Nichts mehr verhindern kann, ist die Sache eine ganz andere, und wir würden sicher sein, früher oder später die günstigsten Resultate zu erlangen. deshalb also wäre es unbedingt nothwendig, unsre Vermählung anfangs geheim zu halten.»

Ich wunderte mich damals und habe mich später noch mehr über mich selbst gewundert, daß es mir gelang, so zuversichtlich und bestimmt zu sprechen, während doch mein Gewissen jedes meiner Worte Lügen strafte.

Aber schon hatte die Liebe mit meinem Charakter eine Umgestaltung vorgehen lassen, die ich nicht geahnt hätte.

»Ja, ja, ich verstehe, ja, ich verstehe,« sagte Mr. Sherwin, indem er ziemlich verlegen«mit einem Schlüsselbunde in seiner Tasche klimperte, »das ist aber eine sehr delikate Sache, wissen Sie; eine sehr krittliche und schwierige Sache. Allerdings ist ein junger Mann von Ihrer Geburt und Erziehung ein Schwiegersohn welcher – das versteht sich von selbst. Dann aber kommt auch noch die Geldfrage, für den Fall, daß Sie Ihren Vater Zuletzt vielleicht doch nicht herumkriegen. Mein Geld ist vollständig in meinem Handel angelegt – ich kann Nichts geben – auf mein Wort, ich weiß nicht – Sie versetzen mich da in eine Lage, in welcher – in welcher ich mich noch niemals befunden.«

»Ich habe einflußreiche Freunde, Mr. Sherwin, und kann in mehr als Einer Brauche einen einträglichen Posten erhalten, sobald ich mir die Mühe nehme, mich darum zu bewerben. Aus diese Weise würde ich mich gegen die Möglichkeit dieses Schlages waffnen.«

»Nun, das ist allerdings Etwas! – Wohlan, mein werther junger Herr, Sie müssen mir einen oder zwei – wir wollen sagen zwei Tage Zeit lassen, um mich von den Gesinnungen meiner Tochter zu unterrichten und um über Ihren Vorschlag nachzudenken, auf den ich, wie Sie sich leicht denken können, durchaus nicht gefaßt war. Ich versichere Ihnen aber, daß ich mich sehr geschmeichelt und sehr geehrt fühle, und daß es mein innigster Wunsch, ist –«

»Ich hoffe, Mr. Sherwin, daß Sie mir das Resultat Ihrer Erwägungen so bald als möglich mittheilen werden.»

»Ich werde, nicht verfehlen – darauf können Sie sich verlassen. Können Sie mich vielleicht übermorgen zu derselben Stunde wieder mit einem Besuche beehren?«

»Mit »dem größten Vergnügen.»

»Und bis dahin, während dieser Zwischenzeit, werden Sie mir Versprechen, sich jeder Mittheilung mit meiner Tochter zu enthalten, nicht wahr?«

»Ich verspreche es, Mr. Sherwin, denn ich glaube, ich kann hoffen, daß Sie mir eine günstige Antwort geben werden.»

»Na, die Liebenden, sagt man, dürfen niemals verzweifeln Nachdem ich mir die Sache ein wenig überlegt und mit meiner lieben Tochter gesprochen – doch, wollen Sie wenigstens nicht jetzt noch ein Glas von meinem Sherry trinken? Sie lehnen es wieder ab? Nun gut denn – also übermorgen um fünf Uhr.«

Die gefirnißte Thür öffnete sich mit stärkerem Knarren als je vor mir. Auf dieses Geräusch folgte unmittelbar das eines Gewandes, welches man im Vorübergehen streift, während eine zweite Thür sich nicht weniger geräuschvoll am andern Ende des Corridors schloß. Hatte uns denn Jemand behorcht? Wo war Margarethe?

Mr. Sherwin begleitete mich bis an die Gartenthür, wo er mir eine letzte Verbeugung machte und mich dann fortgehen sah. So dicht auch die Atmosphäre der verliebten Illusion war, in welcher ich mich bewegte, so schauderte ich doch unwillkürlich, indem ich ihm seinen Gruß zurückgab, denn ich bedachte, daß dieser Mann mein Schwiegervater sein würde.

Die Heirath im Omnibus

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