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Sie hießen Marten und bewirtschafteten den Sophienhof, der Luftlinie kaum mehr als einen Kilometer vom Tatort entfernt lag. Er hieß Onno und seine Frau Rieke. Trevisan schätzte sie nahe siebzig. Sie waren über das erneute Erscheinen der Polizei etwas verwundert, hatten sie doch bereits den Kollegen, die am frühen Morgen bei ihnen gewesen waren, erklärt, dass sie niemanden gesehen, geschweige denn eine verdächtige Wahrnehmung gemacht hätten. Beide hätten bis acht Uhr geschlafen und seien erst durch die Polizei wach geworden. Inzwischen hatte sich herumgesprochen, was auf dem Jakobshof geschehen war, und die Betroffenheit der Martens war unübersehbar. Sie baten Trevisan und seine Kollegin Lisa Bohm in ihre Stube und boten ihnen Platz an.

»Einen Tee, wenn ich fragen darf?«

Lisa schüttelte den Kopf, doch Trevisan stimmte zu, weil er genau wusste, wie man mit älteren Zeugen ins Gespräch kommen konnte und genau das hatte er vor. Denn wenn jemand etwas berichten konnte, das man bei einer Routinebefragung nicht erfuhr, dann war es meist die direkte Nachbarschaft, und das waren die Martens.

Während Rieke Marten in die Küche davoneilte, stopfte sich Onno eine Pfeife. »Das ist furchtbar, was da passiert ist«, nuschelte er. »Diese Welt wird immer grausamer.«

»Sie wohnen hier alleine?«

Er nickte, während er seine Pfeife anzündete. »Mein Sohn ist bei der Marine in Wilhelmshaven. Kommt nur alle paar Wochen. Jetzt kreuzt er mit seiner Fregatte im Mittelmeer, wegen der Flüchtlinge, kommt erst im Winter wieder.«

»Dann kümmern Sie sich alleine um den Hof?«

Der alte Mann zog an seiner Pfeife und blies den Rauch wie eine Lokomotive in die Luft. »Na, ein paar Hühner und ein paar Schweine. Kühe haben wir schon lange nicht mehr. Windräder stehen auf meinem Grund, war Peters Idee, das mit dem Windpark.«

»Und das läuft?«

»Na, bessert die schmale Rente ein wenig auf.«

Rieke Marten kehrte mit einer Kanne Tee und mehreren Tassen auf einem Tablett aus der Küche zurück. Sie nahm Onnos Streichhölzer und zündete die Kerze im Stövchen an, ehe sie die blauviolett geblümte Kanne darauf platzierte. »Das ist eine schlimme Sache mit den Habichs und auch die Dörte, das kann man gar nicht fassen.«

»Kannten Sie die Habichs näher?«

»Na, näher … näher nicht, wir sind Nachbarn. War ein komischer Kauz, der Alte«, seufzte Onno Marten. »Die kamen von drüben. Frauke kennen wir gut, war ’ne lütte Deern und spielte manchmal mit Peter, unseren Söhn. War tragisch, als Hinrich nicht mehr wiederkam. Ist auf See geblieben. War ein Unfall mit dem Kutter. Ging über Bord und ward nie mehr gesehen. Tja, was sich die See holt, dat gibt se nie mehr her.«

»Wie hat Sie ihren Mann eigentlich kennengelernt?«

»Rolf, den Habich?«, fragte Rieke und setzte sich, nachdem sie den Tee eingeschenkt hatte. »Die Lüü sagen, durch den Computer, da kann man andere Leute kennenlernen. War eine harte Zeit, das mit Hinrich. Der Hof, die Kühe und dann auch noch Dörte, das war ja auch nicht immer leicht. Hat lange gedauert, bis Frauke einen fand, der auch was vom Wirtschaften verstand.«

»Gab es in der Zeit auch andere Männer?«, fragte Trevisan.

Rieke schaute ihren Mann an, schließlich schüttelten beide den Kopf. »Nichts Ernstes«, sagte er, »einmal war da einer aus dem Süden, ich glaube, das war ein Schweizer. Drei Monate, dann hatte er die Nase voll, ist einfach weggelaufen und tauchte nie wieder auf.«

»Wie lange lebte Frauke alleine?«

»Ein paar Jahre werden es wohl gewesen sein.«

»Und dann kam Rolf Habich?«

»Ja, wurde auch Zeit. Der Hof, das hat nicht funktioniert. Sie war alleine und das Kind war keine Hilfe. Trieb sich herum, das Luder. Trug immer kurze Röcke und war grell geschminkt, wie ’ne Hafennutte.«

»Onno!«, maßregelte Rieke ihren Mann.

»Wir haben zusammen geholfen«, fuhr er fort. »Aber ging auf Dauer nicht. Ich habe ihr geraten, dass sie verkaufen soll, weg mit den Rindviechern und so, wie wir, da waren noch alle verrückt nach Baugrund für die großen Ventilatoren. Aber Frauke wollte nichts davon wissen. Sie hat weitergeschuftet und dann irgendwie Rolf kennengelernt.«

»Über das Internet.«

»Ja, wie sonst, wenn du Deerten hast, dann geiht dat nich, das du rauskannst, die wollen freten und Milch geben sie auch Tag für Tag.«

»Also war Rolf Habich eine Internet-Bekanntschaft?«

Onno nickte. »Leev war dat nich.«

»Also mehr eine Zweckheirat.«

Rieke nickte. »Von Liebe kann man nicht leben. Rolf war Bauer, früher mal bei den Russen, drüben. Er kannte sich aus mit dem Vieh und Frauke war nicht die schlechteste Partie. Nur Dörte, die war dagegen. Ist dann auch verschwunden. Auf die Inseln, arbeitete in einem Hotel. Zimmermagd und so.«

»Auf Nordeney, hörte ich. Aber jetzt war sie da.«

Onno nickte. »Kam immer mal wieder für ein paar Tage. Jetzt war sie schon zwei Wochen da. Man hört, das Hotel, in dem sie arbeitet, ist bankrott.«

»Ah … Wissen Sie, wo Dörte gearbeitet hat?«

Onno blickte seine Gattin fragend an.

»Dat hieß Seestern oder so ähnlich, hat mir Frauke mal erzählt.«

Trevisan nippte an seinem Tee. »Hatte Dörte einen Freund oder gab es mal jemanden, mit dem sie zusammen war?«

»Sie meinen … jemand, der so etwas tut?«, fragte Rieke.

»Ja, so meine ich das«, bestätigte Trevisan.

Rieke Marten schüttelte den Kopf. »Dörte war ’ne lütte Deern, als sie ihren Vater verlor. Junge Lüü sind in diesem Alter, wie soll ich sagen, steenpöttig. Deerns meist noch schlimmer als Pöökse. Sie hat sich rumgetrieben und nicht auf Frauke gehört. Frauke meinte, dass ihr Dörte beim Hof hilft, aber die dachte gar nicht daran. War wohl die Pubertät. Als Frauke dann mit Rolf zusammenkam, ist sie abgehauen, also nicht weggelaufen, das meine ich nicht. Aber sie wollte nicht zu Hause wohnen bleiben. Frauke hatte ihr nach der Schule einen Ausbildungsplatz als Altenpflegerin in Wittmund besorgt, doch da hat sie hingeschmissen. Sie meinte, das wäre nichts für sie. Die Stelle auf Norderney, da hat sie sich selbst beworben. Frauke war zuerst nicht damit einverstanden, aber schließlich meinte sie, dass Dörte ruhig versuchen sollte, auf eigenen Füßen zu stehen. Kurz nach der Heirat von Frauke ist sie ausgezogen. Anfangs kam sie selten, aber in den letzten Jahren war sie immer für ein paar Tage da. Rolf war gar nicht so schlimm, aber der Grootvadder, dat war nen olt Dodenvagel. Also ob Dörte auf Norderney jemand kennengelernt hat, das … dat weet ick nich.«

»Und Rolf Habich, was war er für ein Mensch?«

Onno zuckte mit der Schulter. »Anfangs redete er nicht viel, aber das … das änderte sich mit der Zeit, war ganz püük, der Keerl. Hat uns ab und zu geholfen, mit dem Trecker, wenn zu mähen war.«

»Kann es sein, dass er Feinde hatte?«

»Fiend?«, wiederholte Onno Marten. »Nee, dat glov ick nich. War ein angenehmer Mensch, wenn man ihn näher kannte. Sein Vater war da anders, wusste alles besser und war dauernd am Dibbern, dat passte nich, dat war mies. Ick ging em aus em Weg.«

»Ja, der Alte, dat war keen Feiner«, bestätigte Rieke.

»Frauke kannten Sie schon seit ihrer Kindheit?«

Rieke nickte. »Ja, ist da aufgewachsen und geblieben, hat immer auf dem Hof mitgearbeitet. Ihre Mutter war oft krank und gebrechlich. Frauke hat gekocht, geputzt und sich auch noch um die Tiere gekümmert. Hinrich war aus Hohenkirchen. Hat immer die Milch geholt mit seinem Laster, so kamen sie zusammen.«

»Und wie war das mit seinem Unfall?«

»Half dem alten Grotje auf dem Kutter, fuhren von Harlingersiel raus auf Krabben«, erzählte Onno. »Hat sich da was zuverdient, konnte ja gut anpacken, der Hinrich. War stürmisch an dem Tag, aber Grotje meinte, dat Schietwetter wird vorbigahn, hat sich getäuscht, der Alte. War vor Mellum am Roten Sand, een himmelhogen Duenung, kam ’ne Bülgen querab und Hinrich ging ins Fohrwater, musst versupen, de Sünner.«

»Sie haben ihn nicht mehr gefunden«, fügte Rieke hinzu. »War ein Unfall, sein Haken war lädiert und hat ihn nicht gehalten.«

»Haken?«, fragte Trevisan.

»Bei Sturm, die Sturmleine, damit man nicht über Bord geht.«

Trevisan griff erneut zur Teetasse. Während seine junge Kollegin nur nippte, nahm er einen kräftigen Schluck. »Warum ist der Skipper bei dem Sturm nicht in den Hafen zurückgekehrt?«

Onno runzelte die Stirn. »Dat ist nich einfach, bei Schietwetter in den Haven inlopen. Wollte abwettern beim Roten Sand.«

Trevisan verstand, was Onno damit meinte. Manchmal war es besser, auf der See zu bleiben, das Schiff richtig zu positionieren und den Sturm einfach abzuwarten. »Gab es damals eine Untersuchung?«

Rieke nickte. »Die Küstenwache ist gekommen, war ein Unfall, der alte Grotje konnte da nichts für. Hat aber nichts genutzt, der Gute ist drei Wochen später gestorben, Herzinfarkt.«

Trevisan stellte die Tasse ab. »Tja, ich glaube auch nicht, dass diese Geschichte etwas mit den Morden auf dem Jakobs­hof zu tun hat. Könnte es sein, dass der alte Mann, Rolf Habichs Vater, sich mit jemandem aus der Gegend überworfen hat?«

Onno lachte und schüttelte den Kopf. »Den ollen Gnadder­kopp nahm eh niemand für voll.«

»Haben Sie in den letzten Tagen jemanden beobachtet, der sich für den Jakobshof interessiert und hier herumschlich, einen fremden Wagen, einen Radfahrer oder einen Touristen?«

Onno schüttelte den Kopf. »Nee, hier war niemand, alles wie immer.«

Trevisans Teetasse war leer und Rieke wollte noch einmal nachschenken, doch er lehnte ab und warf einen Blick auf die Armbanduhr. Es war kurz nach vier. »Tja, es wird Zeit«, sagte er zu seiner Kollegin und erhob sich. »Danke, Sie haben uns sehr geholfen.«

»Keine Ursache«, antwortete Rieke Marten. »Nur, müssen wir uns fürchten, dass der Bekloppte noch hier rumläuft?«

Trevisan lächelte. »Nein, das glaube ich nicht. Wir glauben, dass der Täter gezielt den Jakobshof aufsuchte. Aber trotzdem ist es ratsam, abzuschließen.«

Während Onno auf seinem Sessel sitzen blieb und genüsslich an seiner Pfeife zog, führte Rieke Marten ihre Gäste hinaus. Auf der Schwelle zum Flur wandte Trevisan sich noch einmal um. »Ach – hat Rolf Habich Ihnen erzählt, woher er kommt?«

»Hat er wohl«, bestätigte Onno. »Irgendwo in Sachsen, hab es aber vergessen.«

»Redete er nicht dauernd vom Erzgebirge?«, fragte Rieke.

»Kann sein.«

Trevisan bedankte sich noch einmal für den Tee und verließ zusammen mit Lisa Bohm das Haus.

»Dafür, dass sie eigentlich nicht viel über ihre Nachbarn wissen, haben sie eine ganze Menge über sie erzählt«, bemerkte Lisa, als sie auf dem Beifahrersitz des Dienstwagens Platz nahm.

»Ja, so etwas erfährt man nur, wenn man sich Zeit zum Plaudern nimmt«, bestätigte Trevisan. »Schade nur, dass sie nichts im Vorfeld beobachtet haben, das uns weiterhilft. Aber der Schlüssel zur Lösung des Falles liegt eindeutig im persönlichen Bereich der Opfer.«

»Was tun wir als Nächstes?«

Trevisan startete den Wagen. »Wir haben vier Opfer, jedes kann Auslöser der Tat gewesen sein. Eifersucht und verschmähte Liebe, Neid, abgrundtiefer Hass aus irgendeinem Grund.«

»Sie meinen die Tochter?«

»Ich bin übrigens Martin«, sagte er. »In meinem Team sprechen wir uns mit Vornamen an, schließlich müssen wir gut zusammenarbeiten und ich finde, die lockere Anrede trägt dazu bei.«

»Lisa«, entgegnete die junge Kollegin mit einem Lächeln.

»Also, Lisa, was schlägst du vor?«

Lisa hakte den Sicherheitsgurt ein. »Die Martens haben es schon gesagt, wenn wir mehr über das Mädchen erfahren wollen, dann müssen wir nach Norderney.«

Trevisan nickte. »Ja, aber zuerst fahren wir zurück auf die Dienststelle, die Verstärkung ist da. Monika hat mir eine SMS geschickt.«

Kalteiche

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