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ОглавлениеFreitag
Als Trevisan kurz nach acht Uhr auf die Dienstselle kam, saß Monika Sander bereits am Schreibtisch.
»Guten Morgen, Martin. Eine Streife hat in der Nacht ein Fahrrad gefunden. Gerade mal drei Kilometer vom Tatort entfernt. Es wurde vor drei Tagen in Jever vor einem Supermarkt gestohlen und könnte vom Täter benutzt worden sein.«
»Wo ist das Rad jetzt?«
»Unten in der Garage. Dein Lieblingskollege von der Spurensicherung ist da und kümmert sich darum.«
»Krog?«
Monika lächelte. »Sie haben ihn mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt. Er bleibt jetzt übrigens hier, zumindest für eine Woche, hat er erklärt. Er hält es für besser, wegen der räumlichen Nähe zum Tatort und so, du verstehst.«
»Ah ja, interessant. Gibt es sonst noch was?«
»Ja, da liegt eine Bushaltestelle in Hohenkirchen, nur ein paar hundert Meter entfernt. Ich habe mit dem Verkehrsverbund Ems Jade telefoniert. Die fahren die Linie dreimal am Tag. Ich habe den Namen des Fahrers der Mittagstour. Er ist jetzt erst einmal unterwegs und meldet sich bei uns, sobald seine Tour beendet ist.«
»Gut gemacht, Monika. Wohin fährt der Bus von Hohenkirchen aus?«
»Der fährt von Wilhelmshaven über Jever, Carolinensiel, Wittmund und Aurich hinunter nach Emden.«
Trevisan versuchte sich den Weg bildlich vorzustellen. »Dann könnte der Kerl jetzt überall in der Gegend sein.«
»Ja, das ist wohl wahr. Lisa ist übrigens mit Eike unterwegs. Sie überprüfen da etwas, auf das Eike im Internet gestoßen ist. Und außerdem hat die Gerichtsmedizin schon kurz vor acht angerufen. Die Obduktion der Leichen ist für heute Mittag vorgesehen. Dreizehn Uhr.«
»Gut, das lässt sich einrichten. Die Pressekonferenz wird wohl bis dahin zu Ende sein. Sind die Teams schon unterwegs?«
»Drei Teams klappern die Nachbarschaft ab und ein Team ist unterwegs nach Norderney zu diesem Hotel Seestern.«
»Wen hast du geschickt?«
»Lentje und Olaf von der Fahndung.«
»So wie die Martens gestern andeuteten, könnte die junge Frau ein klein wenig durchtrieben gewesen sein. Da wäre es gut, wenn man sich ihr Leben mal ein klein wenig näher betrachtet.«
»Da kann ich dich beruhigen, Lentje Kaplani ist genau die Richtige dafür.«
»Schön, dann gehe ich mal in mein Büro, vielleicht komme ich heute dazu, meine Habseligkeiten auszupacken.«
»Glaube ich nicht, Thorke Oselich will dich sehen. Sie ist ganz schön nervös wegen der Pressekonferenz.«
»Ach ja«, seufzte Trevisan. »Dann gehe ich mal zu ihr und versuche sie zu beruhigen.«
Er ließ sein Zimmer links liegen und klopfte an die Bürotür der Direktorin.
»Ach, gut, dass Sie da sind, Herr Trevisan, wir sollten besprechen, was wir heute den Journalisten alles sagen.« Sie war sichtlich erleichtert, dass er endlich aufgetaucht war.
»Sollten wir nicht auf den Staatsanwalt warten?«
»Ich möchte mich gerne zuvor mit Ihnen beraten, bevor wir da unterschiedlich auftreten. Wissen Sie, Kollege Trevisan, all zu oft kommt so etwas bei uns nicht vor.«
Trevisan nahm auf dem ihm zugewiesenen Stuhl Platz. Thorke Oselich sah ein klein wenig übernächtigt aus, was ihr überhaupt nicht gut zu Gesicht stand. Wahrscheinlich hatte sie vor lauter Aufregung die halbe Nacht nicht geschlafen. Sie wollte sich das allerdings in keiner Weise anmerken lassen.
Sie entspannte sich erst, als Trevisan ihr durch die Blume Entlastung anbot. »Ich denke, ich sollte als Sachbearbeiter mit der Presse sprechen, denn wir dürfen nicht zu viel preisgeben und müssen eine deutliche Grenze ziehen.«
»Ja, ja … Das … finde ich auch«, erklärte die Direktorin, sichtlich erleichtert.
»Ich will natürlich niemandem die Show stehlen und der Staatsanwalt wird sicherlich auch ein paar Worte zu sagen haben, aber grundsätzlich halte ich das für den gangbaren Weg, bevor Fragen auftauchen, auf die wir keine Antworten geben können.«
»Ja, da haben Sie recht, Kollege Trevisan«, bestätigte die Frau eifrig. »Außerdem ist es an der Zeit, ich denke, und so halte ich es mit allen Mitarbeitern, wir sollten einen offenen Umgang miteinander pflegen. Deswegen bevorzuge ich das Du und die Vornamen, natürlich nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich bin Thorke.« Sie streckte ihm die Hand entgegen.
Er ergriff sie. »Martin.«
»Gut, dann ist das ja geklärt. Gibt es Neuigkeiten, ich meine, außer dem Fund des Fahrrades?«
Trevisan lächelte. »Krog von der Spusi hat beschlossen, ein paar Tage hierzubleiben.«
*
Lentje Kaplani war eine wunderschöne Frau mit langen, seidigen pechschwarzen Haaren, die im Wind der wilden See hin und her schwangen. Sie war die Tochter eines iranischen Vaters und einer friesischen Mutter, eine Mischung aus Schönheit und Intelligenz, wie sie selbst immer zu sagen pflegte, und arbeitete seit fünf Jahren bei der Kriminalpolizei in Wilhelmshaven. Ihre vorwiegende Aufgabe waren Kapitaldelikte im sexuellen Bereich wie Vergewaltigungen, sexuelle Nötigungen und Kinderpornographie. Doch diesmal war sie Teil einer Sonderkommission, die den brutalen Mord an einer ganzen Familie aufzuklären hatte. Sie hatte sich akribisch in den Fall eingelesen, denn sie spielte zwar schon lange mit dem Gedanken, ihren Fachbereich zu wechseln, bislang hatte sich aber noch nicht die Möglichkeit ergeben und zu Bloom, Trevisans Vorgänger, hatte sie kein allzu gutes Verhältnis gehabt. Trevisan war eine neue Chance für sie, außerdem eilte ihm ein ausgezeichneter Ruf voraus.
Nachdem die Frisia-Fähre im Hafen von Norderney angelegt hatte, fuhren sie in den Nordteil der Insel, wo sich unweit der Marienhöhe das Hotel Seestern befand. Ein mehrstöckiger weißer Bau mit mehreren Flügeln, der an ein englisches Landhaus erinnerte.
»Dann wollen wir mal!«, sagte Olaf Schönborn, Lentjes Kollege, als er den Dienstwagen auf dem Parkstreifen direkt vor dem Hotel parkte.
An der Rezeption zeigten sie der jungen Frau hinter dem Empfang ihre Dienstausweise. »Wir würden gerne mit dem Geschäftsführer sprechen.«
Die junge Frau reagierte ein klein wenig erschrocken. »Ist es wegen Gavin?«
»Gavin?«, wiederholte Lentje fragend.
»Ja, Gavin Eriksdorf, aber der arbeitet nicht mehr hier.«
»Ja, unter anderem«, entgegnete Lentje, während Olaf ihr einen fragenden Blick zuwarf. »Sie sind später noch hier?«
Die junge Angestellte nickte. »Ich habe gegen zwölf Pause.«
»Alles klar, kann sein, dass wir auch noch mit Ihnen sprechen müssen.«
Ein paar Minuten später wurden Lentje und Olaf so diskret wie möglich in das Büro der Geschäftsleitung geführt. Mia Bröder, Geschäftsführung, stand auf dem Türschild des geräumigen Büros im Erdgeschoss. Einen herrlichen Ausblick auf die Nordsee und den Strand gab es von diesem Zimmer aus. Mia Bröder war eine Frau mittleren Alters mit streng zurückgekämmten Haaren, die zu einem Dutt zusammengesteckt waren. Sie trug ein perfekt sitzendes blaues Kostüm und wirkte auf Lentje wie die Gouvernante eines blaublütigen Herrschaftssitzes.
»Die Polizei«, sagte die Frau erstaunt, nachdem Lentje sich vorstellt hatte. »Wir haben doch schon alles angegeben.«
»Wir sind wegen Dörte Henner hier.«
»Dörte, was ist mit ihr?« Die Geschäftsführerin bot den beiden Polizisten Platz an.
»Es tut mir leid, Dörte Henner ist tot«, entgegnete Lentje. »Sie wurde umgebracht.«
»Von Eriksdorf?«
»Was ist mit Eriksdorf?«
»Na, wegen ihm hat doch der ganze Schlammassel hier angefangen. Wir sind ein gutes Hotel und haben einhundertachtzig Betten. Die Leute kommen gerne zu uns, aber dass die Polizei bei uns ein- und ausgeht, das ist unmöglich. Unsere Gäste wollen sich erholen und abschalten, sie wollen keine Spürhunde hier herumlaufen sehen.«
Lentje warf ihrem Kollegen einen vielsagenden Blick zu. »Vielleicht sollten Sie uns das einmal von Anfang an erklären.«
»Also gut«, seufzte die Frau und strich sich ihren Rock zurecht. »Eriksdorf war bei uns angestellt. In der Küche. Vor etwa einem Monat tauchten dann Ihre Kollegen bei uns auf. Eriksdorf wurde in Holland festgenommen, wegen Rauschgiftschmuggel, aber er ist dort entkommen, deswegen haben Ihre Kollegen ihn hier gesucht. Sie haben alles auf den Kopf gestellt. Sie glauben gar nicht, wie peinlich uns das war. Wir können nichts für unsere Angestellten. Und dann auch noch dieses Rauschgift bei uns im Haus.«
Lentje horchte auf. »Rauschgift, hier im Hotel?«
»Ja, sie haben es in Dörtes Zimmer gefunden. Das war ein ganzes Paket. Am… Am… Amph…«
»Amphetamin!«
»Ja, genau.«
Lentje zückte ihren Notizblock. »Wie haben Sie reagiert?«
Mia Bröder fasste sich an die Nase. »Ich habe Dörte natürlich zur Rede gestellt, aber sie wollte nichts davon wissen. Ich habe sie selbstverständlich sofort hinausgeworfen. So etwas geht nicht.«
»Wieso wurde das Rauschgift bei ihr im Zimmer gefunden, wenn doch Eriksdorf verdächtigt wird?«, mischte sich Olaf Schönborn ein.
»Na, sie und Eriksdorf waren doch zusammen«, entgegnete Frau Bröder. »Da kann sie mir doch nicht einfach frech ins Gesicht lügen. Natürlich wusste sie Bescheid.«
»Wann war das?«, fragte Lentje.
»Vor vierzehn Tagen, etwa.«
»Und wie hießen unsere Kollegen, die hier bei Ihnen waren?«
Mia Bröder öffnete die Schublade ihres Schreibtisches und kramte darin, ehe sie eine Visitenkarte hervorzog. »Kriminalhauptkommissar Maier, Landeskriminalamt Hannover, Dezernat 3.« Sie reichte Lentje die Visitenkarte, die die Daten darauf in ihrem Block notierte. »Ich weiß ja, dass Sie nichts dafür können und nur Ihre Arbeit machen. Aber ich versuche hier ein Hotel zu führen und das alleine ist schon schwierig genug.«
»Das war ein ganzes Paket mit Rauschgift?«, fragte Lentje.
Mia Bröder nickte eifrig. »Ja, Ihr Kollege meinte, das kostet zwanzigtausend Euro, das Giftzeugs.«
Lentje runzelte die Stirn. »Er hat Dörte nicht festgenommen?«
»Sie musste mit aufs Festland, aber am Abend war sie wieder hier. Sie sagte, sie hätte nichts damit zu tun, aber das nehme ich ihr nicht ab. Die hat genau gewusst, was ihr sauberer Freund treibt. Ständig ist sie in neuen Klamotten herumgelaufen. Ich weiß, was so etwas kostet. Von dem Gehalt, das sie hier verdiente, konnte sie sich das nicht leisten. Um Gottes willen, nicht, dass wir schlecht bezahlen, aber das war lauter so Designerzeugs, da kostet alleine schon eine Jeans dreihundert Euro. Ich weiß das von meiner Tochter, die hat manchmal auch so komische Ideen. Sie sagt, das ist von Posen oder so ähnlich, irgendein wirrer Schneider, der es mit der Schere zu bunt treibt.«
Olaf warf der Geschäftsführerin einen fragenden Blick zu. »Und dann ist Dörte abgereist?«
Die Frau nickte. »Ja, das ist sie, sie hat geheult, aber das waren bestimmt nur Krokodilstränen. Haben Sie Eriksdorf schon gefasst?«
Lentje schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht, ich dachte, Sie könnten uns weiterhelfen.«
»Ich? Wieso ich? Na ja, wenn er hier in der Saison arbeitete, dann hat er hier gewohnt, im Gästehaus B, so wie alle Angestellten vom Festland, aber eigentlich kommt er aus Emden. Hat er Dörte etwas angetan?«
Olaf winkte ab. »Das wissen wir noch nicht. Wann war er das letzte Mal hier?«
»Vor vier Wochen, dann hatte er eine Woche Urlaub, da ist er nach Rotterdam gefahren und da haben ihn Ihre holländischen Kollegen erwischt, als er das Zeugs im Hafen kaufen wollte. Er ist geflüchtet, wurde uns gesagt.«
»Und seitdem haben Sie ihn nicht mehr gesehen?«
»Richtig.«
»Gut, wenn er auftaucht …«
»Ja, dann soll ich anrufen, das hat mir Ihr Kollege bereits gesagt.«
Nachdem Lentje und Olaf das Zimmer der Geschäftsführerin verlassen hatte, ging Lentje noch einmal auf die junge Frau hinter dem Tresen zu und wartete, bis sie einen Kunden abgefertigt hatte. »Sie wissen über Dörte und Eriksdorf Bescheid?«
»Dass sie zusammen waren, meinen Sie?«
»Kannten Sie Dörte gut?«
»Tja, was man so kennen nennt unter Kollegen. Weshalb fragen Sie?«
»Dörte ist tot, sie wurde umgebracht, gestern im Haus ihrer Eltern.«
Erschrocken schlug die junge Frau die Hände vor das Gesicht. »Das ist ja furchtbar, hat Gavin etwas damit zu tun?«
»Das frage ich Sie.«
Die junge Angestellte blickte zu Boden. Sie wirkte erschüttert. »Nein, das glaube ich nicht, Gavin ist … Ich … Dörte ist an allem schuld. Sie ist eine Hexe. Einmal hat sie gesagt, dass sie nicht ewig den Leuten hinterherräumen will, dass sie eines Tages diejenige sein wird, die sich von vorne bis hinten bedienen lässt. Sie hat Gavin nur ausgenutzt. Er war … Er hat … Er war ein anständiger Kerl.«
»Was macht Sie so sicher?«
»Ich … ich war … Sie … Dieses falsche Luder … Sie hat …«
»Sie waren zuerst mit Gavin zusammen, richtig?«, fiel ihr Lentje ins Wort.
Eine Träne kullerte über die Wange des Mädchens. »Ja«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Sie hat ihn mir ausgespannt. Erst dann hat es mit den Drogen angefangen. Sie hat ihn dazu gebracht. Sie hat ihn bestimmt auch nach Holland geschickt, um Nachschub zu kaufen.«
»Das wissen Sie oder das glauben Sie?«
»Ich weiß es«, entgegnete die Angestellte bestimmt.
»Dann wussten Sie auch von dem Drogenhandel?«
»Nein, ich meine natürlich, ich weiß es, weil ich Gavin kenne.«
»Haben Sie noch Kontakt zu ihm?«
Das junge Mädchen schüttelte den Kopf. Irina stand auf dem Namensschild auf ihrer Jacke.
»Könnte es sein, dass Gavin Dörte umgebracht hat?«
»Auf keinen Fall!«, zischte Irina resolut.
»Also gut«, entgegnete Lentje sanftmütig und reichte ihr eine Visitenkarte. »Zumindest steht er unter Verdacht. Und hier geht es nicht mehr um ein paar Gramm Rauschgift, sondern um Mord. Mit jedem Tag, an dem er auf der Flucht ist und sich vor der Polizei versteckt, wird es nur schlimmer. Sagen Sie ihm das, falls er sich zufällig bei Ihnen melden sollte. Er kann mich anrufen, egal ob Tag oder Nacht.«
Ein Hotelgast kam auf das Empfangspult zu.
Irina wischte sich die Tränen von der Wange. »Ich muss … arbeiten.«
»Dann tun Sie das, und vergessen Sie nicht, er soll sich bei uns melden, bevor es für ihn zu spät ist.«
Mit gespieltem Lächeln widmete sich Irina wieder dem Hotelgast, während Lentje zu ihrem Kollegen ging.
»Was hältst du davon?«, fragte Olaf.
»Stoff im Wert von zwanzigtausend Euro, das ist kein Pappenstiel. Das könnte durchaus ein Motiv für einen Mord sein.«
»Ja, das glaube ich auch. Wir sollten mit diesem Maier vom LKA reden, bevor wir Trevisan informieren.«