Читать книгу Hermann T. - Ulrich Hermann Trolle - Страница 10
ОглавлениеWenige Minuten sind es gewesen,
in denen Hermann räsonierend und salbadernd am Briefkasten stand und über die Dicke im Auto des Pflegedienstes seine phantasierten Torheiten ausschüttete. In der Zeit gingen auch die Männer mit ihren breiten Umhängetaschen und ausladenden Schritten vorüber. Die Erwartung auf seinen Morgenkaffee in der Küche stimmt Hermann wieder milde. Ihm ist, als würde jemand in der Küche auf ihn warten. Aber in der Küche ist niemand. In der Küche ist er mit sich allein. Er ist dort Hermann in Einem. Er erinnert sich an die Gewohnheit des Kaffeetrinkens seiner Mutter. Eine Spur von Wehmut durchmischt denjenigen Hermann, der eben noch abfälliges Zeug auf die Straße spuckte. In seiner Mutter Zeit gab es keine Kaffeemaschinen. Hermann sieht die Mutter in der Küche hantieren, sieht, wie sie in ein kleines dunkelblaues bauchiges Kännchen aus gewöhnlicher Keramik und mit innen wie außen rissiger Oberfläche ein Häuflein der von eigener Hand in der Kaffeemühle zu Pulver gemahlenen Kaffeebohnen schüttet und mit kurzem Aufstucken auf dem Boden glatt verteilt. Sie gießt danach siedend heißes Wasser darüber und lässt die dunkle Flüssigkeit ziehen. Der Kaffeeduft breitet sich überall aus, haucht sogar durch den Flur. Nach etwa fünf Minuten portioniert sie ihr kostbares Braun um, lässt es durch ein metallenes Sieb in eine hohe, schön geformte und dünn gewandete Porzellantasse ein. Die glasierte Tasse ist hell, sparsam im Dekor und mit aufgesetzten Verzierungen am eckigen Griff geschmückt. Die Tasse sei von V&B, aus der Zeit des Fin de siècle, sagt die Mutter voller Stolz zu ihrem kleinen Kind. Sie meint Jugendstil und die Schornsteine von der Steingutfabrik in Wallerfangen. So ein kleines Nest in fremder Gegend, sagt jetzt das große Kind. Steingut ist nichts für feines Geschirr. Steingutkruken kann man auf die Ofenplatte stellen und die Milch drin warm halten. Doch eine Weile nur, sonst wird die Milch zu schnell sauer. War da nicht noch ein großes S unter dem Tassenboden neben einer Nummer eingraviert? Also Jugendstil nicht aus Wallerfangen, sondern aus dem Werk in Septfontaines, Luxembourg? Das kann sich Hermann gut vorstellen. Aus keiner anderen Tasse mochte die Mutter ihren Kaffee trinken. Es stehen zwar noch andere Tassen im Büfett bereit für ihre Bestimmung, abgewaschen und mit Unterteller ohne V&B-Markanzeichen. Jede andere Tasse aus dem Büfett würde Mutters Kaffeegenuss wohl entweihen. Am Abend dann, als wäre der Wert ein anderer geworden, kippt sie den Kaffeesatz, der ihr zu einem guten Nachmittag verholfen hat, irgendwo zwischen die Mohrrüben oder manchmal auch über das Erdbeerbeet. Gleitender Sachwandel. Ein Weiterverbrauch mit praktischem Nutzen. So sieht es der große Hermann. Und erst Jahre später, als der Henkel der kostbaren Tasse durch eine Unachtsamkeit abbricht, erst da nimmt Mutter eine andere Tasse für ihren Kaffee. Den in ihre Gewohnheiten eingewachsenen Torso nutzt sie weiter, zweckmäßig, wie die Anforderungen der ganzen Zeit. Sie füllt ihn mit kaltem Wasser und steckt die Petersilie rein zum Frischbleiben für den Kartoffelbrei am Wochenende. Die Tasse blieb einmalig, wie auch die Erinnerung an V&B. In keinem Trödelladen hat Hermann je wieder eine ähnliche Tasse aufgestöbert. Vielleicht macht er sich mal auf zu V&B ins Outlet oder ins Porzellanmuseum und sieht dort eine solche Tasse wieder. Wallerfangen ist ja auch noch auf dem Plan und führt einen Heimatverein. Schöne Landschaft dort. In der Küche führt Hermann früh am Morgen Selbstgespräche, wenn er guter Laune ist. Er denkt sich dazu, je nach Situation, einen gestaltlosen Zuhörer aus, einen fiktiven Gast, den er in die Ecke an dem hinteren Ende des Küchentisches platziert und mit dem er ein paar Sätze wechseln kann und ihm gescheite Antworten auf seine von ständigen Fragen und Abwägungen beschwerte Gedanken zutraut. Natürlich erfassen wir sofort, dass es Hermanns eigene Antworten sind, die der fiktive Gast hervor bringt und mit denen Hermann seinen Dialog immer weiter führt. Hermann zieht den hellen bauchigen Thermosbehälter unter dem Filterteil hervor und postiert ihn auf den Küchentisch, leicht links von der Mitte. Manchmal wäre es ihm lieber, vor ihm stünden eine blaue bauchige gewöhnliche Kanne und eine durch Glasur und Zeitstil verschönte Porzellantasse gleich denen, die Mutter damals im zu Hause seiner Kindheit benutzte. Aber Hermanns träumerische Wünsche sind Illusionen, bleiben imaginäres blaues und vanillegelb glasiertes Porzellan im Jugendstil, formschön aus dem Saarland, mit ovalen Gravuren und empfindsam gegen unachtsames Stoßen. Die Illusion ist eine Gespielin der Rückerinnerung. Sie ruft nach Hermann, lacht auf und lockt mit alten Bildern an den elterlichen Küchentisch zurück. Sie zeigt ihm noch die graufleckige Kaffeemütze über der Kaffeekanne, unter der die Mutter nach ihrem Morgenkaffee die Frühstückseier so lange warm halten konnte, bis es den im elterlichen Schlafzimmer fröhlich tobenden Nachwuchs an den Sonntagen endlich aus den zerwühlten Federbetten an den Tisch trieb. Dann wird Hermann weich... Aus! Aus! Aus! Bitte keine Illusionen mehr. Hermann wehrt sich. Wenn Hermann sein Frühstück beendet hat, wird er das Radio ausstellen und zur Tageszeitung greifen. In dieser Reihenfolge. Jeden Morgen die gleiche Zeremonie. Es gibt nicht so oft Abweichungen. Die Werbebeilagen hat Hermann bereits entfernt, bevor er die Zeitung auf den abgeräumten Tisch aufschlägt. Die zweite Tasse Kaffee bleibt in Griffweite, linkerhand, etwas weiter zur Seite, mehr zur Mitte als zur Küchenwand mit dem halbhohen Holzpaneel, das er selbst zimmerte. Hermann wird die Schlagzeilen der Presse überfliegen, hin und wieder nach der zweiten Tasse des ungesüßten Kaffees langen und nach und nach austrinken. In die Zeitung vertieft er sich für etwa eine halbe Stunde, an manchen Tagen weniger und dann nur zwanzig Minuten, je nach dem, wie viel an Information ihn bereits am Vorabend durch die Berichte der öffentlich-rechtlichen Sender erreichte. Hermann wird sich an diesem oder jenem politischen Kommentar reiben, die Berichte aus dem Ausland überfliegen und die Wirtschaftsmeldungen auffangen. Im Feuilletonteil interessiert ihn das Wichtigste vom breiten Kulturbetrieb der Hauptstadt, der in der Abendschau des regionalen Fernsehens kaum adäquate Erwähnung finden kann. Theaterrezensionen liest Hermann zumeist nicht. Er notiert lediglich davon die Überschriften, widmet sich dafür mehr den Zeilen mit den literarischen Besprechungen. Hier hängt er sich rein, kalkuliert sogar, diesen oder jenen Buchtitel anzuschaffen. In der Regel gibt er jedoch am Schluss des Artikels diesen Sinn auf. Die angepriesene Literatur ist für ihn nicht zu bewältigen, es sei denn auf Kosten seiner eigenen Schreibarbeit. Hingegen zählen die Interviews mit einzelnen Autoren zu den am meisten befriedigenden Seiten der Zeitung. Aus all dem Geantworteten, ob wahr oder gelogen, ist ihm seit Jahren nun schon eine geäußerte Haltung dermaßen haften geblieben, mit der er sich bereits beim Lesen identifizieren konnte. Und wenn es ihm erlaubt wäre, würde er diese Haltung des seinerzeit Befragten übernehmen und zu seiner eigenen machen, nämlich während des Schreibens an einer Geschichte sich von der Außenwelt möglichst abzuschotten, die Kommunikationen auf das nötigste Niveau herab zu senken und den alltäglichen Bedürfnissen knapp nur nachzukommen, um nicht den Eindruck der asozialen Lebensweise aufkommen zu lassen. Ein Idealzustand, wenn, ja wenn... wenn der Hund nicht... Die zwei Seiten des Feuilletons mit ihren Kritiken, Deutungen und Empfehlungen sind für Hermann der wesentlichste Grund dafür, das Abonnement der Zeitung nicht aufzukündigen und seine inneren Verstrickungen zwischen schwärmerischem Lebensanspruch und tatsächlichem Bedarf wach zu halten. Zwischen beiden, dem ständigen Auf und Ab, verrinnen seine Lebensjahre. Wie viel Ungenanntes und Unbemerktes, wie viel Bewältigtes vom Leben ist dabei durchgerutscht? Diese Frage stellt sich für Hermann nicht. Sie scheint ihm trivial und unzeitgemäß. Soll doch jeder x-beliebige andere Arsch der Öffentlichkeit präsentieren, wie er sein Alkoholproblem bewältigt hat. Hermann nicht. Solch ein Fazit wird es bei ihm nicht geben. Er wird nach der Zeitungslektüre aufschauen und gewöhnlich auch etwas Unzufriedenheit in sich angestaut haben. Die steht deutlich auf seinem Gesicht geschrieben, als würde er all diejenigen aufgenommenen Zeitungstexte wieder aus seinem Kopf heraus befördern wollen, die des Merkens nicht würdig sind und vergessen werden sollen. Der Ausgang für die zu entsorgenden Texte ist Hermanns Gesicht. Es muss herhalten für den Vorgang des Vergessens und Entsorgens, obwohl auch ohne Mimik und ohne Gestik ein Vergessen und Entsorgen im Kopf möglich wäre. Das Gehirn vergisst lautlos und gestaltlos, genau so wie es lautlos und gestaltlos speichern kann. Wenn das Gesicht aber zeigt, dass im Gehirn etwas zum Vergessen oder Abspeichern ansteht, muss noch etwas beteiligt sein am Vergessen und am Abspeichern. Ein unbekanntes Beteiligtes? Hermann kann es nicht benennen. Es entzieht sich der Entzifferung und der formelhaften Erkennung. Es erzeugt in Hermann aber eine Gemütsstimmung, besonders wenn er die Zeitung gleichzeitig zusammen faltet. Unter einer anderen Sicht auf das eben Gesagte könnte Hermann ja während des Entsorgens oder des Abspeicherns reden, sich auslassen über dieses oder jenes, was ihn gerade bewegt und seine Stimmung beeinflusst. Und das Reden könnte oder kann begründen, weshalb er entsorgt oder speichert. Es ist auch ein völlig anderer Inhalt möglich. Das Reden kann auch von Dritten erfolgen, von außerhalb also. Wenn es nicht nervös macht, das Gequassel. Womit sich eine neue Frage anmeldet: Ob das Reden, egal ob das eigene oder das fremde Reden, nicht die Vorgänge im Kopf stört und dadurch das Ergebnis löchrig und unvollständig wird? Der Vater hat Hermann gesagt: „“Stell’ das Radio aus, wenn du Schulaufgaben machst!“ Worin also die Ursache für Hermanns meist resignativ tendierende Stimmung nach dem Lesen der Zeitung liegt, was sie ausgelöst haben könnte, bleibt eine Spekulation. Hermann akzeptiert das Spekulative. Er hat des Spekulative noch nie hinterfragt, ist noch nie darüber hinausgegangen und hat sein eigentliches, sein nüchternes Terrain auch noch nie gründlich nach Spuren untersucht. Er spürt eine Grenze. Er spürt eine Scheu, über diese Grenze zu schreiten und sich zu befragen. Er hat Furcht vor seiner Meinung. Er fürchtet, eventuell Unfertiges und insbesondere Unkontrolliertes im Inneren zu erzeugen und hastig hervorzubringen. Das könnte ihn erschrecken und blass werden lassen. Wieder ein Gesichtsausdruck. Das Radio noch einmal einschalten? Nein, es bleibt aus und nach dem Frühstück so stumm, wie in der Zeit des Lesens in der Zeitung und wie während der Schulaufgaben. Das Radio ist kontrollierbar. Hermann wird es vor dem Abend nicht wieder einschalten. Er wird bald an seine Schreibarbeit denken und ins Arbeitszimmer gehen wollen. Zuvor gilt seine Aufmerksamkeit noch dem Hausgarten, den er hinter dem Küchenfenster stehend mit schnellem Blick nach Veränderungen abtastet. Für einen aufmerksam studierenden Beobachter ergeben Hermanns Aufenthalte in der Küche statt erfreulicher Ergebnisse nur langweilige Aufnahmen von einem langweiligen und belanglosen Verrinnen einer Morgenstunde. Die Zeit um das Frühstück verläuft jeden Tag in ähnlicher Weise, als wolle Hermann sich selbst etwas Konstantes und Schlichtes zelebrieren. Alles was er tut, geschieht ohne erkennbare Besonderheiten, ohne weihevolle Höhepunkte und ohne Gebete, Bekreuzigungen und ohne Opfergaben. Hermanns jahrelangen morgendlichen Gewohnheiten bleiben stets die gleichen. Der geschilderte morgendliche Ablauf ist einer ohne abweichende Handlungen, in einem Sommer, in einem Wohngebiet von Berlin und die Hauptperson ist Hermann. Die gesichtete dicke Frau in dem kleinen Auto des Pflegedienstes ist die einzige Auffälligkeit gewesen, die Hermann allerdings, sich selber ermunternd, mit ironischem Pfeffer und Salz bestreute. Aber diese Minutenstunde ist austauschbar in der Person, in der Jahreszeit und in jeder Küche einer anderen mitteleuropäischen Stadt denkbar. Hermann ist der Herr seiner Zeit. So ein Leben, wie das seine, vermag erfrischende und befreiende Gefühle befördern, kann aber auch lähmende Kräfte erzeugen, je nach Wesensart des Innehabenden. In Hermanns Fall ist es so, dass er im Allgemeinen selbst bestimmend in seinen Sinnen und Absichten lebt, wenn Lisa nicht ab und zu eingriffe und sich mit einer für Hermann unerklärlichen Empörung über seinen Tagesablauf aufregte, als müsste sie Hermann vor irgendwelchen Torheiten behüten und seine Tageszeit mit vernünftigen Auftragstaten anfüllen helfen. Lisa bezichtigt Hermann, eben ab und zu bei ihren Eingriffen, der Ignoranz und des egozentrischen Vertrödelns seiner Zeit. „Deine Zeit ist schließlich auch meine Zeit“, sagt sie. Für Lisa ist Hermann ein Heimarbeiter und damit auch ein verfügbarer Hausmeister. Lisas Anwürfe sind für Hermann die blassesten und grundlosesten, die er sich ausdenken kann, so dass er sich ein wenig geniert, nicht der haltlosen Anwürfe wegen, sondern seine eigene Frau auf solchen argumentatorischen Abwegen überhaupt erleben zu müssen. Fremdschämen würden die Schnellpostulierer dazu sagen, aber für Hermann ist diese flink herbeigeholte Wortneuschöpfung angesichts der Menge seines Unmutes semantisch zu informationsschwächelnd. Und mäßigend wirkt das Wort auf seine Scham auch nicht. Hermanns Tageszeiten geraten durch Lisas Wirbeln durcheinander und sein individuelles Tun wird für eine unbestimmbare Zeit gestoppt. Lisas nicht ganz einflusslos verpuffender Redeschwall bringt Hermann an den Tagen ihrer Empörung aus der Fassung, mindestens wird er umgestimmt. Auf alles Vorgenommene muss er flugs verzichten, muss es tunlichst sein lassen und eben anderes tun, als er sich noch früh morgens, im Bett liegend und den aufgehenden Tag bedenkend, ausgedacht und auferlegt hatte. Wenn Hermann in den Stand geriete, Lisa und ihre Ansichten sehr ernst zu nehmen, würde er lange Zeit hintereinander das tun, was Lisa ihm in ihrer Rage als wichtig anempfohlen hat. Aber „... um Haus und Hof in Schuss zu halten, muss ich nicht gleich all mein Schreiben unterlassen... “, sagt er leise. „Hausmeisterdasein erledigt sich doch auch in Abständen, von Mal zu Mal.“ Den Satz sagt er lauter. So gerät Hermann an manchen Tagen in Widerstreit mit Lisa. Und auch mit seinen eigenen Gegenkräften hadert er, die ihm jede auf ihre Weise, angemahnte wie verlockende Spiele aufrufen. Hermann könnte der verführerischen Faulheit frönen, könnte die stets lauernden körperlichen Trägheiten in sich gewähren lassen und seinen inneren aufmuckenden Neigungen nachgehen. Die rauen wie auch die säuselnden Stimmen, die ihm etwas anderes als die selbst auferlegten Pflichten zu tun nahe legen, die das Andere in Hermann auch als kleine Sehnsüchte und Verführungen markieren, forderten jedoch letztlich nicht viel Energie für die Abwehr von ihm ab. Es ist ihnen bislang noch nicht gelungen, Hermann anhaltend und grundsätzlich umzustimmen. Er hat sogar den bourgeoisen Verführungen wenig Hoffnung auf Befriedigung gegeben, die ihn manchmal anfechten und sinnliches versprechen. Er glaubt nicht an ihre Wahrhaftigkeit, ihre Echtheit: Klavierstunden nehmen, Ölbilder malen, im Garten einen Brunnen zu graben oder zur Abwechselung Bewerbungen für eine seinem Alter noch zumutbare ehrenamtliche Tätigkeit absenden zum Beispiel. Würde er dem allen nachgeben, führte er ein nicht mehr selbst bestimmtes Leben. So jedenfalls lautet seine innere Erkenntnis, und die belässt ihn in wirklich innen ruhender Überzeugung. Hermann will nicht, dass seine Tage verplempernd verrinnen, dass er sich ausschließlich mit Handwerkszeug bewaffnet, die Fenster vier Mal im Jahr putzt und die Tankstellen nach preisgünstigem Superbenzin abgrast. Das Schreiben seiner Geschichten steht ihm zu hoch, als dass Hermann von piefigem Streben getrieben, es verhindern lässt. Nicht einmal verzögert darf es werden. Keine Idee für den Erzählstrang seiner Geschichten darf ins Vergessen geraten. So bleibt es beim Spiel zwischen Hermanns inneren Konstanten gegen die Stimmen der Abweichler. Es bleibt bei dem, worin Hermann einen Sinn sieht, es bleibt beim Schreiben seiner Geschichten und dann und wann beim Entrosten des Gartenzauns. Meisten bleibt es so. Aber auch im Radio bleibt der gleiche Sender eingestellt, Kulturradio vom RBB. Kein Suchlauf nach irgendeinem anderen Sender ist nötig, als gäbe es nur die eine einzige Sendefrequenz auf der gesamten Skala des Universums seines winzigen Küchenradios. Und so würde auch der nächste Morgen in Hermanns Küche zu beschreiben sein, und vom übernächsten Morgen würde kaum anderes gesagt werden können und dann der überübernächste Morgen wäre auch ungefähr so, wie der erste, und der überüberübernächste... Kinder können so trefflich und ungeniert die Zeiten zusammen ziehen. Addieren sagen die Erwachsenen dazu, aber für überüberübernächste haben sie noch kein gemeinsames, alles aufnehmendes Wort entdeckt. Warum und für wen und wozu auch? Den Kinderseelen ist das sicher egal. Sie spielen ihr Spiel mit Überüberübernächste. Es ist eine beruhigende Vereinfachung, ein unschuldig formuliertes Codewort für eine Unzahl, für ein Etwas von großer Menge oder von langer Reihung. Das genügt für die schnelle Verständigung untereinander. Kinder sind arglose, zweckmäßige Denker. Für sie schlägt in Hermann ein Herz. Seine eigenen Kinder sind nicht mehr im Haus. Seither fehlt dem Hermann etwas.