Читать книгу Hermann T. - Ulrich Hermann Trolle - Страница 9
ОглавлениеDie Nacht, die auf den Arzttermin folgte,
legte sich klebrig über Hermann. Sie geriet ihm zur Qual. Hermann verstand nicht, warum er sich herumwarf im Bett, und warum der ihn sonst immer schnell ereichende Schlaf diesmal ausblieb. Nicht das winzigste Moment einer Ermüdung wollte sich einstellen. Im Kopf tobten die Gedanken. Hermann knipste die Nachttischlampe an und machte sie gleich wieder aus. Er schob seinen Körper in die Seitenlage. Nach einer Weile schmerzte ihm die Schulter. Wieder machte er Licht. Er wollte im Buch lesen, aber die Zeilen verschwammen vor seinen Augen. Draußen vor dem Fenster herrschte die Nacht mit ihrem unruhig dumpfen Grollen und presste ihn zurück ins Untätige. Aber als würde der Teufel sein böses Spiel mit ihm treiben, sollte Hermann bald aus dem Bett fahren. Er sah gegen zwei Uhr morgens auf die Uhr. Er vernahm das nervende jaulende Motorgeräusch eines ungeschickt einparkenden Autos vor seinem Haus. Türen wurden auf und zu geschlagen, der Motor brummte lange im Stand und aus dem Autoradio quäkte eine hohe Stimme in die Dunkelheit hinein. Eigentlich bringt Weniges nur den Hermann aus der Ruhe. Aber der nächtliche Lärm nahm ihm doch die Besonnenheit. Er geriet in Taumel. Wie immer, wenn er sich in bestimmten Situationen, die ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen drohten, ohnmächtig fühlte, begann sein Puls heftig zu klopfen. Wie immer, wenn er sich gegen eine Peinigung auflehnen wollte, aber zugleich das Vergebliche seines Kampfes voraus ahnte, wurde sein Kopf blutleer. Hermann spähte durch das Fenster in die Dunkelheit. Er ahnte, dort unten würde wieder dieser Typ lauern, dieser Zusteller. Der wartet wieder genau in meiner Einfahrt auf die Übergabe neuer, verschnürter Zeitungspakete. Ein widerlicher Kerl. Benehmen ungemütlich und seine Äußerungen zeugten von geringer Bildung. Wie der aus dem Mund roch. Hermann schob sich noch einmal zum Fenster und fand seine Ahnung bestätigt. Der Kerl war wieder da. Diesen Kerl kannte er. In Hermann kochte die Wut. Folgendes Geschehen war dem jetzigen vorausgegangen und hatte sich in Hermanns Gedächtnis eingefressen: Vor einiger Zeit, etliche Male und in unregelmäßiger Folge über Wochen verteilt, war Hermann nachts aus dem Schlaf geholt worden von lauten Geräuschen auf der Straße. Den Lärm nahm Hermann zunächst hin, tat ihn unbeeindruckt, beinahe gleichgültig ab als zufällig hier in der Straße ablaufendes unbändiges Benehmen irgendwelcher jungen Leute. Er drehte sich auf die andere Seite und schlief bald darauf wieder ein. Dann aber kam die Störung zu immer gleichen Zeiten, immer gegen zwei Uhr früh, immer gleiche Geräusche und von dem gleichen Typ mit dem gleichen Auto, wenn Hermann aus dem Fenster in die Nacht hinaus guckte. Hermann geriet allmählich außer sich, trampelte eine Weile im Zimmer hin und her und schürte seinen Hass mit Verwünschungen gegen den Kerl dort am Auto. Der Kerl da draußen machte mit Hermann was er wollte. Hermann schwitzte vor Zorn. Der Kerl aber lärmte. Hermanns Adern schwollen an. Doch kam er sich hilflos und lächerlich vor in Schlafanzug und Hauspantoffeln und noch dazu hinter der Gardine. Nach einer halben Stunde konnte Hermann wieder ins Bett aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. Einer jedoch hatte vorausgedacht. Der Teufel war es, weitsichtig und genüsslich in seinem fragwürdigen Dienst. Der versteckte alle Waffen vor Hermann. Er hatte ihm auch sonst keine auch noch so zufällige Gelegenheit gegeben und auch kein Verlangen erzeugt, in den Besitz einer solchen Verführung zu gelangen. Der Teufel wusste, der Hermann würde sonst schießen. Der Hermann könnte sonst totschlagen. Der Hermann sollte aber nicht zum Mörder werden. Das war der Plan des hinkenden Gesellen. Hermann allerdings wusste davon nichts. Er würde auch vehement abstreiten, solche Gedanken weder gehabt noch mit ihnen geliebäugelt zu haben. Aber gelegentlich packten ihn doch die Träume vom Töten. Töten in der Wut, durch seine eigene Hand. Bald aber schien es anders zu sein. In besagter Nacht, als der Zusteller wieder den Motor angelassen hatte und das unruhige Gehabe dieses Kerls, das Öffnen und Zuschlagen der Wagentür in Hermanns Brust stach, riss ihm die Geduld, wie mit einem Schlag von unsichtbarer Hand. Hermann nahm diesen Kerl dort draußen mit seinem blöden Auto plötzlich nur noch als ein zu beseitigendes Stück Unrat wahr. Er wollte diesem Spuk da unten ein Ende machen. Er musste seinen allnächtlichen Frieden wieder finden. Hermann raste die Treppen hinab, riss die Tür zu seiner Werkstatt auf, griff in die Halterung an der Wand und zerrte den 46er Schraubenschlüssel heraus. Der schwere nackte Stahl machte ihn nüchtern. Nein, so geht es nicht, sagte sich Hermann und wechselte den Schraubenschlüssel von einer Hand in die andere. Hass und Wut krochen in ihre kalten Höhlen zurück. Hermann, der Literatur liebende Geist. Dem gehört doch nun wirklich kein Schraubenschlüssel in die Hand, um sich seiner störenden Wut zu entledigen. Doch Hermann gab nicht auf, weil die Geräusche auf der Straße nicht aufhörten. Er kam endlich aus dem Keller heraus und ging um das Haus nach vorn zur Straßenseite und stellte den nächtlich Lärmenden zur Rede, bot sogar ein Lächeln an. Aber was ist ein Lächeln im Dunklen? Es ist Schwäche und Täuschung. „Hallo, Guten Abend. Was tun Sie denn hier mitten in der Nacht vor meinem Haus? Sie machen hier so einen Lärm. Das geht doch nicht.“ Es kam ihm wie ein Witz vor, wie und was er sagte, und dass er dazu noch „Guten Abend“ einflocht, wo es doch bereits Morgen war und ihm alles so fragend unentschlossen nur gelang. Die Dunkelheit machte die Szene auf der Straße gespenstig. Hermanns Gegenüber grunzte, postierte sich vor ihm auf: „Verpiss dich, geh’ wieder schlafen in dein Bett, alter Mann. Ich kann hier machen, was ich will, verstehste!“ Hermann blieb unter Spannung. Den alten Mann steckte er überraschend schnell beiseite. Er war wachsam, einen eventuellen Fausthieb oder überhaupt einen tätlichen Angriff abwehren zu wollen. Der Kerl ihm gegenüber stand im Schatten der Beleuchtung. Hermann konnte dessen Gesicht nicht sehen. Das machte Hermann die Sache leichter. Er war zu allem entschlossen. Er sprach lauter: „Sie stören hier rücksichtslos. Es ist Nacht, merken Sie das nicht? Warten Sie meinetwegen auf einem Parkplatz, wo es niemanden stören kann. Hier stört der Krach erheblich. Sie müssen hier nicht ihre Zeitungsstapel umladen. Das ist unzulässig. Hier ist ein Wohngebiet. Ich werde mich bei der Geschäftsleitung über Sie beschweren, wenn Sie erneut hier stehen und Zeitungen umladen werden. Dann werden Sie Ihren Job los.“ Hermann knipste seine Taschenlampe an und leuchtete auf das Nummernschild des Kleinwagens, um es sich einzuprägen. Da sprang der Kerl augenblicks auf Hermann zu, griff sein Hemd und zerrte an Hermanns Arm. Im gleichen Moment bog das Zulieferfahrzeug in die Straße ein, gab ein Signal mit dem Fernlicht und kam näher. Und noch bevor Hermann mit der Taschenlampe zum Schlag ausholen konnte, ließ der Kerl von ihm ab, rannte zu seinem Auto zurück und tat, als wäre nichts geschehen. „Gesindel!“, schrie Hermann dem Flüchtenden hinterher und machte einige Schritte rückwärts, immer noch wachsam, ob der Kerl sich nicht noch einmal auf ihn stürzen würde. An der Pforte wurde er sicherer, schloss schnell die Tür und verschwand in der Dunkelheit. Der ärgerliche Vorfall lag nun schon einige Wochen zurück und seitdem war es zu Hermanns Erleichterung nachts auf der Straße vor seinem Haus ruhig geblieben. Hermann jedoch bedrückte die Tatsache, wegen des Unbekannten beinahe in eine nächtliche Prügelei geraten zu sein. Und er ärgerte sich darüber, nicht imstande gewesen zu sein, das Problem auf eine gescheite, ihm gemäße Art und Weise zu lösen. Aber welche die ihm gemäße Art und Weise gewesen wäre, wusste er auch nicht. Im Inneren zweifelte er sogar an seiner Lauterkeit und glaubte, sich irgendwie doch etwas vorzumachen, etwas sich einzubilden, dessen er nicht fähig ist. Und er wollte nicht wahrhaben, dass eine gegen ihn gerichtete körperliche Attacke sein Leben so beunruhigen konnte. Jetzt, wo er sich doch im gesetzten Alter wähnte. Doch körperliche Gewalt war gegen ihn geschehen und er empfand, ja er begründete sich nun selbst gegenüber, dass er bei solcher Sachlage mit allerhöchster, ja, allerletzter Konsequenz sich zu wehren habe. Ja, dass er das Recht dazu habe und es sich nehmen wird. „Ein Angriff auf meine Person ist nur mit finalem Schuss zu vergelten, ist moralisch gerechtfertigt und ich muss dazu auf Nichts und Niemanden Rücksicht nehmen.“ Lisa hatte Hermann gegenüber gesessen und große staunende Augen gemacht, als Hermann über den nächtlichen Männerkrieg erzählte und sich dabei noch einmal aufregte. Nun lungerte der Kerl erneut vor seinem Haus mitten in der Nacht. Er lärmte wieder, kratzte, schabte am Kofferraum, schlug die Türen auf und zu, als sei er allein auf der weiten Welt und außer ihm wäre niemand in dieser Straße und schon gar keine Schlafenden. Hatte der Kerl etwa Angst in der Dunkelheit, und machte er deshalb soviel Geräusche und Lärm, wie die Narren zur Geistervertreibung, fragte sich Hermann und versuchte diesem Hin und Her dort unten wenigstens noch einen geringen Sinn abzugewinnen. Doch letztlich verstand Hermann den Kerl da unten nicht. Diesem Schwachkopf war nicht beizukommen. Der musste nichts im Gehirn haben. Vielleicht provozierte er, schätzte sich als körperlich überlegen ein und würde Hermann niederstrecken wollen, sobald der wieder auf dem Plan erschien. Hermann war auf einmal hellwach in seinem dunklen Zimmer. Er wusste, der da unten würde vielleicht noch eine Viertelstunde herum stehen. Aus dem Autoradio würde eine Stimme krähen und wenn der Transporteur mit den Zeitungen ankommt, würden auch dessen Wagentüren krachend auf und zuschlagen. Dann wäre es endgültig mit dem Schlafen aus. Wer so etwas tut in der Nacht, wer solchen Lärm macht und den auch noch aushält, ist ein Wandale, ein saufender armseliger Prolet, feuerte sich Hermann an: „Der muss etwas vor den Latz kriegen. Der muss erledigt werden. Ein roher Klotz gehört gespalten in zwei Teile. Dann wird er verbrannt.“ In Hermann wuchs die blinde Entschlossenheit. Noch hatte er fünfzehn Minuten Zeit. Er zog sich die Jeans über, zerrte das Hemd vom Haken und stieß mit den Händen heftig durch die Ärmelöffnung. Er war schon im Keller als er sein Hemd endlich zugeknöpft hatte. Dann schlich er durch die Tür ins Dunkel. Er vermied unnötige Geräusche. Vorsichtig zwängte er sich an den Büschen vorbei, kroch entlang des nachbarlichen Grundstücks unter den Zweigen hindurch. Endlich erreichte er die Querstraße. Seine Rechte umklammerte einen faustgroßen Stein. Dann bog er um die Häuserecke, kam auf die Straße, die an seinem Haus vorbei führte und auf der immer noch dieser Mistkerl von Zeitungsträger herumstand. Hermann blieb im Schatten der müden Straßenlampen, spähte nach dem Zusteller. Aus der Ferne hörte er eine Straßenbahn heran kommen. Das Rumpeln ihrer Räder war günstig. Er wollte die Gelegenheit nutzen, sobald die Geräusche am lautesten waren. Der Zusteller auf der anderen Straßenseite sah unruhig auf seine Uhr. Das Transportfahrzeug schien sich zu verspäten. Die Straßenbahn rumpelte vorüber. Hermann holte mit aller Kraft aus. Es krachte laut und ein knirschender Schlag zerfetzte die Dunkelheit. Der schwere Ziegelstein hatte die Heckscheibe durchschlagen. Der Kerl erschrak und erstarrte zugleich geduckt, mit den Armeen instinktiv seinen Kopf schützend. Dann stürzte er, als würde ihn panische Angst treiben, zu seinem Fahrzeug hin, riss die Wagentür auf, ließ den Motor aufheulen und jagte auf der Straße mit quietschenden Reifen davon. Die Bässe aus dem Radio dröhnten noch aus der Ferne. Hermann hielt sich hinter einer Mauerecke verborgen und beobachtete kühl das Geschehen. Er blickte dem fortrasenden Fahrzeug nach. Er war nach dem Steinwurf seelenruhig geblieben und stand noch ohne Aufregung. Hermann sah noch, wie erst nach etwa hundert Metern die Rücklichter des Wagens aufleuchteten, dann schlich er davon, huschte eilig wieder zwischen den Büschen hindurch und schob sich durch die Nacht auf sein Grundstück zurück. Er drückte die Klinke herunter, schloss die Kellertür leise von innen ab und tappte im Dunklen die Treppe hinauf in sein Bad. Hermann ließ im Bad Hose und Hemd fallen und wusch sich seelenruhig die Hände. Man konnte nicht erkennen, dass seine Züge von einer zufriedenen und siegesgewissen Freude gezeichnet waren. Alles war ja dunkel im Bad geblieben, wie die ganze Episode.