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Es mochten ein paar Tage ins Land gegangen sein. Weißer Tüll hatte sich in den steinalt knorrigen Wacholderbüschen verfangen und legte nasse Schals um die hochgeschossenen Grasbüschel. Alle Ungereimtheiten tauchten unter. Die weiße Gnade der schottischen Nebel. Die sich nachts in bleierne Trauer verwandelt.

Ich sagte ja bereits, dass manches von dem, was ich über Marlowes turbulente Geschichte weiß, auf nichts als nachträglicher Rekonstruktion, in alle möglichen und unmöglichen Himmelsrichtungen ausgreifender Recherche, bienenfleißigem Sammeln von wagen Hinweisen beruht, wenn nicht auf reinen Mutmaßungen. Je waghalsiger, desto weiter ich vom Ort des Geschehens entfernt war. Logisch. Nur bei ’n paar, muss ich zugeben, bei verdammt nicht vielen Begebenheiten kann ich aus eigener Anschauung beurteilen und zurechtrücken, was Ihre Berichterstatterin da so zusammengetragen hat. Aber Sie sagten ja, Sie wollten ja … also bitte, dann müssen Sie sich hier und da und dort mit Spekulationen meinerseits zufrieden geben. Der Wahrheit verpflichtet, selbstverständlich, dessen hab ich Sie ja bereits versichert: Verpflichtet der reinsten Wahrheit! Und bestem Wissen und … ja, auch ich, auch Dichter haben ein Gewissen. Wieso denn nicht!

Um also der Kennzeichnungspflicht Genüge zu tun: Auch die Ereignisse im fernen Schottland gehören in die Rubrik ›Mutmaβungen‹, die anzustellen ich mich gezwungen sehe, um die weit klaffenden Lücken der Überlieferung, soweit sie mir zugänglich war und ist, zu schließen. Kann ich nicht ändern, tut mir leid. Andere Möglichkeit wäre, na ja gut, Sie suchen sich einen anderen Zeugen. Oder Angeklagten, ja, okay, dann eben Angeklagten. Aber glauben Sie bloß nicht, irgendwer anders würde nach all der Zeit die vertrackten Geschehnisse klarkriegen und die, sagen wir: Reportage Ihrer freien Mitarbeiterin hier bewerten, ergänzen und richtigstellen können, ohne dass seine Fantasie nachhelfen müsste. Ich meine, warum interessieren Sie sich eigentlich für diese alten Geschichten? Und wer, verdammt noch mal, wer war das eigentlich, der da Anklage gegen mich erhoben hat? Welcher Vollidiot meinte, da mal wieder sein Mütchen kühlen zu … Na egal jetzt. Weiter im Text. Das Schloss selbst jedenfalls, in dessen Umfeld sich die Begebenheit zutrug, die Ihre Tippse – ja gut, Pardon, soll nicht wieder vorkommen –, die Ihre Chronistin jetzt offenbar ansteuert, ist, da muss ich ihr recht geben, alles andre als ein Luftschloss. Erbaut aus hartem Stein! Und keines von der Sorte, die damals schon dem Verfall preisgegeben waren; von ihren Bauherren unter Einsatz erklecklicher Sümmchen mit wenn auch schottisch bescheidenem Prunk ausstaffiert und auf den Rang einer, na ja, leidlichen Bedeutung gehievt, von nachfolgenden Generationen dann allerdings verwohnt und sträflich vernachlässigt. Dieses Castle hier litt an Sorgfalt seitens seiner Besitzer, oder besser: Besitzerin keinen Mangel. Im Gegenteil. Hier wusste jemand, dass er an diesem abgelegenen Fleckchen Erde ein raues zwar, aber nicht minder anheimelndes Paradies bewohnte.

Einzig die Wetterverhältnisse oben in den Highlands waren, sagen wir: gewöhnungsbedürftig. Eine Katastrophe, wenn ich ehrlich sein soll. Tage-, wochen, mitunter auch monatelang eine einzige Suppe! Schwaden undurchdringbarer Nebel strichen ums Gemäuer, gingen irgendwann dann in ein ebenso undurchdringbares Nieselregengewaber über. Wenn nicht Schneegriesel das Regiment übernahmen. Wetterarrangements, die, so unwirtlich sie mir und womöglich Ihnen erscheinen mögen, der Schlossherrin sehr zupasskamen. Um mit Elan ihrer Leidenschaft zu frönen, fühlte sie sich geradezu angewiesen auf eine solch eiserne Abschottung. Und noch das niederschmetterndste Nebelwatte-Dauerregengebräu ließ sie frohlocken. Bescherte es ihr doch erbauliche Stunden ungestörten Werkens und Wirkens. Autistisch, ohne sich vergraben zu müssen. Sie selbst und nichts als sie selbst: Brennpunkt und Fluchtpunkt in einem. Während draußen die Welt ihre weißgrauen oder wahlweise schwarzgrauen Vorhänge zuzog.

Jene Nacht war so undurchdringlich schwarz, wie der Tag undurchdringlich weiß gewesen war. Das Knallen der Peitsche kündete noch vor den polternden Rädern vom Herannahen der lang ersehnten Kutsche.

Was die Dame des Hauses, da können Sie Gift drauf nehmen, zehn Meilen gegen den Wind hörte. Wusste sie doch: Da war jemand an Bord, musste jemand an Bord sein, von dem sie sich endlich und endgültig die Erfüllung ihrer Obsession erhoffte. Im Sinne einer, sagen wir: Außendarstellung. Aber Genaues dazu später.

Walsingham wechselte ein weiteres Mal die übereinandergeschlagenen Beine, offensichtlich ärgerte ihn das Stroh, das an mehreren Stellen durchs rissige Leder stachelte. Er musterte den Mitreisenden, der neben ihm auf dem zerschlissenen Bankpolster hockte und hartnäckig schwieg und dessen Miene im schummrigen Licht der Kutsche nur schwerlich zu ergründen war. »Sollte dir die Reise über Gebühr Beschwernisse bereitet haben, so soll’s zu deinem Schaden nicht gewesen sein. Ihr Anblick, wenn du erst vor ihr stehst, wird dich entschädigen, das versichere ich dir.«

»Von Angesicht zu Angesicht. Ihr dürft Euch glücklich schätzen, überglücklich. Ich, wenn’s an mir wäre, würd’ sofort mit Euch tauschen«, begeisterte sich Frizer mit schriller Stimme und versuchte, das Gepolter der Kutschenräder zu übertönen.

Die beiden redeten auf den dritten Fahrgast in einem Tempo ein, als sei es ihnen um nichts anderes zu tun, als dass dieser um Himmels willen nicht dazwischenkomme, das Maul also wacker geschlossen halte. Und schließlich zog Walsingham ein versiegeltes Schriftstück aus dem Revers und drückte es dem schweigsamen Mitfahrer in die Hand, der allerdings keinerlei Anstalten machte, das Schreiben zu öffnen.

»Hier, wie zugesichert, der Kontrakt, demzufolge du, unter höchster Geheimhaltung und bei kommod gestaltetem Auskommen, künftig die lästige Geheimdiensttätigkeit bleiben lassen kannst, um dich voll und ganz der Dichtkunst zu widmen. Und wenn du nun gleich also vor deine hinkünftige Gönnerin und Gebieterin trittst, so bedenke … verzeih die Belehrung, aber ich halte gewisse Vorkehrungen für geboten, zumal nach diesen strapaziösen Turbulenzen, die du hast über dich ergehen lassen müssen … bedenke also: Der erste Eindruck, den du hinterlassen wirst, ist entscheidend für den Rest deines Lebens, und der kann lange währen. Verhalte dich mithin, wie sich’s unter Leuten von Stand geziemt!«

»So fügt Euch denn in Euer Glück!«, schloss Frizer mit einer höchst überflüssigen Bemerkung ab.

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