Читать книгу Lolitas späte Rache - Ulrich Land - Страница 11
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Montreux, Dachsuite des Palace-Hotels.
Mitte Januar 1991.
Ein paar Tage waren ins Land, in den See gegangen. Sie hatte sich, ohne recht zu wissen, wieso eigentlich, wieder einigermaßen beruhigt. Vielleicht, dachte sie, vielleicht ist es tatsächlich so, dass man im Alter ähnlich schnell vergisst wie als Kleinkind. Bewundernswert, wie die kleinsten Zwerge, zack, umschalten von tieftraurigtränenreicher Bestürzung in glockenhelles Lachen. Und umgekehrt. Praktisch willenlos. Ausgeliefert ihren momentanen Eingebungen. Sie nickte, lächelte. Blickte auf den See hinaus.
Heute ein wüstes Treiben dort draußen. Der Wind, der von den Bergen kalt herunterschlug, heizte den Wellen ordentlich ein und verwandelte den ansonsten wochenlang spiegelglatten See in ein schäumendes, schwarz-weißes Inferno aus sich überschlagenden Wogen, die auf die drüben am Steg vertäuten Jollen und Yachten eindroschen, die man versäumt hatte, für den Winterschlaf aus dem Wasser zu hieven. Der grimmig kalte Wind ließ die Takelage an den Masten rasselnde Trommelwirbel veranstalten, zupfte und zerrte an den Antennenkabel-Harfen, spielte den Schneepeitschen, die sich über die leergefegte Hotelterrasse und die seitlich aufgestapelten Sonnenstühle hermachten, zum Tanz auf. Entfachte selbst in den flachen Pfützen des Yachthafenplatzes eine klatschende Brandung. Konnte ihr hier oben nichts anhaben. Unterm Dach des mondänen Hotels. In ihrem sicheren Krähennest, von wo sie den entfesselten Gewalten beim weißen Höllentanz zusehn konnte, ohne fürchten zu müssen –
Plötzlich wusste sie, sie war wieder da.
Stand hinter ihr. Regungslos.
In der Mitte des Zimmers.
War wieder auf unerfindlichen Wegen hineingeschlüpft.
Sagte nichts.
War aber da.
Um die gespenstische Stille zum Verstummen zu bringen, ergriff diesmal Véra selbst die Initiative und schwadronierte, ohne den Blick vom Schnee- und Seespektakel abzuwenden, auf das Phantom in ihrem Rücken ein: »Wenn Sie jetzt mal so langsam die Freundlichkeit hätten, mir zu sagen, was Sie eigentlich von mir wollen, wäre ich Ihnen sehr verbunden. Gesetzt den Fall, Sie sind heute wieder ein bisschen gesprächiger als bei Ihrem letzten Auftritt.«
»Wir warn doch schon beim Rechnen anjekommen. Richtich?«, fragte Belinda und gab sich selbst die Antwort: »Richtich, warn wir. Un zwar bei Hundertausend. Stimmt det? Stimmt. Plus Informationshonorar un Bestsellerzulage. Sagn wir also, na, sagn wir 300.000 Dollarsse. Wa? Seit jeschlag’nen fuffzig Jahr’n überfällig, bei ’nem anjenomm’nen – zu Ihren Junsten ma niedrig anjenomm’nen – festen Zinssatz von 4%, Zins un Zinseszins: 2.132.005 Dollarsse. Abjerundet zwee Million. Könn Se jern nachrechnen«, triumphierte Belinda. »Zwee Million bei 4%, wa?, die werfen een Tageszins von jut 233 Dollars ab. Jeder Tach, den wir also länger ins Land jehn lassen, kost Se Bares, Juteste.«
»Machen Sie, dass Sie rauskommen.Und zwar sofort! Oder …« Sie schleuderte einen ihrer Hausschuhe über die Rückenlehne hinweg dorthin, wo sie Belinda vermutete, ohne sie gesehen zu haben. Das wütende Geschoss verfehlte nur knapp sein Ziel. Sie hätte nie gedacht, dass sie auf ihre alten, auf ihre uralten Tage zu solchen Mitteln würde greifen müssen. Sie nahm den Hörer des Telefons auf, das ihr der Page nach dem letzten Überfall auf den Teewagen neben ihrem Seesichtsessel gestellt und mit einem ellenlangen Kabel ausgestattet hatte. Sie versuchte sich eben – eine in der Aufregung nicht grade leichte Übung – auf die dreistellige Nummer zu besinnen, die ihr der zuvorkommende junge Mann genannt hatte, als Belinda mit schneidend leiser Stimme noch mal ansetzte. So dicht an ihrem Ohr, dass sie die Atemluft auf der Haut säuseln spürte.
»Wissen Se nämmich wat? Wir komm ooch nich aus Dummsdorf! Ihr Jötterjatte, wenn meene Olle sich nich falsch erinnert hat, nach all den Jahrn – Ihr’n Mann, Nabokovsche, det war doch der mit dit Muttermal inner rechten Leiste, direkt am … Se wissen schon … stümmt doch, wa? Knorke, wat ick so allet weeß, is nich so? Wa? Wirds Ihn’n bissken blümerant. Oda seh ick dit falsch?«
Emsig zwitschernd und ohne freilich die Antwort abzuwarten, tat dieser schräge, dieser bunte Vogel drei, vier Schritte. Véra Nabokov wusste, das bedeutete eine Wendung. In was für eine Richtung auch immer. Sie war sich sicher, dass diese Belinda ihre Lieblingsposition in der Mitte des Zimmers nicht ohne Grund verlassen würde. Und richtig: Belinda kam näher. Raschelte in ihren buntschillernden Röcken, zog aus irgendeiner Falte einen handtellergroßen, silbern glänzenden Metallgegenstand.
Also doch, schoss es der alten Nabokov durch den Kopf. Also doch.
»Det wär die andre Möchlichkeit.« Und Belinda, unmöglich, diese Belinda spuckte auf den kleinen Damenrevolver und polierte ihn emsig. »Nich, dat Se uff die Idee komm, ick wollt Se übern Haufen knalln. Dit nich, dann würd ick ja am Ende inne Röhre kieken, inne leere. Nee, ick meene en jut platzierten Schuss anne Stelle, wo’t so richtig, abba so wat von richtig weh tut. Dit würd mir schon reichen. Also bloß so als Andeutung. So zum drüber Nachdenken. Wenn Se vastehn, wat ick meene.«
Dann wandte die Todesbotin sich ab und ließ Véra Jewsejewna Nabokov allein.