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FRAGE 3 Warum lässt Gott das alles zu?

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Was alles? Das Sterben von Kindern, das Elend der Flüchtlinge in Kriegen, die bestialischen Folterungen in Gefängnissen und Straflagern, den Terror der Fanatiker, die Seuchen, die Hungersnöte, Erdbeben und Flutkatastrophen, die Willkür der Diktatoren, die Vergewaltigungen, die Ausbeutung der Machtlosen, die Schmerzen der Kranken und Sterbenden, die Depressionen und Selbstmorde, das Fressen und Gefressen-Werden. Warum lässt Gott das alles zu?

Stellen wir die Frage als Betroffene oder als Zuschauer? Wer klagt und fragt, weil er vom Leid im eigenen Leben und dem Leben anderer Menschen getroffen und verwundet ist, hat Gott an seiner Seite. Jesus schreit am Kreuz mit den Worten aus Psalm 22:

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Psalm 22,2; Matthäus 27,46

Niemand darf diesen Schrei verbieten oder verurteilen.

Eine andere Sache ist es, wenn jemand als unbeteiligter Zuschauer das Elend der Menschen als wohlfeiles Argument gegen den Glauben an Gott gebraucht, ohne auch nur ernsthaft eine Antwort zu suchen und zu erwarten, auch ohne sich um die Linderung des Leidens zu bemühen. Für solche Frager gibt es in der Bibel unvermutet schroffe Antworten.

Das überraschendste Wort in der Bibel finde ich beim Propheten Amos. Er wirkte in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts vor Christus im Norden Israels. In Amos 3,6 lesen wir die herausfordernde Frage:

Geschieht etwa ein Unglück in der Stadt, und der HERR hat es nicht getan?

Gott lässt das Unglück nicht nur zu, er tut es. Keinen Augenblick versucht Amos zu erklären, dass Unglück nicht von Gott kommen könnte.

Im Psalm 46 lesen wir:

Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge.

Psalm 46,2 ff.

Ausgerechnet in diesem Vertrauenspsalm lesen wir auch:

Kommt her und schauet die Werke des HERRN, der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet, der den Kriegen ein Ende macht in aller Welt, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt. Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin!

Psalm 46,9-11

In Diskussionen über diese Warum-Frage spüre ich oft die Erwartung, dass ich Gott verteidigen müsste. Gott muss doch gut sein und kann nichts Böses tun, oder? Es kommt mir ziemlich lächerlich vor, wenn jemand versucht, Gott so zu verteidigen. »Der tut nichts.« Das sagt ein Hundehalter, wenn jemand vor seinem großen Hund Angst hat. Soll ich im Ernst Gott auf diese Weise verteidigen, damit die Menschen ihn lieb finden?

Die Vorstellung vom sogenannten »lieben Gott« ist – mit Verlaub gesagt – eine gotteslästerliche Karikatur moderner Zeitgenossen. Sie meinen, Gott müsse sich nach ihren Vorstellungen anständig benehmen, wenn sie an ihn glauben sollten. Demgegenüber gilt der Satz:

Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten.

Galater 6,7

Im Buch Hiob lesen wir, dass Gott dem Satan erlaubt, den gottesfürchtigen und gerechten Hiob mit entsetzlichem Leiden zu quälen und auf die Probe zu stellen. Zunächst sagt Hiob noch:

Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?

Hiob 2,10

Dann aber verflucht er den Tag seiner Geburt. Freunde Hiobs kommen, um ihm beizustehen. Das Beste, was sie machen:

… und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.

Hiob 2,13

Dann aber reden sie wie die Wasserfälle frommes Zeug – insgesamt neun lange Kapitel! Zum Schluss sagt Gott zu Elifas von Teman, einem der Freunde:

Mein Zorn ist entbrannt über dich und über deine beiden Freunde; denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob.

Hiob 42,7

Gott befiehlt ihnen, Brandopfer darzubringen, um ihre Sünde zu bekennen, und Hiob um Fürbitte zu bitten. Gott streicht damit alle ihre frommen Reden durch. Ungültig.

Auf eine Beantwortung der Warum-Frage warten wir im Buch Hiob vergeblich. Stattdessen stellt Gott dem Hiob herausfordernde Fragen. So begegnet Hiob dem lebendigen Gott auf neue Weise. Seine Reaktion:

Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum gebe ich auf und bereue in Staub und Asche.

Hiob 42,5 ff.

Auch Jesus reagiert auf die Erwartungen von Menschen überraschend. Zwei verschiedene Reaktionen von Jesus werden in den Evangelien berichtet.

Im Lukasevangelium 13,1-5 lesen wir:

Es waren aber zu der Zeit einige da, die berichteten Jesus von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. Und er antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen. Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm von Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen seien als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen.

Was Schreckliches geschehen ist, können wir nur aus diesem Bericht erschließen. Der Gouverneur Pilatus hat offensichtlich mit einem brutalen Einsatz von Soldaten galiläische Pilger im Tempel umbringen lassen, als sie ihre Opfer darbrachten. Wie kann Gott ein solches Verbrechen im Heiligtum zulassen? Die Fragesteller scheinen geglaubt zu haben, dass die Galiläer furchtbar gesündigt haben müssten, wenn ihnen das zu Recht geschah. Wenn das Geschehen aber keine Strafe Gottes für die Galiläer war, warum wird dann Pilatus nicht für seine frevelhafte Entweihung des Heiligtums von Gott bestraft?

Jesus liefert keine Erklärung. Er dreht den Spieß um.

… wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen.

Die Katastrophe in Siloah muss allen Anwesenden bekannt gewesen sein. Ein Turm stürzte ein und erschlug achtzehn Leute. Ein typischer Fall für die Frage: »Wie kann Gott das zulassen?« Auch hier spitzt Jesus alles auf die persönliche Mahnung zur Umkehr zu, anstatt die Warum-Frage zu beantworten.

Das Bedürfnis, Leiden als Strafe für Böses zu erklären, scheint allgemein menschlich zu sein. Es ist jedenfalls typisch für den religiösen Menschen. Ganze Religionssysteme sind darauf aufgebaut. Die Karma-Lehre in den asiatischen Religionen besagt, dass der Mensch durch das Tun des Guten gutes Karma sammelt, das sich später in einem guten Leben auswirkt. Wenn er Böses tut, erwirbt er schlechtes Karma. Das bewirkt notwendig leidvolles Leben und wird dadurch sozusagen abgearbeitet. So besteht für den Menschen wiederum die Möglichkeit, in einem nächsten Leben Besseres zu erleben. Wenn das stimmt, ist alles erklärt. Alles Leid ist selbst verschuldet – in einer früheren Existenz. Es muss erlitten werden, damit es später mal besser wird. Alles hat seine Ordnung. Man kann am Leiden der Menschen grundsätzlich nichts ändern. Beruhigend?

Als Pfarrer habe ich von Kranken oft den Satz gehört: »Was habe ich getan, dass ich so etwas erleiden muss? Wie kann Gott das zulassen?« Ich habe noch nie gehört, dass jemand sich beschwert hat, dass Gott ihm ungerechterweise einen schönen Urlaub, strahlende Gesundheit, eine berufliche Beförderung, eine intakte Familie gegeben hat, obwohl er sich gar nicht um Gott gekümmert hat.

Jesus hat einmal sehr drastisch gezeigt, dass Leid und Schuld nicht persönlich aufgerechnet werden dürfen.

Wir lesen im Johannesevangelium 9,1-7:

Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden und sprach zu ihm: Geh zu dem Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.

Weder dieser noch seine Eltern haben gesündigt? Ist das theologisch korrekt? Jesus hat doch selbst gesagt, dass aus dem Herzen des Menschen Böses kommt,

Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Arglist, Ausschweifung, Missgunst, Lästerung, Hochmut, Unvernunft.

Markus 7,21 ff.

Davon ist doch keiner frei. Wir leben in der Welt nach dem Sündenfall. Ja, das stimmt.

Aber Jesus wischt die Frage der Jünger einfach weg. Die Logik hinter der Frage war klar. Wenn das Schicksal des Blindgeborenen eine Strafe für Sünde war, dann kann er selbst ja nicht der Verursacher gewesen sein. Also müssen seine Eltern schuld sein. Jesus erklärt gar nichts, er weist nach vorne:

… sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.

Jesus selbst vollbringt an dem Blindgeborenen das Werk Gottes, nämlich die Heilung. Er tut es auf befremdliche Weise. Spucke, Erde, Matsch, Waschen am Teich Siloah. Warum mit dieser unappetitlichen Methode? Jesus hat sonst Blinde, Lahme und andere Kranke nur mit einem Wort geheilt. Die unangenehme, umständliche Prozedur kann nur ein Hinweis darauf sein, dass Jesus die eigentliche Heilung der Menschen durch sein Leiden und Sterben am Kreuz vollbringen wird. Nur wenn wir uns darauf einlassen, wie der Blindgeborene hier auf die von Jesus vollzogene und gebotene Prozedur, werden uns die Augen aufgehen und wir werden das Licht der Welt sehen und gerettet werden.

Aber noch etwas fällt auf. Jesus sagt:

Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.

Er redet nicht nur von sich. Er bezieht seine Jünger mit ein:

Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat …

Jesus macht aus den Zuschauern Mitarbeiter. Die Warum-Frage haben sie als Zuschauer im Vorübergehen gestellt. Sie wollten von Jesus die Erklärung für ein schwieriges Problem. Jesus verweigert die Antwort auf ihre Frage. Stattdessen handelt er an dem Blindgeborenen und kündigt an, dass seine Jünger in dieses Wirken Gottes einbezogen werden. Genau das hat Gott mit uns vor. Er will uns von Zuschauern zu beteiligten Mitarbeitern seiner Hilfe für die Menschen machen.

Mancher ist nicht zufrieden, dass die Frage unbeantwortet bleibt. Aber was wäre die Folge, wenn wir die Warum-Frage befriedigend beantwortet bekämen? Wir könnten uns beruhigt zurücklehnen und dem Elend in der Welt zuschauen, weil ja alles seine Ordnung hat. Genau das ist die Folge in Religionen und Weltanschauungen, die behaupten, die Frage nach dem Warum des Leidens für jeden Fall befriedigend beantworten zu können. Jesus befriedigt diesen Wunsch nicht. Die unbeantworteten Fragen brennen wie offene Wunden. Jesus beruft uns, an der Linderung der Not mitzuwirken. Und er rüstet uns dazu aus.

Zwei tiefe Erfahrungen in meinem Leben haben mir geholfen, mit den brennenden offenen Fragen leben zu können.

Als Jugendpfarrer erlebte ich, dass der vierzehnjährige Sohn meines guten Freundes bei einer Fahrradtour in unserem Sommerlager tödlich verunglückte. In der Nacht musste ich die Eltern im Urlaub in Italien informieren. Ich holte mir am nächsten Morgen bei der Polizei den Schlüssel zur Totenzelle auf dem Friedhof der Stadt im Sauerland. Ich stand allein an der Bahre. Der Junge lag unter einer Decke. Ich enthüllte seinen verletzten Kopf. Nie hatte ich zuvor in meinem Leben eine so schreckliche Situation erlebt. Ich weiß nicht mehr, ob ich geweint habe oder gar nicht mehr weinen konnte. Eins habe ich nicht vergessen, weil es mich in dieser Totenzelle neben dem Leichnam des Jungen überraschte: Ich war ganz gewiss, dass der auferstandene Jesus gegenwärtig war. Selten war ich seiner Gegenwart so gewiss wie an diesem Ort und in dieser schweren Stunde.

Die zweite Erfahrung musste ich Anfang 1985 in einem sudanesischen Flüchtlingslager an der Grenze zu Äthiopien machen. In Wad Kauly hatte sich damals in wenigen Tagen ein Lager mit etwa 50 000 Flüchtlingen aus Eritrea gebildet. Ich besuchte dienstlich einen deutschen CVJM-Mitarbeiter, der mit dem sudanesischen YMCA arbeitete. Er nahm mich auf eine zehn Stunden lange Autofahrt über staubige Pisten zu diesem abgelegenen Lager mit. Es gab dort nur wenig Wasser. Keine hygienischen Einrichtungen. Noch keine ärztliche oder sonstige Versorgung. Die YMCA-Mitarbeiter hatten mit einer Hilfsernährung für kleine Kinder begonnen. Ich begleitete einen Mitarbeiter durch das Lager. Plötzlich stand eine Frau vor mir und streckte mir ihr verhungerndes Baby entgegen. Ich konnte nicht helfen. Sie ging enttäuscht weg.

Dann sah ich, wie eine andere Frau einen Hirsebrei auf eine Kochplatte strich. Unter der Platte brannte ein Feuer. Sie zeichnete in den Teig auf der Platte ein Kreuz. Brot des Lebens.

Die Nacht brach herein. Ich lag auf einem Feldbett unter freiem Himmel. Ich konnte nicht schlafen. Plötzlich hörte ich Singen. Ein YMCA-Mitarbeiter neben mir sagte: »Es sind Christen. Sie singen das Lob Gottes.« In meiner Verzweiflung, gequält von der Hilflosigkeit angesichts des sterbenden Kindes, sah ich die Frau vor mir, die das Kreuz auf das Brot gezeichnet hatte, und hörte das Lob Gottes aus der Tiefe der Not gesungen. In dieser Nacht hatte ich keine Antwort auf die quälende Frage nach dem Warum. Aber ich begriff: In diese schreckliche Welt hat Gott das Kreuz gestellt.

So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an den glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Johannes 3,16 (eigene Übersetzung)

Das hat Jesus selbst gesagt. Und sein Kreuz mitten im Schrecken der Welt ist das Orientierungskreuz. Gott rettet. Jesus ist der Retter. Und er rettet uns, damit wir Mitarbeiter seiner Liebe in dieser Welt werden. In Wort und Tat.

In dieser Nacht begriff ich: Gott wird mir keine beruhigenden Antworten auf meine quälenden Fragen geben. Aber er hat mich durch Jesus gerettet, damit ich ihm und den Menschen diene. Es sollen die Werke Gottes an den Menschen offenbar werden. Jesus will uns an seiner Arbeit in der Welt beteiligen. So wirkt seine Liebe. Das bringt uns zu einem großen, aber auch missbrauchten Wort: Liebe. Damit beschäftigen wir uns in der Beantwortung der nächsten Frage.

Jesus vertrauen - aus gutem Grund

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