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Ostberlin, DDR, November 1984

Der graue Lieferwagen mit der Aufschrift Backwaren passierte die Kontrollstelle zum Sperrgebiet an der Genslerstraße und bog nach einigen hundert Metern rechts in eine unauffällige Einfahrt ab. Vor dem hellblauen Tor eines wuchtigen, durch Mauern und Wachtürme gesicherten, Gebäudekomplexes hielt er an. Nachdem sich das Tor fast lautlos geöffnete hatte, fuhr der Lieferwagen hinein, passierte verschiedene schmale Gassen und stoppte in einer spärlich beleuchteten Garage, direkt vor dem Eingang eines grauen Gebäudes. Die Fahrzeugtüren wurden von außen geöffnet. Zwei Männer in blauen Uniformen nahmen Vera Adling in Empfang und führten sie durch die kleine Tür in das Gebäude und anschließend einen Gang entlang, der an beiden Seiten von unzähligen kleinen, verriegelten Türen gesäumt war. Gefängnis, schoss es Vera Adling durch den Kopf, sie befand sich in einem Gefängnis. Am Ende des Ganges leuchtete ein rotes Licht. Wie sie später erfuhr, wurde damit signalisiert, dass ein Gefangener den Gang entlanggeführt wurde und alle Zellen verschlossen bleiben mussten. Nach kurzer Zeit erreichten sie einen kleinen Raum mit einem Tresen, hinter dem ein korpulente Uniformierter mit aufgestützten Armen wartete. Sie musste alle Wertsachen, Geld, Uhr und den Ehering abgeben, einen zweiseitigen Bogen mit Fragen zu ihrer Person ausfüllen und wurde dann in einen weiteren Raum geführt, wo der Uniformierte Porträtfotos von ihr anfertigte. Anschließend gab er ihr ein Bündel mit Kleidungsstücken und Filzschuhe und die beiden Uniformierten, die sie begleiteten, führten sie aus dem Raum. Sie passierten einen großen Hof, der von einförmigen grauen Gebäuden gesäumt wurde und durch kreisförmig arrangierte, um diese Jahreszeit jedoch nur Trostlosigkeit verbreitende Rosensträucher auffiel. Über einen Flur eines angrenzenden Gebäudes erreichten sie einen weiteren Raum, in dem sich außer einem Schreibtisch nur noch eine Liege und ein Stuhl befanden. Es roch nach Desinfektionsmittel. Nach der Ewigkeit einer halben Stunde, in der Vera Adling in der Mitte des Raumes warten musste, öffnete sich die Tür zu einem Nebenraum. Eine Ärztin in einem weißen Kittel, mit kurzen, dunkelblonden Haaren und einer Hornbrille, kam mit forschem Schritt herein, setzte sich ohne Vera eines Blickes zu würdigen an den Schreibtisch und begann in der Mappe zu blättern, die einer der beiden Uniformierten dort abgelegt hatten.

»Ziehen Sie sich aus«, sagte sie unvermittelt und mit schneidender Stimme, die Vera zusammenfahren ließ. Zögerlich begann sie, ihre Hose aufzuknöpfen und hielt inne.

»Würden Sie bitte die beiden Herren hinausschicken, wenn ich mich ausziehe.«

»Sie sollen nur tun, was ich Ihnen gesagt habe«, zischte die Ärztin und fixierte sie durch ihre schwarze Brille. »Ausziehen, und zwar alles!«

Die beiden Uniformierten schmunzelten, als Vera Adling ihre Hose auszog.

»Alle Sachen dort auf den Stuhl!«, befahl die Ärztin. Vera legte die Hose auf den Suhl und zog sich den Pullover über den Kopf. »Ich würde mich gerne ausziehen ohne dabei angestarrt zu werden.«

Die Ärztin warf den Kopf hoch, ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. »Sie sollen das machen, was ich Ihnen sage, verdammt noch mal«, bellte sie, »sonst lass ich sie von den beiden Herren hier entkleiden. Vielleicht gefällt Ihnen das ja besser.«

Einer der beiden Uniformierten lächelte in sich hinein und bewegte genüsslich seine Lippen. Na gut, dachte Vera trotzig, vielleicht brauchen diese verklemmten Typen ja die Abwechslung. Sie öffnete ihren BH, nahm ihn ab und zog sich anschließend die Unterhose aus. Sie warf beide Teile auf den Stuhl und blieb, den Uniformierten den Rücken zugewandt, stehen.

»Legen Sie sich mit dem Rücken auf die Liege«, sagte die Ärztin. Vera spürte die Blicke der beiden Stasi-Männer wie heiße Strahlen auf ihrem Rücken, als sie zur Liege ging. Nachdem sie sich wie befohlen hingelegt hatte, begann die Ärztin ihre Untersuchung, die ausschließlich darin bestand, einen knappen Blick in alle Körperöffnungen zu werfen. Anschließend ging sie zum Schreibtisch zurück und notierte ihren Befund in die Akten.

»Ziehen Sie ihre Unterwäsche an und die Kleidung, die Sie bekommen haben,« sagte die Ärztin tonlos.

Vera glitt von der Liege und ging splitternackt, die Arme vor ihren Brüsten verschränkt, zum Stuhl, wo ihre Kleidungsstücke lagen. Unter den verstohlenen Blicken der beiden Uniformierten zog sie sich die Unterwäsche an und schlüpfte anschließend in die übergroße Gefängniskleidung, einen blauen Drillichanzug sowie graue Socken und Filzlatschen.

»Sie können sie abführen, Genossen«, sagte die Ärztin und die beiden Stasi-Wachmänner führten sie aus dem Raum.

»Sie beziehen das linke Bett. Von jetzt an sind Sie Nummer Eins, verstanden«, sagte der Aufseher, als Vera die kleine Zelle mit der Nummer 112 betreten hatte. »Lesen Sie sich die ausgehändigte Hausordnung aufmerksam durch. Ich weise sie ausdrücklich darauf hin, dass es streng verboten ist, tagsüber auf dem Bett zu liegen und Kontakt zu anderen Beschuldigten aufzunehmen!« Die Zellentür flog zu und wurde von außen verriegelt. Vera blieb reglos in dem beengten, kaum zehn Quadratmeter großen Raum stehen. Neben den dunkel gebeizten Holzpritschen links und rechts gab es noch einen kleinen Tisch und einen Stuhl, einen Wasserhahn über einem Waschbecken sowie eine Toilettenschüssel ohne Brille und Deckel direkt neben der Tür. Die Fenster hatten werde innen noch außen Gitter, so wie sie sich Gefängnisfenster immer vorgestellt hatte, sondern waren aus Glasbausteinen gemauert. So kam Sonnenlicht in die Zelle ohne das man nach draußen sehen konnte.

Es war kalt. Vera begann die nach Schweiß riechende Decke, die am Fußende der linken Pritsche lag, mit dem Bettzeug zu beziehen. Nachdem sie auch das Kopfkissen bezogen und das graue Laken über das Holz ausgebreitet hatte, setzte sie sich auf den Stuhl und schloss die Augen. Das kann alles nicht wahr sein, dachte sie, es muss ein böser Traum sein. Sie fühlte sich hilflos und erniedrigt. Was war mit ihrer Tochter geschehen? Tränen schossen ihr in die Augenwinkel. Wenn Hannah jetzt doch nur bei ihren Großeltern in Neubrandenburg wäre, dann würde ihr es sicherlich gut gehen. Wahrscheinlich haben sie sie in einem Kinderheim untergebracht, mit strengen, regimekonformen Erziehern, die ihr die Verwerflichkeit, die Staatsfeindlichkeit ihrer reaktionären Eltern immer wieder vorhalten und die alles daransetzen werden, Hannahs Bindung zu ihr zu zerstören. Sie schmerzte die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation, denn es gab weit und breit niemand, der sich ihrem Schicksal annehmen konnte.

Vera wischte sich die Tränen aus den Augen. Nein, sagte sie sich, Hannah würde ihnen nicht glauben, niemals. Hannah ist stark und sie wird diese Phase überstehen. Wir werden es gemeinsam überstehen, an all diesen noch so dunklen Orten. Und es wir die Zeit kommen, wo ich sie wieder in die Arme schließen kann.

Sie hörte ein Klopfen an der rechten Zellenwand. Eine Botschaft? Sie konnte nichts damit anfangen. Trotzdem machte es ihr Mut, war sie doch nicht ganz alleine. Die Gewissheit, dass viele andere Männer und Frauen ihr Schicksal teilten, gab ihr Kraft und sie schwor sich in diesem Moment, niemals aufzugeben. Obwohl ihr die mahnenden Worte des Aufsehers, keinen Kontakt zu anderen Gefangenen aufzunehmen, noch gegenwärtig waren, klopfte sie zurück, verhalten und ohne ein Muster, nur um zu sagen, ich habe verstanden, ich gehöre dazu.

Nur wenige Minuten später, sie hatte sich an den Holztisch gesetzt und begonnen, die mit schlechtem Farbband getippte Hausordnung durchzulesen, hörte sie die derben Schritte auf dem hallenden Gang, dann Schlüsselgeräusche. Die Tür wurde aufgerissen und ein Aufseher baute sich im Türrahmen auf.

»Eins, heraustreten!«

Vera Adling erhob sich zögernd.

»Machen Sie schon, Eins. Das muss hier ein bisschen zack, zack gehen!«

Das Vernehmungszimmer roch nach Linoleum und Kleber. An der linken Wand stand ein fast zwei Meter hoher kunststoffbeschichteter Schrank, daneben war ein Waschbecken angebracht. Vera hatte an der Stirnseite eines direkt am Vernehmer-Schreibtisch angrenzenden Tisches Platz genommen.

»Wissen Sie, was Sie erwartet, Beschuldigte Adling? « fragte der Stasi-Beamte und sah Vera scharf an. »Versuchter illegaler Grenzübertritt ist kein Kavaliersdelikt«. Er hatte sich nicht mit Namen oder Dienstgrad, sondern nur als ihr Vernehmer vorgestellt und ihr erklärt, dass sie sich in einem Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR befände. Seine dunklen, dicht beieinander liegenden Augen in dem kantigen, von Bluthochdruck gezeichneten roten Schädel wirkten verloren. Er hatte seine schwarzen, fettigen Haare scheitellos nach hinten gekämmt. Zwischen den wurstigen Fingern seiner rechten Hand drehte er einen Bleistift hin und her.Vera fiel auf, dass er sie mit Beschuldigte Adling ansprach, nicht mit Eins, wie das Aufsichtspersonal.

»Zwei Jahre sind das mindeste für solche Vergehen, in besonders schweren Fällen - und Ihrer ist ein solcher Fall - kann es leicht mehr werden. Das nur zu Ihren Aussichten.«

Vera sah ihm in die Augen, schwieg jedoch.

»Sie haben ihr Schicksal selbst in der Hand, Beschuldigte Adling. Wenn Sie kooperieren, kommen Sie einigermaßen glimpflich davon, ansonsten haben Sie ein riesiges Problem.«

»Wie geht es meiner Tochter?«

Der Stasi-Beamte lachte trocken auf. »Wie sagt man so schön? Den Umständen entsprechend?«

»Wo befindet sie sich?«

»Ich sagte schon, ihr geht es gut.«

»Kann ich ein Glas Wasser bekommen?«

Der Vernehmer ging zum Waschbecken, füllte ein Glas mit Wasser und stellte es vor Vera auf den Tisch. »Wir sind ja keine Unmenschen, Beschuldigte Adling.«

»Ihren vollständigen Namen, Geburtsdatum, Familienstand, Beruf, Arbeitgeber, Wohnort der Eltern«, forderte der Vernehmer, nachdem er sich wieder gesetzt hatte.

»Das steht doch in der Akte. Ich habe einen großen Bogen bei der Einweisung ausgefüllt.«

»Dann machen wir das eben noch einmal.«

Tonlos begann Vera, alles noch einmal zu diktieren, während der Vernehmer mitschrieb.

»Was wussten Sie über die Aktivitäten Ihres Mannes, Beschuldigte Adling?«, bellte er plötzlich los.

Vera fuhr zusammen und schluckte. »Nur ein paar unwesentliche Details.«

»Was waren das denn für unwesentliche Details?«

»Mein Mann hatte mit mir über seine Tätigkeit kaum gesprochen, daher…«

»Ich hatte nach Details gefragt und nicht danach, worüber Ihr Mann mit Ihnen gesprochen hat.«

»Mein Mann hat mir am Tage zuvor gesagt, dass er die DDR verlassen würde.«

»Ein Tag vorher? Das soll ich glauben?«

»Es ist aber so.«

»Wir werden das alles schon noch rauskriegen, Beschuldigte Adling. Das ist jetzt nur ein kleines Vorgespräch, wissen Sie. Quasi zum Aufwärmen. Wir haben hier noch ganz andere Möglichkeiten, glauben Sie mir. Und dann geht es rund, sage ich Ihnen.« Der Stasi-Beamte lächelte kalt und machte sich mit seinem Bleistift Notizen.

»Wer hat Ihnen die gefälschten Ausreisedokumente übergeben?«

»Das weiß ich nicht.«

Der Vernehmer stand auf, ging langsam um den Tisch herum und blieb neben Vera stehen. »Das wissen Sie nicht, Beschuldigte Adling? Sie wollen mich wohl verarschen. Es ging doch wohl um Sie und Ihre Tochter.«

»Das hat alles mein Mann eingefädelt.«

Der Stasi-Beamte nickte und sah Vera aus seinen Schweinsaugen an. Im Hintergrund hörte sie die Heizung geräuschvoll arbeiten. Die Hitze im Raum wurde immer unerträglicher.

»Wann hat Ihr Mann mit den Planungen begonnen und wer war dort eingeweiht?«

»Das weiß ich nicht. Ich wurde erst kurz vorher informiert.«

»Von wem?«

»Von meinem Mann, das sagte ich ja bereits.«

»Und ich glaube Ihnen kein Wort!« Er wiegte bedeutungsvoll seinen voluminösen Kopf hin und her. »Ich sagte ja, wir haben da noch viel Gesprächsbedarf. Und eines will ich gleich hinzufügen, Beschuldigte Adling: wir werden alles rauskriegen und aufklären. Alles! Und Ihren Mann, den Hochverräter an der Arbeiterklasse, werden wir auch einfangen. Sie wissen, unser Arm und unser Atem sind unendlich lang. Und dann Gnade ihm Gott.«

Sein aufgeschwemmtes Gesicht hatte eine dunkelrote Farbe angenommen.

»Abführen!«, bellte er und zu Vera gewand: »Wir sehen uns bald wieder, Beschuldigte Adling, und ich denke, nicht nur einmal.«

Vera lag auf ihrer Holzpritsche und starrte zur Decke. Nachdem die nackte, grell leuchtende Glühlampe, die jede halbe Stunde aufflammte, wieder erloschen war, mussten sich ihre Augen erst einmal an die Finsternis gewöhnen. Was ging es Rolf in diesem Moment? Trotz seiner Freiheit sicherlich nicht besser als ihr. Er wird sich bittere Vorwürfe machen, denn es war sein Plan, der sie und Hannah in diese Situation gebracht hatte. Aber das durfte er nicht denken. Es gab nur diesen Weg. Niemand konnte ahnen, dass der Plan verraten wurde. Wer war der Verräter?

Sie schloss die Augen. Die harte Holzpritsche drückte schmerzhaft gegen ihren Rücken und sie fühlte die Erschöpfung ihres Körpers. Vorsichtig verließ sie ihr Nachtlager und ging zum Waschbecken, um einen Schluck Wasser zu trinken. Angewidert spuckte sie das Wasser sofort wieder aus. Wie spät es wohl war? Bestimmt schon zwei oder drei Uhr. Sie hatte keinerlei Zeitgefühl mehr. Im Gebäude war es totenstill, weder Stimmen noch die obligatorischen Stiefelgeräusche. Gerade als sie sich wieder auf die Pritsche gelegt und krampfhaft versucht hatte, ihre aufwühlenden Gedanken zu verdrängen, um endlich einschlafen zu können, wurde es lauter. Sie hörte die typischen Stiefelschritte auf dem Flur. Ihre Zelle wurde aufgeschlossen, das Licht flackerte auf.

»Treten Sie heraus, Eins! Beeilen Sie sich, Ihr Vernehmer wartet nicht gerne.«

»Setzen Sie sich, Beschuldigte Adling«, sagte der Stasi-Vernehmer in einem unerwartet freundschaftlichen Ton, nachdem die beiden Aufseher das Zimmer wieder verlassen hatten. Wahrscheinlich Methode, überlegte Vera. Jetzt war wieder die kumpelhafte, anbiedernde Phase an der Reihe.

»Kaffee?«

Sie nickte nur. An Schlaf war sowieso nicht mehr zu denken.

»Na kommen Sie schon, Beschuldigte Adling, machen Sie nicht so ein Gesicht. Da müssen Sie jetzt durch. Das hätten Sie sich alles früher überlegen sollen.«

Der Stasi-Beamte griff zum Telefon und bestellte Kaffee. Er legte den Protokollbogen, den er zwischenzeitlich geschrieben hatte, in die mechanische Schreibmaschine ein und ging die Zeilen durch.

»So Beschuldigte Adling, wo waren wir gestern stehen geblieben?«, fragte er mehr zu sich selbst. »Ich sehe gerade, wir haben noch eine ganze Reihe unbeantworteter Fragen zu bearbeiten. Fangen wir mal anders herum an: Warum wollten Sie die DDR verlassen? Sie hatten doch alles und lebten wie die Maden im Speck. Oberärztin an der Charitè und Ihr Mann war ja bis jetzt auch auf einem ganz guten Weg hier in unserem Stall.« Er lachte verächtlich auf.

»Ich fühlte mich eingeengt und ich sah keine Möglichkeit, mich beruflich weiterzuentwickeln.«

»Wie bitte? Habe ich das jetzt richtig verstanden? Sie haben sich eingeengt gefühlt und konnten sich beruflich nicht mehr weiterentwickeln? « Sein Gesicht wechselte wieder die Farbe und seine Stimme wurde schneidend. »Sie müssen doch krank sein, Beschuldigte Adling. Wer engt Sie denn ein? Die Deutsche Demokratische Republik ist der erste Staat auf deutschen Boden, der seinen Mitbürgern überhaupt erst Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Hier bekommen Sie alles, was Sie in der BRD nie im Leben finden werden. Ein Recht auf Arbeit, kostenlose medizinische Rundumversorgung, Wohnung mit geringer Miete, Kindergartenplatz vom ersten Tag an und so weiter. Was wollen Sie eigentlich noch, Beschuldigte Adling?« Der Vernehmer stand polternd auf und kam um den Schreibtisch herum. Seine Augen flackerten, während sich sein kantiger Schädel bedrohlich auf sie zubewegte.

»Wir wollten unsere persönliche Freiheit«, sagte sie leise.

Der Vernehmer lachte schrill auf. »Persönliche Freiheit. Was soll das denn sein? Meinen Sie damit, ihr könnt tun und lassen, was euch gerade so passt, ja? Das könnt ihr vergessen! Das gibt es auch in der BRD nicht, oder in Frankreich oder sonst wo im kapitalistischen Ausland. Das ist es doch, was Ihnen...«

Es klopfte an der Tür.

»Herein!«, brüllte der Vernehmer. Ein Mann in Uniform brachte den Kaffee und stellte ihn auf den Schreibtisch.

»Milch, Zucker, bedienen Sie sich, Beschuldigte Adling.« Der Vernehmer hatte wieder auf seinem Stuhl Platz genommen und zu tippten begonnen. Umständlich fingerte er eine Zigarette der Marke F6 aus einer kleinen Packung.

Der Kaffee schmeckte gut, stellte Vera fest. Bestimmt aus dem Westen. So einen Kaffee schickte ihre Schwester Karin immer zu Weihnachten.

»Der BFC Dynamo spielt am Wochenende gegen Lok Leipzig. Was tippen Sie, Beschuldigte Adling? Könnte eng werden, was?«

»Ich interessiere mich nicht für Fußball.«

»Verstehe, Fußball ist nichts für zarte Gemüter. Gibt es denn etwas, was Sie interessiert, außer, wie Sie die Deutsche Demokratische Republik illegal verlassen können?«

Vera schwieg. Sie hatte bisher kaum geschlafen und war trotz des Kaffees dem Umfallen nahe.

»Sie sind heute nicht besonders gesprächig, Beschuldigte Adling«, stellte der Vernehmer fest, während er den Rauch seiner Zigarette gegen die Decke blies. »Und dabei will ich noch so viel von Ihnen wissen. Zum Beispiel immer noch, wer alles von Ihrem kläglichen Manöver Kenntnis hatte!«

»Niemand, nur meine Familie.«

Der Vernehmer stieß ein Grunzen aus. »Sie sind wirklich eine amüsante Erscheinung, Beschuldigte Adling. Sie glauben anscheinend, ich könnte zu vorgerückter Stunde Scherze gut vertragen, was? Ich will Ihnen mal was sagen, nur damit das klar ist: das ist hier keine gemütliche Plauderrunde, verstehen Sie? Sie befinden sich auf feindlichem Boden, Beschuldigte Adling. Wenn Sie sich für Fußball interessieren würden, wäre das für Sie ein Auswärtsspiel!« Der Vernehmer hatte seine Stimme wieder drohend erhoben. Er drückte die Zigarette aus. »Ich will Namen, und zwar alle!«, zischte er. »Und bis ich die habe, drehe ich Sie langsam und mit viel Gefühl durch den Fleischwolf, darauf können Sie sich verlassen. Ach noch etwas, Beschuldigte Adling. Sie wollen doch bestimmt irgendwann einmal Ihre Tochter wiedersehen?« Er schmunzelte in sich hinein. »Ich könnte Ihnen dabei behilflich sein. Dafür müssen Sie mir natürlich etwas entgegenkommen und Sie wissen ja, wie Sie mir einen Gefallen tun können.«

Vera hörte ihre Herzschläge. Natürlich, diese Karte hatte sie erwartet. Ihr fielen fast die Augen zu.

»Ich mache Ihnen jetzt ein Angebot, Beschuldigte Adling«, sagte der Vernehmer, lächelte gütig und lehnte sich auf seinem Stuhl mit verschränkten Armen zurück. »Sie gehen jetzt zurück in Ihre Zelle und schlafen sich aus. Können Sie gebrauchen, wie ich sehe. Morgen früh sehen wir uns wieder und setzen unser Gespräch fort. Und bis dahin überlegen Sie sich ein paar zufrieden stellende Antworten auf meine Fragen.« Er griff zum Telefon und rief den Aufseher.

»Aber denken Sie gut nach, Beschuldigte Adling. Sollten Sie mich enttäuschen, unterhalten wir uns nur noch nachts und Ihrer Tochter, das kann ich Ihnen versprechen, wird es nicht besonders gut gehen. Gute Nacht Beschuldigte Adlin. Schlafen Sie gut.«

An Tagen Des Ewigen Nebels

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