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Freitag

»Da seid ihr ja endlich«, rief Siegmar, lässig am Türrahmen lehnend, als Alan und Hannah das Auto verlassen hatten und ein paar Streckübungen machten. »Ich dachte, du würdest diese kurze Strecke in zwei Stunden schaffen, Alan.« Mit einem wiehernden Lachen kam Siegmar auf sie zu.

»Willst du mich auf den Arm nehmen? In zwei Stunden schaffst du das auch nicht«, entgegnete Alan. »Was meinst du, was auf den Straßen los war.« Siegmar umfasste Hannahs Taille und begrüßte sie mit einem Wangenkuss. Dann umarmte er Alan mit seinen mächtigen Armen einer Krake.

»War auch nur ein Scherz«, fügte Siegmar hinzu, »ich bin froh, dass ihr es gefunden habt. Ist ja sogar noch ein bisschen hell.«

»Ich hoffe du erinnerst dich daran, dass ich schon einmal hier war, Siegmar«, entgegnete Alan beleidigt.

»Ja, ich weiß. Susannes Fünfzigster.«

Alan sah seine Freundin an. »Was sagst du, Schatz, gefällt es dir auch?«

»Doch, schon«, sagte Hannah mit einer Spur Zurückhaltung.

»Also ich finde, das hier ist der schönste Flecken an der gesamten Ostseeküste«, erklärte Siegmar in seiner selbstherrlichen Art. »Schöner als auf Fischland oder dem Darß ist es nirgendwo. Selbst Rügen und Usedom stehen hinten an.«

Na ja, das erzählst du schon seit fünf Jahren. Alan zündete sich eine Zigarette an, während auf das weiß getünchte Haus blickte.

»Du hast renoviert, stimmt’s?«

»Ja. Haben wir machen lassen. Zwei Polen. Ich dachte, wir hätten es dir erzählt.«

»Kann sein.« Alan schnalzte mit der Zunge. »Die blauen Fenster auf den weißen Wänden machen sich jedenfalls sehr gut.«

»Sechzig Meter, dann stehst du im Wasser«, sagte Siegmar mit einem stolzen Blick zu Hannah. »Die Wellen der Ostsee kann man nachts gut hören.« Siegmar nickte mit dem Kopf in Richtung der Dünen, die sich direkt hinter dem Haus aufbauten.

Alan trat die Zigarette aus und wandte sich zum Kofferraum, um die Reisetaschen auszuladen.

»Kommt erst mal rein, die Sachen könnt ihr später holen«, unterbrach ihn Siegmar.

Im Flur roch es nach gebratenem Fleisch. Susanne kam ihnen aus der Küche entgegen, während sie ihre Hände an einer violetten Schürze abtrocknete.

»Herzlich willkommen in der Natur. Hattet ihr eine gute Fahrt?« Susanne begrüßte Hannah und Alan jeweils mit einem Wangenkuss.

»Ich kann mich nicht beklagen. Alan ist gefahren und ich habe ein wenig gedöst«, sagte Hannah und zwinkerte Alan zu.

»Gut. Ich zeige euch erst einmal euer Zimmer«, sagte Siegmar. »Wir müssen die kleine Treppe hier hoch. Du kannst dich ja noch erinnern, nicht Alan? Vorsichtig, Hannah, es ist sehr steil.«

»Wie sieht es mit dem Essen aus, Siggi?«, fragte Susanne. »Ich habe alles fertig.«

»Dauert nicht lange, Susanne. In zehn Minuten, okay?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, stapfte Siegmar los. Hannah und Alan folgten.

»Das Haus ist ja riesig«, stellte Hanna fest, als sie die obere Etage erreicht hatten.

»Sieht man ihm gar nicht an, was?« Siegmar lachte. »Es ist auch mehr als ein reines Ferienhaus, möchte ich sagen. Wir haben hier oben vier Zimmer."

»Ihr schlaft hier«, sagte Siegmar und öffnete die Tür des ersten Zimmers auf der linken Seite der Diele. »Das ist der größte und schönste Raum. Extra für unsere Gäste, versteht sich.«

In dem etwa fünfzehn Quadratmeter großen Zimmer befanden sich ein Doppelbett und ein großer Kleiderschrank. Auf einem kleinen Tisch stand ein Flachbildfernsehgerät. An der Wand hingen alte Fotos vom Ostseestrand.

»Seht ihr dort zwischen den Dünen das Wasser?« Siegmar zeigte stolz aus dem Fenster.

»Mit Meerblick«, fügte Alan hinzu. »Ist das nicht grandios, Hannah?«

Hannah trat an das Fenster und blickte hinaus. »Nicht schlecht.« Ihre Antwort klang weniger euphorisch als Alan geglaubt hatte. Im Gegenteil, sie wirkte plötzlich nachdenklich, fast abwesend.

»Nicht schlecht? Ich finde das fantastisch.« Alan musterte seine Freundin irritiert, während sie weiterhin gedankenverloren aus dem Fenster sah.

»Lass doch mal, Alan. Hannah ist etwas müde von der Fahrt«, mischte sich Siegmar ein. »Wenn ihr heute Nacht das Rauschen der Wellen hört und morgen früh am Fenster steht, sieht alles schon ganz anders aus. Zum Badezimmer geht es übrigens hier entlang.«

Siegmar öffnete die nächste Tür, während Hannah noch einmal einen nachdenklichen Blick aus dem Fenster warf und anschließend den beiden folgte.

»Klein aber ausreichend.«

Nachdem Siegmar Hannah die anderen Zimmer gezeigt hatte, das Nebenzimmer, das Susanne nutzte, ihr Schlafzimmer sowie sein eigenes Arbeitszimmer gegenüber, kehrten sie zurück ins Erdgeschoss.

»Gefällt es dir nicht? Du bist so zurückhaltend«, raunte Alan Hannah auf der Treppe zu, als Siegmar schon unten war.

»Doch, doch, Alan, ich bin wirklich noch ein wenig abgespannt.«

»Und, hat es euch geschmeckt?«, fragte Susanne, »oder kommt ihr nie wieder zum Essen her?«

»Es war sehr gut, Susanne, wirklich. Aber ich kann wirklich nicht mehr.« Hannah tupfte sich mit der Serviette den Mund ab und legte sie neben den Teller.

»Wenn es nach mir geht, würde ich öfter kommen«, sagte Alan. »Das Haus, das Meer und dein exzellenter Braten. Ausgezeichnet!«

»Das freut mich«, sagte Susanne, stand auf und begann, die Teller einzusammeln.

»So, ihr beiden, was hättet ihr denn noch gerne zu trinken?« Siegmar schaute Hannah und Alan mit fragendem Blick abwechselnd an.

»Noch einen Weißwein, Hannah? Und du, Alan, ein kühles Blondes? Oder lieber einen Klaren zur Verdauung? Ihr könnt auch einen Cognac bekommen. Wir haben alles da.«

»Für mich bitte ein Mineralwasser, Siegmar«, sagte Hannah.

»Mir kannst du noch ein Bier bringen«, fügte Alan hinzu.

»Ich werde Susanne helfen, das Geschirr abzuräumen«, sagte Hannah und stand auf. Mit zwei Schüsseln verließ sie den Raum in Richtung Küche.

»Seit wann habt ihr das Haus eigentlich noch mal, Siegmar?«, fragte Alan, als Siegmar mit den Getränken zurückkam. »Du hast es mir bestimmt schon einmal gesagt.«

»Das haben wir bald nach der Wende gekauft. Die Gegend hatte uns schon immer interessiert. Wir haben eine Weile gesucht, sage ich dir, aber es hat sich gelohnt.«

Siegmar füllte ihre Biergläser.

»Und das Ding war richtig heruntergekommen«, fuhr er fort, nachdem sie angestoßen und den ersten kräftigen Schluck getrunken hatten. »Ich kann gar nicht sagen, wie viele Arbeitsstunden wir hier reingesteckt haben.« Siegmar wischte sich mit dem Handrücken Schaum vom Mund. Alan nickte anerkennend.

Sie hatten noch ein paar Stunden zu viert zusammengesessen und geplaudert, aber Hannah war an diesem Abend ganz anders als Alan sie kannte. In sich gekehrt und teilnahmslos. Irgendetwas hatte sie, das spürte er. Hannah entschuldigte es mit Migräne. Gegen halb zwölf gingen sie in ihr Zimmer.

Das durch die Fenstervorhänge eintretende Licht des Vollmonds projizierte schmale Streifen auf die Seitenfläche des Schrankes. In das monotone Rauschen der Wellen mischten sich pfeifende Windstöße.

Vergeblich versuchte Hannah auf ihrer Armbanduhr die Uhrzeit zu erkennen. Sie konnte einfach nicht einschlafen. Nach einem weiteren Gähnen drehte sie sich zu Alan und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Alan«, flüsterte sie, »schläfst du schon?« Sie tippte ihm auf die Schulter. »Alan.«

Er wälzte sich zu ihr.

»Was gib’s, Hannah? Kannst du nicht schlafen?«

»Nein, Alan. Hörst du mir zu?«

Alan tastete nach seinem Smartphone auf dem Nachtisch und blinzelte angestrengt auf das Display.

»Hannah, weißt du wie spät es ist? Kurz nach zwei. Wir waren erst um halb zwölf im Bett.«

»Ich weiß, Alan, aber ich muss mit dir reden.«

»Aber doch nicht mitten in der Nacht.«

»Doch Alan, es ist wichtig.« Ihrer Stimme klang hellwach. Alan schaltete die moderne Lampe auf dem Nachttisch ein. Hannah hatte sich aufrecht hingesetzt, die Knie unter der Bettdecke an den Körper gezogen und die Arme herumgeschlungen.

»Was ist los Hannah? Was ist so wichtig, um es jetzt zu bereden?«

»Alan«, Hannah machte eine kurze Pause und strich sich mit einer Hand durch die Haare. »Es klingt jetzt vielleicht unglaublich, als wenn ich schlecht geträumt hätte oder so etwas, aber das habe ich nicht.«

»Worum geht es, Hannah? Mach es nicht so spannend. Ich würde gerne weiterschlafen.«

Hannah fixierte seine Augen. »Ich war schon einmal in diesem Haus, Alan.«

Alan war plötzlich hellwach. Er setzte sich aufrecht neben Hannah und starrte sie an.

»Was sagst du da, du warst schon mal hier?«

»Rede bitte nicht so laut, Alan. Ja, ich bin mir ganz sicher, dass ich schon einmal in diesem Haus war.«

»Wann denn? Hast du hier mal Urlaub gemacht? Ich weiß gar nicht, ob Siegmar und Susanne das Haus vermieten.«

»Ich war als Kind schon einmal hier gewesen, zusammen mit meinen Eltern!«

Alan rückte ganz dicht an Hannah heran, legte einen Arm um sie und zog sie behutsam zu sich heran. Er spürte ihr Zittern.

»Das kann doch nicht sein.«

»Doch.«

»Und du bist sicher, dass du keinen bösen Traum hattest?«

»Nein, absolut sicher. Ich habe noch keinen einzigen Moment die Augen zugemacht.«

»Du glaubst also schon einmal hier gewesen zu sein, mit deinen Eltern?«

»Ich glaube es nicht nur, ich bin fest davon überzeugt.«

»Das muss dann ja schon lange her sein. Noch vor der Wende, als du noch in Ostberlin bei deinen Eltern gelebt hast.« Alan machte eine Pause. »Und du bist dir wirklich sicher?« Sanft strich er ihr mit den Fingern die Wange entlang.

»Ganz sicher!«

»Aber wie kommst du darauf? Ich meine, woran erinnerst du dich? Immerhin ist das schon eine Unendlichkeit her.«

Ohne eine Antwort löste sich Hannah von ihm, schälte sich aus dem Bettlaken und ging zum Fenster. Als sie die Vorhänge zu Seite schob, zeichnete sich ihre grazile Figur vor dem hellen Mondlicht ab. Alan stand auf, trat hinter sie, verschränkte seine Arme vor ihrem Bauch und legte den Kopf auf ihre Schulter.

»Schau mal aus dem Fenster, Alan«, flüsterte sie. »Als Siegmar uns vorhin das Meer und die Dünen zeigte, kam mir das alles so bekannt vor. So, als wenn ich es schon einmal gesehen hätte.«

»Wirklich? Jetzt ist mir auch klar, warum du so irritiert und abwesend gewirkt hast.«

»Ich war total aufgewühlt, das kannst du mir glauben. Das ließ mir alles keine Ruhe. Ich habe den ganzen Abend darüber nachgedacht, warum ich diese Assoziationen habe.

Erst kurz bevor wir ins Bett gingen, hatte es klick bei mir gemacht. Plötzlich fiel es mir ein.« Hannah drehte den Kopf und versuchte seine Augen zu fixieren. »Und ich habe auch schon einmal in diesem Zimmer geschlafen, Alan. Zusammen mit meinen Eltern. Mein Vater hatte mir damals auch das Meer gezeigt und weißt du, woran ich mich besonders erinnere? Die Pfähle dort, am Rand der rechten Düne. Man kann sie jetzt im Mondschein gut erkennen.« Hannah zitterte. Sie zeigte auf drei verwitterte Holzpfähle.

»Das ist ja unglaublich«, raunte Alan.

»Und noch etwas, Alan. Bevor wir vorhin nach oben gingen, du erinnerst dich vielleicht, hatte ich doch kurz einmal das Haus verlassen um ein bisschen frische Luft schnappen nach dem verräucherten Abend.« Sie räusperte sich. »Das war nur die halbe Wahrheit, mit der frischen Luft. Ich wollte in Wirklichkeit sehen, ob der kleine Schuppen und der lange Balken noch da waren, an die ich mich auch erinnert habe. Meine Mutter hatte mit mir dort Schwebebalken gespielt.«

»Und?«

»Der Schuppen ist nicht mehr da, aber der Balken!«

Alan spürte die Hitze ihres Körpers. Er hielt Hannah fest an sich gedrückt.

»Wann war das, Schatz?«

Fischland, Bezirk Rostock, DDR, 1984

»Und ich sage dir, Rolf, wir müssen jetzt sehr wachsam sein. Was sich bei den Polacken zusammenbraut, kann uns eines Tages richtig gefährlich werden«, krächzte Alfred Kirstein mit brüchiger Stimme, griff die nur noch halb gefüllte Flasche Nordhäuser und schenkte nach. »Prost!«

»Prost, Alfi.« Rolf Adling nickte seinem Kollegen zu, dann kippten beide den Schnaps synchron und mit einem Zug hinunter.

»Ich sehe das anders, Alfi. Ich denke nicht, dass das wirklich ein Problem für uns wird. Die Genossen vor Ort haben das alles im Griff, glaube mir. Solche Proteste lassen sich einfach nicht verhindern, das weißt du doch genauso wie ich. Die müssen das jetzt genau beobachten und ihre Schlüsse daraus ziehen.«

»Was wollen diese Arschgeigen eigentlich mit freien Gewerkschaften. Die sollen lieber mehr arbeiten. Das ist doch das Problem dort.«

»Jetzt sage ich dir mal, wie ich das sehe, Alfi. So ganz Unrecht haben sie nicht. Eine Gewerkschaft ist nicht dazu da, den Urlaub der Werktätigen zu organisieren oder das Kantinenessen zu bezuschussen, wie das bei uns ist. Die haben dafür zu sorgen, dass sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Den FDGB kannst du doch vergessen, mal ehrlich.«

»Was sagst du da, Rolf?«, bellte Kirstein und es klang wie ein kotzender Hund, während er Sprache kaum noch kontrollieren konnte. Unzählige Klare und Biere hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. »Wenn ich dich nicht so gut kennen würde, müsste ich spätestens jetzt an deinem Klassenstandpunkt erheblich zweifeln. Bist du noch einer von uns?« Kirstein schüttelte den Kopf. »1953 hier und …1956 in Ungarn fing alles doch genauso an und dann war die Kacke am Dampfen.« Er war jetzt kaum noch zu verstehen. »Oder dieser Dubcek 1968, dieser Clown, den hätte man…«

»Rolf, ich denke du solltest die Kleine ins Bett bringen. Es ist jetzt wirklich Zeit.« Vera hatte sich zu ihrem Mann gestellt und sah sich veranlasst, Kirsteins Gestammel zu beenden. Ihr Blick signalisierte ihm, dass es ihr vordergründig darum ging, Kirsteins dumpfen Politisierten ein Ende zu setzen. Rolf Adling nickte ihr zustimmend und erhob sich.

»Ich habe noch ein paar Pflichten, Alfi. Ich muss die Kleine ins Bett bringen.«

Zusammen mit Vera zum Nebentisch, wo seine Tochter Hannah mit Hartmut, dem zwei Jahre älteren Jungen von Gabriele und Heinz, spielte.

»So mein Schatz, für heute ist Schluss. Papa bringt dich ins Bett«, sagte Vera.

»Jetzt schon?«

»Es ist schon spät. Morgen könnt ihr weiterspielen. Sag Hartmut Gute Nacht

Hannah verabschiedete sich und setzte sich noch einmal bei Vera auf den Schoss.

»Hat dir meine Geburtstagsfeier gefallen, mein Schatz?«, fragte Vera.

»Ja, Mama.«

»Dann schlaf jetzt schön. Morgen gehen wir wieder zum Strand.« Vera gab Hannah einen zarten Kuss auf die Nasenspitze und einen freundlichen Klaps auf den Hintern. Zusammen mit ihrem Vater ging Hannah nach oben ins Zimmer. Sie freute sich, zwischen Mama und Papa im Bett schlafen zu können.

»Schau mal, Hannah, dort zwischen den Dünen ist das Wasser. Die Ostsee.«

Hannah konnte das Wasser sehen, dass in der untergehenden Sonne eine rötliche Färbung angenommen hatte.

»Ist da hinten Amerika, Papa?«

»Nein, mein Schatz, dort liegt Dänemark.«

»Warst du schon mal in Dänemark?«

»Nein.«

»Wir können doch mal mit dem Schiff nach Dänemark fahren. Mit Mama.«

»Vielleicht mal später. So, nun aber Ausziehen und Zähneputzen. Papa liest dir noch ein Kapitel von Alfons Zitterbacke vor.«

Fischland, Mecklenburg-Vorpommern, 2018

»Es war eine Geburtstagsfeier meiner Mutter«, sagte Hannah leise. »Ich kann mich kaum noch daran erinnern, aber ich weiß nur noch, dass ich mit dem Sohn eines Kollegen meines Vaters viel gespielt habe. Am Strand und auch im Garten. Es ist vielleicht komisch, aber diesen Blick aus dem Fenster habe ich nicht vergessen.«

Hannah löste sich aus Alans Armen, setzte sich auf die Bettkante und nahm einen Schluck aus der Mineralwasserflasche. Alan sah sie nachdenklich an.

»Du hoffst einen Hinweis auf deine Eltern zu bekommen, oder? Wir können morgen Siegmar und Susanne fragen, ob sie wissen, wem dieses Haus zu DDR-Zeiten gehört hatte.«

Hannah nickte abwesend.

»Versuch zu schlafen, Hannah. Wir können jetzt eh nichts tun. Morgen werden wir uns um die Sache kümmern.«

»Ist lieb von dir, Alan«, sagte Hannah, stellte die Flasche auf den Nachttisch und legte sich hin. Sie ergriff seine Hand und sah ihn mit festem Blick an. »Ich möchte aber, dass wir die Sache zunächst für uns behalten, ja. Kein Wort zu Siegmar und Susanne. Versprich es mir bitte, Alan. Wir machen nur die Pferde scheu. Ich glaube auch nicht, dass sie die Vorbesitzer kennen.«

Hannah rückte dich Alan heran und gab ihm einen Kuss.

»Ich brauche jetzt deine Nähe.«

Am nächsten Morgen

»Und, wie habt ihr geschlafen? Traumhaft oder?« begrüßte Siegmar sie mit der Kaffeekanne im Flur.

»Kann man wohl sagen«, antwortete Alan und gähnte.

»Ihr seht ein bisschen müde aus«, meinte Siegmar lächelnd. »Ist es zu noch früh oder habt ihr euch noch ein bisschen mit euch selbst beschäftigt?«

»Siggi«, ging Susanne dazwischen und boxte ihren Mann in die Hüfte, »lass bitte deine Anzüglichkeiten.« Sie drehte sich zu Hannah um und tätschelte ihre Wange. »Guten Morgen, Hannah. Du siehst wirklich noch ein bisschen müde aus, aber das gibt sich nach ein paar Tassen Kaffee. Geht rein in die gute Stube.«

Susanne hatte ein Frühstück aufgefahren, dass für halbe Schulklasse gereicht hätte. Eier mit Schinken, Tomaten mit Mozzarella, Käse und Obst.

»Ich habe für euch zwei Fahrräder gemietet«, sagte Siegmar am Frühstückstisch, während er sich ein Brötchen mit mehreren Scheiben Käse belegte. »Wir können gleich nach dem Frühstück los.«

»Und wo soll es hingehen?«, fragte Alan und überlegte, was für einen Stahlesel Siegmar wohl gemietet hat. Er graute sich vor der Fahrradtour und besonders vor geliehenen Rädern, aber irgendetwas mussten sie ja machen.

»Mein Vorschlag wäre, in Richtung Wustrow zu radeln. Das ist gut zu schaffen, nicht nur für dich, Alan. Dort können wir ein schönes Bier trinken.« Siegmar schmunzelte in die Runde.

»Hört sich gut an, oder Hannah?« Alan blickte aufmunternd zu seiner Freundin hinüber, die gerade an ihrem Kaffee nippte und emotionslos nickte. Eigentlich hörte es sich gar nicht so gut an, dachte er bei ihrem Anblick. Richtig scheiße hörte sich das an.

»Statt Bier natürlich auch gerne Kaffee«, fügte Siegmar mit einem zwinkernden Auge hinzu. »Mir ist es eigentlich egal. Ich will nur ein bisschen raus.«

»Genau«, meine Susanne, »eigentlich ist es egal, in welche Richtung wir fahren und wie weit. Hauptsache wir sind an der frischen Luft.«

»Tut mir wirklich leid, Susanne, dass es mich ausgerechnet an diesem Wochenende erwischt hat« , entschuldigte sich Hannah. Susanne hatte Verständnis.

Hannahs depressive Stimmungslage war offensichtlich. Beim Frühstück bekam sie kaum ein Wort heraus und Alan beobachtete, wie sie sich immer wieder in dem Wohnraum umschaute, als suche sie Anhaltspunkte, die ihrem unscharfen Bild aus jenen Kindertagen Konturen verleihen könnten.

Obwohl es anfangs noch stark bewölkt war und nach Regen aussah, wurde es schon bald ein herrlicher Sommertag. Sie machten sich in Richtung Darß auf. Siegmar und Susanne hatten nagelneue Räder. Dass Alan tatsächlich das schon vermutete Fahrrad bekam, spielte an diesem Vormittag nur noch eine untergeordnete Rolle. Sie besuchten Wustrow und Prerow, waren am Strand und auch in einem bezaubernden Cafè, doch Hannah schien von alle dem wenig berührt. Sie fuhr meistens lustlos hinterher, war einsilbig und wirkte weiterhin distanziert und fahrig. Selbst Siegmars derbe Sprüche riefen kaum eine Reaktion bei ihr hervor, was Alan zu dem Gedanken führte, dass Hannahs Psyche doch ernsthafter beschädigt war.

»Können wir heute schon nach Hause fahren?«, fragte sie Alan, als Siegmar und Susanne ein Stück vorausgefahren waren. »Es geht nicht mehr. Ich muss ständig an meine Eltern denken.«

»Natürlich. Sie werden es verstehen. Du siehst wirklich angeschlagen aus, Schatz.« Alan legte den Arm um sie, während sie langsam weiterfuhren.

Siegmar und Susanne bedauerten es aufrichtig, dass sie so vorzeitig abfahren wollten, schließlich wollten sie am Abend grillen. Sie brachten aber ihr vollstes Verständnis für Hannahs Wunsch auf. Nachdem sie am frühen Nachmittag noch einen letzten Kaffee mit Siegmar und Susanne getrunken hatten, verabschiedeten sich Alan und Hannah.

Auf dem Weg zur Autobahn sprach Hannah unentwegt und sichtlich aufgewühlt von dem Ereignis und Alan versprach ihr, sich am Montag um die Eigentümerhistorie des Ferienhauses zu kümmern. Er hatte ja Zeit. Wahrscheinlich war es sogar gut so, denn ansonsten hätte er ständig über seine eigene Situation gegrübelt. Irgendwann schlief Hannah ein und wachte erst auf, als Alan in die Ahornstraße einbog und sie vor dem gepflegten Gründerzeit-Altbau abgesetzt, in dem sich ihre Dreizimmerwohnung befand.

An Tagen Des Ewigen Nebels

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