Читать книгу Kinder- und Jugendbuchverlage - Ulrich Störiko-Blume - Страница 14
1.4 Vom Wert des Papier-Buchs
ОглавлениеWas ist ein Buch? Schauen wir uns an, wie Bücher für ihre verschiedenen ›Nutzer‹ funktionieren:
• Für den LeserBuchinhalte zwingen dem Leser nicht auf, wo, wie, wie schnell, was weglassend, was wiederholend er den Inhalt aufnimmt. Ein Buch passt sich jedem Leser an. Wer sich der Mühe des Lesenlernens einmal unterzogen hat, dem steht eine Welt offen.
• Für den KäuferEin riesiges Angebot ist im stationären oder im Internet-Buchhandel problemlos zu besorgen – überall zum gleichen Preis, im Zweifel umtauschbar.
• Für den HändlerEs ist leicht zu beschaffen, problemlos zu lagern, relativ hoch rabattiert, bei Verlagsbezug mit langen Zahlungszielen ausgestattet, gut kalkulierbar. Im Falle des Nichtverkaufs wird es nach einer angemessenen Frist remittiert.
• Für den HerstellerEs ist – auch im Hinblick auf nachhaltige Produktionsverfahren – mit gebräuchlichen Verfahren herzustellen, gut zu lagern, kurzfristig wiederzubeschaffen. Abgesehen von den prinzipiell unberechenbaren Absatzchancen kann der Verlag in gewissem Umfang seinen Umsatz und seinen Gewinn steuern, da er den Ladenpreis selbst festsetzt.
• Für den AutorEr kann in Zusammenarbeit mit dem Verlag kontrollieren, wie aus seiner Schöpfung, seinem Manuskript, ein Buch wird. Und er kann es weiter begleiten, nachdem es einmal gedruckt ist.
• Für das KindEin Buch ist einfach da; es kann immer wieder angeschaut, vorgelesen, gelesen werden. Es braucht keinen Strom; man kann die Lektüre jederzeit unterbrechen; man kann es sich so schnell oder so langsam zu Gemüte führen, wie es einem gerade genehm ist.
Ein halbes Jahrhundert nach den Untersuchungen von Bruno Bettelheim und seinen Kollegen kommen viele Wissenschaftler zu ähnlichen Erkenntnissen. Daran haben die unterschiedlichen elektronischen Geräte, die inzwischen entwickelt wurden, bei denen man auf Bildschirmen liest, nichts geändert. Über den Vorgang und die Wirkung des Lesens auf Computer-Bildschirmen, Laptops, Tablets, Smartphones, E-Readern etc. wurde und wird weiter geforscht – es ist ein weites Feld, aber man liegt wohl nicht falsch, wenn man Anne Mangen von der Universität Stavanger folgt, die wesentlich an der Stavanger Erklärung zur Zukunft des Lesens vom 3./4. Oktober 2018 beteiligt ist, die weltweit Aufmerksamkeit und Nachdenklichkeit hervorgerufen hat – weniger bei den Politikern, die vorschnell und windschnittig von einer #Digitalisierung schwärmen, deren Voraussetzungen und Auswirkung sie oft gar nicht verstanden haben. An den Studien dazu haben 200 Wissenschaftler aus ganz Europa mitgewirkt, u. a. wurden 54 Einzeluntersuchungen mit insgesamt 170.000 Teilnehmern ausgewertet.
Auf eine extrem kurze Formel gebracht, ist der allgemeine Befund: Kurze informative Texte bis zu sieben Seiten werden mit gleicher Wirkung auf Bildschirmen und auf Papier gelesen – je länger und je komplexer die Texte sind, desto mehr ist das Lesen auf Papier von Vorteil. Wenn man die Forschungsergebnisse zuspitzt auf die Adressaten der KJBV, werden die Forscher noch deutlicher:
Lehrern und anderen Erziehern muss bewusst gemacht werden, dass schnelles und pauschales Ersetzen von Gedrucktem, Papier und Schreibwerkzeugen durch digitale Technologien in der Grundschule nicht folgenlos ist. Wenn dies nicht von wohlüberlegten Lernmitteln und Lernstrategien begleitet wird, kann es bei Kindern zu Rückentwicklungen beim Leseverständnis und beim Aufbau kritischer Denkfähigkeit führen. (Mangen 2019)
Anne Mangen und viele andere Forscher haben nicht einfach apodiktisch das eine (›Nur Lesen auf bedrucktem Papier wird dem Lesestoff gerecht‹) oder das andere (›Es ist vollkommen egal, auf welcher materialen Basis man liest‹) behauptet. Sie haben nach den Regeln der empirischen Sozialforschung untersucht, wie sich das Leseverständnis von identischen Texten auf den unterschiedlichen Ausgabeformen darstellt.