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Оглавление4 – GOTT WÜRFELT NICHT! WIRKLICH?
Vieles, was wir über Einstein glauben zu wissen, ist falsch. Er glaubte nicht an Gott, aber dafür an den Zufall. Zwar gilt er als das Genie schlechthin, trotzdem unterlag er so manchem Irrtum.
Keine Frage, Einstein war ein genialer Physiker. Allein im Jahr 1905, seinem annum mirabilis, veröffentlichte er fünf Arbeiten, darunter drei bahnbrechende Arbeiten über die Brownsche Molekularbewegung, die Spezielle Relativitätstheorie und über die Quantentheorie der elektromagnetischen Strahlung (photoelektrischer Effekt). Zehn Jahre später, im Jahr 1915, folgte der Geniestreich schlechthin, seine Allgemeine Relativitätstheorie. Im Jahr 1921 erhielt er den Physiknobelpreis (verliehen 1922), aber nicht für seine großartigen Relativitätstheorien, sondern, wie es offiziell vom Nobelpreiskomitee hieß, »für seine Verdienste um die Theoretische Physik und besonders für seine Entdeckung des Gesetzes des photoelektrischen Effekts.« Mit der »Theoretischen Physik« meinte das Komitee ausdrücklich nicht seine Relativitätstheorien, weil die damals noch zu gewagt erschienen. Für seine größte Leistung wurde Einstein also nie mit einem Nobelpreis geehrt.
EINSTEINS GLAUBE
Auch für seine Äußerungen in Bezug auf Gott ist er berühmt. Sie werden immer wieder gern für eigene Ideologien ausgeschlachtet. So wird Einstein von Gläubigen oft mit den Worten zitiert: »Die Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm«, wobei sie den Nachsatz »(…) die Religion ohne Naturwissenschaft aber ist blind« jedoch gern unterschlagen. Was Einstein wirklich vom Glauben hielt, beschreibt dieses Zitat: »Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck und Produkt menschlicher Schwächen, die Bibel eine Sammlung ehrwürdiger, aber doch reichlich primitiver Legenden. (…) Für mich ist die unverfälschte jüdische Religion wie alle anderen Religionen eine Incarnation des primitiven Aberglaubens.« Seine Aussagen sind also wie ein Steinbruch, wenn man genügend sucht, ist für jeden etwas dabei.
EINSTEIN GLAUBTE AN ZUFALL
So werden auch seine Worte »Gott würfelt nicht« gern von Menschen zitiert, die davon überzeugt sind, dass es in unserer Welt keinen Zufall gibt, sondern alles von Gott durch ein Schicksal vorherbestimmt ist. Aber wie verhält es sich nun wirklich mit diesem Zitat? Tatsächlich hat Einstein das nie so gesagt. Es gibt vielmehr zwei Aussagen, die dies indirekt beinhalten. In einem Brief an den Physiker Max Born (1882–1970) schrieb er: »Die Quantenmechanik ist sehr achtung-gebietend. Aber eine innere Stimme sagt mir, daß das doch nicht der wahre Jakob ist. Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß der nicht würfelt.« Und in einem Brief an den mathematischen Physiker Cornelius Lanczos (1893–1974) schrieb er: »Es scheint hart, dem Herrgott in die Karten zu gucken. Aber dass er würfelt und sich telepathischer Mittel bedient (wie es ihm von der gegenwärtigen Quantentheorie zugemutet wird), kann ich keinen Augenblick glauben.«
Mit den »telepathischen Mitteln« meint er die spukhafte Fernwirkung der Quantenphysik. Fakt ist jedoch, die gibt es wirklich. Allerdings behält Einstein in dem Sinne recht, dass die Kausalität in unserem Universum dadurch trotzdem erhalten bleibt.
Aber was meint er, wenn er sagt: »(…) dem Geheimnis des Alten bringt die [Quantenmechanik] uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß der nicht würfelt.« Nun, der »Alte« ist in seinen Worten »Gott«. Was Einstein immer getrieben hat, war die Frage, warum die Welt so ist, wie sie ist, und wie sie im Innersten funktioniert. Daher hatte er sich für die atomare Brownsche Bewegung und den quantenmechanischen Photoeffekt interessiert. Er kannte also die Quantenphysik besser als kaum ein anderer, und ihm war klar, dass in der atomaren Welt der Zufall das Regime führte. Die von ihm richtig beschriebene Brownsche Molekularbewegung ist eine rein zufällige Bewegung, die ein Molekül durch Stöße mit anderen Molekülen beschreibt.
WAS EINSTEIN MIT DEM WÜRFELN GOTTES MEINTE
Was also meinte Einstein, wenn er sagte: »Jedenfalls bin ich überzeugt, daß der nicht würfelt.« Es geht um den sogenannten Kollaps der Wellenfunktion. In der Quantenmechanik wird einem Teilchen eine Wellenfunktion zugeschrieben, die jedoch nicht direkt messbar ist. Tatsächlich beschreibt sie den Zustand eines Teilchens nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Diese Wahrscheinlichkeit wird erst zur Gewissheit, wenn man den Zustand des Teilchens misst. Vor der Messung nimmt das Teilchen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit alle möglichen Zustände gleichzeitig ein. Auf dieser Aussage basiert das Paradox von Schrödingers Katze: In einer undurchsichtigen Kiste, in der eine Katze einer zufälligen Gabe von Gift ausgesetzt ist, ist die Katze tot und lebendig zugleich! Erst wenn ein Beobachter die Kiste lüftet, sieht er, ob die Katze tatsächlich tot oder lebendig ist. Der gesunde Menschenverstand sagt, das kann nicht sein! Entweder ist die Katze tot oder lebendig, egal ob ich nachschaue oder nicht.
Ein anderes Beispiel: Ein Würfelbecher mit einem Würfel wird geschüttelt. Nach dem Wurf liegt der Würfel verdeckt im Becher auf dem Tisch. Die bis heute akzeptierte Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik besagt nun, dass der Würfel (um genau zu sein, die Wellenfunktion des Würfels) mit jeweils 1/6 Wahrscheinlichkeit die Zahlen 1 bis 6 gleichzeitig einnimmt. So ein Quatsch, würde man sagen, der Würfel zeigt nur eine Zahl, wir kennen sie lediglich nicht. Erst wenn wir den Becher anheben, wissen wir die Zahl, sagen wir 4. Die Kopenhagener Interpretation besagt: Erst mit dem Nachschauen kollabiert die Wellenfunktion zu ihrem tatsächlichen Wert 4. Für Einstein war das glatter Unsinn. Sein Argument war aber nicht der gesunde Menschenverstand, sondern dass die Welt sich nicht unstetig verhält: Was gerade noch eine Verteilung von Zahlenwerten war, kann jetzt nicht eine zufällige konkrete Zahl sein. Dieser unstete Übergang (Kollaps), der sehr zufällig von jedem und allem und insbesondere von Gott herbeigeführt werden kann, erregte also seinen Unmut. Seine Worte »Gott würfelt nicht« sind also zu verstehen als: Der von der Quantenmechanik behauptete zufällige Kollaps bringt uns dem Geheimnis des Alten kaum näher. In diesem Sinne würfelt das Universum und somit Gott nicht.
Wir wissen heute, Einstein hatte mit seinem Zweifel an einem makroskopischen Schwebezustand trotzdem recht. Wie wir heute nämlich wissen, interagieren makroskopische Teilchen wie Katzen oder Würfel ständig mit ihrer Umgebung, was zu einer sogenannten Dekohärenz ihrer Wellenfunktion führt. Die Umgebung wirkt also durch die ständige Interaktion mit dem Teilchen wie ein Beobachter, der im Sinne der Quantenmechanik die Wellenfunktion kollabieren lässt. Konkret: Weil beim Aufprall des Würfels auf den Tisch der Würfel mit dem Tisch per Stoß interagiert, wird aus den sechs möglichen Zahlen die eine konkrete Zahl. Diese Begründung hätte auch Einstein zufriedengestellt. Aber Dekohärenz von Wellenfunktionen ist eine Erkenntnis der letzten Jahrzehnte, die die Physiker zu Einsteins Zeiten nicht kannten.
EINSTEINS IRRTÜMER
Einstein hatte zur Erklärung des Kollapses eine andere Theorie parat, die in seinen Augen dem »Geheimnis des Alten« näherkam. Für ihn existierte eine sogenannte Hintergrundvariable in der Quantenphysik, also eine Art tieferliegende Ursache, die sehr deterministisch (also nicht zufällig) auf die Welt einwirkte und so stets einen scheinbar zufälligen Kollaps auslöst. Diese Theorie konnte aber 1964 mit den Bellschen Ungleichungen widerlegt werden. Obwohl Einstein ein großartiger Physiker war, unterlag er also trotzdem so manchem Irrtum. Hier ein weiterer Irrtum von ihm: »Es gibt nicht das geringste Anzeichen, daß wir jemals Atomenergie entwickeln können.«
Nobelpreise schützen also vor Irrtum nicht. Oder um es mit den Worten des gewitzten Physikers Richard Feynman (1918–1988) auszudrücken: »Wissenschaft ist der Glaube an die Unwissenheit von Experten.« Oder um es in meinen Worten auszudrücken: Mit Skepsis beginnt die Suche nach Wahrheit.