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IM ALL
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Der Klassiker aller Fragen an einen Astronauten:
»Wie geht man im All auf die Toilette,
wie schläft man, wie isst man?«
Hier ein für alle Mal die ultimativen Antworten.
Da wird man als Wissenschafts-Astronaut jahrelang für seine Mission im Weltraumlabor ausgebildet, rackert sich wie ein Eichhörnchen, wie mein inzwischen verstorbener Astronauten-Kollege Reinhard Furrer es einmal formulierte, dort oben ab, ist stolz, wenn alles so geklappt hat, wie man es geplant hat, und was wird man von den Leuten gefragt, wenn man wieder zurück ist: »Wie ist das Erlebnis beim Start?« (typische Männerfrage), »Wie geht man dort oben auf die Toilette, wie isst man, wie schläft man?« und schließlich: »Hat man sich verändert?« (typische Frauenfragen).
Grob gesagt, der Alltag dort oben ist ähnlich wie auf der Erde. Acht Stunden schlafen, acht Stunden arbeiten, acht Stunden für anderes (davon 2½ Stunden Laufband für die Muskeln). Samstags ist Wartung der Raumstation, am Sonntag ist frei.
DER KLASSIKER: DIE TOILETTE AUF DER ISS
Die Unterschiede liegen nur im Detail. Sollte man in der Schwerelosigkeit eine Toilette mit Wasserspülung betreiben? Selbst kleinen Kindern ist sofort klar, das gäbe ein riesiges Malheur. Klar ist auch gleich: »Wenn keine Wasserspülung, warum dann nicht Luftspülung?« Das Problem liegt dann nur noch in der Frage, wie eine Luftspülung technisch konkret umgesetzt werden soll. Dabei ist noch das kleinste Problem, dass die logischerweise bereits zu Beginn des großen Geschäfts aktiv sein muss und nicht erst, wenn man fertig ist, wie auf der Erde, sonst schwebt alles durch die Gegend. Außerdem muss alles schön in Flüssiges und Festes getrennt werden. Für Flüssiges gibt es einen kleinen Plastiktrichter – jeder Astronaut hat einen eigenen – den er auf einen langen Schlauch steckt. Ein Unterdruck saugt durch Trichter und Schlauch den Urin in einen großen 20-Liter-Container. Für Festes muss man sich wie auf der Erde setzen. Ein Luftzug zieht alles durch einen Plastikbeutel mit vielen Löchern. Die Luft geht durch die Löcher, alles andere nicht. Danach wird der Beutel zugezogen und in einen Aluminium-Container geschoben.
… UND HOPP
Wohin damit? Nun, beide Container werden als Abfall in das Progress-Versorgungsschiff gestopft. Bei der Ankunft der Progress auf der ISS ist im Progress alles drin, was man auf der ISS so braucht, also Lebensmittel, neue Kleidung und eben auch neue Toiletten-Container. Wenn Progress nach dem Ausräumen leer ist, dient er als Abfall-Container unter anderem für die Toilette. Bevor ein neuer Progress kommt, wird der alte abgedockt und in die Erdatmosphäre geschubst, wo er beim Eintritt mit 28.000 km/h komplett verglüht. Keine Sorge, da ist bisher niemandem etwas auf den Kopf gefallen.
Die Toilette auf der ISS, mit der der separate Urinierstutzen (rechtes Bild) über einen langen Schlauch verbunden ist. (Bild: NASA)
SICHER IST SICHER
Die oben beschriebene Toilette ist zwar einfach, aber eine seit Jahrzehnten erprobte und sichere Technik der Russen. Sie war bis 2008 die Grundausstattung im Zvezda-Modul der ISS, also im Wohnmodul der Astronauten, gleich neben dem Esstisch (im Weltraum darf man nicht zimperlich sein). Im Jahre 2008 kaufte die NASA eine weitere Toilette mit derselben Technik von den Russen und installierte sie auf der anderen Seite der ISS im Tranquility-Modul. Damit braucht man, wenn’s pressiert, nun nicht mehr von einem Ende, etwa dem europäischen Columbus-Labor, zur anderen Seite der ISS schweben, sondern kann gleich »nebenan« sein Geschäft verrichten. Außerdem gibt es so immer eine funktionierende Toilette, falls die andere ausfällt. Die Systeme sind gleich. Man braucht sich also nicht umgewöhnen und Ersatzteile passen hier wie dort – gaaaanz wichtig!
DER KAFFEE VON GESTERN IST DER KAFFEE VON MORGEN
Der Urin dieser neuen Toilette wird aber zusammen mit anderem Schmutzwasser dem amerikanischen WRS (Water Recovery System) zugeführt, das daraus wieder Trinkwasser gewinnt. Ein Verfahren, gegen das sich die Astronauten verständlicherweise jahrelang gewehrt hatten. In einem nachgeschalteten OGA (Oxygen Generator Assembly) kann über ein Elektrolyseverfahren aus Teilen des Trinkwassers auch Sauerstoff für die Atmung und Wasserstoff hergestellt werden, wobei Letzteres entweder über Bord geht oder als Ausgangsstoff für einen sogenannten Sabatier-Reaktor dient, in dem aus dem Kohlendioxid der ausgeatmeten Luft Wasser hergestellt wird, was man dann wieder zum Trinken nutzen kann. Wie man sieht, alles raffinierte aber auch komplizierte Technik.
SO ISST UND TRINKT MAN
Das Essen auf der ISS ist einfach erzählt. Alles wird auf der Erde vorgekocht und entweder in Alu-Beuteln sterilisiert und abgepackt oder für lange Haltbarkeit gefriergetrocknet und in durchsichtigen Plastikbeuteln luftdicht eingeschweißt. Zum Essen gibt man einfach nur wieder das Wasser hinzu, und knetet alles etwas durch, damit sich das Wasser schön verteilt. Wenn man das Essen warm serviert haben möchte, steckt man die Beutel in einen klassischen Konvektionsofen (Mikrowelle gibt’s nicht, wegen eventueller Störung der Elektronik an Bord).
Wegen der Beutel gehört zum Besteck immer eine Schere zum Aufschneiden. Nudeln und auch Steaks sind kein Problem. Gabel rein und weg damit. Nur Soßen und Suppen bedürfen einer vorsichtigen Handhabung. Den Löffel in den Beutel geschoben und langsam, gaaanz langsam, wieder herausziehen, sonst löst sich die Flüssigkeit vom Löffel und schwebt unkontrolliert in die nächste Elektronik. Alte Hasen machen es umgekehrt, sie ziehen den Löffel ganz schnell weg, sodass die Flüssigkeit nicht mitkommt und vor der Nase schweben bleibt. Erst wabert sie herum, und dann kann man sie einfach mit dem Mund aufsaugen. Achtung: Das will gekonnt sein!
Marsha Ivins posiert mit ihrer beindruckenden Haarpracht auf ihrer Mission auf der ISS im Jahre 2001. (Bild: NASA)
Getrunken wird aus Alu-Beuteln. Die haben nur das Pulver drin (Fruchtpulver für O-Saft oder Kaffeepulver). Wasser dazu, Plastikstrohhalm rein und trinken. Wenn man nicht alles trinken möchte, kann man mit einer Quetsche den Plastikstrohhalm verschließen und den Beutel per Klettverschluss (alle Teile, ohne Ausnahme, haben auf der ISS ein Stück Klettverschluss) irgendwo hinhängen, damit er nicht auf Nimmerwiedersehen wegschwebt – was nicht ganz stimmt, sie landen meist im Ansaugstutzen der Umluftanlage.
… UND SO SCHLÄFT MAN
Zum Schlafen gibt’s einen Schlafsack. Arme durch die seitlichen Schlitze, Reißverschluss über den Bauch zugezogen und das war’s. Der Sack hat nur eine Aufgabe: Er verhindert das Wegschweben. Dazu wird der Sack mit Klettverschluss entweder an die Wand in einer Schlafkoje angebracht, oder jeder kann ihn auch irgendwo in der ISS »aufhängen« wo Platz ist.
Das Problem beim Schlafen ist das Schlafen. Auf der Erde liegt man irgendwo kuschelig in einem Bett in einer Zimmerecke oder fühlt eine Decke auf dem Körper. In der ungewohnten Schwerelosigkeit spürt man gar nichts am Körper und hat so das Gefühl, der Umwelt hilflos ausgesetzt zu sein. Deswegen schlafen viele Astronauten schlecht. Schlafpillen sind auf einer Raumstation gang und gäbe. Es sei denn, man ist nach der schweren und vielen Arbeit am Tage so müde, dass einem alles egal ist, man todmüde »umfällt« und schläft wie ein Murmeltier. So erging es mir.
Zähneputzen geht wie auf der Erde. Danach nur in ein Handtuch spucken oder runterschlucken.
Haareschneiden mit Opas Elektro-Schermaschine, jedoch mit Absaugschlauch für die Haarschnipsel. Auch die mag die Elektronik an Bord nicht.