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WARUM

IST MAN IM ALL

SCHWERELOS?

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Man ist schwerelos, weil im All keine Schwerkraft mehr wirkt.

Das ist die übliche Meinung. Die ist aber grottenfalsch!

GEWICHT IST NICHT KILOGRAMM!

Das mit der Schwere ist so eine Sache. Wenn man jemanden fragt: »Wie schwer bist du?« und er etwa antwortet: »75 kg«, dann mag das umgangssprachlich zwar in Ordnung sein, aber vom physikalischen Standpunkt ist das schlichtweg Unfug. Warum? Schwere, also Gewicht, ist eine Gewichtskraft, und die misst man in Newton (N) und nicht in Kilogramm. Kilogramm hingegen ist ein Maß für die Masse, die jeder Körper hat. Die ist überall gleich, egal unter welchen Umständen man ist, ob auf der Erde oder schwerelos im All. Erst die Einwirkung einer Schwerkraft auf die Masse erzeugt eine Gewichtskraft F (Gewicht). Die beiden Größen hängen bekanntlich über die einfache Gleichung F = m·g miteinander zusammen, wobei in unseren mittleren Breiten auf der Erde g = 9,81 m/s2 die Erdbeschleunigung ist. Die richtige Antwort auf die Frage: »Wie schwer bist du?« bzw. »Wie groß ist dein Gewicht?« müsste also lauten »75 kg · 9,81 m/s2 = 735,75 N«. So was sagt aber keiner, und ich möchte wetten, nur den Wenigsten ist bewusst, wie falsch die Angabe in Kilogramm ist.

DIE ERDANZIEHUNGSKRAFT REICHT UNENDLICH WEIT

Die Kilogramm bleiben also immer gleich, nur die Gewichtskraft ändert sich, wenn man sich von der Erde entfernt. Sie nimmt quadratisch mit der Entfernung vom Erdmittelpunkt ab, reicht also im Prinzip unendlich weit ins All. Bei uns auf der Erdoberfläche, also in 6378 km vom Erdmittelpunkt, ist sie 9,81 m/s2 und auf der ISS in 400 km Höhe, also in 6778 km Entfernung, immer noch 9,81×(6378/6778)2 = 8,69 m/s2 und somit immerhin noch 89% wie auf der Erde. Beim Mond ist sie nur noch 0,03% wie auf der Erde, aber das reicht, um die riesige Masse des Mondes auf eine Bahn um die Erde zu zwingen.

Wie ist das nun mit der Schwerelosigkeit im All? Nehmen wir an, wir sind auf der ISS, haben also noch 89% Schwerkraft. Weil aber die ISS immer im Kreis um die Erde fliegt und dabei eine Zentrifugalkraft erfährt, die exakt so groß ist wie die Schwerkraft, heben sich beide Kräfte zu null auf. Meine Gewichtskraft im Orbit ist also deswegen verschwunden (eine Waage im Erdorbit zeigt null an), weil die Gravitationskraft der Erde aufgehoben wird. Meine Masse bleibt dabei unverändert.

WARUM IST MAN ÜBERALL IM WELTRAUM SCHWERELOS?

Bis hierher war alles noch leicht zu verstehen. Jetzt wird es schwieriger: Warum ist man überall im All schwerelos, selbst wenn ich auf geradem Wege, wie damals die Apollo-Astronauten, zum Mond fliege? Hier gibt es keine Zentrifugalkraft, die die Schwerkraft aufhebt. Die Antwort ist, wegen der Trägheitskraft. Beim Flug zum Mond wird nämlich das Raumschiff durch die Erdanziehung abgebremst. Wie bei einer Bremsung im Auto wird man dadurch nach vorn gedrückt. Das ist die Trägheitskraft, und die gleicht genauso wie die Zentrifugalkraft die Erdanziehungskraft aus. Tatsächlich ist die Zentrifugalkraft auch eine Trägheitskraft, die jedoch seitlich wirkt, wenn ich im Kreis fliege (seitlich beschleunige), und die übliche Trägheitskraft wirkt nach vorn und hinten, je nachdem ob ich in Bewegungsrichtung abbremse oder beschleunige.

Was regelt die Größe meiner Trägheitskraft? Die Antwort lautet, der Herrgott hat die Physik so gemacht, dass egal wo man im Weltraum ist, die Trägheitskraft exakt alle einwirkenden Kräfte (die von der Erde, Sonne, Mond, andere Planeten, …) aufhebt. Daher ist man im All immer schwerelos. Einzige Ausnahme: Ich beschleunige mein Raumschiff mit einem Antrieb. Dadurch werde ich auf den Boden des Raumschiffes gedrückt, was ich mit einer Waage messen kann. Es entsteht also eine künstliche Schwere.

WARUM IST MAN BEIM TAUCHEN NICHT SCHWERELOS?

Zum Schluss die schwierigste Frage: Ist man beim Tauchen genauso schwerelos wie im All? Die Antwort ist kniffliger, denn ein Taucher bringt unter Wasser zwar auch kein Gewicht auf die Waage, er ist aber trotzdem nicht schwerelos. Warum? Schwerelosigkeit bedeutet »Aufhebung aller externen Kräfte durch die Trägheitskraft in jedem Punkt eines Körpers«. Die Unterstreichung ist entscheidend, denn sowohl die Schwerkraft als auch Trägheitskräfte wirken auf jeden Massepunkt eines Körpers und heben sich somit auch an jedem Punkt auf. Das führt dazu, dass ein Astronaut im All sofort die Orientierung verliert, wenn er seine Augen schließt, weil nämlich das Gleichgewichtsorgan (genau genommen seine Makulaorgane) nicht mehr funktioniert. Das ist beim Schweben im Wasser anders. Ein Fisch weiß stets genau, wo oben und unten ist, sonst würde er nicht aufrecht schwimmen. Genauso weiß das ein Taucher, weil nämlich die Makulaorgane uneingeschränkt funktionieren. Das liegt daran, weil die Auftriebskraft des Wassers nicht an jedem Punkt des Körpers angreift, sondern nur über die Oberfläche eines Fisches bzw. eines Tauchers. Also nur an der Oberfläche gleichen sich Schwerkraft und Auftriebskraft aus (Um genau zu sein ist lediglich das Integral über die Kräfte, die an der Oberfläche angreifen, null). Daher funktioniert das Vestibularsystem unverändert.

TAUCHEN IST ABER EIN GUTES SCHWERELOSIGKEITSTRAINING

Echte Schwerelosigkeit kann man »auf der Erde« nur im freien Fall erleben, also beim Sprung vom Sprungturm oder beim Parabelfliegen. Daher gehören Parabelflüge zum regelmäßigen Ausbildungstraining eines Astronauten. Zur Ausbildung eines Astronauten gehört aber auch das Tauchen. Obwohl es keine Schwerelosigkeit erzeugt, ist es so wichtig, weil Bewegungen im Wasser ähnlich sind wie in der Schwerelosigkeit des Alls.

Ein Beispiel: Wenn ich im All mit einem Schraubenzieher eine Schraube in die Wand drehen will, dreht sich nicht die Schraube, sondern ich drehe mich um die Schraube. Man braucht im All also immer einen festen Halt, um zu arbeiten. Genau diese Erfahrung macht auch ein Taucher unter Wasser. Tauchen ist also ein ideales Training für Außenbordeinsätze auf der ISS.

Höllenritt durch Raum und Zeit

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