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Alain Lacoste

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Montag

Wir müssen Lyse aus dem Verkehr ziehen!«, sagte Alain Lacoste und lief nervös durch den Salon am Boulevard Saint-Germain, während Sotto Calvi weiter an seiner Zigarre paffte, die er sich nach dem Mittagessen angesteckt hatte. »Sonst kommen die noch auf mich.«

»Im Gegenteil. Der Richter schnappt schon nach dem Köder. Sie ist ziemlich nah an ihm dran. Solange ich nicht ins Spiel komme, ist Lyse sicher. Und sonst wird mir schon was einfallen. Für wann bist du vorgeladen?«

»Donnerstag.«

»Das ist zu früh. Kannst du eine wichtige Dienstreise antreten?«

»Jederzeit.«

»Lyse kommt frühestens Donnerstag, wahrscheinlich aber erst am Freitag oder Sonnabend von der Ranch aus Texas zurück.«

»Geht das nicht schneller, ein Bild aufzuhängen?«

»Nein. Sie muss erst nach San Antonio fliegen, dort wird sie abgeholt und zur Clear Springs River Ranch gebracht. Das ist weit und dauert einige Stunden. Also versuch, die Vernehmung um eine Woche zu verschieben. Und Didier soll seine Koffer packen.«

»Der darf doch Frankreich nicht verlassen!«

»Je schneller dein Sohn aus dem Verkehr gezogen wird, desto besser für dich.« Das letzte Wort betonte Sotto Calvi so, dass Alain Lacoste erstaunt zu ihm hinsah. Calvi aber verzog keine Miene. »Didier meldet sich noch einmal wie verlangt bei der Polizei. Doch noch am selben Tag fährt ihn Paul nach Genf und von dort fliegt er auf meine Ranch in Texas.«

»Ist Paul wieder da?«

»Eben aus Angola gelandet. Aber er bleibt nicht in Paris. Auch für ihn ist es hier zu heiß. Vielleicht kann er Didier auf der Ranch ein wenig trainieren und ihm die Drogen abgewöhnen.«

Wenn Paul Mohrt ins Spiel kam, wagte Alain Lacoste keinen Widerspruch. Paul, lange Zeit Geheimagent des Auslandsgeheimdienstes DGSE, erledigte für Calvi die schmutzigen Geschäfte. Und davon wollte Alain, immerhin als Präsident der Sofremi ein angesehener hoher Beamter, nichts wissen. Das waren unappetitlichere Angelegenheiten als nur ein Geldtransfer.

»Ich habe übrigens das Schweizer Konto nicht nur schließen, sondern auch alle Unterlagen in der Bank vernichten lassen. Wir werden deine Aussage vor Gericht noch trainieren müssen.«

»Und wovon lebe ich jetzt?«, fragte Alain mit hochgezogenen Augenbrauen. »Wenn meine Geldquelle versiegt ist?«

»Wie wär’s mal mit dem Gehalt?«, antwortete Calvi mit steinernem Gesicht, bis er sich nicht mehr beherrschen konnte, die Zigarre aus dem Mund nahm und laut losprustete.

Montagnachmittag telefonierte Kommissar Mahon mit Jacques.

»Ich müsste dich dringend sprechen. Es tut sich was in deinem Fall. Aber – besser nicht am Telefon.«

»Was würde dir passen?«

»Wie sieht dein Tag aus? Kannst du jetzt gleich in mein Büro ins Palais de Justice kommen?«

»Ich mache mich auf den Weg.«

Als Jacques dem Kommissar gegenübersaß, erfuhr er Folgendes: Völlig aufgelöst hatte eine Frau beim Notruf gemeldet, ihr Sohn sei mit Gewalt aus ihrer Wohnung entführt worden. Als eine Streife dann die Fakten aufnehmen wollte, trafen die beiden Polizisten in der Wohnung im teuren 16. Arrondissement auf eine höchst elegante, gepflegte Frau, die unter dem Einfluss starker Medikamente zu stehen schien.

Sie habe sich mit ihrem Sohn heftig gestritten. Wie alt der sei? Na ja, Student. Der habe seine Koffer so voll gepackt, als wolle er endgültig bei ihr ausziehen. Das habe sie verhindern wollen, denn nachdem ihr Mann sie schon verlassen habe, sei sie nun ganz allein.

Als sie anfing zu weinen, ohne Tränen zu vergießen, wahrscheinlich um ihr Make-up zu schonen, versuchte der ältere der beiden Polizisten, sie zu beruhigen, doch als er seine Hand leicht auf ihren Arm legte, schrie sie auf, als wollte er ihr Gewalt antun.

Ein sehr starker Mann habe den Sohn begleitet und ihm geholfen, die Koffer aus der Wohnung herauszutragen. Ein sehr starker Mann. Und böse sah er aus. Sie sei vor Angst geschüttelt worden.

Die Polizisten schauten sich an: Eine Verrückte, aber in dieser Gegend wohnten Leute mit Beziehungen, da waren sie vorsichtig, also nahmen sie den Fall auf und leiteten ihn weiter.

»Das war die Mutter von Didier Lacoste. Sie hat dann doch keine Anzeige erstattet«, erklärte Kommissar Jean Mahon. »Didier muss von der Wohnung aus heute Vormittag noch zur Polizeistation gefahren sein, wo er sich deiner Auflage entsprechend einmal die Woche melden muss. Die Kollegen haben ihn aus einem großen Mercedes-Jeep aussteigen sehen. Am Steuer saß ein kräftiger Typ mit einer großen Sonnenbrille.«

»Der böse schwarze Mann!«, lachte Jacques und amüsierte sich über die Geschichte. »Was regen wir uns über die durchgeknallte Alte auf. Kein Wunder, dass der Knabe die Schnauze voll hat. Auch kein Wunder, dass der Vater abgehauen ist.«

»Es sei denn, der Vater zieht den Sohn aus dem Verkehr, weil dessen Aussage ihm zu gefährlich wird.«

Jacques dachte nach. Es lag schon ein gewisses Risiko darin, eine Woche zu warten, ob Didier sich wieder bei der Polizei melden würde. Der Fall langweilte ihn.

»Was sollen wir schon tun?« Er schaute den Kommissar hinter seinem alten Schreibtisch an und trat ans Fenster. Im Hinterhof des Palais de Justice standen Einsatzwagen. Kein Mensch war zu sehen.

»Du kennst die Tonleiter: Vater abhören lassen, Flughäfen informieren …«

»Nicht doch!«

»He, Jacques – aufwachen! Werd nicht schwach.«

»Okay. Lass den Vater abhören, Wohnung und Büro.« Er brummte vor sich hin, schaute auf die Uhr, ob es schon sechs Uhr wäre, jener Zeitpunkt, zu dem man sich – nach der Tropenregel, wie Jacques es nannte – den ersten Drink des Abends genehmigen darf.

»Fünf vor sechs!« Er schaute den Kommissar an, der lachte und schüttelte den Kopf.

»Erst um sechs.«

»Hast du noch was in der Flasche?«

Der Kommissar bückte sich und verschwand fast hinter seinem Schreibtisch. Die unterste Schublade klemmte erst, doch dann hob er mit verschmitztem Lächeln die halb volle Flasche Johnnie Walker hoch. Es folgten zwei Gläser, die er neben den Whisky stellte. Beide Männer schauten auf die Uhr. Um zwei vor sechs klingelte das Telefon.

»Merde«, sagte der Kommissar. »Für dich. Es ist Martine.«

Jacques hörte zu und fluchte, als er den Hörer wieder auflegte: »Wirklich merde! Der Anwalt von Vater Lacoste hat gerade eine Verschiebung des Termins am Donnerstag beantragt. Lacoste sei für zwei Wochen auf Auslandsreise.«

»Und jetzt?«

»Gieß ein!«

Jacques kippte den Whisky in einem Schluck runter, hustete, schüttelte sich, schaute den Kommissar an und rief: »Action!«

Um halb acht betätigte Jacques eine moderne elektronische Klingel, die mit den ersten sechs Takten von »Freude schöner Götterfunken« aus Beethovens Neunter erkennen ließ, dass jemand in die Privatwohnung von Alain Lacoste Einlass begehrte. Ein Hausmädchen öffnete und reagierte verschreckt auf Jacques’ Frage, ob sie hier angestellt sei. Nach kurzem Zögern bestätigte sie es.

»Und wer bezahlt Sie?«

»Monsieur.«

Die nächste Frage stellte Jacques dem hinzutretenden Lacoste: »Wie viel bezahlen Sie ihr, ist sie angemeldet?«

»Darum kümmert sich meine Frau. Was wollen Sie?«

»Sie sagen, Ihre Frau kümmere sich, Ihre Angestellte hat aber eben Sie als den Geldgeber genannt. Diese Kleinigkeit werden wir noch klären. Hausdurchsuchung. Hier sind die Papiere. Ich bin Untersuchungsrichter Jacques Ricou, mich begleiten Kommissar Jean Mahon und seine Leute.«

Jean Mahon drängte sich mit vier Polizisten in die Diele und sagte, wie es seine Pflicht war, die Formel auf: »Wollen Sie einen Arzt sehen? Welchen Anwalt sollen wir nach Ablauf der Frist benachrichtigen? Wollen Sie einen Ihrer Vertrauten informieren?«

»Das wird nicht nötig sein. Was suchen Sie?«

»Das lassen Sie mal unsere Sorge sein«, Jacques gab den Polizisten leise Anweisungen. In der Diele stand eine alte, gut erhaltene Kommode aus dem achtzehnten Jahrhundert mit kostbaren Intarsien. In einer asiatischen Vase steckte ein frischer Blumenstrauß und darüber hing ein großer Spiegel mit goldenem Rahmen. Auf einem Silbertablett lag ein Schlüsselbund.

Auch die beiden Salons und das angrenzende Speisezimmer waren mit alten Möbeln eingerichtet, doch an den Wänden hingen moderne Bilder von Pierre Soulages und Michel Debré, von Jean-Charles Blais und Armand. Nicht billig.

Jacques und Kommissar Mahon setzten sich, nachdem sie höflich um Erlaubnis gefragt hatten, an den Esstisch und blätterten die Papiere durch, die ihnen die Polizisten brachten. Was sie mitzunehmen gedachten, stapelten sie auf einen Haufen. Das Moleskine lag aufgeschlagen neben Jacques’ rechter Hand, ab und zu machte er sich eine Notiz. Auf Lacostes Angebot, ihnen zu helfen, sagte Ricou: »Wenn Sie so freundlich wären, alle Schecks, Bankbelege, Unterlagen über Ihre Buchhaltung, Steuerbelege, kurz – alles, was mit Ihrem Geldverkehr zu tun hat, beizubringen, dann geht es viel schneller.«

Die beiden Kinder saßen im Schlafanzug in der Küche und aßen unter Aufsicht ihrer Mutter – einer fröhlich wirkenden, jugendlichen Blondine – zu Abend. Sie waren aufgeregt wegen des Besuchs, aber zu wohlerzogen, um Fragen zu stellen.

Die Polizisten, die Kinderzimmer und Schlafzimmer der Eltern nur oberflächlich durchsucht hatten, schleppten schließlich acht Kartons voller Papiere aus der Wohnung, und als Lacoste schon glaubte, der Sturm wäre vorbei, fragte ihn Jacques: »Wo ist denn Ihr Tresor?«

»Wieso Tresor?« Lacoste spürte eine Hitzewelle.

»Wir würden gern einen Blick hineinwerfen.«

Lacoste zögerte. Doch dann schritt er vor dem Richter und dem Kommissar in die Küche, schob wie mit Geisterhand ein Regal zur Seite, und zeigte ihnen einen kleinen Safe.

»Würden Sie ihn bitte aufmachen?«, bat Jean Mahon. Jacques schwieg und gab sich unbeteiligt.

Alain Lacoste zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte seine feuchten Handflächen ab. Dann gab er mit flinkem Finger einen siebenstelligen Code ein.

Lacoste machte mit der Rechten eine einladende Handbewegung und trat einen Schritt zurück. Jacques warf dem Kommissar einen Blick zu und ließ ihm den Vortritt mit den Worten: »Jean, das ist dein Metier!«

Äußerst vorsichtig, so als fürchtete er eine Falle, zog Jean Mahon die Tür des Tresors auf, blickte hinein und forderte Jacques mit einer Kopfbewegung auf, das Gleiche zu tun. Der Safe war in zwei Fächer geteilt. Im oberen lag Bargeld in Bündeln übereinander gestapelt, im unteren befanden sich größere Mengen Papiers in gelben und braunen Briefumschlägen.

»Monsieur«, sagte Jacques mit tonloser Stimme, »das werden wir auch mitnehmen. Und wir müssen Sie bitten, uns zu begleiten. Sie haben wohl einiges zu erklären.«

Kommissar Jean Mahon gab den Polizisten einen Wink, einer leerte den Safe in einen Leinensack, der vor den Augen Lacostes versiegelt wurde, ein anderer legte dem aufgebrachten Hausherrn Handschellen an.

Nur der Gutmütigkeit des wachhabenden Polizeioffiziers hatte es Alain Lacoste zu verdanken, dass er die Nacht auf der Betonbank der Ausnüchterungszelle verbringen durfte.

»Da wollt ihr mich doch wohl nicht reinstecken!«, hatte der Präsident der Sofremi protestiert, ganz ehemaliger Präfekt und hoher Beamter, der zum weiteren Freundeskreis des Innenministers gehörte, was ihm im Augenblick aber nichts nutzte. Das »da« war die übliche Zelle für Untersuchungshäftlinge, vom Wachraum nur durch eine Panzerglasscheibe getrennt. Auf den Bänken entlang der Wände kauerten schon drei Gestalten.

Aber auch in der Ausnüchterungszelle, die Lacoste allein bewohnte, brannte das Licht die ganze Nacht. Er machte kein Auge zu. Ab und an kam der wachhabende Offizier, ließ ihn eine Zigarette rauchen, und wechselte einige wenige Worte in freundlichem Ton mit ihm. Einmal brachte er Lacoste auf dessen Wunsch hin ein Glas Wasser.

Montag um Mitternacht

»Wer ist sein Anwalt?«, wollte Innenminister Charles Cortone wissen, als ihn Sotto Calvi noch am späten Abend in seiner Dienstwohnung im Innenministerium an der Place Beauvau mit Blick auf das Palais de l’Élysée besuchte.

»Lafontaine.«

»Warum nicht Tessier, der wäre in diesem Fall der Allerbeste.«

»Aber Tessier vertritt schon mich in meiner Steuersache. Und dafür ist die Barda zuständig. Die ist noch schlimmer als Ricou. Und wenn Tessier jetzt auch Lacoste vertreten sollte, würde der Richter den Braten sofort riechen. Außerdem wirkt Lafontaine wie ein schmieriger Trottel, aber er gehört zu den gewieftesten Anwälten, die ich kenne. Eine Bombe mit einer langen Lunte.«

Bomben mit langer Lunte hatte er nie gemocht. Das war feige. Cortone schwieg missmutig. Als Sotto Calvi eine Zigarre hervorholte und die Spitze abbeißen wollte, knurrte er: »Hier nicht!«

Calvi zögerte, hackte die Vorderzähne in den Tabak, spuckte die Brösel in seine Hand und steckte die Zigarre in seinen Mund, zündete sie aber nicht an.

»Wie benimmt sich seine Frau?«

»Ruhig und überlegt. Keine Spur von Hysterie, als sie mich anrief. Ich habe ihr geraten, bloß mit niemandem zu sprechen. Ich werde mich um sie kümmern.«

Cortone kniff die Augen zusammen und schmunzelte.

Calvi verzog keine Miene und erzählte dem Innenminister von der Festnahme des Sohnes, von den Drogen und der Aussage, mit der Didier Lacoste seinen Vater in die Bredouille gebracht hatte. Nach dem Bargeld im Safe hatte der Untersuchungsrichter daraufhin gesucht.

»Und was gefunden?« Cortone sah ihn fragend an.

»Viel gefunden.«

Den Sohn habe er, Sotto Calvi, inzwischen außer Landes bringen lassen.

»Mit deiner Maschine?« Cortone konnte zwar stets ein Flugzeug der Regierung in Anspruch nehmen, doch er beneidete den Waffenhändler um seinen Privatjet. Damit flog Calvi auch schon mal zum Mittagessen nach Korsika und war abends wieder zurück.

»Nein, das wäre zu gefährlich gewesen.« Calvi biss mit dem Unterkiefer auf seine kurze Oberlippe und schaute Cortone an, der sich inzwischen hinter seinem Schreibtisch verschanzt hatte. Cortone blickte unberührt zurück. Die Geschichte könnte brenzlig werden.

Vor beinahe vierzig Jahren hatten sie als junge Nationalisten in den Bergen Korsikas gemeinsam manch einen Brandsatz in Ferienhäuser von Ausländern geworfen, die den Sinn gewisser Zahlungen nicht verstehen wollten.

Fremde, die ein Grundstück von einem korsischen Vorbesitzer kaufen, glauben auch heute noch, sie könnten das Stück Erde nach eigenem Gutdünken bebauen. Doch bald nach dem ersten Spatenstich erscheint ein Onkel des Vorbesitzers und fordert seinen Anteil am Geschäft, dem folgt, sobald das Fundament gelegt ist, ein junger Cousin. Und wenn die Mauern hochgezogen sind, das Dach aber noch nicht drauf ist, melden sich weitere Geschwister, die – so ihre Behauptung – auch noch zu den Erben gerade dieser paar Hektar gehören. Und im Grundbuch steht der tote Urahn als Eigentümer, denn Grundbücher sind seit fast hundert Jahren nicht auf den letzten Stand gebracht worden. Umschreibungen kosten zu viel und lösen nur das Begehren des Staates nach Erbschaftssteuern aus. Der Hausbauer zahlt also, kauft sich Schutz – oder es brennt.

Die Zweckgemeinschaft zwischen Sotto Calvi und Charles Cortone war über die Jahrzehnte immer enger geworden. Beide strebten nach oben, der eine zur Macht, der andere zum Geld. Und weil man immer mehr Geld benötigt, je mehr Macht man sucht, unterstützte Sotto Calvi den Weg seines Freundes Charles Cortone bis ins Innenministerium. Denn auf der anderen Seite benötigt, wer Geld machen will, die eine oder andere freundliche Entscheidung der Mächtigen. Als Chef einer kleinen liberalen Partei hatte Cortone sich in viele Regierungen als Koalitionspartner einbringen können – und seinen Einfluss weiter ausgebaut.

Über das »ganz große Ziel« redeten sie selten, am liebsten nur an der Küste Korsikas, denn dieses Projekt würden sie erst nach den Wahlen zum Europaparlament angehen, zu denen Cortones Partei mit eigener Liste – und großer finanzieller Hilfe Calvis – antrat.

Cortone durfte also nicht belastet werden. Denn selbst wenn ein Skandal Lacoste aus dem Amt des Präsidenten der Sofremi fegte, würde dessen Nachfolger wieder von Cortone ernannt werden. Calvis Waffengeschäft mit Angola, das er mit Hilfe der Sofremi eingefädelt hatte, war zwar längst abgeschlossen, aber er brauchte noch die Unterstützung Cortones, und sei es auch nur, um sein Steuerverfahren heil zu überstehen.

»Auch Lacoste ist Korse«, sagte Cortone.

»Ja, aber aus Bonifacio. Und der Vater war Notar.«

»Aber vergiss nicht, wie er sich noch im hohen Alter für unsere Sache eingesetzt hat. Auch er kannte das Gesetz des Schweigens. Mein Vater handelte mit Wein, und sein Vater kaufte bei uns, und sein Onkel mütterlicherseits hat eine Nichte meiner Großmutter geheiratet.«

Das Gesetz des Schweigens liegt in den Genen eines Korsen.

Calvi hatte es noch nie gebrochen.

Cortone auch nicht.

Dem Gesetz des Schweigens unterwerfen sich alle Korsen, und es wirkt umso stärker, weil es auf einem anderen Gesetz beruht, dem Gesetz der Angst. Nicht nur dem droht Vergeltung, der redet, sondern auch seiner ganzen Entourage, Freunden und Familie.

Die beiden Männer beschlossen, schnell, aber im Verborgenen zu handeln.

»Wir müssen davon ausgehen, dass die Wohnung und das Büro von Lacoste abgehört werden. Du solltest seine Frau nicht anrufen. Und von jetzt ab verkehren selbst wir nur noch stumm über die mobilen Geräte. Wir müssten nur Lacoste ermöglichen, mit uns Kontakt aufzunehmen«, sagte Cortone.

»Das lässt sich erledigen. Einer unserer Korsen soll sich in Paris ergreifen lassen, und du sorgst dafür, dass er in der Santé in die Zelle von Lacoste kommt. Kannst du das?«

»Es wäre besser, ich bliebe außen vor. Gib dem Korsen ein ordentliches Paket mit. Dann kann er sich den Weg erkaufen.«

Calvi gab noch in dieser Nacht die Order weiter. Dann befahl er Lyse – sofort! – zurück nach Paris zu kommen. Und Cortone rief um Mitternacht den Justizminister an.

Schließlich schloss er seinen extrakleinen Safe auf, der in der rechten Schublade seines Schreibtisches verborgen war, und holte seinen blauen BlackBerry hervor. Seine E-Mails sendete und empfing er verschlüsselt und auf Korsisch.

Ein großes Attentat mit Personenschaden würde die Medien lange beschäftigen – und dem »großen Ziel« dienen. Er wusste die Antwort auf seinen Vorschlag schon im Voraus. Drei bis vier Wochen Vorbereitungszeit. Dann mal los. In letzter Minute kann man immer noch alles absagen.

Die Wüstenkönigin

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