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1. Das ontologische Bedürfnis
Оглавление„Sein lockt, beredt wie das Rauschen von Blättern im Wind schlechter Gedichte“ (83).
Im ersten Hauptteil der ND kritisiert Adorno „Ontologien in Deutschland“ (69), meint aber in erster Linie Heideggers großen ‚existenzial-ontologischen‘ Entwurf Sein und Zeit80. Dabei richtet sich sein Argwohn weniger gegen Ontologie schlechthin, als vielmehr gegen ihre Mystifizierung: „Ontologie scheint um so numinoser, je weniger sie auf bestimmte Inhalte zu fixieren ist, die dem vorwitzigen Verstand einzuhaken erlaubten. Ungreifbarkeit wird zur Unangreifbarkeit“ (69). Der von Adorno diskreditierte Typ von Ontologie ist dadurch gekennzeichnet, dass begriffliche Unterbestimmtheit zu einem Anzeichen des ‚Höheren und Numinosen‘ umgedeutet und dadurch gegen rationale Einwände immunisiert werden soll. In der Tat ist dieses Verfahren als Rückfall hinter Kant und dessen vernunftkritische Begrenzung der Möglichkeit von Erkenntnis zu werten. Hinzu kommt, dass
„die gegenwärtigen Ontologien nicht einfach die anti-akademische Tradition der Philosophie [Schopenhauer, Kierkegaard, Nietzsche, U. M.] sich zu eigen [machen], indem sie, wie Paul Tillich einmal formulierte, nach dem fragen, was einen unbedingt angeht. Sie haben das Pathos des Unakademischen akademisch etabliert“ (70f.).
Adorno sieht hierin den Versuch, das Bedürfnis nach ‚Ursprungsphilosophie‘, d. h. nach einem unbezweifelbaren Fundament philosophischen Denkens, mit unlauteren Mitteln zu rehabilitieren:
„Was ontologisches Philosophieren beschwörend gleichsam zu erwecken trachtet, wird jedoch unterhöhlt von realen Prozessen, Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens. Die Anstrengung, Mensch und Sein und Zeit als Urphänomene theoretisch zu vindizieren, hält das Schicksal der auferstandenen Ideen nicht auf“ (73).
Das ontologische Bedürfnis, so Adorno, hypostasiere die Begriffe Sein und Dasein, indem es sie mit der Aura des Reinen und Ursprünglichen ausstatte. Damit werde in den neuen Ontologien hinter das Reflexionspotential zurückgefallen, welches der deutsche Idealismus in Gestalt logisch aufwendiger Ableitungsprozeduren wie dem Deduktionskapitel von Kants Kritik der reinen Vernunft81 oder Hegels Wissenschaft der Logik82 bereits entfaltet habe. Adorno vertritt mit Kant und Hegel die Auffassung, dass Denken nicht durch dogmatische Thesen oder durch mystische Anschauungen verbindlich zu machen sei, sondern durch stringente Urteile; er widerspricht jedoch ihren Versuchen, ihre Denkresultate allein mit „den Mitteln des diskursiven Denkens“ (72) beweisen zu wollen. Denn anders als in den Einzelwissenschaften seien in der Philosophie die Antworten bereits durch die Fragen präformiert, in gewisser Weise sogar in ihnen enthalten (71). Beweise seien ein zwar notwendiges, jedoch nicht hinreichendes Mittel, um zu gültigen Erkenntnissen zu gelangen. So vernachlässige der deutsche Idealismus nicht nur die historischen und sozialen Voraussetzungen seines Denkens, sondern auch seine Bedingtheit durch all das, was bereits vor ihm gedacht worden war. Dieses Gedachte prägt aber das philosophische Fragen und das mit ihm verbundene Frageinteresse erheblich mit. Philosophieren, verstanden als rein logischer Argumentationsgang, schöpft seine Erkenntnisse nicht allein aus sich selbst heraus; es nährt sich ebenso von externen Denkeinflüssen wie von kirchlich propagierten theologischen Lehrmeinungen, staatlich geforderten und geförderten Theorietypen sowie einflussreich gewordenen individuellen Philosophien.
Diese Abhängigkeit des individuell Ausgedrückten vom historisch und sozial geprägten Ausdruck, „des Gedachten vom Denken“ (72) nötige einem Denken, „das nicht als Ursprung sich behauptet“, die Einsicht ab, „daß es nicht erzeugt sondern wiedergibt, was es, als Erfahrung, bereits hat“ (71). Nach dem, was wir anhand von Adornos Einleitung zur ND über den hohen Stellenwert der Erfahrung innerhalb seines Denkens herausgearbeitet haben, kann eine solche Kritik am philosophischen Logizismus kaum verwundern: Auch Logik ist keine übergeschichtliche, sakrosankte Institution, sondern historisch veränderbar und in ihren verschiedenen Ausprägungen sowohl von ihrem Gegenstandsbereich (Sprach-Logik, psychologische, phänomenologische, metaphysische Logik) als auch von bestimmten Denk-Schulen (Wolff’sche Schule, Erlanger Schule, Warschauer Schule) geprägt.
Statt jedoch z. B. die Logik der kantischen Philosophie aufgrund ihrer Abdichtung gegen Empirie zu kritisieren und mit logisch-diskursiven, genuin kantischen Mitteln weiterzudenken, habe Heidegger ihr einen „unmittelbar ontologische[n] Gehalt imputiert“ (74). Er habe aus ihr eine verborgene „Ontologie herauszubuchstabieren“ versucht, während Kants Philosophie zwar „ein ontologisches Moment“ einerseits in Gestalt des Interesses an einer Begründung von Objektivität, andererseits der Annahme eines Dinges an sich enthalte, welches aber „nicht das zentrale“ sei (ibid.).
Gegen Adorno sei an dieser Stelle kritisch angemerkt, dass auch dessen eigenes Objektivitätsverständnis kein genuin kantisches, nämlich geltungstheoretisches ist, sondern stets zugleich ontologische Bedeutungsmomente aufweist.83 Mit der äquivoken Verwendungsweise des Objektivitätsbegriffs kommt er der von ihm kritisierten Heidegger’schen Interpretationsweise aber gerade entgegen. Auch Adorno zufolge wollte Kant die traditionelle Ontologie keineswegs radikal verabschieden, sondern unter erschwerten erkenntnistheoretischen Bedingungen kritisch retten. Ständig betont er, Kant habe „nicht Objektivität auf Subjektivität einfach zurückzuführen, sondern Objektivität in Subjektivität zu begründen“84 versucht. Ziel dieser Begründungsstrategie Kants sei die Priorität des Objekts vor dem Subjekt:
„Vorrang des Objekts bedeutet die fortschreitende qualitative Unterscheidung von in sich Vermitteltem, ein Moment in der Dialektik, nicht dieser jenseitig, in ihr aber sich artikulierend. Kant hat noch das Moment des Vorrangs von Objektivität nicht sich ausreden lassen. Er hat sowohl die subjektive Zergliederung des Erkenntnisvermögens in der Vernunftkritik aus objektiver Absicht gesteuert, wie hartnäckig das transzendente Ding an sich verteidigt. Ihm stand vor Augen, daß es dem Begriff eines Objekts nicht schlechthin widerspräche, an sich zu sein; daß seine subjektive Vermittlung weniger der Idee des Objekts zuzurechnen ist als der Insuffizienz des Subjekts“ (185).
Zwar sei die Kritik der reinen Vernunft alles andere als eine traditionelle Ontologie, enthalte jedoch als erkenntniskritische Revision derselben immer noch Momente einer anti-idealistischen, materialistischen Andersheit, die es mit den begrifflichen Mitteln fortschreitender qualitativer Differenzierung zu retten gelte. Heidegger dagegen habe das bei Kant periphere ontologische Moment „zum ontologischen Vorrang des Seins schlechthin, vor allem Ontischen, Realen“ (74) umgedeutet. Real begründete Ängste und Ohnmachtsgefühle der Menschen beschwörend, habe er zu „Seinsgläubigkeit“ und schließlich zu „Seinshörigkeit“ aufgerufen: „Dogmatik wird ihm, gegenüber der Tradition ihrer Kritik, schlicht zur höheren Wahrheit“ (78), „Unbestimmtheit zum mythischen Panzer“ (83), „Philosophie zum ritualen Gestus“ (86).
Zu dieser Mythologisierungstendenz komme hinzu, dass Heidegger „ängstlicher von allem Sachhaltigen sich distanziert als Kant jemals“ (82), indem er zugleich mit dem Ziel, die ontologischen Differenz zwischen höherem Sein und niedrigem Seienden zu betonen, ein methodisches „Reinheitsideal“ vertrete. Indem das Sein als rein geistiger Sachverhalt von jeglicher Empirie abgesondert werden solle, werde die Strategie verfolgt, „Idealismus in Ontologie“ einfach umzubiegen (88).
Als Gegenmittel gegen diesen reontologisierenden Willkürakt empfiehlt Adorno die historisch-kritische Selbstreflexion, d. h. die „Einschränkung des Geistes auf das seinem geschichtlichen Erfahrungsstand Offene und Erreichbare“ (76):
„Hätte ohne Unmittelbares keine Reflexion Gehalt, so verharrt es unverbindlich, willkürlich ohne die Reflexion, die denkende, unterscheidende Bestimmung dessen, was das angeblich pur einem passiven, nicht denkenden Gedanken sich zeigende Sein meint“ (91).
Ziel der Kritik am subjektivistischen Identitätsdenken des Idealismus müsse nach Adorno zwar die materialistisch gedeutete „Präponderanz des Objekts“ (184) sein, um die sich auch Heidegger bemühe. Doch dessen Ontologie erschleiche sich dieses Ziel, weil sie es versäume, die dafür erforderliche Selbstreflexion zu mobilisieren, die dafür aber unumgänglich sei: „Einzig subjektiver Reflexion, und der aufs Subjekt, ist der Vorrang des Objekts erreichbar“ (186). Heideggers Ontologie bleibe daher ein subjektiver Willkürakt, der die vielfältigen Vermittlungen des ‚Seins‘ in einem unmittelbaren ‚Eingedenken‘ überspringt. „Solcher Sprung jedoch mißlingt mit den Mitteln der Vernunft. … Philosophie erheischt heute wie zu Kants Zeiten Kritik der Vernunft durch diese, nicht deren Verbannung oder Abschaffung“ (92).
Einer solchen vernunftlosen Irrationalität aber macht sich Heidegger Adorno zufolge schuldig, indem er Husserls Maxime ‚Zurück zu den Sachen‘ aus der Bewusstseinsimmanenz heraustrage und zu nicht-dinghaftem, ursprünglichem Sein (v)erkläre. Damit wird die von Adorno in Übereinstimmung mit der Phänomenologie Husserls emphatisch geforderte Sachhaltigkeit der Philosophie nicht mehr an die spontane und lebendige Apperzeptionsleistung des transzendentalen Subjekts, jenes kantische ‚Ich denke‘, zurückgebunden. Nur durch eine solche Rückbindung jedoch sind nach Adorno „Selbstreflexion und von ihr entzündete Praxis“ in der Lage, „vielleicht zu ändern“ (98), was Heidegger schicksalsergeben als Verdinglichung bzw. ‚Seinsvergessenheit‘ betrauere.
Indem Adorno also gegen Heidegger am Gedanken des transzendentalen Subjekts festhält, doch zugleich eine quasi Heidegger’sche Partialontologisierung der kantischen Erkenntnistheorie in Gestalt einer geltungstheoretisch-ontologischen Doppelauslegung von Objektivität und Ding an sich vornimmt, gibt er einerseits Heideggers genuin modern ausgerichteter Verdinglichungs- und Entfremdungskritik Recht, verwirft andererseits jedoch dessen fundamentalontologische „Sabotage an der Versöhnung“ (99). Heidegger knüpfe an geistige wie materielle Bedürfnisse an, die zwar real vorhanden, aber als Ausdruck falschen Bewusstseins objektiv ideologisch seien.
An dieser Stelle des Textes bringt Adorno erneut seine eigene unkritische, weil holistische Ontologie des bestehenden schlechten Zustands ins Spiel, was durch Totalitätsvokabeln wie „Verblendungszusammenhang“ (99), „Kulturindustrie“ oder, obgleich weniger typisch, „allgegenwärtige[r] Schrecken“ (100) angezeigt wird. Nach dieser Ontologie einer ideologisch erstarrten Wirklichkeit dürfte eigentlich gar keine Verbesserung der „vom totalen Untergang bedrohten Gesellschaft“ (ibid.) mehr möglich sein. Daraus ergäbe sich als Alternative, entweder auf die an sich falschen Bedürfnisse in ebenso falscher Weise, d. h. mit Hilfe der Heidegger’schen Ontologie eines gesicherten Seinsfundaments zu reagieren und somit wenigstens eine scheinbare bzw. oberflächliche Zufriedenheit unter den Menschen zu erzeugen – ein Votum, mit dem Adorno seinen gesamten ideologiekritischen Philosophieansatz widerriefe –, oder auf derlei ‚Augenwischerei‘ konsequent zu verzichten und das Schlechte heroisch auszuhalten, ohne irgendeine Lösungsmöglichkeit ins Auge fassen zu können. Im letzteren Fall, der für Adorno einzig authentisch sein kann, stellt sich dann aber die unabweisbare Frage, wie eine kritische Resistenz gegen die universalen Vereinnahmungstendenzen der ihrerseits Bedürfnisse erzeugenden Industrie überhaupt möglich sein soll, wenn die warenartige Instrumentalisierung der Menschen unweigerlich in fixierte Unmündigkeit führt (101).
Sowohl Adornos Absage an Ontologie als ideologische Befriedigung des Bedürfnisses nach einem festen Halt als auch seine Zurückweisung aller Konzepte von Philosophie als Ersatzveranstaltung85 für andernorts nicht gelöste Probleme mag begrüßenswert sein. Jedoch verträgt sich seine kritische Intention kaum mit einer Ontologie des schlechten Zustands, die ihn so pauschale Schlagwörter wie ‚Invarianz‘, ‚Verdinglichung‘ und ‚Ich-Schwäche‘ als Kriterien seiner Kritik vorzubringen zwingt. Dass auch Heideggers Philosophie eine Reaktion auf die von Adorno diagnostizierten defizienten Zustände ist, kann wohl kaum bestritten werden. Das allein jedoch diskreditiert nicht ihren Wahrheitsgehalt. Zudem handelt es sich bei Heideggers Ansatz ja nicht nur um einen ontologischen, sondern gleichermaßen kategorialen Entwurf.
Im ersten Anlauf reduziert Adorno Heideggers Intentionen in Sein und Zeit darauf, bloße Reaktion auf ein in Adornos Augen falsches Bedürfnis zu sein. Er interpretiert die Existenzialontologie ausschließlich als Beispiel für eine misslungene Bedürfnisbefriedigung. Im Weiteren ist zu schauen, wie nach Adornos Vorstellung eine immanente Kritik der Ontologie aussieht.