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2. Sein und Existenz
Оглавление„Die Dialektik von Sein und Seiendem: daß kein Sein gedacht werden kann ohne Seiendes und kein Seiendes ohne Vermittlung, wird von Heidegger unterdrückt: die Momente, die nicht sind, ohne dass das eine vermittelt wäre durch das andere, sind ihm unvermittelt das Eine, und dies Eine positives Sein“ (121).
Wahr an Heideggers Philosophie ist nach Adorno ihre überlieferungskritische Dimension, d. h. die „Negation traditioneller Metaphysik“ (105) in Form einer Säkularisierung theologischer Gehalte und Entmythologisierung von Subjektivität. Dies bezeichnet den rationalitätskritischen Aspekt. Darüber hinaus suchen sowohl Heidegger als auch Adorno die Überwindung der Gegenwartskrisen im Denken und nicht etwa im Handeln. Während Adorno Praxis als auf unabsehbare Zeit vertagt betrachtet86, glaubt Heidegger den Gefahren der modernen Technik dadurch begegnen zu können, dass er dazu aufruft, „vor der anscheinend immer nächsten und allein als dringlich erscheinenden Frage: Was sollen wir tun, dies [zu] bedenken: Wie müssen wir denken? Denn das Denken ist das eigentliche Handeln“87. Beide kritisieren die überlieferte Subjektphilosophie, wenngleich auf unterschiedliche Weise. Adorno öffnet den Subjektbegriff mit Hilfe eines unter Rekurs auf Hegel dialektisch erweiterten Erfahrungsbegriffs, Heidegger hingegen verabschiedet das Subjekt zugunsten einer parmenideisch gedachten Einheit von Sein und Sollen, Ontologie und Ethik. Beide distanzieren sich von abstrakt quantifizierendem, mathematischem Denken: Adorno in einer mimetischen Ausrichtung der Erkenntnis, die sich ihren Gegenständen behutsam anschmiegen soll, Heidegger in einer Rückbesinnung auf die Anfänge der abendländischen Philosophie, von der er sich die Möglichkeit einer Überwindung des als ‚Gestell‘ erkannten Wesens der modernen Technik erhofft.
Treffe Heideggers Philosophie in ihren metaphysik- und technikkritischen Wendungen durchaus etwas Wahres, so sei sie doch ebenso wiederum als falsch zu beurteilen, insofern sie durch ihre Insistenz auf dem rätselhaft bleibenden Begriff des Seins und dessen Abgrenzung von jeglichem Seienden gerade die Rettung der alten Metaphysik mitverschuldet habe, gegen die sie sich doch hatte wenden wollen. Diese Rettung sei eine erschlichene:
„Der Seinsbegriff, der seine Vermittlungen nicht Wort haben will, wird zu dem Wesenlosen, als das Aristoteles die Platonische Idee, das Wesen par excellence, durchschaute, zur Wiederholung des Seienden. Diesem ist entwendet, was immer dem Sein zugeschanzt wird. Während dadurch der emphatische Anspruch des Seins auf reine Wesentlichkeit hinfällig wird, hat das Seiende, das untilgbar dem Sein innewohnt, ohne in der Heideggerschen Version seinen ontischen Charakter bekennen zu müssen, an jenem ontologischen Anspruch parasitär teil“ (106).
Die These, Heidegger habe im Begriff des Seins lediglich Elemente des empirisch Seienden nachgebildet und mit der Aura reiner Wesenhaftigkeit ausgestattet, begründet Adorno mit dem Hinweis auf die sprachliche Funktion der Kopula ‚ist‘. Diese sei durch Unselbständigkeit gekennzeichnet, insofern der damit ausgedrückte Sachverhalt lediglich „intentional, nicht ontisch“ (108) ist. Die Kopula stellt eine Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat innerhalb eines Existentialurteils her, bezeichnet aber für sich genommen keine real existierende Entität.
Adorno zufolge ist Heidegger vorzuwerfen, gerade diesen Sachverhalt zu verschleiern. Er verselbständige die synthetisierende Kopula, indem er aus ihr „ein vorgeordnetes Wesen ›Sein‹“ (ibid.) extrapolierend ableite. Dieser Fehlschluss beruhe auf der Konfundierung der allgemeinen Bedeutung des ‚ist‘ mit der je spezifischen im konkreten Urteil. Nur die fehlgeleitete Verwechslung der grammatischen Form mit dem Urteilsgehalt ermögliche es Heidegger, „die ontische Leistung des ›ist‹ in ein Ontologisches, eine Seinsweise von Sein“ (ibid.) zu verwandeln. Damit falle er in eben die Art vergegenständlichenden Denkens zurück, die er gerade vermeiden wollte:
„Im Wort Sein, dem Inbegriff dessen, was ist, hat die Copula sich vergegenständlicht. Wohl wäre vom Ist ohne Sein so wenig zu reden wie von diesem ohne jenes. Das Wort verweist auf das objektive Moment, das in jedem prädikativen Urteil die Synthesis bedingt, in der es doch erst sich kristallisiert. Aber so wenig wie jener Sachverhalt im Urteil ist das Sein dem Ist gegenüber selbständig“ (109).
Adorno ist darin zuzustimmen, dass mit Verweis auf die Funktion der Sprache und das Verhältnis der Urteilsmomente zueinander die Unselbständigkeit und Relativität der Kategorie des Seins zu betonen ist. Weder lässt sich Sein auf einen abgeschlossenen oder irgend sonst als Einheit existierenden Gegenstand beziehen, noch eignet ihm eine „ontologische Priorität den Momenten gegenüber“ (110) in dem Sinne, dass damit irgendeine Form seiender Reinheit, Ursprünglichkeit, Nichtrückführbarkeit, Einzigartigkeit, Wesentlichkeit oder gar Absolutheit bezeichnet wäre. All dies kann mit dem Wort Sein nur so lange verbunden werden, wie es nicht gedacht werde. Sobald es aber gedanklich durchdrungen wird, stößt die Analyse auf konkretes empirisches Seiendes.
Als unzutreffend erscheinen jedoch Adornos offenbar durch Husserls vergegenständlichende Urteilstheorie beeinflusste Auffassungen der Kopula als etwas Intentionales und des Urteils als Synthesis von Subjekt und Prädikat.88 In der Aussage ‚Der Sessel ist rot‘ fungiert das ‚ist‘ nur als Behauptung einer bestimmten Seinsweise des Sessels, nämlich derjenigen, rot zu sein. Die behauptende Kraft der Kopula wiederum hängt ab von dem Vorführen-Können der Bedingungen, unter denen der Satz wahr ist.
Zusammenfassend ist also zu sagen, dass die besondere grammatische Bedeutung der Kopula im Satzzusammenhang, ihre Behauptungsfunktion, nicht dazu berechtigt, sie zur ontologischen Primärkategorie, die etwas Transzendentes oder gar Objektivität schlechthin bezeichnet, umzufunktionieren.
Indes lässt sich nach Adorno auch der Schein erklären,
„wieso das schlechthin Abgeleitete, Vermittelte, Sein, die Insignien des ens concretissimum an sich reißen kann. Er basiert darauf, daß die Pole von traditioneller Erkenntnistheorie und Metaphysik, reines Diesda und reines Denken, abstrakt sind. Von beiden sind so viele Bestimmungen entfernt, daß über sie wenig mehr auszusagen ist, wofern das Urteil nach dem sich richten will, worüber es urteilt. Dadurch scheinen die beiden Pole gegeneinander ununterscheidbar, und das gestattet es, unvermerkt den einen anstelle des anderen zu bemühen, je nach dem zu Demonstrierenden“ (113).
Erst die abstrahierende Zusammenfügung des Begriffs vom Allerallgemeinsten mit dem vom Allerkonkretesten ermögliche es Heidegger, dem Sein eine besondere ontologische Aura und Würde zu verleihen. In diesem Begriff werde Abgeleitetes als Ursprüngliches und Wesen als Faktisches gedacht, ohne dass beide Begriffspole in eine dialektische Beziehung nach Hegel’schem Modell gebracht würden.
Dabei könnte Adorno zufolge der Seinsbegriff durchaus eine wichtige philosophische Funktion erfüllen, sofern er nicht als Ursprungs- und Absolutheitsbegriff konzipiert, sondern in seinem tatsächlichen Erfahrungskontext, d. h. als empirisch abgeleiteter und konkret motivierter begriffen würde. Auf diese Weise könnte der Begriff des Seins das Individuelle, Einmalige, Besondere und Unwiederholbare einer Sache oder eines Ereignisses bezeichnen, das sich der umstandslosen begrifflichen Erschließung und der präzisen kriterialen Bestimmung meistens entzieht.
Adorno nennt die in einem so verstandenen Seinsbegriff implizierte Tendenz allen philosophischen Erkennens den „Drang, das Unausdrückbare auszudrücken“ (114). Er definiert Philosophie geradezu als den Versuch,
„gegen Wittgenstein zu sagen, was nicht sich sagen läßt“ (21): „Philosophie besteht weder in vérités de raison noch in vérités de fait“, „ist weder Wissenschaft noch . . . Gedankendichtung, sondern eine zu dem von ihr Verschiedenen ebenso vermittelte wie davon abgehobene Form. Ihr Schwebendes aber ist nichts anderes als der Ausdruck des Unausdrückbaren an ihr selber“ (115).
Adorno gesteht Heidegger die Absicht, das Schwebende des Unausdrückbaren gleichwohl ausdrücken zu wollen, durchaus zu. Naiv sei dabei jedoch seine Vorstellung, das Unausdrückbare sei allein schon im Begriff des Seins unmittelbar und ohne Rückgriff auf die Vermittlung empirischer, sozialer und historischer Begriffe thematisierbar. Statt die Tradition kritisch zu beerben, habe Heidegger sie schlicht „abschütteln“ (116) wollen. Mit dem Wort ‚Sein‘ habe er zwar die Unwiederholbarkeit und Einmaligkeit der Sache benennen wollen, anstatt jedoch den Versuch ihrer Explikation zu unternehmen, sei er im Gestus stummen Zeigens verharrt. Er umgehe damit die der Philosophie zentrale „Anstrengung, über den Begriff durch den Begriff hinauszugelangen“ (27). Überdies trete bei Heidegger an die Stelle der zu fordernden Genauigkeit und Bündigkeit von Sprache, die ihrer „signifikative[n] Kraft“ entspreche, eine „deutschtümelnde Kabbalistik“ (118). Sein Pseudoradikalismus ersetze die Angemessenheit radikalen Zweifels durch die Fragwürdigkeit eines philologisch verbrämten Romantizismus. Indem er sich der Reflexion des mit dem Wort ‚Sein‘ Thematisierten beharrlich verweigere, verdingliche und mystifiziere er es schließlich gegen die eigene Absicht: „Der Gedanke, der das Unausdrückbare denken will durch Preisgabe des Gedankens, verfälscht es zu dem, was er am wenigstens möchte, dem Unding eines schlechthin abstrakten Objekts“ (116).
Jedoch verwirft Adorno nicht gänzlich den Heidegger’schen Versuch, einen philosophisch gehaltvollen Begriff vom Wesen der Welt zu gewinnen. Die besonders vom Positivismus eingeebnete Differenz von Wesen und Schein werde durch Heideggers Ausdruck ‚Eigentlichkeit‘ zu Recht rehabilitiert, sofern sich Philosophie nie mit der ‚Oberfläche‘ einer Sache, ihren offen liegenden Daten und Fakten, begnügen dürfe, sondern ihr auf den Grund gehen müsse. Jedoch reiche es nicht aus, das parallel zu Jaspers und Canetti in Sein und Zeit thematisierte Phänomen der ‚Vermassung des Menschen‘ in Begriffen wie ‚Uneigentlichkeit‘ und ‚Man‘ kategorial zu fixieren und mit dem Pathos der ‚Eigentlichkeit‘ zu kritisieren. Vielmehr müsse diesem Phänomen auch empirisch, historisch und soziologisch nachgegangen werden. Genau dies jedoch verhindere das phänomenologische, auf Husserl zurückgehende Programm einer“›reinen‹, nämlich eidetischen Phänomenologie“ (120). In dieser philosophischen Konzeption stünden „die kontradiktorischen Normen“ des Reinen, absolut Gültigen einerseits und des Unmittelbaren, schlechthin Gegebenen andererseits inkompatibel nebeneinander (ibid.).
Dieses nach Adornos Ansicht bereits bei Husserl in sich widersprüchliche Programm werde von Heidegger im Grunde übernommen; nur verlege Heidegger die inkompatiblen Bestimmungen aus dem Bereich des Bewusstseins „ins Bewußtseinstranszendente“ (120). Um die sich reproduzierende Unvereinbarkeit von Reinheit und Anschaulichkeit zu vertuschen, habe er ihre gemeinsame Grundlage, den Seinsbegriff, inhaltlich so stark ausgedünnt, dass davon nicht mehr übrig bleibe als die immer gleiche Tautologie „des bloßen Namens“ (121). Heideggers Empiriefeindlichkeit, die sich in Husserls Phänomenologie bereits vorgebildet finde, resultiere aus seiner Unterschlagung der Tatsache, „daß kein Sein gedacht werden kann ohne Seiendes und kein Seinendes ohne Vermittlung […]: die Momente, die nicht sind, ohne daß das eine vermittelt wäre durch das andere, sind ihm unvermittelt das Eine, und dies Eine positives Sein“ (121).
Die „Ontologisierung des Ontischen“ (122), d. h. die Erklärung des Seienden zum Wesen, die Heidegger den bruchlosen Übergang vom Begriff des Seienden zu dem des Seins erst ermögliche, sei erschlichen. Denn sie arbeite mit der im Platon-Buch vollzogenen Einebnung des Unterschieds von Existenz und Essenz, was einen Rückfall in das archaische Denken der ionischen Hylozoisten bedeute. Diese mythologisierende Ineinssetzung von Tatsächlichem und Metaphysischem impliziere darüber hinaus eine unhaltbare Subsumierung der weitgehend rationalisierten Gestalten der geschichtlichen Wirklichkeit des zwanzigsten Jahrhunderts unter die mythische „Blindheit des Naturzusammenhangs“ (125).
So zutreffend Adornos Kritik an Heideggers unzureichender begrifflicher Differenziertheit auch sein mag, so ist doch derselbe Vorwurf auch an ihn selbst zu richten. Sein Satz etwa, dass „[d]ie Geschichte des Denkens […], soweit sie irgend sich zurückverfolgen läßt, Dialektik der Aufklärung“ sei (124), soll kritisch alle aufklärerischen Denkprojekte, Forschungen, Unternehmungen für unzulänglich erklären, die wider Willen einen anti-aufklärerischen Effekt oder eine entsprechende Folgewirkung hervorrufen. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Unterstellung eines allgemeingültigen Mechanismus, auf dessen Grundlage Aufklärung zwangsläufig in Mythologie umschlage. Diese Supposition einer ‚Dialektik der Aufklärung’89 ist jedoch nicht weniger irrational als Heideggers Zusammendenken von Natur und Geschichte im Begriff des allumfassenden Seins und führt zu derselben Schicksalsergebenheit. Gegen Adornos Vorgehen ist zu erinnern, dass wirkliche Aufklärung auch dann nicht schlicht falsch gewesen ist, wenn sie nicht aufgeklärte oder gar mythische Folgen hatte. Vielmehr war sie dann eben nur noch nicht aufgeklärt genug. Dass echte Aufklärung stets korrekturfähig und auch -bedürftig ist, erlaubt noch nicht die Behauptung eines in ihr selbst liegenden, sie in ihr Gegenteil verkehrenden Mechanismus. Vielmehr ist festzuhalten, dass Mythos und Irrationalität längst der Geschichte angehören würden, wenn vollkommene Aufklärung realisiert wäre. Daher ist auch Adornos Diagnose der „rationalisierten Gestalt der Wirklichkeit“ (124), in der die gegenwärtige Gesellschaft aufgehe, zu widersprechen. Wie wenig diese These einer vollkommenen Rationalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse zutrifft, kann an Phänomenen wie den Anschlägen religiös motivierter Selbstmordattentäter, aber auch den widersprüchlichen und wechselnden Erklärungen der amerikanischen Regierung über ihre Gründe für den Irakkrieg abgelesen werden.
Wenn also Adornos negative Dialektik als wirkliche Aufklärung verstanden werden will, muss sie von den geschichtsphilosophisch-holistischen Annahmen der Dialektik der Aufklärung befreit werden. Nur so ist es möglich, tatsächliche Geschichte negativ-dialektisch, das aber heißt: kritisch zu interpretieren. Der metaphysische Negativismus, der auf einer zwangsläufigen Verkettung von Aufklärung und Mythologie insistiert, steht dem nur im Wege.
Eine weitere Besonderheit von Adornos Heideggerinterpretation besteht in seiner Behauptung einer strukturellen Vorprägung Heidegger’scher Denkfiguren in der Philosophie Hegels. Der Versuch Heideggers, die als solche sinnlose Existenz, die lediglich eine Gestalt des Seienden darstellt, durch deren besondere ontologische Auszeichnung als ‚Dasein‘ zu einer Gestalt des Seins zu erheben und dadurch als sinnerfüllt zu erklären, werde vorweggenommen durch Hegels ontologische Bestimmung des Ontisch-Nichtbegrifflichen als Begriff. In der Hegel’schen Logik werde „das Nichtidentische [Nichtbegriffliche, U. M.] … zur Identität gebracht“ (125). Damit parallelisiert Adorno Heideggers Unterordnung des Seienden unter das Sein mit Hegels Unterordnung des Nichtidentischen unter die Identität. Wie Heidegger in Adornos Augen im Begriff des Daseins die realen menschlichen Bestimmungen abstrahierend verfälscht und damit für das System der Seinsphilosophie kompatibel macht, so abstrahiert Hegel von den wirklichen Bestimmungen des unbestimmt Unbegrifflichen, indem er es mit dem Begriff der Unbestimmtheit belegt und damit in seiner eigenen Qualität verfehlt.90
Adornos Parallelisierung Hegels und Heideggers ist nicht unproblematisch. Dies wird allein schon daran erkennbar, dass Adornos Zentralbegriff des ‚Nichtidentischen‘ bei Hegel an nur wenigen Stellen auftritt91 und für Heidegger überhaupt keine Bedeutung besitzt. Selbst wenn große Bedeutungsüberschneidungen zwischen Adornos Nichtidentischem und Heideggers Sein eingeräumt würden, dürfte das Bedeutungsspektrum, das Adorno mit diesem Begriff verbindet, bei weitem umfang- und facettenreicher sein als bei Heidegger und Hegel. Offenbar glaubt Adorno, bei Hegel einen Begriff des Nichtidentischen zu erkennen, der im Grunde die Verschiedenheit des „[nichtbegrifflichen, U. M.] Andere[n]“ gegenüber „allen seinen [begrifflichen, U. M.] Identifikationen“ (126) bezeichnet. Dieses Andere sei zwar auch wiederum insofern als ein ‚Identisches‘ aufzufassen, als es als Anderes begrifflich vermittelt sei, womit offenbar gemeint ist, dass es nur mit Hilfe von Begriffen erkennbar ist. Doch bleibe am Nichtidentischen stets ein nichtbegrifflicher, d. h. nicht eindeutig oder vollständig fixierbarer Anteil zurück. Diesem Umstand jedoch trage Hegel in der Durchführung seines Begriffssystems nicht Rechnung, sondern versuche vielmehr, auch diesen nicht fixierbaren Rest des Nichtidentischen wiederum vollständig in die Begriffe seines Systems aufzulösen und damit dessen nichtbegriffliches Moment zum Verschwinden zu bringen:
Hegels absolutes System, das auf dem perennierenden Widerstand des Nichtidentischen beruht, negiert, gegen sein Selbstverständnis, sich selbst. Wahrhaft ist ohne Nichtidentisches keine Identität, während diese, als Totale, bei ihm doch den ontologischen Vorrang an sich reißt. Dazu verhilft die Erhebung der Vermitteltheit des Nichtidentischen zu dessen absolut begrifflichem Sein. Anstatt daß Theorie in Begriffen das Unauflösliche zu dem Seinen bringt, verschluckt sie es durch Subsumtion unter seinen Allgemeinbegriff, den der Unauflöslichkeit. Das Verwiesensein von Identität auf Nichtidentisches, wie Hegel beinahe es erreichte, ist der Einspruch gegen alle Identitätsphilosophie“ (127).
Ähnliches geschehe bei Heidegger, der sich des nichtbegrifflichen Ontischen (Nichtidentischen) durch dessen Ontologisierung (Identifizierung) im Begriff des Seins als der reinen Identität zu vergewissern suche, aber gerade dadurch dessen Unbestimmtes, Nichtfestlegbares, Offenes vernichte. Ziel der Heidegger’schen Ontologisierung des Ontischen sei die Entwicklung eines platonisch erhöhten Begriffs der Existenz, der mit Kierkegaards Begriffsprägung nur noch wenig gemein habe. Bei Kierkegaard sei der Existenzbegriff noch fest verbunden gewesen sei mit dem „Einspruch gegen einen Zustand von Gesellschaft und szientifischem Denken, der unreglementierte Erfahrung, virtuell das Subjekt als Moment von Erkenntnis austreibt“ (129). Auf dieser Linie liege auch Kierkegaards „Protest gegen die Philosophie“, insbesondere Hegels Panlogismus, der in der Konsequenz „gegen das verdinglichte Bewußtsein“ (ibid.) als solches gerichtet gewesen sei. In der existentialistischen Schulphilosophie Frankreichs hingegen habe der Existenzbegriff seinen kritischen Stachel zusehends verloren, indem er einerseits als Subjektivitätsbegriff isoliert und andererseits als Ganzheitsbegriff einer integralen Anthropologie hypostasiert worden sei. Gegen diese beiden Tendenzen einer Ontologisierung und Verselbständigung des Begriffs der Existenz gelte es, dessen kritische Funktion zu rehabilitieren:
„Existenz ist ein Moment, nicht das Ganze, gegen welches sie ersonnen ward und von dem sie, abgesprengt, die uneinlösbare Prätention des Ganzen an sich riß, sobald sie zur Philosophie sich stilisierte. Daß nicht sich sagen läßt, was der Mensch sei, ist keine besonders erhabene Anthropologie sondern ein Veto gegen jegliche“ (130).
Adornos Kritik an Heidegger, Sartre und Jaspers richtet sich gegen ihr Verfahren, im Rahmen ihrer existenzialistischen Philosophien den Existenzbegriff abstrahierend zuzurüsten und damit jeglicher unreglementierten Erfahrung und raumzeitlichen Faktizität zu berauben. So wie Hegel das Nichtidentische zum Begriff der Nichtidentität umdeutet und glaubt, es dadurch in sein System einpassen zu können, verklärt Heidegger die tatsächliche menschliche Existenz zu ‚Dasein‘ und behauptet sie daraufhin als besondere Seinsweise des zuvor bereits mythisch aufgeladenen Seins. Damit jedoch ist Adorno zufolge Existenz nicht mehr an raumzeitliche Individuation als deren konkrete ontische Bedeutung gebunden, sondern wird vielmehr ontologisch „als Logos“ ausgedeutet (131).
Indem Heideggers Seinslehre das Seiende durch dessen Ontologisierung seines unbegrifflichen Aspekts enteigne, kassiere sie zugleich dessen reale Geschichtlichkeit. Die Ansetzung eines ‚Existentials‘ der Geschichtlichkeit solle dies zwar kompensieren, jedoch verdingliche stattdessen reale Geschichte durch deren Reduktion auf einen abstrakten Begriff. „Geschichtlichkeit stellt Geschichte still ins Ungeschichtliche, unbekümmert um die geschichtlichen Bedingungen, denen innere Zusammensetzung und Konstellation von Subjekt und Objekt unterliegen“ (135).
Wie überall in der ND wird Adorno auch hier nicht müde, die tatsächliche geschichtliche Bedingtheit allen Philosophierens und Denkens zu betonen. Seiner Ansicht nach ist der Existenzbegriff philosophisch nur dann sinnvoll zu denken, wenn er als Begriff eines radikal Zeitlichen und Vergänglichen aufgefasst wird. Dies impliziert zugleich die Zurückweisung unhistorisch gedachter Begriffe wie Zeitlichkeit, Vergänglichkeit oder Geschichtlichkeit92, die in der Existenzphilosophie als unveränderliche Existentialien konzipiert werden. Die in ihnen verborgene Gefahr einer unkritischen Glorifizierung historischer Situationen hat sich anhand der Anfälligkeit der Seinsphilosophie für verhängnisvolle politische Folgerungen gezeigt.93