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Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter Neue Medien

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Unserer Tage unterliegt die Öffentlichkeit erneut einem radikalen Strukturwandel, der die Voraussetzungen öffentlicher Kontroversen selbst berührt. Insbesondere das Fernsehen und die damit verbundenen Logiken der Selbstinszenierung haben die intellektuelle Öffentlichkeit ganz wesentlich verändert. Ein neuer Typus des Medienintellektuellen hat sich etabliert und den klassischen Intellektuellen vertrieben. Noch viel mehr Raum zur Selbstinszenierung bieten inzwischen das Internet und die sogenannten sozialen Medien. Gleichzeitig sind damit ganz neue Debattenräume und Öffentlichkeiten entstanden, haben sich Diskurse internationalisiert und stellt sich die Frage, wo sich derzeit Intellektualität eigentlich artikuliert.

Gute und schlechte Nachrichten verbreiten sich heute in Windeseile im Netz und mittels des Like-Buttons bilden sich sogleich Schwärme von Followern und Friends, bis diese weiterziehen zur nächsten Aufregung, zur nächsten Neuigkeit. Alle sind auf diese Weise schneller und umfassender darüber informiert, was los ist in der Welt, doch ausführliche Analyse und Deutung geraten aufgrund des Aktualitätsdrucks entweder ins Hintertreffen oder finden in Chatrooms oder Blogs mit geringer Reichweite statt. Eine allgemeine Öffentlichkeit als Bezugsgröße für statthabende gesellschaftliche Diskurse waren früher die Leitmedien in Print, Funk und Fernsehen, die zuweilen Debatten erst initiierten wie z.B. den Historikerstreit Mitte der 1980er-Jahre. Mit dem Internet hat sich die Medienlandschaft diversifiziert und fragmentiert. Trotz ihrer Wirkmacht als Orte der Kritik, Interessensbekundung und Mobilisierungskraft – im guten wie im schlechten Sinne – bilden und bedienen die sozialen Medien nur Teilöffentlichkeiten und sind keine Plattformen einer allgemeinen Öffentlichkeit. Blogs, ihre Fans und Follower schaffen immer weitere, sich selbst bestätigende Milieus im Netz, die sich kollektiv abschotten, uniformer werden und politischer Lagerbildung Vorschub leisten. Paradoxerweise sorgen daher die Gruppenbildung oder – zugespitzt – die Kollektivierungsprozesse im Netz dafür, dass die politische Vielfalt der Meinungen und Positionen schrumpft. Techniken der Schwarmbildung und politische Polarisierungsprozesse sind dabei eng miteinander verschränkt.

Aus der großen Begeisterung einstiger Internet-Pioniere wie Jaron Lanier oder Sascha Lobo ist längst große Skepsis und Kritik geworden. Diese vermählt sich zuweilen mit kulturkonservativen Elementen, die in der digitalen Revolution ein die abendländische Kultur zerstörendes Teufelswerk sehen. Anführer in diesem Streit um die Folgen der Digitalisierung und die Ausweitung der Herrschaft der neuen Internet-Monopolisten war Frank Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Auch wenn man seine Positionen nicht teilte, waren die von ihm angestoßenen Kontroversen ein Gewinn für die Öffentlichkeit. Schnittflächen mit dieser Kulturkritik findet bis heute auch die Kritik von links, die einen Sieg des Neoliberalismus ausmachen will, der mit seinem ungezügelten Fortschrittswahnsinn, konzentriert im digital-militärischen Komplex, die Menschheit ins Verderben stürzen werde. Harald Welzer spricht apokalyptisch von einem „informationellen Totalitarismus“, der längst herrsche. Die Skepsis hat selbst bedächtigere Zeitgenossen so weit getrieben, dass sie wie Hans Magnus Enzensberger dazu raten, das Smartphone zu entsorgen und gegenüber der digitalen Welt die größtmögliche Enthaltsamkeit zu üben.

Digitalisierung, Globalisierung, Vernetzung und die rasende Beschleunigung haben die gesamte Struktur der Medienbranche gravierend verwandelt und traditionelle Medien, auch den Buchhandel und Verlage, in eine tiefe Krise gestürzt. Der außerordentliche Konkurrenz- und Innovationsdruck beschleunigte zudem die Boulevardisierung, Personalisierung, Visualisierung, Emotionalisierung und Skandalisierung in den Medien. Als erfolgreich angesehen wird eine Berichterstattung über Ereignisse, ob lokal, national oder international, ob in privaten Medien oder im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wenn die Quote beziehungsweise die Auflage steigt und die Anzahl der Klicks sich erhöht. Alarmismus und Dauererregung verringern jedoch beständig den Raum für kühle und ruhige Analyse. Der Demokratisierungsprozess des Internets, in dem das weltweite Wissen immer breiter geteilt werden kann, hat einerseits neue Kommunikations- und Kulturtechniken und eine immense Vervielfachung der Foren politischer Meinungsbildung hervorgebracht. Der Perlentaucher als Online-Kulturmagazin zum Beispiel wählt redaktionell aus, worüber er informiert, vernetzt international und ist gewissermaßen Mittler zwischen den analogen und digitalen Medien geworden. Er verlinkt mit Print- und Hörfunkmedien, verknüpft Debatten und initiiert auch eigene. Die Salonkolumnisten verstehen sich ebenfalls als Impulsgeber für gesellschaftliche Kontroversen. Die Bandbreite des Angebots ist inzwischen immens.

Der digitale Strukturwandel der Öffentlichkeit hat zum anderen aber auch Deprofessionalisierungstendenzen in Gang gesetzt: Jeder kann und weiß alles, jeder ist Autor und bastelt sich sein Weltbild zusammen, das er sich in seiner Community permanent bestätigen lassen kann. Auch Politik und Politiker nutzen für die eigene mediale Selbstinszenierung immer gekonnter neue Medien. Sitzungen und Veranstaltungen finden nun immer häufiger zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, das heißt, Journalisten sind nicht zugelassen. Anschließend werden die selbst aufgezeichneten Videos entweder direkt über soziale Medien verbreitet und/oder Fernsehsendern angeboten, um über die Inhalte die Macht und Kontrolle zu behalten. Das sei moderne Kommunikation, verteidigte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer diese Vorgehensweise. Allerdings geht diese einher mit der schleichenden Aushöhlung der Vierten Gewalt.

Das Schweigen der Mitte

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