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Streit um die Meinungsfreiheit Meinungsfreiheit unter Druck

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Im Zuge der demokratischen Revolutionen im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts wurden nicht nur der Rechtsstaat und die repräsentative Demokratie erkämpft. Das Aufbegehren der Bürger gegen Kirche und Obrigkeit und gegen die obwaltende Zensur war immer verbunden mit dem Kampf für die Freiheit der Meinung und des Wortes. Sie war der Motor für diesen Freiheitskampf und ist bis heute Essenz der Demokratie und konstitutives Element unserer liberalen Gesellschaft. Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland verfassungsrechtlich im Art. 5, Absatz 1 des 1949 verabschiedeten Grundgesetzes geschützt. Der erfolgreiche Sieg der Demokratie über die Diktaturen in Deutschland und Europa im letzten Jahrhundert, die Wiedervereinigung des europäischen Kontinents und die lange Zeit kontinuierliche Wohlstandsmehrung schufen den Eindruck, unsere freiheitlichen Errungenschaften und Standards seien unverwundbar und unumkehrbar. Doch seit einigen Jahren geraten sie von außen, aber auch von innen unter starken Druck.

Der jährliche Report des international hoch angesehenen Freedom House in Washington sieht für 2018 die Demokratie global in einer großen Krise „Das Recht, Politiker in freien und fairen Wahlen zu wählen, die Pressefreiheit und die Rechtsstaatlichkeit … sind weltweit unter Beschuss und auf dem Rückzug.“ Für die USA beobachtet das Institut eine zunehmende Erosion der demokratischen Standards, gerade auch im Hinblick auf die Meinungs- und Pressefreiheit. Auch der jährliche Bericht und das Ranking der „Reporter ohne Grenzen“ stimmt nicht optimistisch: Sie zeigen, dass von den 180 untersuchten Ländern zwei Drittel schlechte Bedingungen für die Meinungs- und Pressefreiheit aufweisen. Und ausgerechnet in Ungarn und Polen schränken nach den erfolgreichen friedlichen Revolutionen von 1989 autokratische Führer diese Freiheiten wieder ein. Deutschland ist in dieser Rangliste auf Platz 16, also vergleichsweise gut aufgestellt, den letzten Platz nimmt Nordkorea ein. Umso erstaunlicher ist es, das in einer liberalen Demokratie wie der unseren die Zweifel an der Realisierung und Wirkmächtigkeit der Meinungsfreiheit in den letzten Jahren zugenommen haben.

Seit dem Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh in Amsterdam 2004, dem Streit über die Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitschrift Jyllands-Posten 2006 und dem islamistischen Terroranschlag auf die Pariser Redaktion von Charlie Hebdo 2015, bei dem zwölf Menschen, darunter fünf prominente Karikaturisten aus dem Redaktionsteam der Zeitschrift, einschließlich des Herausgebers umgebracht wurden, ist weltweit ein großer Streit über die Meinungsfreiheit und ihre Grenzen entbrannt. Auch in Deutschland entzündet er sich immer wieder neu an sehr unterschiedlichen Gegenständen, nicht nur wegen der vermeintlichen Verletzung religiöser Gefühle. Wie viel Meinungsfreiheit ist der Demokratie zuträglich und wie viel davon erlaubt sie sich heute?

Gestritten wurde um die Grenzen und deren vermeintliche Überschreitung auch schon zu Zeiten, als die Durchsetzung und demokratische Verfasstheit der Meinungsfreiheit noch recht jung war. Der englische, debattenfreudige Philosoph John Stuart Mill – wahrlich ein public intellectual – hat in seiner Schrift On Liberty 1859 nicht nur die Prinzipien der Meinungsfreiheit stark gemacht. Er grübelt darin auch schon über die damit verbundenen Schwierigkeiten: „Es ist schon sonderbar, dass Leute die Gültigkeit der Gründe der Meinungsfreiheit anerkennen, sich aber dagegen verwahren, dass man ihre Anwendung ‚aufs Äußerste treibe‘, ohne zu erkennen, dass, wenn diese Gründe nicht für äußerste Fälle taugen, sie überhaupt nicht taugen.“

Und es schien sich gerade nach den Erfahrungen der Diktaturen im letzten Jahrhundert die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass die Meinungsfreiheit und die Pluralität unterschiedlicher Standpunkte, die sich reiben, zentrale Säulen unserer offenen, freiheitlichen Gesellschaften sind. Auch wenn dies zuweilen mit harten, schwer verdaulichen Zumutungen und Anfechtungen einhergeht. Darf tatsächlich jeder lauthals seine Meinung sagen, auch wenn sie abstrus und blöd, geschmacklos oder beleidigend ist?

Der seit 2011 erhobene Freiheitsindex Deutschland des John Stuart Mill Instituts hat gezeigt, dass die Kluft zwischen veröffentlichter Meinung in den führenden Printmedien und der Meinung der Bevölkerung immer größer geworden ist. Zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise war der Anteil derjenigen Bürger, die sagten, man könne seine politische Meinung frei äußern, auf dem niedrigsten Stand seit 1990. (Vgl. Ackermann 2016) Die Rede von der Alternativlosigkeit politischer Wege und der Versuch der Großen Koalition, innerhalb ihrer Parteien, aber auch in der Gesellschaft die Diskussion zum Beispiel über die Euro-Rettung oder über Migration und Integration möglichst klein zu halten, hatte die Kluft zwischen Bevölkerung, Leitmedien und politischer Klasse vergrößert und die Vertrauenskrise weiter befördert. Die AfD profilierte sich als Alternative zur politischen Klasse und der unterstellten einheitlichen Dominanz des sogenannten Mainstreams und war mit ihren Wahlerfolgen hauptsächliche Profiteurin der verhinderten Diskussionen und Tabuisierungen. Obwohl doch, wie jeder Politprofi wissen müsste, die politische Willensbildung und Problemlösung gerade im Austausch unterschiedlicher Argumente und Sichtweisen und auch in der Kontroverse gründet.

Das Schweigen der Mitte

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