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Veränderungen intellektueller Berufe
ОглавлениеIn dieser großen Umwälzung der Öffentlichkeit und Neusortierung ihrer Akteure scheinen die Intellektuellen in der gesellschaftlichen und medialen Wertschätzung immer weiter zu sinken. Dem „freischwebenden Intellektuellen“, wie ihn Georg Simmel Anfang des 20. Jahrhunderts dachte, ist die materielle Existenzgrundlage inzwischen weitgehend abhandengekommen. Mit den seit den 1990er-Jahren rückläufigen Auflagen großer deutscher Printmedien und der strukturellen Medienkrise im Zuge der digitalen Revolution, vergaben die Redaktionen immer weniger Aufträge nach außen und überließen zunehmend den eigenen Redakteuren die Einlassungen in gesellschaftliche Debatten. Eine ähnliche Entwicklung war auch in den vergleichsweise gut ausgestatteten staatlichen Rundfunkanstalten zu beobachten. Vielen freien Autoren brachen im Zuge dieser Entwicklung dramatisch die Honorarchancen weg. Auch die Verlags- und Buchhandelskrise macht es freien Autoren, die sich jenseits des gut gehenden Marktsegments der Krimi- und Ratgeberliteratur bewegen, in den letzten Jahren immer schwieriger, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Darüber hinaus müssen sie sich den Auftragsmarkt mit den zuhauf freigesetzten Journalisten teilen.
Intellektuell profilieren könnten sich daher vor allem institutionell abgesicherte Akademiker. Doch in den 1960er- bis 1980er-Jahren hatten Universitätsprofessoren offensichtlich mehr Lust auf Interventionen in gesellschaftliche Debatten und positionierten sich weitaus stärker als öffentliche Intellektuelle. An den friedlichen Revolutionen in Ostmitteleuropa, dem Fall des Eisernen Vorhangs und der deutschen Wiedervereinigung entzündeten sich noch lebendige akademische Debatten. Etwa Francis Fukuymas’ Werk Ende der Geschichte von 1989, in dem er den Sieg der Freiheit und Demokratie als eine endgültige Angelegenheit betrachtete, führte noch zu Kontroversen, die nur allmählich verebbten. Inzwischen ist es an den Universitäten ruhiger, ist ihre Ausstrahlung nach außen und in die Gesellschaft hinein blasser. Für eine erfolgreiche Hochschulkarriere scheint es wegen der aufwendigen Berufungsverfahren günstiger, sich eher bedeckt zu halten mit öffentlichen Äußerungen jenseits des engen Fachgebiets. Und nach der Berufung sind Professoren derart eingebunden im akademischen Alltagsbetrieb, das kaum noch Zeit bleibt für öffentliche Interventionen. Oder fehlt auch der Mut dazu? Der 1999 eingeleitete Bologna-Reformprozess hat sicher seinen Anteil daran: Die in Bologna verabschiedete Erklärung war der Beginn einer transnationalen Hochschulreform, die europaweit Studiengänge und -abschlüsse harmonisieren wollte, um eine einheitliche Hochschullandschaft zu schaffen und die internationale Mobilität der Studierenden zu fördern. Kritiker sahen in der Folge die fahrlässige Preisgabe der Humboldt’-schen Bildungsprinzipien mit gravierend negativen Auswirkungen auf den gesamten Hochschulbetrieb und Lehre und Forschung. Die Verschulung der Studiengänge hatte immer weniger mit Erziehungsidealen wie der Herausbildung der Persönlichkeit, ein profundes Allgemeinwissen und die Herausbildung der Urteilsfähigkeit zu tun. Auch die akademische Freiheit blieb davon nicht unberührt. Die Zeit für Lehre und Forschung reduzierte sich erheblich zugunsten der Beschaffung von Drittmitteln und von Evaluierungen, und für intellektuelle Aktivitäten jenseits des akademischen Betriebs blieb immer weniger Raum.
Trotz der geschilderten Veränderungen intellektueller Berufe ist die Figur des Intellektuellen auch in Zeiten einer digitalen Öffentlichkeit noch nicht abgeschafft. Der amerikanische Soziologe Richard Sennett, der über Jahrzehnte die Rolle des öffentlichen Intellektuellen formidabel ausfüllte, hat auf einer Konferenz über die Digitale Revolution und ihre Folgen 2019 eine sehr originelle Einlassung geliefert. Nicht der erwartete Redebeitrag war von ihm zu hören, sondern die Einspielung einer Cello-Sonate von Johann Sebastian Bach. In seinen weiteren Ausführungen über die Sinnlichkeit im Erkenntnisprozess betonte er, an die menschliche Erfahrung und Analyse der Gesellschaft reiche die künstliche Intelligenz nicht heran. Anschließend begann er zu summen. War das nun altersbedingte Resignation verbunden mit Kontemplation oder eine vornehme Protestnote, welche die sinnliche Erfahrung als Grundlage und Anstoß für intellektuelle Innovation öffentlich gegen die Zeitläufte behaupten will?
In Deutschland wird indes weiter gestritten, auch noch von „Großköpfen“, die sich auf sehr unterschiedlichen Feldern öffentlich einmischen. Und zuweilen wird es auch wieder grundsätzlich – wie der anhaltende Streit über die Meinungsfreiheit zeigt. Einige sind als kritische Intellektuelle im Verständnis von Pierre Bourdieu unterwegs, andere profilieren sich als gut bezahlte Medienintellektuelle wie etwa der zum erfolgreichen geistigen Unternehmer gewordene Richard David Precht. Zu suchen wären die „demokratischen Intellektuellen“, wie sie Olivier Mongin definierte, die sich jenseits der Polarisierungen zu Wort meldeten. Und gibt es bei uns noch jene Intellektuellen als „engagierte Beobachter“ in antitotalitärer Tradition, die Ralf Dahrendorf bewunderte?