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Prolog
Der magische Spiegel

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Inthan saß dösend in einem bequemen Sessel vor seinem Spiegel, wie immer, wenn er nicht gerade an einer seiner Erfindungen arbeitete. Mehr als viertausend Jahre steckte er nun schon zwischen den beiden Welten der Menschen und der Elben fest, seit das magische Drachentor im Feuersturm zerbrochen war, und es schien keine Möglichkeit zu geben, dem ewig Gleichen zu entfliehen. Nur seine Katze Cleo leistete ihm Gesellschaft und vertrieb ein wenig seine Einsamkeit. Vielleicht wäre Inthan in seinem unterirdischen Labyrinth irgendwann verrückt geworden oder hätte einfach aufgehört zu leben, wenn es ihm nicht gelungen wäre, ein Fenster zu den beiden Welten zu erschaffen. Der magische Spiegel zeigte ihm die Menschen, Elben und Zwerge. Er huschte durch alltägliche Szenen und große Ereignisse. Meist waren nur die Bilder zu sehen, doch in letzter Zeit drangen immer häufiger Satzfetzen und Geräusche in Inthans Labyrinth. Leider sprang der Spiegel willkürlich durch Orte und Zeiten, so dass der Magier die Szenen nur selten zuordnen konnte. Und immer, wenn es besonders spannend wurde, verblassten die Bilder, und der Spiegel wandte sich etwas anderem zu. Es war zum Verrücktwerden! Manchmal musste Inthan Jahre warten, bis er sah, wie eine Geschichte weiterging, und manches Mal erfuhr er es nie.

An diesem Morgen zeigte der Spiegel nichts Besonderes. Es war düster. Nur schemenhaft waren ein paar Konturen zu erkennen: ein steinerner Raum, der vielleicht einmal eine Halle gewesen, nun jedoch fast völlig eingestürzt war. Ganz vorn war ein Teil einer geborstenen Säule zu sehen. Glassplitter lagen in einem Kranz auf dem Boden, so als blickte der Betrachter durch ein zersprungenes Fenster in den Raum. Kein Lebewesen regte sich. Kein Laut drang durch den Spiegel.

Inthan gähnte und schloss die Augen. Bald gingen seine regelmäßigen Atemzüge in ein leises Schnarchen über. Cleo hatte sich auf seinem Schoß zusammengerollt und putzte sich. Die raue Zunge fuhr über das kurze, getigerte Fell ihrer Beine bis zu den Tatzen. Sie spreizte die Krallen und säuberte sorgfältig die weichen Ballen. Im Spiegel war immer noch nichts zu sehen. Cleo streckte sich, machte einen Buckel und bohrte ihrem Herrn die Krallen in den Oberschenkel. Inthan fuhr aus dem Schlaf.

»Was ist los?« Sein Blick fiel auf den noch immer dunklen Spiegel. Mit einem Seufzer ließ er sich zurücksinken. »Ich habe dir gesagt, du sollst mich erst wecken, wenn etwas Spannendes passiert!«

Maunzend sprang die Katze von seinem Schoß und schlenderte in Richtung der Kammer, die der Magier als Küche nutzte.

»Du hast doch nicht etwa schon wieder Hunger? Verfressenes Vieh!« Kopfschüttelnd sah er der Katze nach. Dann räkelte er sich und stemmte sich aus den Polstern hoch.

»Wir werden zu faul«, sagte er und ließ die Finger knacken. »Vielleicht sollte ich meinen Golem ein wenig verfeinern.« Er trat an eine eiserne Statue heran, die in einer Ecke stand, und betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. Bald war der Magier so in seine Arbeit vertieft, dass er nicht bemerkte, wie Cleo zurückkam und sich auf seinem Sessel niederließ. Er merkte auch nicht, dass das Bild im Spiegel sich aufhellte. Von irgendwoher fiel plötzlich ein Streifen Licht in den Raum, der sich auffächerte und die Farben eines Wandteppichs erstrahlen ließ. Staub wirbelte in einer Wolke auf und legte sich dann sacht auf den zerborstenen Boden. Cleo zuckte mit den Ohren. War es ihr zuerst so vorgekommen, als hätte sie ein fernes Poltern vernommen, so schien es ihr nun, als dränge eine fremde Stimme an ihr Ohr. Eine Frau, die sie noch nie gehört hatte. Die Katze hob den Kopf. Eine Gestalt trat ins Bild: eine junge Frau in einem schlichten, langen Kleid, das Haar zu einem Knoten geschlungen. Glassplitter knirschten unter ihren Schuhen, als sie näher trat. Nun sah die Katze, dass ihr Haar die Farbe von Kupfer hatte, die Augen dagegen waren schwarz und von langen Wimpern gerahmt, ihre Wangen blass.

Sie stand für eine Weile bewegungslos da, und es schien, als würde sie Cleo direkt in die Augen sehen. Die Pupillen der Katze weiteten sich, ihr Schwanz zuckte nervös, obwohl sie inzwischen gelernt hatte, dass die Wesen hinter dem Spiegel nicht wirklich dort waren. Selbst der Drache, den sie ab und zu sah, flößte ihr keine Furcht mehr ein. Und doch war es heute anders. Es war Cleo, als könnte sie die Frau riechen!

»Wo bist du?«, kam eine besorgte Stimme aus dem Hintergrund. »Hast du etwas gefunden?« Gedämpft und wie durch dichten Nebel, aber für das feine Gehör der Katze deutlich zu verstehen.

»Hier steht der geborstene Spiegel«, antwortete die Frau. »Es ist seltsam. Komm und sieh es dir an. Das Glas ist zersprungen, aber es ist etwas dahinter.«

Beim Klang ihrer Stimme fuhr Inthan von seiner Arbeit auf und starrte den Spiegel an. Die rothaarige Frau trat noch ein Stück näher.

»Es ist alles so trüb, aber ich kann eine Katze erkennen, die auf einem Sessel liegt.« Inthan stöhnte auf und klammerte sich an der hohen Lehne fest.

»Und da ist ein Mann in einem geflickten grauen Gewand. Er ist alt und hat einen langen Bart und langes Haar, das ihm über die Brust hängt. Seine Augen sind blau, und er sieht mich an, als hätte er sich zu Tode erschreckt!«

Das Drachentor

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