Читать книгу Die Herrin der Burg - Ulrike Schweikert - Страница 10
KAPITEL 3
ОглавлениеBald war die Zeit vorüber, da sich die Mädchen unter dem Tisch verstecken konnten, um den Geschichten der Ritter zu lauschen.
Sie wuchsen zu hübschen Jungfrauen heran, beide groß und schlank, mit kleinen Brüsten, reiner Haut, blondem Haar und blauen Augen, die von Gret vielleicht ein wenig dunkler und ausdrucksvoller. Auch war ihre Gestalt bereits mit vierzehn Jahren mehr die eines Weibes, während Tilia schlanker – biegsamer – an eine Weide am Fluss erinnerte. Ihre Hände waren weiß und schmal, die von Gret dagegen rot und rissig.
Im Frühling nach Tilias vierzehntem Geburtstag starb Pater Seifrieds jüngster Bruder. Daher machte sich der Geistliche für ein paar Wochen in seine Heimat nach Rottenburg auf, um der Witwe zur Seite zu stehen. Seinen strengen Augen für eine Weile entkommen, atmete die Ritterstochter erleichtert auf. Kaum war er unter dem Tor verschwunden, raffte sie den Rock und lief zu Gret, die vor der Küche auf dem Boden saß und eine Gans rupfte. Tilia ließ sich in den Staub sinken und schloss die Augen. Die wärmende Sonne im Gesicht, saß sie da und genoss die Ruhe.
»Da kommt Anna«, unterbrach Gret die Stille, als diese, eine Näharbeit unter dem Arm, aus dem Palas trat.
»O nein«, seufzte Tilia, doch Anna war anscheinend nicht auf der Suche nach der pflichtvergessenen jüngeren Schwester. Sie blinzelte in die grelle Sonne, sah sich um und schritt dann langsam auf einen Mauervorsprung zu. Die Steine schienen leidlich sauber, so dass sie sich vorsichtig niederließ. Sorgfältig breitete sie ihren zartgrünen Rock um sich aus und widmete sich dann ihrer Stickerei. Wolfram von Husen näherte sich vom Tor her kommend. Fröhlich winkte ihm Tilia zu. Er grüßte zurück, lenkte seinen Schritt jedoch zu Anna hinüber. Er verbeugte sich und sprach sie an, sie errötete, schlug die Augen nieder und antwortete so leise, dass er sich vorbeugen musste, um sie zu verstehen.
»Warum kommt er nicht zu uns?« Unruhig rutschte Tilia hin und her. Sie wollte aufspringen, doch Gret hielt sie zurück.
»Der Ritter wird schon kommen, wenn er sich mit dir unterhalten will.«
Wolfram von Husen setzte sich zu Anna auf den Mauervorsprung und erzählte ihr etwas, das ihr immer wieder ein kurzes Lachen entlockte. Ab und zu sah sie ihn an, nur um schnell die Augen wieder niederzuschlagen. Als ihr Knäuel aus silbernem Garn vom Schoß rollte, sprang er sofort auf, um es ihr zu reichen. Nur kurz berührten sich ihre Fingerspitzen, doch die Wangen der Ritterstochter glühten.
»Er weiß ja noch gar nicht, dass der Pater weg ist«, fiel Tilia ein. Sie sprang auf und klopfte ungestüm den Staub aus ihrem Rock. »Ich muss ihm doch sagen, dass ich nun nicht den ganzen Tag in der Kemenate sitzen muss.« Mit großen Schritten überquerte sie den Hof. Gret sah ihr kopfschüttelnd nach.
»Ritter Wolfram, wie schön, dass Ihr zurück seid«, sprudelte sie hervor und strahlte ihn an. »Wie war Euer Ritt? Wie steht es mit den Ländereien? Ihr wart bei Eurer Familie? Welch Glück für uns, dass sie Euch nicht lange festhalten konnte. Habt Ihr schon gehört, der Bruder von Pater Seifried ist gestorben, und er ist nun nach Rottenburg gezogen.«
Wolfram kniff Tilia in die Wange. »Das scheint Euch nicht sonderlich zu betrüben.«
Tilia schüttelte den Kopf. »Ein paar Wochen ohne Psalmen werde ich genießen. Ich kann Gottes Schöpfung sicher auch hier in der Sonne loben.«
Der Ritter grinste und nickte. »Oh ja, auch wenn sich dann Eure Wangen röten und sich Euer Naschen mit Sommersprossen überzieht.«
Tilia rümpfte die Nase. »Das ist doch egal. So braun wie Gret werde ich sicher nicht.«
Anna beugte sich noch tiefer über ihre Arbeit. Die Lippen fest zusammengepresst, sagte sie kein Wort mehr, während Tilia mit dem Ritter lachte und scherzte. Sibylla setzte dem ein Ende, als sie beide Töchter zu sich rief.
»Wie konntest du so mit ihm sprechen!«, ereiferte sich Anna später, als die Schwestern in der Kemenate arbeiteten.
»Warum? Was habe ich denn getan?«, fragte Tilia verständnislos. »Solche Bemerkungen über seine Familie zu machen, wo seine Gattin doch im Kindbett gestorben ist.«
»Was?« Tilia ließ ihre Arbeit sinken. »Hat er dir das eben erzählt? Woher sollte ich davon wissen?«
Anna arbeitete eifrig weiter. »Nein, das habe ich schon vor zwei Monaten von ihm erfahren. Es war wohl kurz nach Aschermittwoch, als das Kind viel zu früh auf die Welt kommen wollte. Sie war mit ihrer Magd allein, der Schnee lag hoch, und so kam das Kind nicht richtig heraus. Beide starben.«
»Aber warum hat er mir das nicht gesagt?«, stotterte Tilia fassungslos.
»Vielleicht, weil du ihn nur über Ländereien und Ritter ausfragst«, bemerkte Anna spitz.
»Dass er dir das erzählt hat«, wunderte sich die Jüngere und schüttelte den Kopf. Sie schwieg eine Weile und dachte nach, dann stieß sie hervor:
»Hat er sich schon ein neues Weib gewählt?«
Anna senkte den Kopf tief über die Nadel und schüttelte den Kopf. »Nein, der Knabe ist vorläufig bei seinem Bruder untergebracht.«
Von da an schwieg sie eisern. Kein weiteres Wort mehr war ihr über den Ritter zu entreißen.
Es war schon lange dunkel. Der Mond hing silbern in den frischgrünen Buchen, als Hildebolt von Wehrstein in einer lauen Sommernacht vor Jakobi aus Haigerloch zurückkehrte. Der große Saal lag verwaist da, das Feuer im Kamin glühte nur noch leicht. Einige der Männer waren für den Abt von Kirchberg unterwegs, Wolfram von Husen mit seines Bruders Sohn Heinrich noch in Haigerloch. Die Mägde und Knechte, die zur Feldarbeit gebraucht wurden, schliefen in diesen Nächten meist im Gehöft der Wehrsteiner, das, nur ein kurzes Stück den ausgefahrenen Karrenweg hoch, auf der Ebene über dem Neckartal lag.
So trat der Herr in den leeren Saal, ließ den Mantel auf den Boden gleiten, warf sich in seinen lederbezogenen, hochlehnigen Sessel und legte die schlammbespritzten Harnischschuhe auf einen Hocker. Er sehnte sich nach einem kräftigen Schluck, war jedoch zu müde, noch einmal aufzustehen.
Das Knarren der hölzernen Stufen zum oberen Stock ließ ihn aufhorchen. Nur undeutlich nahm er eine schlanke Gestalt wahr, die leise die Treppe hinunterschlich, einen Umhang eng um die Schultern gezogen. Die Binsen raschelten unter ihren Füßen, als sie sich zur Tür hinübertastete.
»Tilia?«
Die Gestalt erstarrte. »Nein, Herr, ich bin es, Gret.«
»Was hast du mitten in der Nacht oben zu suchen?«, brummte der Hausherr, war jedoch offensichtlich nicht wirklich an einer Antwort interessiert, denn er fuhr gleich fort. »Komm her. Du kannst mir aus der Rüstung helfen und mir Wein bringen.«
Zögernd trat Gret näher. Sie entzündete zwei Kienspäne an der Glut im Kamin und steckte sie in die eisernen Halter an der Wand. Im Schein der Flammen schürte sie das Feuer, rückte einen Krug an die Glut heran und holte einen Tonbecher aus der großen Truhe im Eck. Der Edelfreie löste die Nesteln seiner langen Panzerstrümpfe und streckte dann Gret seine lehmverkrusteten Beinkleider entgegen. Sie versuchte, die engen Kettenstrümpfe herunter zu ziehen, doch die winzigen, sauber verarbeiteten Eisenringe rutschten ihr immer wieder aus der Hand. Als der Panzerstrumpf dann doch plötzlich vom Bein glitt, verlor Gret das Gleichgewicht und fiel nach hinten. Der Umhang rutschte von ihren Schultern. Fröstelnd zog sie ihn wieder um sich.
Trotz der warmen Sommernacht war es in dem alten Gemäuer empfindlich kühl. Es roch nach kaltem Rauch und ranzigem Fett. Die lieblichen Düfte der Nacht vermochten nicht die abgestandene Luft durch die winzigen Fensterschlitze hinauszudrängen.
Gret hob den achtlos weggeworfenen Mantel vom Boden auf und zupfte ein paar Halme ab. Sorgsam faltete sie ihn zusammen und legte ihn auf die Truhe. Dann brachte sie dem Ritter den gewärmten Wein. Er rutschte ein wenig in seinem Sessel vor, zog sich den Waffenrock über den Kopf, warf ihn in die Binsen und ließ sich dann, während er trank, die Lederbänder seines Ringpanzers von dem Mädchen lösen. Klirrend glitt das kunstvoll geschmiedete Geflecht aus Eisenringen zu Boden. Der Ritter seufzte erleichtert auf, das drückende Gewicht des kalten Metalls endlich von seinen Schultern nehmen zu können. In seinem knielangen leinenen Hemd saß er nun vor dem Feuer und trank Wein. Unschlüssig trat Gret von einem Fuß auf den anderen. Sie musste sich dringend draußen erleichtern, doch sie wagte nicht, sich unaufgefordert zu entfernen. Die nackten Zehen krallten sich um die pieksenden Halme. Fragend sah sie den Wehrsteiner an, dessen blonder Haarschopf entspannt an dem verschlissenen Leder ruhte, überragt von den Geweihen erlegter Hirsche, deren Schatten im unruhigen Fackellicht einen grotesken Tanz an Wand und Decke aufführten.
»Komm, hol dir einen Becher und trinke Wein mit mir«, forderte er das Mädchen auf.
In ihrer Magengrube kribbelte es warnend, doch was hätte sie tun sollen? Widerstrebend nahm sie sich einen Becher, füllte ihn bis zum Rand und stürzte ihn in einem Zug hinunter.
»He, he, nicht so hastig«, lachte der Ritter und streckte ihr seinen leeren Becher entgegen. »Sonst bleibt für mich ja nichts mehr übrig.«
Während er trank, betrachtete er das junge Gesicht. Warm flackernd ließ das Licht sie von einem zum anderen Augenblick vom Kind zur Frau werden. Zum ersten Mal in ihrem Leben sah er sie richtig an.
»Komm näher, Kind, stell dich hier ins Licht«, sagte er zwischen zwei Schlucken. Sein Blick glitt über das lange, blonde Haar, das, sonst unter groben Tüchern versteckt, in leichten Wellen bis zur Hüfte hing. Die dunkelblauen Augen wirkten fast schwarz und waren so weit aufgerissen, dass er sich selbst in ihnen zu sehen glaubte.
Mit der Linken griff er nach dem Umhang und zog ihn langsam von ihren Schultern. Er sah, wie sich die knospenden Brüste rasch unter dem locker geschnürten Hemd hoben und senkten. Achtlos fiel sein Becher zu Boden, und der Rest des Weines floss zwischen die Binsen.
»Mein Gott, sie ist ein richtig prächtiges Weib«, flüsterte er heiser und zog das sich sträubende Mädchen zu sich heran. Staunend und genießerisch wanderten seine großen Hände über die schmale Taille, zeichneten die Linien der sich rundenden Hüften nach, legten sich sanft auf die jungen Brüste. Gret atmete rasch. Ihr Blick irrte ziellos den tanzenden Schatten nach. Nur nicht auf den sich wölbenden Stoff in des Ritters Schoß sehen. Als Magd hatte ihre Seele schon lange die jungfräuliche Unschuld verloren. Wer des Winters im überfüllten Saal oder in dem neuen Anbau hinter der Küche schlief, mit Männern, Weibern und Kindern, der wusste bald um die Geheimnisse des Lebens und um die Eigenheiten und Vorlieben der Männer, denen sich die Weiber fügen mussten. Dass sie mit ihren vierzehn Jahren noch einen unberührten Körper hatte, lag nur daran, dass sie der Bastard des Ritters war. Den ein oder anderen Vasallen oder Knecht hatte das wohl abgehalten, die köstliche Frucht zu pflücken.
Ganz langsam hob der Wehrsteiner den Saum ihres Leinenhemdes. Enthüllte Stück für Stück die weißen, schlanken Beine.
»Tut das nicht!« Die Stimme der Herrin erklang in ungewohnter Schärfe von der Treppe her. »Versündigt Euch nicht an Gott, Ritter, sie ist Euer Fleisch und Blut.«
Hildebolt von Wehrstein ließ das Hemd los. Seiner Miene war nicht zu entnehmen, was er dachte, als seine Gemahlin den Saal durchschritt und vor den Kamin trat.
»Wie ich sehe, habt auch Ihr entdeckt, dass sie zu einem Weib geworden ist«, bemerkte die Herrin kühl, bückte sich trotz ihres hochschwangeren Leibes und reichte der Magd ihren Umhang, den diese sogleich um sich schlang.
»Sie ist gesund und nutzt bereits bei jedem Mond die Leinenstreifen«, fuhr die Edelfrau mit fester Stimme fort. »Ihr solltet sie verheiraten.«
Der Ritter nickte. »Ja, das sollte ich. Der Schmied ist ein kräftiger Kerl. Wir könnten auf viele gesunde Kinder hoffen.«
Sibylla von Wehrstein legte ihm zustimmend ihre Hand auf die Schulter. »Noch vor dem nächsten Vollmond. Du kannst jetzt gehen, Gret.«
Ohne ein Wort zu sagen, raffte Gret Hemd und Umhang und lief in den nächtlichen Hof hinaus. Sie spürte nicht die Steine unter ihren Füßen, nicht das taunasse Gras. Eilig rannte sie zur nördlichen Mauer, wo in einer Grube die Küchenabfälle gesammelt wurden. Gret hob ihr Hemd und hockte sich auf den schmalen Balken am Grubenrand, um sich zu erleichtern. Nachdenklich verharrte sie eine Weile so. Eine fette Ratte näherte sich neugierig, drehte jedoch einen Schritt weit vor ihr ab und tippelte zu den Abfallbergen zurück. Während sie der Ratte nachsah, grübelte Gret, ob sie der Herrin dankbar oder böse sein sollte. Obwohl das Mädchen in dieser Nacht nicht schlief, sondern bis zum Morgengrauen unruhig über den Hof und an der Mauer entlangschritt, konnte sie, als die Hähne krähten und die Sonne sich über die Wipfel erhob, auf diese Frage immer noch keine Antwort geben.
Der nächste Vollmond rückte unerbittlich näher. Der Knecht Rüdger, der hin und wieder auch als Schmied arbeitete, wenn auf Wehrstein Arbeit anfiel, hatte beinahe schon doppelt so viele Sommer erlebt wie seine jugendliche Braut. Er war sehr erfreut, von seinem Herrn eine Gattin zu bekommen. Zwar hatte er in den letzten Jahren nicht gerade selten seine Hände um ein weibliches Gesäß gelegt, doch solch ein zartes Geschöpf sein Eigen zu nennen, ließ ihm geradezu das Wasser im Munde zusammenlaufen. Dass der Wehrsteiner, sein Herr, wie es der Brauch war, die erste Nacht für sich beanspruchen konnte, störte ihn nicht. Eine Jungfrau mit der unbändigen Kraft männlicher Lenden zu beglücken war schon seit jeher das Privileg der Herren. Für die Knechte blieb zwischen den weichen, weißen Schenkeln immer noch Lust genug.
Leise summend wendete er das rot glühende Eisen mit einer Zange in der Glut. Schweiß stand ihm auf der Stirn, schweißnass war auch der vor Schmutz starrende, kurze Kittel. Als sich seine Lippen zu einem Grinsen teilten, entblößte sein rotes, fleischiges Gesicht abgebrochene Schneidezähne, deren Reste sich langsam schwarz färbten. Rüdger strich sich mit seinen schwieligen Händen durch das kurze, mausbraune Haar, dann schwang er den Hammer und ließ ihn auf das rötlich schimmernde Hufeisen niedersausen. Prall wölbten sich die Muskeln und pulsierenden Adern unter der sonnenverbrannten Haut. In immer gleichem Rhythmus klangen die Schläge über den Hof, bis hinüber zum Palas, auf dessen Stufen Tilia und Gret in der Sonne saßen.
Gret hatte eine große Schüssel mit Bohnen neben sich gestellt und eine kleinere Holzschale auf ihrem Schoß. Mit flinken Händen schnitt sie die Enden der Schoten ab, ließ diese ins Unkraut zu ihren Füßen fallen und teilte den Rest mit einem scharfen Messer in kleine Stücke. Tilia saß einige Stufen höher, mit dem Rücken an die glatt behauenen Steine des Türbogens gelehnt, und nähte emsig. Sie wollte es sich nicht nehmen lassen, der Schwester einen Hochzeitsrock aus feinem, hellgrauem Barchent zu nähen. Am liebsten hätte sie den herrlich grün gefärbten Stoff aus Mutters Truhe genommen, doch das hatte sie nicht gewagt. Auch so war sie ihrer verdienten Strafe nicht entkommen. Ohne mit der Wimper zu zucken, ertrug sie die Schläge, dann ergriff sie die bereits zugeschnittenen Stoffe, Nadel und Garn und trug sie in den Hof hinunter. Nun war der Rock fast fertig, schön an den Säumen mit Ranken aus rotem Garn bestickt. Von ihrem eigenen Rock löste Tilia vorsichtig ein grünes Band und nähte dieses nun um den Halsausschnitt.
»Willst du den Rüdger denn heiraten?«, fragte sie die Schwester, als der Wind das Hämmern herübertrug.
Gret hielt einen Moment in ihrer Arbeit inne und betrachtete anscheinend aufmerksam die Bohne in ihrer Hand.
»Ich weiß nicht. Er ist so, so …« Sie suchte nach Worten und schleuderte die Bohne in die Schüssel. »So breit und kräftig und alt, und er riecht so, und – ich glaube, er macht mir ein wenig Angst«, fügte sie noch leise hinzu.
Tilia nickte zustimmend. »Ja, ich glaube, ich wollte ihn auch nicht. Schon der Gedanke an diese starken Arme.« Sie schüttelte sich. »Da muss man ja fürchten, zerquetscht zu werden.«
Gret kicherte. Der Gedanke, ein Edelfräulein könnte einen unfreien Knecht heiraten, belustigte sie.
»Andererseits«, fuhr Tilia fort und zog die Nase kraus, »so viel besser sind die Ritter auch nicht. Der Benz, beispielsweise, ist ein grober Geselle und mit seiner gespaltenen Nase nicht gerade schön anzusehen. Und der Mägerin furzt immer, wo er steht und geht, und im Winter läuft ihm ohne Unterlass der Rotz aus der Nase.«
Die Magd lachte. »Dann nimm du doch den Wetzel. Ich gebe zu, er hat verfaulte Zähne und zieht das Bein nach, aber er kann einer Braut sicher eine gute Morgengabe bieten.«
Tilia warf einen Erdklumpen nach der Schwester. »Der ist schon uralt und hatte schon zwei Frauen.«
»Aber zurzeit ist er zu haben. Außerdem hat er erst neun Kinder«, lachte Gret aus vollem Hals.
Das Edelfräulein schüttelte sich. »Nein, da würde mir schon eher der Heinrich gefallen. Er hat eine hübsche Gestalt und ist immer höflich.«
Gret sah sie zweifelnd an. »Der von Husen? Der ist doch noch gar kein richtiger Mann. Er ist einen Sommer jünger als wir – und außerdem ist er von zu niederem Adel. Also auch nichts für dich. Nimm doch lieber seinen Oheim. Der ist ein ansehnlicher Kerl und hat noch nicht wieder gewählt, seit seine Gattin im Kindbett gestorben ist.«
Errötend nahm Tilia ihre Näharbeit wieder auf. »Erstens liebäugelt Anna mit ihm, dass es einem ganz schlecht werden kann, zweitens ist seine Familie nicht annehmbar, und außerdem werde ich ins Kloster gehen. Ist vielleicht auch besser so. Und dennoch. Ein Ritter – wenn er so wie Wolfram wäre – könnte mir schon Herzklopfen machen. Und wenn er mir schöne Gedichte schreiben würde, dann könnte ich ihm ein Seidentüchlein schenken, das er in der Schlacht nah an seinem Herzen tragen würde …«
»Pah, das ist doch alles längst vergangener Kram.« Gret schnaubte unfein durch die Nase.
Ohne auf die Unterbrechung einzugehen, fuhr Tilia fort. »Doch wenn ich mir die anderen Ritter und Edelknechte ansehe, die auf Wehrstein zu Besuch kommen, dann will ich mir lieber nicht vorstellen, eine Ehegattin zu sein. Allein der Gedanke, sie könnten mich berühren, lässt mich übel schaudern. Das Kloster ist sicherlich besser für mich. Anna dagegen würde gern heiraten, doch noch hat der Vater nichts Passendes gefunden. Die meisten Familien fordern eine zu hohe Mitgift. Und da die Mutter bald wieder so weit ist, hofft Vater, dass er dieses Mal einen Sohn bekommt, dem er das Land vermachen kann. Dann muss schließlich noch so viel Land übrig sein, dass ein Wehrsteiner mit seiner Familie davon leben kann.« Sie dachte ein wenig darüber nach, doch dann blitzten ihre Augen auf. »Jedenfalls würde Anna dem Wolfram sicher heiß schmachtende Liebesgrüße schreiben, wenn der Verehrte sie nur lesen könnte.«
Gret nickte. »Dafür trägt er ihren Handschuh am Herzen. Dazu muss er ja nicht lesen können.«
Tilia riss die Augen auf. »Bist du dir da ganz sicher? Das würde dem Vater aber gar nicht gefallen!«
Ihre Stimmung war plötzlich getrübt. Wütend rückte sie dem Stoff zu Leibe und brummte missmutig vor sich hin.
»Was ist mit dir?«, fragte Gret verwundert, doch dann lächelte sie schlau. »Du hättest es wohl lieber, wenn der Ritter Wolfram deinen Handschuh bei sich tragen würde.«
»So ein Unsinn!«, fauchte Tilia. »Ich habe ihm gar keinen Handschuh gegeben.«
»Aber du bist eifersüchtig auf Anna, gib es zu«, bohrte die Magd weiter.
»Ich verstehe nicht, was er an ihr findet. Sie ist farblos und blass, bekommt den Mund nicht auf und kann nicht einmal richtig reiten.«
»Hat also alle Eigenschaften, die ein Ritter an einer Dame schätzt«, fügte Gret hinzu. Tilia schwieg und kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe.
Sie arbeiteten eine Weile im Takt der Hammerschläge und hingen ihren Gedanken über die Männer und die Ehe nach, als Tilia plötzlich hervorstieß: »Aber wenn du jetzt heiratest, dann kannst du später ja gar nicht mit mir kommen, wenn ich ins Kloster muss.«
»Was sollte ich denn in einem Kloster für Edelfräulein?«
»Viele bringen sich ihre eigenen Mägde mit. Das weiß ich genau. Ich muss Mutter sagen, dass du Rüdger nicht heiraten kannst!«
Achtlos warf Tilia das fast fertige Hochzeitsgewand auf die Stufen, erhob sich hastig und lief hinauf in die Kemenate. Kopfschüttelnd sah ihr Gret nach und schnitt in die Bohnen, als habe sie ein Heer von Feinden vor sich.
»Da muss schon die Jungfrau Maria persönlich aus dem Himmel herabsteigen, um mit der Herrin zu reden, wenn diese Hochzeit verhindert werden soll!«