Читать книгу Licht zwischen den Bäumen - Una Mannion - Страница 7

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So früh am Morgen war es im Schatten der Bäume noch kühl. Ich blieb stehen, sog den Geruch nach Lehm und feuchter Erde ein. In der Ferne summte eine Kreissäge ihre unmelodische Tonleiter, mal schrill, mal dumpf, und irgendwo wurde ein Rasenmäher angeworfen. Es war Samstag, der erste Tag der Sommerferien, und der vertraute Wald und die alltäglichen Arbeitsabläufe da draußen in der Welt beruhigten mich, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Ich hatte kein Auge zugemacht. Lichtstrahlen fielen schräg zwischen den Bäumen hindurch, vor mir in der Luft schwebte glitzernder Staub. Ich ging hindurch, tiefer in den Wald hinein.

Ich hatte mich mit Sage im Königreich verabredet, sobald sie konnte, und ihr vorher durchgegeben, was wir laut Marie brauchten: Antibiotika und Valium. Es würde ein Weilchen dauern, bis Sage das Gewünschte unbemerkt aus der Praxis ihres Vaters schmuggeln konnte. Grady Adams war Arzt, seine Praxis befand sich direkt neben dem Wohnhaus. Charlotte, Sages Mutter, war seine Sprechstundenhilfe. Beide stammten aus dem Süden. Sage nannte sie immer beim Vornamen, wenn sie von ihnen erzählte. »Gestern hatten Grady und Charlotte Gäste zum Abendessen, und Mrs Nelson hat zu viel getrunken und versucht mit Grady zu füßeln, während Charlotte und ich direkt daneben saßen. Vor unseren Augen!« So redete Sage, gab immer wieder kleine Dramen zum Besten, die ihre Eltern spannend wirken ließen. Sie erzählte von ihnen wie von zwei schrulligen Originalen, mit denen sie befreundet war. Darum beneidete ich sie. Wenn ich an diese Familie dachte, an Grady, Charlotte, Sage und ihre Brüder, dann immer wie durch einen Schleier aus Glück; ihr Leben leuchtete, sogar, wenn Sage das Gegenteil behauptete.

Die frühe Morgensonne malte Flecken auf den Waldboden, erhellte die Tüpfelfarn-Büschel und das dicht wuchernde Moos. Ich gab mir Mühe, langsamer zu gehen und nachzudenken. Mom wird nichts merken. Sie hat Thomas zum Schwimmtraining gebracht. Beatrice ist mitgefahren. Marie ist bei Ellen. Sie wird schon wieder, das sagte ich mir immer wieder stumm vor. Trotzdem hatte ich Angst. Es ging Ellen nicht gut. Auch sie hatte nicht geschlafen. Heute früh war sie schwach und benommen gewesen, und Marie meinte, ihr Puls und ihr Atem gingen viel zu schnell. Sie vermutete, das müsse der Schock sein, und sagte, wir bräuchten Valium, damit Ellens Körper wieder zur Ruhe käme, und Antibiotika, damit die Wunden sich nicht entzündeten. Ich machte mir immer noch Sorgen um mögliche innere Verletzungen, die wir nicht sehen konnten.

Ich ging über den Horseshoe Trail bis zum Königreich, einer geheimen Festung, die Sage und ich uns vor ein paar Sommern gebaut hatten. Direkt vor mir stand der krumme Baum, die Markierung, an der wir den Weg verlassen mussten, um hintenrum zum Königreich zu gelangen. Das hatten wir uns angewöhnt, damit uns nie ein Abdruck oder eine Fußspur verraten würden. In unserer Vorstellung war der krumme Baum einer von denen, die den Indianern auf ihren Pfaden als Wegweiser gedient hatten, um gute Jagdreviere zu kennzeichnen oder weichen Boden, auf dem man schlafen konnte. Es war eine Eiche, erst ganz gerade gewachsen, aber dann beschrieb ihr Stamm plötzlich für einen knappen Meter einen rechten Winkel, um danach wieder gerade nach oben zu wachsen. Schon bevor es das Königreich gab, hatte Dad mir diesen Baum gezeigt. Er meinte, es könne sich durchaus um einen Wegweiser handeln, vielleicht sei aber auch ein größerer Baum auf die noch kleine Eiche gestürzt und dann im Lauf der Zeit verrottet oder zerfallen. Der junge Baum hatte überlebt, aber diese merkwürdige Form zurückbehalten.

Das Königreich war eine kleine Lichtung knapp anderthalb Meter oberhalb des Wegs, ein naturgegebenes Rund inmitten einer Gruppe Roteichen und dichter Berglorbeersträucher. Drinnen sorgte dunkelgrünes Moos für einen natürlichen Teppich. Sage und ich hatten ein tiefes Loch ausgehoben, in dem wir einen großen Koffer mit unserer Ausrüstung aufbewahrten: Taschenlampen, Batterien, Konserven, Schlafsäcke und Kissen – unser ganz persönlicher kleiner Atombunker. Für das Loch hatten wir einen Monat gebraucht, weil wir uns durch dichtes Wurzelwerk arbeiten mussten. Niemand wusste davon, bis auf Ellen, und das auch nur, weil ich an dem Tag, als wir den Koffer hergeschafft hatten, für sie zuständig war. Ich hatte auch eine von Dads Planen mitgebracht, die er beim Laubrechen verwendete; sie war auf einer Seite wasserabweisend und hatte vorgestanzte Löcher. Mit einem Hammer hatten wir Haken in die umstehenden Eichen getrieben, sodass wir uns jederzeit ein Dach basteln konnten, falls wir es einmal brauchten. Den Kofferbunker hatten wir mit einem Brett, Laub und Moos abgedeckt. Er war schon seit einigen Jahren nicht mehr geöffnet worden, allmählich zogen sich Wurzeln darüber. Wir hatten auch noch andere Vorratslager, flachere Löcher für Zigaretten und Streichhölzer oder Bier. Im Königreich redeten wir, rauchten Charlottes Mentholzigaretten und hin und wieder hatten wir auch schon lauwarmes Yuenglingoder Rolling Rock-Bier aus der Flasche getrunken, das wir aus Gradys Kühlschrank unten im Hobbyraum stibitzten. Nachbarn kamen auf diesem Teil des Wanderwegs praktisch keine mehr vorbei, nur Wanderer, und die sahen wir vom Königreich aus immer rechtzeitig genug, um uns zu ducken und unsichtbar zu machen. Sollten wir jemals weglaufen müssen, würde uns niemand erwischen – wir kannten jede Wurzel, jede Bodenwelle. Ich hätte den Weg auch barfuß bei Nacht entlangrennen können.

Im Königreich setzte ich mich vor eine große Roteiche, lehnte mich, die Knie an die Brust gezogen, an ihren Stamm und wartete. Dabei löste ich das dichte Moos in Streifen vom Boden ab und legte Muster daraus. Seltsam, dass es so ganz ohne Wurzeln wachsen konnte. Ich fuhr mit der Hand über die zarten lila Sporenkapseln an ihren fadendünnen Stängeln.

Am Ende hatte Sage Ellen nach Hause gebracht. Ich hatte sie angerufen und gebeten, zu den Bouchers zu kommen und etwas Kleidung zum Wechseln mitzubringen. Es war schon fast Mitternacht, als Sage eintraf. Sie trug ihre abgeschnittenen Jeans-Shorts und ein verwaschenes T-Shirt mit dem Zungen-Logo der Rolling Stones – ihrer Lieblingsband. Sage hatte langes, lockiges goldblondes Haar, das in Stufen geschnitten war, und ein paar Sommersprossen auf der Nase. Ihre Schneidezähne zeigten leicht nach innen, ein kleiner Schönheitsfehler, den jeder andere sicher mit einer Zahnspange behoben hätte. Aber sie mochte ihre Zähne. »Die gehören zu meiner Persönlichkeit«, sagte sie. Jetzt, wo sie da war, fühlte auch ich mich wieder sicher. Wir erzählten ihr, was passiert war, und Sage hörte zu und hielt dabei die ganze Zeit Ellens Hand. Sie wusste, was zu tun war. Sie ließ Ellen alle Gliedmaßen bewegen, um sicherzugehen, dass nichts gebrochen war. Dann stellte sie Fragen, auf die ich gar nicht gekommen wäre.

»Ellen, ich weiß, das ist jetzt schwer, aber hat dir der Mann in die Unterhose gefasst?«

Ellen schüttelte den Kopf.

»Bist du sicher? Hat er dich gezwungen, ihn irgendwo anzufassen?«

Wieder schüttelte Ellen den Kopf.

»Gibt es sonst noch etwas, was du uns nicht erzählt hast und was dir Angst macht?«

»Nein. Ganz sicher nicht.«

Sage sagte ihr, es werde alles gut werden, und für einen Moment glaubte auch ich daran. Ellen lehnte den Kopf an Sages Schulter.

»Sie kann unmöglich nach Hause laufen, Libby«, sagte Sage. »Entweder du erzählst Mrs Boucher alles, wenn sie wiederkommt, oder ich rufe Charlotte an.«

»Nein. Keine Eltern. Das macht es nur noch schlimmer. Ich kümmere mich drum.« Ich rief zu Hause an, und Marie nahm sofort ab.

»Ich bin’s.«

»Mom ist gerade weg«, sagte Marie. »Wahrscheinlich fährt sie sie jetzt doch suchen.«

»Ellen ist hier.«

»Was? Oh, Gott sei Dank!«

»Ja. Aber ihr ist etwas passiert. Es geht ihr gut, aber sie kann nicht nach Hause laufen.«

»Ich organisiere was. Mach sie startklar.«

Wir hatten noch keine zwanzig Minuten gewartet, als oben an der Einfahrt Scheinwerfer auftauchten und sich dem Haus näherten. Ich geriet in Panik. Was, wenn das Mrs Boucher war? Wie sollte ich ihr erklären, dass Sage und Ellen hier waren? Eine Autotür schlug zu, die Scheinwerfer blieben an, und eine bullige Gestalt trat in den Lichtkegel der Außenbeleuchtung. Ein Mann. Er klopfte leise. Ich schaute nach draußen. Breite Schultern. Ich erkannte das dunkle Haar, die Wildlederjacke mit den Fransen. Es war Wilson McVay mit dem Buick seines Vaters. Ellen war fertig, sie trug Sages Kleider, und Sage hielt ihre Schuluniform in der Hand. Ich öffnete die Haustür, und Wilson blieb auf der Schwelle stehen und musterte uns.

»Ihr seid dann wohl die Florence Nightingales vom Dienst«, sagte er.

»Hallo, Wilson«, sagte Sage. Sie führte Ellen zur Tür.

»Ja, hallo«, sagte ich.

»Das ist Ellen«, sagte Sage.

»Guten Abend, Miss Ellen.« Wilson verbeugte sich leicht. »Ihr Taxi wartet schon.« Ellen musste grinsen. Wilson roch nach Leder, Rasierwasser und einer Spur Alkohol. Ellen und Sage gingen mit ihm zum Wagen, und ich wedelte währenddessen mit der Tür, damit sich sein Geruch verflüchtigt hatte, wenn Mrs Boucher nach Hause kam.

Dann sah ich die Rücklichter zwischen den Bäumen verschwinden. Wie war Marie bloß darauf gekommen, Wilson einzuspannen, und wie hatte ich, nach allem, was passiert war, Ellen zu ihm ins Auto steigen lassen können? Im Bad wischte ich das Waschbecken und den Boden sauber, legte die Badematte an ihren Platz zurück und stopfte die benutzten Handtücher in die Waschmaschine.

Es war fast zwei Uhr, später als sonst, als Mrs Boucher nach Hause kam. Schweigend fuhr sie mich bis zu unserer Straßenecke. Sie wirkte müde und abwesend, ließ beim Fahren das Fenster offen, damit sie rauchen konnte.

»Hast du nächsten Freitag wieder Zeit?«, fragte sie, bevor ich ausstieg.

»Ja, das wäre toll. Vielen Dank.«

Die Hintertür war nicht abgeschlossen. Ich schlich die Treppen hinauf. Als ich in unser Zimmer kam, waren Marie und Ellen noch wach. Sage und Ellen waren ebenfalls an der Straßenecke aus Wilsons Auto gestiegen und zusammen bis zu unserem Haus gelaufen. An der Hintertür hatte Marie gewartet und Ellen in Empfang genommen, Sage war wieder zur Straßenecke gegangen, wo Wilson wartete, Marie hatte Ellen direkt nach oben ins Bett gebracht. Ich kroch auf meinen Teil des Ausziehbetts, und so lagen wir alle im Dunkeln da.

»Weiß Mom, dass Ellen wieder da ist?«, fragte ich.

»Sie muss uns wohl gehört haben, denn als wir das Licht ausgemacht hatten, vor zwanzig Minuten etwa, ist sie reingekommen. Sie hat sich an Ellens Bett gestellt, aber kein Wort gesagt.«

»Sie hat mir die Bettdecke etwas höher gezogen«, sagte Ellen.

Ich sah auf Ellens Bett herunter. Im Dunkeln konnte ich ihre Stirn leuchten sehen, den Umriss ihres Gesichts ausmachen, aber nicht erkennen, dass sie verletzt war. Ein paar Minuten schwiegen wir alle.

»Was für ein gottverdammter Scheißkerl«, sagte Marie. »Kastrieren sollte man den. Hast du irgendwas vom Nummernschild gesehen, Ellen? War er aus Pennsylvania?«

Schlafen konnten wir nicht. Ich spürte, wie wir alle wach im Dunkeln lagen, und etwa jede Stunde fragten Marie oder ich: »Bist du noch wach, El?« oder »Tut dir was weh?« Ich musste an das Kunstcamp denken, an den Brief, den Miss LeBlanc ihr geschrieben hatte.

»Warum hast du Mom nichts von Miss LeBlancs Brief erzählt, Ellen? Ich glaube, sie weiß gar nicht, wie gut du bist.«

»Das hätte doch nichts geändert. Sie hätte mich trotzdem nicht fahren lassen.«

Im Königreich blühte um mich herum der Berglorbeer, die Blüten sahen aus wie breite Tassen, und ich pflückte eine aus ihrer Dolde am Zweig heraus. Die weißen Blütenblätter gingen leicht ins Rosige und hatten burgunderrote Sprenkel. Blüten und Pollen des Berglorbeer sind giftig, aber seine Blätter haben eine heilende Wirkung. Die Cherokee setzten die Blätter bei Verletzungen als Schmerzstiller ein und rieben sie auf die Haut, um Arthritis zu lindern.

Ich hörte einen leisen Pfiff. Sage. Ihre silbernen Armreifen klimperten beim Gehen, und durch eine schmale Lücke oben an der Böschung sah ich sie den Weg entlangkommen. Am krummen Baum bog sie ab, und kurz darauf trat sie von hinten in unser Rund. Bevor sie sich setzte, zog sie einen Frischhaltebeutel mit zwei Zigaretten aus dem Rucksack. Sie schob sich eine davon zwischen die Lippen und zündete sie an, dann hielt sie mir den Beutel hin. Ich schüttelte den Kopf. Sage ließ den Rauch zuerst ihren Mund füllen und sog ihn dann tief ein, so rauchte sie immer. Charlotte machte es genauso.

»Wie geht’s ihr?«

»Marie meint, sie steht noch unter Schock, aber dass sie schon wieder wird.«

Sage atmete aus. Ich holte Luft: Der Rauch war frisch und kühl. Jack Griffith hatte Sage und mir erzählt, Mentholzigaretten enthielten Glaswolle und seien das Schlimmste, was man rauchen könne. Vorletzten Sommer hatten Thomas und er uns erwischt, als wir hinter dem Haus rauchten. »Was für’n Streber«, hatte Sage gesagt, als die beiden wieder verschwunden waren. Sage war genauso alt wie die beiden Jungen, Jack ging in ihre Klasse. Sie fand ihn nervig. »So ein eingebildeter Tugendbolzen«, sagte sie immer.

»Weiß eure Mutter es schon? Ich hoffe, sie fühlt sich richtig schlecht.«

»O Gott, nein. Sie darf das nie erfahren. Sie würde Ellen allein schon dafür umbringen, dass sie getrampt ist. Wir haben alle ausgemacht, ihr kein Wort zu sagen.«

Sage zitierte eine Zeile aus »Jumpin’ Jack Flash«, und ich gab einen Laut von mir, der kein Lachen war.

Es gab Augenblicke, da hielt ich meine Mutter durchaus für eine alte Vettel aus der Hölle, aber ich konnte es nicht leiden, wenn andere so etwas sagten.

Sage war besessen von Mick Jagger, und wir machten uns schon länger einen Spaß daraus, Textzeilen von den Stones zu zitieren, wenn sie gerade zur Lage passten. Im September sollten die Stones in Philadelphia spielen. Sage wollte hin.

Sie zog eine Salbentube hervor. »Neosporin, für die Schrammen und die anderen Verletzungen. Das haben wir auch gestern Nacht schon verwendet.« Dann reichte sie mir noch ein kleines braunes Fläschchen mit Pillen. »Und das sind die Antibiotika, die ich wegen der Verbrennungen bekommen habe. Die zweite Dosis, die ich dann nicht mehr nehmen musste, aber ich weiß, dass sie gut für die Haut sind und gegen Entzündungen helfen.« Letzten Oktober hatte Sage mit ein paar anderen versucht, oben am Wasserturm ein kleines Lagerfeuer zu machen. Sie hatte Benzin auf den Holzstapel gegossen, und ein paar Spritzer waren auf ihrer Daunenjacke gelandet. Als sie dann ein Streichholz anzündete, war es ihr praktisch in der Hand explodiert. Die Flammen wurden sofort von irgendwem gelöscht, aber niemand hatte Hilfe geholt. Sage war mit verbrannten Händen und Armen zurück nach Hause gelaufen, und ihr Vater hatte sie ins Krankenhaus gefahren. An den Händen war alles bestens verheilt, nur an der weichen Unterseite der Arme, wo die Jacke mit der Haut verschmolzen war, hatte sie ein paar runzlige Narben zurückbehalten. Für Sage war das wie mit den schiefen Zähnen; sie sah die Narben nicht als Makel, sondern als in den Körper eingeschriebene Erfahrungen, Markierungen, die zu ihrer ganz persönlichen Geschichte beitrugen. Sie wollte keine Zahnspange, und sie mochte ihre Narben.

»Valium konnte ich keins finden. Ich habe überall gesucht. Aber ich weiß auch gar nicht, ob ihr Ellen so was geben solltet. Und ich finde immer noch, wir sollten Grady davon erzählen. Er kann sie untersuchen.«

»Nein, Sage. Bitte. Du darfst es keinem erzählen. Niemals.«

»Herrgott, Libby – Ellen sieht aus wie neun. Dieser Typ, der sie mitgenommen hat. Wir müssen das irgendwem erzählen.«

Aber ich wollte nicht, dass Grady Adams davon erfuhr. Er hatte ohnehin schon eine Abneigung gegen meine Mutter, und ich wollte nicht, dass er noch mehr mitbekam. Ich hatte Sages Vater wirklich gern. Er hörte klassische Musik, sammelte Jazz-Platten. Im Keller hatte er einen Hobbyraum mit einer Hausbar, und manchmal hatte ich durch den Türspalt beobachtet, wie er, zurückgelehnt in einem Drehsessel aus Leder, mit geschlossenen Augen der Musik lauschte. Er hatte einen weichen, gedehnten Südstaatenakzent und sprach immer mit mir, als würde es ihn wirklich interessieren, was ich zu sagen hatte. Außerdem schien er ein wenig über den Dingen zu schweben. Charlotte war ganz anders, nervös und elegant. Sie äußerte ihre Ansichten unverblümt, liebte gute Geschichten und scheute sich auch nicht vor Übertreibungen, um sie etwas farbiger zu gestalten. Sage meinte, sie habe einen Hang zur Dramatik. Meine Mutter meinte, Charlotte Adams könne auch als Fluglotsin anheuern, so wie sie beim Reden immer mit den Armen wedelte und die Hände bewegte.

»Nein. Wir erzählen es keinem. Bitte, Sage. Versprich es mir.«

Sage stand auf, streckte mir die Hand hin und zog mich auf die Füße. »Komm, wir sehen nach Ellen.«

Wir gingen den Weg zurück, ringsum fiel Sonnenlicht durch das Blätterdach. Umgestürzte Bäume lagen übereinander, bei einigen war der Stamm komplett durchgebrochen und hatte wie klaffende Wunden schartige Stümpfe zurückgelassen. In meiner Faust hielt ich die Salbe und die Tabletten. Ich dachte an meine Mutter, die auf der Suche nach Ellen die menschenleeren Straßen abgefahren war. Ob sie wohl auch am Fenster ihres Zimmers gesessen und gewartet hatte? Ob sie vielleicht gesehen hatte, wie Sage Ellen nach Hause brachte? Ich dachte daran, wie sie versucht hatte, Ellen besser zuzudecken. Und obwohl ich immer noch böse auf sie war, tat es mir doch weh, so an sie zu denken.

Licht zwischen den Bäumen

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