Читать книгу Meine Freundin sieht das anders - Unni Drougge - Страница 8

E-Mail von Hillevi an Annie, 15. März, 05:12

Оглавление

Annie, du muntere kleine Möse! Hast du in der Zeitung über die britische Feministin gelesen, die am internationalen Frauentag Stockholm besucht hat, ich kann mich an ihren Namen nicht erinnern, aber es war etwas mit G am Anfang. Sie hat von einer großen Frauengemeinschaft in Australien erzählt, die von Männern ganz und gar unabhängig ist. Wenn sie sich vermehren wollen, suchen sie sich einen passenden Zuchtbullen, und um die Kinder kümmern sie sich gemeinsam. Sex ist kein Problem, denn um ihre Stadt streichen so viele Männchen herum, daß sie einfach nur die Hand nach einer passenden Beute auszustrekken brauchen. Wenn der Sexsklave im Lager sein Gastspiel gegeben hat, muß er pro Samenerguß einen Tag arbeiten, und wenn eine der Frauen sich verliebt, wird sie sofort in ein Entwöhnungsprogramm gesteckt, das ihr Selbstbewußtsein stärkt, denn sie glauben, daß Frauen nur aus Mangel an Selbstbewußtsein bereit sind, einem Mann zu folgen. Deshalb werden die Frauen in diesem Kollektiv ja gerade so umworben: Die Typen geben sich alle Mühe, um zu beweisen, daß sie Zuneigung und Aufopferung verdient haben, aber das gelingt ihnen nicht. Der Frust bei der Männergesellschaft wurde am Ende so massiv, daß die Frauen aus dem Kollektiv daraus eine überaus vorteilhafte Verhandlungsposition entwickeln konnten, und inzwischen sind sie an die Börse gegangen. Sie entwickeln und produzieren frauenfreundliche Technik und Software, und ihr Einfluß wird immer größer. Und das liegt daran, daß sie in ihrem Privatleben von Männern ganz und gar unabhängig sind.

Weißt du, wozu ich Lust hätte, zumindest im Moment? Abzuhauen. Eine Tasche zu packen und mich nach Australien abzusetzen. Ich habe heute nacht nicht eine Sekunde geschlafen. John kam um halb zwei nach Hause. Sturzbesoffen. Wühlte eine Weile im Schrank herum und fischte seine alte E-Klampfe und seinen ramponierten Verstärker heraus. Schaltete das Ding ein und machte einen solchen Lärm, daß das Dach abhob. Wie ein Scheißteenie. Die Kinder wurden wach, und ich ging nach unten, um die Lautstärke runterzudrehen. Da ist er ausgerastet. Schrie, unser Haus sei ein Gefängnis. Dann versuch doch mal einen Ausbruchsversuch, sagte ich. Dann wirst du schon sehen, daß du frei bist. Aber glaubst du, das hätte er gemacht? Nichts da. Er beschimpfte mich als selbstgerecht und jammerte, er sei überarbeitet und niemand sei lieb zu ihm und ich sei frigide. Da saß ich also auf dem Sofa, und er kläffte wie ein Kettenhund. Total absurd. Am Ende torkelte er ins Schlafzimmer und fiel ins Bett. Er stank nach Bier und schnarchte und furzte, und ich stellte mir wirklich vor, wie ich ihm ein Kissen aufs Gesicht lege und mich mit meinem dicken Hintern darauf setze, bis er nicht mehr atmet. Verstehst du? Ich mußte aufstehen und mir einen Kamillentee kochen, und jetzt sitze ich in meiner kleinen Schreibecke. Dreiunddreißig Jahre alt, drei Kinder am Hals und einen Freak zum Mann. Aber jetzt will ich wenigstens abnehmen. Das ist doch krankhaft, Annie. Je mehr John heimlich säuft, um so mehr fresse ich. Gestern habe ich eine ganze Packung Hob Nobs aufgeknabbert. Danach habe ich mich über die Samstagssüßigkeiten der Kinder hergemacht. John muß ja immer Überstunden machen, und deshalb macht er am Wochenende fast einen kompletten Einkaufswagen mit Süßigkeiten und Limo und Kartoffelchips voll. Ich habe seine Plastikkarte versteckt, die überzieht er nämlich immer. Keine zehn Minuten vergingen gestern, ohne daß ich mir etwas in die Fresse gestopft hätte, aber alles hat nur nach Pappe geschmeckt. Ich habe fast das Gefühl, nicht zu leben, Annie. Die Kinder waren doch immer mein Lebensinhalt, aber ich weiß nicht ... ich habe vor ihren Bedürfnissen kapituliert und komme mir vor wie ein Gewächshaus. Das Problem ist vielleicht, daß ich mich nicht weiter vermehren möchte, und deshalb bin ich plötzlich ganz leer. Ich habe damals eine Entscheidung getroffen. Ich wollte den Kindern einen guten Start geben. Aber jetzt. Es ist neun Jahre her, daß ich bei Bonniers aufgehört habe. Neun Jahre Haushalt, Rotz, Kacke, Kinderkrankheiten, Stoffwindeln, Vollkornbrei und Ökogemüse. Neun Jahre Bedürfnisse. Die der anderen. Neun Jahre unsichtbare Arbeit. Neun Jahre im Mikrokosmos, einer organischen Einheit, bei der alles ineinander übergeht, bei der sich Resultat und Entwicklung jedoch nicht messen lassen. Ich habe in einem einzigen großen Nahrungsmittelschmelzprozeß gelebt. Der Abfall kommt in den Kompost und wird in den Nährboden eingepflügt, und dann geht es rund, rund, wie die Jahreszeiten. Aber nebenan passiert etwas. Außerhalb von allem hier. Die Kinder werden größer, das kann ich messen. Ich werde größer, auch das kann ich messen, leider vor allem um meine Taille. Die ganze Kernfamilie scheint ein Stadium der Verwesung erreicht zu haben und sollte ebenfalls in den Boden eingepflügt werden. Keine chemischen Reaktionen mit anderem Material. Du tauschst immerhin mit Bill und Bull, oder wie du diese süßen Schnuffel von der Finnlandfähre genannt hast, Körperflüssigkeiten aus. Du befruchtest dein Leben mit Arbeit und beruflicher Erfahrung. Aber fehlen dir deine Kinder nicht? Wann siehst du die eigentlich?

Ach, ach. Jetzt ist Kuschel aufgewacht. Und John wird an diesem ganzen verdammten Sonntag in der Hölle halbtot sein.

Wir sprechen uns bald (oder mailen),

Hillevi.

Meine Freundin sieht das anders

Подняться наверх