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E-Mail von Annie an Hillevi, 16. März, 23:08

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O verdammt, Hillevi. Diese Montage, nachdem die Kinder übers Wochenende bei ihrem Papa waren, wenn der Alltag ertragen werden muß, sind immer schrecklich. Ich führe ein Doppelleben. Jedes zweite Wochenende muß ich die vernachlässigten Laster und Gelüste pflegen, und an diesem Wochenende war ich noch dazu nach der Finnlandfähre die pure ausgeschissene Rosine. Die Kinder waren müde und unerträglich, da ihr Schlappschwanz von Vater sie abends so lange aufbleiben läßt, wie sie wollen. Außerdem sind sie von Süßigkeiten, Spielzeug, Videos und Computerspielen absolut überstimuliert. Ich habe heute morgen mit meinem Seelenklempner darüber geredet. Und weißt du, was der sagt? Er sagt das, was auch alle anderen immer meinen. Daß ich dafür dankbar sein sollte, daß ich ein so reiches Leben habe. Mit den Kindern. Als könnte das erwachsenen Menschen ihre Bedürfnisse ersetzen. Ich lebe wie diese Frauen in dem australischen Kollektiv, das du erwähnt hast, mit dem Unterschied, daß ich alles selber mache. Können wir nicht dahin auswandern? Ich bin es so satt, eine einsame Lokomotive zu sein, die nirgendwo anhalten darf. Die einzige Treibstoffzufuhr, die ich bekomme, besteht aus Spermasätzen, die mir noch weitere Waggons anhängen wollen, wenn ich nicht aufpasse. Der eine von diesen verdammten Minicharmeuren von der Fähre hat leichtsinnig seinen Saatvorrat in meinen Fortpflanzungsapparat abgefeuert, und jetzt muß ich Angst haben, bis es der roten Woche paßt, meine Sorge zu beheben, ich müßte mich auf die Abtreibungspritsche fallen lassen. Mehr Nachkommenschaft will ich nun wirklich nicht haben.

Als ich heute vom Einkaufen kam, fragten die Kinder, was es zum Essen geben würde. Hähnchen in Curry, sagte ich. Iiiii, wie scheußlich, riefen sie wie aus einem Mund. Ich änderte die Speisekarte deshalb in Hähnchen in Zitrone um, aber trotzdem stocherten sie nur im Essen herum. Und ich habe doch eine Fettphobie und muß meinen siebenunddreißigjährigen Körper anorektisch getrimmt halten und würgte deshalb eine Wagenladung Salat runter. Danach mußte ich fast ein ganzes Hühnchen in den Kühlschrank stellen, und ich weiß, daß ich mich hinter meinem Rücken daran vergreifen werde. Ich werde fettarmen Geflügelsalat machen. Wenn ich einen Kerl im Haus hätte, dann hätte der die Herrlichkeit verputzt! (Über den Vater der Kinder kannst du sagen, was du willst, aber jeglichen Fraß, den ich ihm vorgesetzt habe, hat er bereitwillig verschlungen.) Als ich dann aufgeräumt und meine Lieblingsmusik ausgestellt hatte, weil die Kids immer »leiser« schrien und sich über meinen Musikgeschmack lustig machten, habe ich mich vor den neuen schweineteuren Großbildfernseher gesetzt, aber im selben Moment wollte die Dreizehnjährige in Geschichte abgehört werden, weil sie morgen einen Test schreiben muß. Auf ihrer Penne gibt es keine Lehrbücher, deshalb müssen die Kinder selber kleine Berichte über Krieg und Frieden und Könige und Revolutionen verfassen, und die sind ungeschickt formuliert und verworren und unchronologisch und überhaupt chaotisch. Weshalb ich zwischen den verdammten Jahreszahlen Ordnung schaffen sollte. Inzwischen lief im Fernseher das Cartoon Network. Schließlich mußten die Kinder ins Bett, aber dann kramten sie ihre Formulare und Mitteilungen aus der Schule über Ausflüge und Turnkleidung und Entwicklungsgespräche und Geld für die Klassenkasse und Theaterbesuche heraus, die einfach keinen Menschen froh machen können, schon gar nicht moderne Kinder in einer allgegenwärtigen Disney-Kultur. Mit einem Hagel aus Flüchen über das Schulsystem, das überarbeiteten Eltern mehr und mehr Aufgaben auflädt, schnappte ich mir meinen zerfledderten Filofax, um zwischen den ohnehin schon dichtgedrängten Pflichten eine freie Stelle zu finden. Als das überstanden war, habe ich Wäsche sortiert. Alle Kinderstrümpfe hatten Löcher, die Große forderte neue Klamotten und meckerte über meine gerade neu gekauften. Sie sagte, ich sei zu alt für trendigen Kram von H & M. Ich sei peinlich und doof und überhaupt nicht wie andere Mütter. Das Alter, dachte ich. Ihr Alter, meine ich. In dem Alter ist es normal, auf den Eltern herumzuhacken. Also biß ich unter diesem Gewitter aus Unzufriedenheit über meine gesamte Existenz die Zähne zusammen. Aber die kleine Kuh fand am Ende doch noch den Auslöser, den Knopf, der das Faß zum Überlaufen brachte. Sie fragte, ob ich schwanger sei, da mein mit Gemüse gemästeter Bauch hervorquillt. Ich schrie, sie solle zu ihrem Scheißvater fahren und lieber auf dem herumhakken, und eines Tages würde ich verschwunden sein, wenn sie nach Hause kommen, und dann würden sie ja sehen, wer ihnen wirklich fehlt, ja, ich habe alles gesagt, was man zu Kindern nicht sagen darf, und ich habe sie ins Bett gejagt und mir ein großes Glas Wein eingeschenkt und das in der Küche geleert, und dabei habe ich Sophie Zelmanie gehört. Ruhe, schrie es aus den Zimmern dieser minderjährigen Terrortruppe. Mein Leben ist ein Gefängnis, Hillevi. Obwohl ich eine freie Frau bin. Früher wurde ich von einem Mann unterdrückt. Jetzt werde ich von meiner Nachkommenschaft unterdrückt. Und dann wird mir noch erzählt, ich hätte ein reiches Leben... lick my dick!

Ansonsten finde ich, daß dein Kerl zuviel säuft, dieser Esel.

Knutsch, Annie.

Meine Freundin sieht das anders

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