Читать книгу Was als Spiel begann - Ein Norwegen-Krimi - Unni Lindell - Страница 18
ОглавлениеDie Scherenschnitte an seinen Bürofenstern sahen aus wie farbenfrohe Spitzen. Einer war knallrosa, einer türkisgrün. Sein jüngster Sohn hatte sie Cato Isaksen zu Weihnachten geschenkt.
Er hatte soeben erfahren, dass der vorläufige Obduktionsbericht gegen vier Uhr eintreffen würde. Wie lange würden sie wohl brauchen, um den Mörder zu finden? Wie lange würde er sich verstecken können? Es konnte natürlich sozusagen jeder sein, aber dass sie gerade dort ermordet worden war, vor dem Möbelhaus, ließ etwas anderes vermuten. Denn was hatte sie dort oben zu suchen gehabt? Rasch schaute Cato Isaksen auf die Uhr. Wenn Randi von der Identifizierung zurückkam, würden sie vielleicht noch Pavel Pletanek erwischen, ehe die Besprechung begann. Er verließ sein Arbeitszimmer, ging über den Flur und blieb vor Randi Johansens Büro stehen. Sie saß auf ihrem Platz. Anfangs merkte sie nicht, dass er sie ansah.
»Da bist du ja schon wieder. Wie war es?«
»Ja«, sagte sie kurz und drehte sich zu ihrem Chef um. Sie trug einen hellblauen Pullover, und die Haare fielen ihr auf der einen Seite vor das Gesicht. »Ich muss wohl sagen, dass es gut gegangen ist. Sie haben sie richtig schön zusammengeflickt.«
Cato Isaksen sah sie an. »Ich möchte, dass du mit mir in die Odins gate fährst. Wir müssen diesen Pavel Pletanek zu fassen bekommen. Stimmt etwas nicht?«
»Ja«, sagte sie monoton. »Gib mir einfach eine Minute.«
»Nein«, sagte Cato Isaksen. »Wir haben es eilig.«
»Du weißt, dass ich im Leichenschauhaus war«, sagte Randi hart. »Mit ihm. Mit Axel Blad.«
»Das ist mir durchaus bewusst«, sagte Cato Isaksen und ließ die Wagenschlüssel klirren. »Jetzt komm schon«, sagte er.
»Ich finde es so schwer, bei Identifizierungen dabei zu sein«, sagte Randi Johansen, als sie im Auto saßen. »Und es war auch etwas Besonderes, gerade mit ihm dort zu stehen. Zu wissen, dass er vielleicht der Täter ist. Und dann dieser schreckliche süßliche Geruch ...«
»Damit haben alle Probleme«, sagte Cato Isaksen ernst. »Ich habe manchmal Albträume von toten Menschen. Ich kann mich noch zehn Jahre lang an die Gesichter von Opfern erinnern.«
Randi holte tief Luft und drehte sich zu ihm um. »Ich habe eben erfahren, dass du und ich Prebens Eltern aufsuchen sollen«, sagte sie.
Cato Isaksen bremste vor einer roten Ampel. »Wer hat das entschieden?«, fragte er.
»Myklebust, natürlich. Sie hält es für das Beste, wenn wir beide das übernehmen. Es soll wohl eine Art Ehre sein«, sagte sie spöttisch. »Sie sagt, wir müssen das so schnell wie möglich erledigen.«
»Das sagt sie also.« Cato Isaksen schaltete in den ersten Gang, dann ließ er die Kupplung los, schaltete in den zweiten und fuhr über die Kreuzung, als die Ampel grün wurde.
Sie hatten gerade in der Odins gate gehalten, als ein Anruf für Randi Johansen kam. Cato Isaksen sah sie verärgert an. Er hörte, dass es sich um die Tagesmutter von Randis Tochter handelte. Sie hätte den Anruf nicht annehmen müssen, dachte er und stieg aus.
Er überquerte die Straße. Es waren nur wenige Autos unterwegs. Aus der Ferne hörte er das Scheppern einer Straßenbahn. Er hatte Glück, denn eine Frau, die soeben das Haus verließ, hielt die Tür für ihn offen. Er schob die Fußmatte in den Türspalt, damit Randi ihm nach Beendigung ihres Telefonates folgen konnte.
Das Mietshaus hatte einen Fahrstuhl, aber Cato Isaksen ging trotzdem die Treppen hoch. Er ging bis in den vierten Stock. Dann ging er wieder nach unten. Im ersten Stock blieb er vor einer abgenutzten grünen Tür mit einem Fenster aus Stahldraht stehen. Das Glas war von einem verschossenen Vorhang bedeckt. Es war die einzige Tür ohne Namensschild, es musste also die Richtige sein. Er drückte auf den Klingelknopf, der ein hartes, scharrendes Geräusch ertönen ließ.
Nach einer Weile waren von innen schlurfende Schritte zu hören, und die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet.
»Ich hätte gern mit Pavel Pletanek gesprochen«, sagte Cato Isaksen und sah den Mann im Türspalt an. Er hatte Ähnlichkeit mit dem Sänger Andrea Bochelli. Seine grauen Haare waren zerzaust und ungekämmt. Er machte die Tür ganz auf, und Cato Isaksen sah, dass er Jeans und Unterhemd trug und barfuß war.
»Das bin ich«, sagte der Mann kurz.
»Ich komme von der Polizei«, sagte Cato Isaksen und hörte dabei, dass unten die Haustür zufiel und Randi die Treppe hochstieg.
Der Mann sagte nichts. Er stand nur da und starrte den Ermittler an. Randi Johansen kam lächelnd die Treppe hoch und streckte die Hand aus. Sie war ein wenig außer Atem.
»Wir würden gern mit Ihnen sprechen«, sagte Cato Isaksen noch einmal.
»Worüber denn?«, fragte der Mann feindselig.
»Dürfen wir eintreten?«, fragte Randi Johansen freundlich und zeigte ihren Dienstausweis. Pavel Pletanek machte eine hilflose Handbewegung.
Am Ende des langen Flures, an dessen einer Wand mehrere Wintermäntel hingen, lag ein Wohnzimmer, in das die Gäste nun geführt wurden. Das Zimmer war mittelgroß und hatte geschlossene Vorhänge. Unter der schönen Decke mit den Stuckrosetten hing ein eleganter Leuchter. Alle Lampen im Zimmer brannten. In der einen Ecke stand schräg ein großer Flügel. Darauf stand eine dünne Glasvase mit einer verwelkten hellbraunen Rose. Am Stängel der Rose hing ein weißer Zettel. Auf einem braunen Sofa aus den fünfziger Jahren lag eine Geige. Zwei mit Gegenständen belegte Sessel standen auf der anderen Seite des abgenutzten Couchtisches. Die Wände waren bedeckt von Bücherregalen und zwei scheußlichen Gemälden. Auf dem Boden lag ein verschlissener Perserteppich.
Der Tscheche räumte Notenblätter und alte Zeitungen von den Sesseln und bat die Gäste, sich zu setzen. Dann ging er zu den Fenstern und öffnete die Vorhänge.
Randi Johansen setzte sich in den einen Sessel. Cato Isaksen blieb einen Moment stehen. Die Sessel waren unangenehm tief und wenig bequem.
»Wissen Sie, weshalb wir kommen?«, begann er und betrachtete den Mann, der die Geige hochhob und auf den Flügel legte.
Pavel Pletanek nickte. »Jenny Brown hat mich angerufen«, sagte er und setzte sich auf das Sofa.
»Ach«, sagte Cato Isaksen. »Ihr Telefon war also doch eingeschaltet?«
»Ich schalte es oft aus, wenn ich übe.«
»Wo waren Sie gestern?«
»Nirgendwo. Ich schlafe lange.«
»Dann wissen Sie auch, dass wir mit Jenny Brown gesprochen haben«, sagte Cato Isaksen ruhig.
Pavel Pletanek nickte nervös.
»Und was sagen Sie zu dem, was geschehen ist?«
Der Tscheche schob sich eine Locke aus der Stirn. »Nun ja, was soll ich dazu sagen? Das ist doch einfach unfassbar«, sagte er und schüttelte den Kopf.
Cato Isaksen musterte ihn. »Wie alt sind Sie?«
»Siebenunddreißig«, sagte der andere.
»Sie sehen älter aus.«
»Bei einer geschundenen Baumkrone werden Sie immer Spuren von Wind und Wetter sehen«, sagte der Tscheche kryptisch.
Randi Johansen erwiderte Cato Isaksens Blick.
»Ja, das liegt an den grauen Haaren«, sagte der Musiker und fuhr sich durch die Mähne, als habe er ihre Gedanken gelesen. »Alle in meiner Familie sind schon grau, noch ehe sie die dreißig erreichen.«
»Haben Sie eine große Familie?«
»Nein. Meine Eltern sind tot. Ich habe eine Tante in Oslo, das ist alles. Nachdem ihr erster Mann gestorben war, hat sie einen Norweger geheiratet.«
Die kleine Stille, die jetzt folgte, war von Cato Isaksen geplant. Manchmal hatte Stille eine nützliche Wirkung. Die Leute wurden nervös, hatten das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Und das konnte wichtige Erkenntnisse auslösen.
»Kann ich Ihnen irgendetwas anbieten?« Pavel Pletanek sprang auf, aber Cato Isaksen schüttelte den Kopf und bedeutete ihm, sich wieder zu setzen.
»Haben Sie Ellen Blad gut gekannt?«, fragte er dann.
»Ist das ein Verhör?«
»Eigentlich nicht«, sagte Cato Isaksen. »Aber wir möchten, dass Sie morgen zu einer offiziellen Vernehmung auf die Wache kommen. Darum bitten wir alle, die sie gekannt haben. Wir machen nachher eine Uhrzeit ab.«
Der Musiker schüttelte energisch den Kopf. »Natürlich kann ich kommen, nur begreife ich nicht, was das alles mit mir zu tun hat.«
»Wie gut haben Sie Siv Ellen Blad gekannt?«
»Wie die anderen.« Er zuckte gleichgültig mit den Schultern.
»Ich verstehe«, sagte Cato Isaksen.
»Aber ich habe sie nur Ellen genannt. Ellen ist ein schöner Name.«
»Unbedingt«, sagte Cato Isaksen. »Und wann war die Vorstellung am Freitag beendet?«
»Ach, wie immer, gegen elf. Ich habe nicht auf die Uhr geschaut«, sagte er.
»Was haben Sie danach getan?«
»Ich bin nach Hause gegangen. Soviel ich weiß, haben alle das gemacht.«
Randi Johansen, die den Musiker wortlos betrachtet hatte, sagte plötzlich, er spreche ja sehr gut Norwegisch.
Pavel Pletanek zuckte mit den Schultern. »Ich bin schon mit achtzehn hergekommen«, sagte er zur Erklärung. »Ich wurde am Konservatorium aufgenommen. Sie hatten eine Ausländerquote. Und meine Tante war ja hier. Und dann bin ich einfach geblieben.«
»Aber Sie haben keine Frau oder Freundin?« Cato Isaksen beugte sich vor.
»Nein«, sagte der Mann rasch, »nein, das habe ich nicht.«
»Haben Sie etwas dagegen, wenn wir einige von Ihren Schuhen mitnehmen?« Randi Johansen erhob sich.
Pavel Pletanek starrte sie an. Dann schüttelte er den Kopf.
Als sie wieder im Auto saßen, nachdem sie sich für den nächsten Tag um vierzehn Uhr mit Pletanek verabredet hatten, hatte Cato Isaksen das Gefühl, dass es etwas gab, was er hätte sehen, worauf er hätte reagieren müssen.
»Wir hätten seine Wohnung durchsuchen müssen«, sagte er und drehte sich zu Randi um.
»Das hätten wir doch nicht gedurft«, sagte Randi Johansen und legte den Sicherheitsgurt um. »Und wir haben die Schuhe. Du hast den Brief nicht erwähnt?«
»Das mache ich morgen. Sie müssen doch eine besondere Beziehung gehabt haben, wenn er ihr solche Briefe geschrieben hat.«
»Ich habe noch nie so einen Brief bekommen«, sagte Randi Johansen sarkastisch. Sie hatte jetzt wieder ein wenig Farbe im Gesicht.