Читать книгу Praktiken professioneller Lehrpersonen (E-Book) - Urban Fraefel - Страница 7
Оглавление1. Ein Buch für berufstätige und angehende Lehrpersonen
Dieses Arbeitsbuch kann sowohl individuell als auch in Seminaren und in Anlässen der Berufspraktischen Studien verwendet werden. Es muss nicht Seite für Seite durchgearbeitet werden – Hauptsache, man vertieft sich wirklich in die Themen. Die Inhalte der Kapitel überschneiden sich bisweilen. Deshalb werden gewisse Themen mehrfach aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Das ist durchaus gewollt und kann helfen, Verknüpfungen herzustellen.
2. Alle wollen erfolgreich handeln
Gerade angehende Lehrpersonen wollen erfolgreich handeln. Das Scheitern ist eine ihrer grösseren Sorgen, wenn sie an ihren Beruf denken. Die Lehrpersonenbildung ist aus Sicht aller Studierender zuerst einmal eine Berufsvorbereitung, die ihnen eine ausreichende Sicherheit geben soll, um im Beruf zu bestehen. Dieses Anliegen ist ganz und gar berechtigt und nachvollziehbar und soll seinen Platz in der Lehrpersonenbildung haben.
3. «Funktionieren» dank Routinen?
Was erwarten angehende Lehrpersonen, wenn sie «Sicherheit gewinnen» wollen? Sie möchten zumeist Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung haben, um in konkreten Situationen sofort reagieren zu können. Deshalb sind Studierende oft darauf aus, zu erfahren, was sich bewährt hat, wie erfahrene Lehrpersonen handeln und welche funktionierenden Anleitungen zur Verfügung stehen – kurz: Sie wollen wissen, «wie man es macht», sie wollen Anleitungen möglichst bald in routiniertes Handeln überführen. Das geschmeidige Funktionieren von Unterricht wird zur Priorität, auch wenn ungewiss ist, ob es zum Erfolg führt.
4. Imitieren von erfolgreichen Berufspersonen reicht nicht
Wer scheinbar erfolgreiche Routinen kopiert, erliegt zumeist einem Denkfehler. Schritt für Schritt zu imitieren, was sich bei anderen bewährt hat, kann bestenfalls eine Notlösung sein. Ein Blick auf andere Berufe macht dies deutlich: Ärztinnen, Köche, Mechanikerinnen, Gipser, Musikerinnen, Polizisten – alle vollziehen sichtbare Handlungen, sie führen berufstypische Gesten aus. Doch durch das rezeptartige Kopieren dieser Gesten wird niemand zum «Profi». Da reicht es nicht, die Aktionen der Könnerinnen und Könner zu imitieren. Das sichtbare Tun erfolgreicher Berufspersonen gründet nämlich auf sehr viel Wissen und Erfahrung. Sie haben im Lauf der Zeit ein solides Know-how aufgebaut und verinnerlicht und greifen bei Bedarf intuitiv darauf zurück. Dieses intuitive «Wissen, wie» bezeichnen wir als professionelle «Praktiken». Auch Lehrpersonen müssen sie nach und nach erwerben: Es gibt kein Schnellverfahren, um professionell handeln zu lernen.
5. Das verstehen wir unter «Praktiken» von Lehrpersonen
«Praktiken» sind wiederkehrende Aktivitäten, die für professionelles Handeln von Lehrpersonen wichtig sind. Zentrale Praktiken sind in den meisten Fächern bedeutsam, etwa die individuelle Lernbegleitung von Schülerinnen und Schülern oder das Leiten eines Klassengesprächs. «Praktiken» sind durch die Lehrperson selber aufgebaut, und deshalb haben sie immer eine individuelle Färbung. Wenn die Lehrperson an einer Verbesserung der Praktiken interessiert ist, wird sie diese wiederholt bewusst anwenden, zunehmend variieren, zunehmend besser verstehen und flexibel einsetzen. Mit solchen Praktiken erhält eine Lehrperson eine solide Grundlage in ihrer beruflichen Arbeit.
6. Praktiken bauen Sie selber
Was unterscheidet Praktiken von rezeptartigen Handlungsempfehlungen? Rezepte übernimmt man – aber es mangelt oft an zugrunde liegendem Wissen und entsprechender Übung. Praktiken hingegen müssen Lehrpersonen von Grund auf selber entwickeln und durch Erfahrung, Kontextwissen und Nachdenken dauernd verbessern. Die Praktiken sind mit der Zeit so verinnerlicht, dass sie intuitiv zur Anwendung kommen. Deshalb ist es nicht möglich, Praktiken durch Kopieren oder Nachlesen zu lernen – Praktiken reichern sich fortlaufend an, je länger und tiefer man sich mit ihnen beschäftigt.
7. Bereits im Studium eine Basis für Praktiken legen – am besten in Kooperation
Um Praktiken aufzubauen, gibt es keinen «fast track» – das ist echte Arbeit. Genau deshalb muss damit bereits in der Lehrpersonenbildung angefangen werden und nicht erst im Berufseinstieg. Die Lehrpersonenbildung bietet dazu viele Gelegenheiten, vor allem in den Schulpraktika und deren Begleitformaten. Hier können Praktiken thematisiert, verbessert, flexibel gestaltet und richtiggehend trainiert werden. Dabei helfen die Unterstützung von Fachpersonen der Lehrpersonenbildung, der Austausch mit Mitstudierenden und das Gespräch mit Schülerinnen und Schülern. So gewöhnen sich die Studierenden daran, dauernd an der Verbesserung der Praktiken zu arbeiten.
8. Praktiken brauchen Wissen und «Theorie»
Studierende werden in der Lehrpersonenbildung mit sehr viel Wissen konfrontiert. Das allermeiste davon ist irgendwann relevant für den Lehrberuf – aber haben Lehrpersonen das relevante Wissen im richtigen Augenblick präsent? Leider allzu selten. Deshalb sollte das bedeutsame Wissen der Hochschule quasi verschmolzen werden mit dem, was Lehrpersonen konkret tun. Wirkungsvolle Praktiken gründen nicht bloss auf Erfahrung und gesundem Menschenverstand, sondern wesentlich auf dem Wissen der Hochschule. Auf das vielfältige Wissen aus den Fachwissenschaften, den Fachdidaktiken und den Erziehungswissenschaften zurückzugreifen, ist unverzichtbar. Allerdings ist zu prüfen, was davon im konkreten Fall zieldienlich ist.
9. Professionelle Praktiken erlauben berufliches Handeln «state of the art»
Das Ziel sind Praktiken für bestmögliches professionelles Handeln. Lehrpersonen sollten sich gewohnheitsmässig fragen, ob ihre Praktiken die bestmöglichen Wirkungen erzielen und ob sie auf dem neuesten Stand gesicherten Wissens sind. Die Disziplinen der Fachdidaktiken und der Erziehungswissenschaften erforschen und überprüfen dauernd, wie sich Schule und Unterricht entwickeln, welche Konzepte erfolgversprechend sind, welche (Neben-)Effekte sie haben usw. Studierende haben zu diesem Wissen einen leichten Zugang, denn Fachpersonen der Lehrpersonenbildung vermitteln und erklären die Konzepte, und beim Fachpersonal kann jederzeit nachgefragt werden.
10. Professionelle Praktiken sind flexibel
Wer wirklich über professionelle Praktiken verfügt, kann schnelle und zweckdienliche Entscheidungen treffen, je nach Situation. Das ist aber nur dann möglich, wenn man in diesem Gebiet zuhause ist. Nehmen wir z. B. «Lernschwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler erkennen und verstehen»: Wer sich hier auskennt, wird aufmerksam sein auf die einzelnen Schülerinnen und Schüler und das Spezielle an der konkreten Situation wahrnehmen. Man merkt intuitiv, worauf zu achten ist, hat das entsprechende Fachwissen und kennt verschiedene Varianten des Reagierens, denn man hat sich über Strategien kundig gemacht. Man weiss sofort, was zu tun und zu lassen ist. So trifft man schnell die bestmöglichen Entscheidungen zum Vorteil der Schülerinnen und Schüler. Kurz: Professionelle Praktiken ermöglichen flexibles und zielführendes Handeln, auch in variierenden Situationen.
11. Professionelle Praktiken entlasten die Lehrperson
Immer wieder berichten Berufseinsteigende, dass sie der Schulalltag überfordert, weil sie an so viele Dinge denken müssen, um die sie sich im Studium kaum zu kümmern hatten. Die berufliche Realität ist unerbittlich: Ohne Unterlass ist die Lehrperson mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Der Handlungs- und Zeitdruck in der Schule löst einen andauernden Stress aus, der vor allem Berufseinsteigende an ihre Grenzen bringen kann. Hier helfen Praktiken: Anders als blosse Routinen und starre Handlungsempfehlungen geben sie den Lehrpersonen Handlungsoptionen, um in der Situation adäquat und professionell zu handeln. Und deshalb – es sei nochmals betont – ist es so wichtig, dass professionelle Praktiken geübt werden.
12. Gute Praktiken verhelfen zu Bildungserfolg
Last but not least: Nicht alle Praktiken haben Qualität. Es gibt auch suboptimale oder sogar schädliche Praktiken. Manche Praktiken sind Handlungsmuster, die nicht bewusst gestalten wurden, sondern sich mit zunehmender Routine gebildet haben. Es kann sein, dass sie überhaupt nicht zielführend sind. Vielleicht unterstützen sie die Lehrperson in der Bewältigung des Alltags, aber sie können auch unprofessionell und kontraproduktiv sein. Die entscheidende Frage ist: Helfen die Praktiken den Lehrpersonen, ihre Aufgaben möglichst gut und professionell zu erfüllen? Und vor allem: Tragen sie dazu bei, dass die Schülerinnen und Schülern weiterkommen? Wer Praktiken mit diesen Fragen weiterentwickelt, ist auf dem richtigen Weg zu einer professionellen Lehrperson.
Aktivitäten und Anregungen | ||
Haben Sie schon eine Vorstellung, was «Praktiken» sind? | Imitationslernen | Eine zentrale Praktik |
Lesen Sie nochmals die Definition unter 5. und beschreiben Sie in wenigen Stichworten den Unterschied zwischen Praktiken und … | «Lernen am Modell» ist eine alltägliche Strategie, um Dinge zu lernen. Es fragt sich, ob es auch reicht, jene Lehrpersonen zu imitieren, die man in bester Erinnerung hat. Ihre Meinung dazu: | Eine zentrale Praktik Stellen Sie sich eine Praktik vor, die Ihnen persönlich besonders zentral erscheint – welche ist es? |
… Kompetenzen | Nennen Sie einige Kennzeichen dieser Praktik. | |
… Wissen… Routinen… Rezepten | Stellen Sie dieselbe Frage bezüglich anderer Berufe wie z. B. Wirtin, Bauer, Ärztin, Pilot, Klavierlehrerin … |