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Die Lehrperson ist mitverantwortlich, dass gelernt wird
ОглавлениеIn der schulischen Tradition ist lange Zeit die Vorstellung fest verwurzelt gewesen, dass die Lehrperson einen fachlich richtigen, klaren und nachvollziehbaren Unterricht gestalten soll und dass es in der Verantwortung der Schülerinnen und Schüler liegt, aus diesem Angebot einen Nutzen zu ziehen. Diesem Ansatz liegt die Vorstellung zugrunde, dass man nicht wirklich beeinflussen könne, was gelernt wird; die Aufnahme- und Lernfähigkeiten der Lernenden seien wenig veränderbar; entscheidend seien die kognitiven Fähigkeiten, die Anstrengungsbereitschaft und der «Fleiss» der Schülerinnen und Schüler, und dies alles liege nicht in den Händen der Lehrperson.
Aber nur genutzte Angebote haben Wirkung. Deshalb hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend die Überzeugung durchgesetzt, dass die Lehrpersonen auch eine Mitverantwortung tragen, ob und wie das Lehrangebot genutzt wird. «Lehrerinnen und Lehrer sind Fachleute für Lehren und Lernen» heisst sinnigerweise der erste von sechs Leitsätzen des LCH (Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz) in seinem Berufsleitbild von 2008.
Heute geht man in der Schule allgemein davon aus, dass einerseits das Angebot optimal zu gestalten ist und dass anderseits die Nutzung des Angebots durch die Schülerinnen und Schüler zu fördern und zu unterstützen ist. Ein wichtiges Instrument ist dabei die individuelle Lernunterstützung der Schülerinnen und Schüler (vgl. Kasten «Angebots-Nutzungs-Modell»).
Kurz: Eine professionelle Lehrperson kann nicht nur gut vermitteln, sondern sie unterstützt die Lernenden auch aktiv darin, den Zugang zu den Lerngegenständen zu finden.
Abbildung 4: Relativer Anteil der Nennungen in der deutschsprachigen Fachliteratur. Ein Indiz für die zunehmende Bedeutung der Lernunterstützung ist die Anzahl der Nennungen in der Fachliteratur. Die Graphik zeigt die relativen Anteile der jeweiligen Wörter am Gesamtbestand von Google Books bis zum Jahr 2008.
Quelle: https://books.google.com/ngrams/
Weiterführende Informationen und Materialien
Es nützt nur, was genutzt wird: Angebots-Nutzungs-Modell
Die Lehr-Lern-Forschung der letzten Jahrzehnte hat zahlreiche Befunde geliefert, dass Lernfortschritte wesentlich von der Nutzung der Lernangebote abhängen. Die Zusammenhänge von Angebot und Nutzung werden oft in sogenannten «Angebots-Nutzungs-Modellen» dargestellt, wie untenstehende Abbildung zeigt.
Abbildung 5: Das Angebots-Nutzungs-Modell. Adaptiert aufgrund mehrerer Quellen (u. a. Fend, 1998; Reusser & Pauli, 2010).
Aktivitäten und Anregungen | ||
20 Minuten nachdenken über Angebot und Nutzung in Schule und Unterricht | ||
1. Lehren vs. Unterstützen?«Klassenunterricht, Stundenpläne und Stundentafeln der heutigen Schule stellen das Abhalten von Unterrichtsstunden in den Vordergrund»:Notieren Sie hier in Stichwörtern, inwieweit Sie das auch so erlebt haben, und ob die Aussage Ihrer Meinung nach in dieser Form stimmt. | 2. Zwei Thesen zur DiskussionNotieren Sie in Stichwörtern Ihre Gedanken zu den zwei Thesen.These 1: «Gestalteter Unterricht ist die wichtigste Lernumgebung für Schülerinnen und Schüler. Deshalb sollte sich die Lehrperson auf dessen Planung und gute Durchführung konzentrieren.» | 3. Ungenutzte Angebote – woran hat es gelegen?Ihre eigenen Schulerfahrungen erleichtern es, die Perspektive der Lernenden einzunehmen. Vergegenwärtigen Sie sich in Stichworten 2 – 4 unterrichtliche Situationen aus verschiedenen Phasen Ihrer Schulzeit, in denen Sie den Anschluss verpassten. |
Offen gesagt: Was beschäftigt Sie mehr, wenn Sie das nächste Mal unterrichten: Das Gestalten der Stunde oder die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler? Begründen Sie Ihre Antwort. | These 2: «Die ausgeklügelte Gestaltung von Unterricht wird überschätzt. Entscheidend ist letztlich nur, dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler möglichst gern und viel lernen.» | Was hätte es rückblickend gebraucht, um den Wiedereinstieg zu finden? |
Setzen Sie Ihre Erinnerungen mit dem Angebots-Nutzungs-Modell in Beziehung. |