Читать книгу Praktiken professioneller Lehrpersonen (E-Book) - Urban Fraefel - Страница 25
«Schulische Diagnostik» oder: Wie erfahre ich, wo die Schülerinnen und Schüler stehen? Diagnostizieren ist unverzichtbar
ОглавлениеUnterricht und Lernbegleitung sind ein Blindflug, wenn man nicht weiss, wo die Schülerinnen und Schüler stehen: Lehrpersonen stellen womöglich zu schwierige oder zu leichte Aufgaben, oder sie breiten Dinge aus, die die Schülerinnen und Schüler längst verstanden haben. Diagnostische Fähigkeiten sind deshalb für Lehrpersonen absolut zentral.
«Schulische Diagnostik» – bisweilen auch mit dem sperrigen Ausdruck «pädagogische Diagnostik» bezeichnet – bedarf der Erklärung: Wenn eine Lehrperson diagnostiziert, gelangt sie zu relevanten Informationen über den aktuellen Lernstand, die Lernprozesse und die besonderen Bedingungen einzelner Schülerinnen und Schüler, um sie gezielt und wirkungsvoll unterstützen zu können. Die Lehrperson versucht, herauszufinden oder sich zu vergegenwärtigen, wo ein Kind zurzeit steht, wie es beim Lernen unterwegs ist, wo Schwierigkeiten bestehen und was die Fortschritte bremst oder aber begünstigen kann. Das ist die Bedingung, damit die Lehrperson die Lernprozesse positiv und lösungsorientiert beeinflussen kann.
«Schulische Diagnostik erfolgt aus dem Unterricht heraus und erfolgt im Unterricht, mit den Mitteln des Unterrichts. Sie sucht dabei nicht ausschliesslich nach Ursachen für Hindernisse, sondern vor allem nach Lösungen, um Lernerfolge zu ermöglichen» (Jansen & Meyer 2016), S. 28.
Auch Fachpersonen und Forschende der Lehrpersonenbildung im englischen Sprachraum betonen, dass diese Fähigkeit, Dinge zu bemerken und einzuordnen, sehr wichtig ist. Vielfach wird von «Noticing» – Wahrnehmen, Bemerken – oder schlicht «Seeing» gesprochen (z. B. Nilssen, 2009: «The habit of seeing»; Rosaen et al., 2008).
«Schulische Diagnostik» bedeutet also zuerst einmal, dass die Lehrperson etwas über den Stand der Schülerinnen und Schüler erfährt. Ziel ist das treffende Erkennen von Lernstand, Schwierigkeiten und Potenzialen von einzelnen Schülerinnen und Schülern, dies vor allem im Unterricht. Hilfreich ist sodann das Verstehen, wie es ihnen mit dem Lernen ergeht. Man sollte nicht nur herausfinden, was die Lernenden können und verstanden haben, sondern auch, warum das so ist. Erst dann kann die Lehrperson sinnvoll unterstützen, falls dies nötig ist. Dazu braucht es aber eine relativ schnelle Einschätzung der Situation und entsprechend einfache Verfahren. Wenn das Ziel eine wirkungsvolle Lernbegleitung im Unterricht ist, muss die Diagnose der Chancen oder allenfalls der Ursachen des Problems unmittelbar erfolgen.