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Alma und Gropius trafen sich weiter heimlich und schrieben einander in der Zwischenzeit leidenschaftliche Briefe. Alma in großer, schwungvoller Handschrift und lila Tinte an Gropius: »Wann wird die Zeit kommen, wo Du nackt an meinem Leib liegst, wo uns nichts trennen kann – als höchstens der Schlaf?«12 Gropius an Alma: »Mein Lebensglück, zum ersten Mal saß ich wieder über meine Denkmalsarbeit versunken – da kam Dein Brief! Auf den Knien bin ich vor Dir gelegen, Du Wahrheit, und habe dankerfüllt zu Dir aufgeschaut … Was wir zusammen erleben, ist das allergrößte, höchste, was Menschenseelen begegnen kann.«13

Als Alma ihren Ehemann zu den Proben für die Uraufführung der Siebten Symphonie Anfang September nach München begleitete, bat sie Gropius, zum Rendezvous ins Regina-Palast-Hotel am Maximiliansplatz zu kommen. Als Alma wenige Wochen später mit Mahler nach New York reisen wollte, wo dieser wie jedes Jahr die New Yorker Philharmoniker dirigieren sollte, fuhr sie auf getrenntem Weg nach Bremen, wo der Luxusdampfer Kaiser Wilhelm II. zur Abfahrt bereit stand, und bestellte Gropius nach München, um mit ihm weiter nach Paris zu fahren, wo sie, wie sie Mahler gegenüber vorgab, Freunde besuchen wollte. Sie reise, so schrieb sie Gropius, Freitag den 14. Oktober um 11.55 Uhr vormittags mit dem Orientexpress von München ab. Ihr Coupée-Bett habe die Nummer 13, im zweiten Waggon. Es wäre gut, das Billett auf den Namen »Walter Grote« aus Berlin ausstellen zu lassen, für den Fall, dass Mahler, der zwei Tage später fahre, sich die Liste zeigen lasse.

Alma blühte sichtbar auf, was Mahler nicht verborgen blieb. Sie sehe, teilte er der Schwiegermutter aus New York erfreut mit, täglich jünger aus. Da er nichts von der fortgesetzten Untreue wusste, sah er den Grund allein darin, dass Alma das Komponieren wieder aufgenommen hatte. Fleißig sei sie und habe ein paar neue reizende Lieder gemacht, die von einem großen kompositorischen Fortschritt zeugten.

Während Alma in New York weilte, reiste Gropius nach Wien, um ihre Mutter für sich zu gewinnen. Es gelang ihm so sehr, dass er Anna Moll brieflich dafür danken konnte, ihn liebevoll wie eine Mutter behandelt zu haben. Anna Moll, die ihren ersten Mann und Almas Vater, Emil Schindler, mehrfach betrogen und viel Erfahrung in Sachen ehelicher Heimlichkeiten hatte, tröstete Gropius und riet ihm zur Geduld. Man könne jetzt gar nichts tun, man müsse alles dem Lauf der Dinge überlassen. Sie glaube fest, dass ihre Liebe alles überdauern werde. Sie habe Vertrauen in ihn und sei überzeugt, dass er alles tun werde, ihr Kind nicht noch unglücklicher zu machen.

Alma und Gropius folgten dem Rat und ließen sich Zeit, auch wenn sie sich vom geduldigen Abwarten Unterschiedliches erhofften. Alma wünschte, dass Gropius bald so »selbststehend« in der Welt sein würde, dass er sie zu sich rufen könne, denn sie war nicht bereit, in kleinere als die gewohnten Verhältnisse mit großem Haushalt, Dienstmädchen und Gouvernante zu wechseln, und erwartete Erfolg. »Je mehr Du bist und leistest, desto mehr wirst Du mir sein!!«14

Gropius hoffte, dass Alma sich doch noch bedingungslos für ihn entscheiden und ihm helfen würde, seine Potentiale zu entwickeln, alles an Großem aus ihm herauszuholen, was in ihm lag. Es gäre, so ließ er die Geliebte wissen, gewaltig in ihm.

Und nun geschah das Unglaubliche. Der erst 50-jährige Mahler erkrankte und starb am 18. Mai 1911. Alma und Gropius trafen sich wieder im August in Wien, doch es wurde kein glückliches Wiedersehen. Als Alma gestand, dass sie Mahler in den letzten Tagen seines Lebens wieder ganz als Frau getröstet habe, reagierte Gropius verständnislos. Er fühle sich in seiner Ehre gekränkt, schrieb er Alma aus dem Hotel Kummer, es sträubten sich ihm die Haare, wenn er an das Entsetzliche denke. »Ich hasse es für Dich und mich, und ich weiß mit aller Bestimmtheit, dass ich für Jahre Dir treu bleiben muss. Aber diese Verdammnis ist nicht das schlimmste für mich, sondern dass mir die Begeisterung, der Glaube an mich selbst genommen ist … Der einzige Trost, an den ich mich zu klammern suche, ist der, dass ich zwei herrliche Menschen wie Euch in ihrem Leben weitergebracht habe.«15

Enttäuscht, dass Alma nicht dem Ideal der ausschließlich ihn liebenden Gefährtin entsprach, das er in ihr gesucht hatte, und beschämt von ihrer »Untreue« ging Gropius auf Distanz. Ein Treffen Ende September in Berlin sagte er ab.

Als sich zu dem Liebesschmerz und der narzisstischen Kränkung noch körperliche Schwäche und Zahnschmerzen gesellten, begab sich Gropius erneut ins Sanatorium, diesmal direkt in die von Heinrich Lahmann im Kurort Weißer Hirsch bei Dresden gegründete physiatrische Heilanstalt. Es wurde nach dem frühen Tod des Arztes von der Familie weitergeführt und erfreute sich eines weltweiten Rufes. Jährlich pilgerten etwa 7000 wohlhabende Patienten, darunter prominente Künstler, schwerreiche Industrielle, alte Adelige und hohe Militärs, an den Ort der Heilung, wo Holzhacken im Hof, Sonnenbäder auf der Dachterrasse und reizarme vegetarische Kost auf ihre von allzu viel Wohlleben gezeichneten Körper warteten.

Ohne sein eigentliches Leiden zu erwähnen, meldete Gropius der Mutter: Es gehe ihm ganz gut, aber er merke, wie matt er sei und wie nötig er eine Ausspannung habe. Er mache recht einsame Spaziergänge im herrlichen Waldpark, auf denen er sich selbst innerlich näher komme. Sie solle doch Adolf Meyer, der sich im Atelier ganz alleine herumschlage, einmal zu Tisch bitten, er wolle ihn sich etwas freundschaftlich erhalten.

Nach seiner Rückkehr suchte Alma Gropius in Berlin auf, doch das Treffen verlief unglücklich. Sie mochte weder die Stadt noch die Mutter, noch war es ihr gelungen, den jungen Geliebten wieder für sich zu gewinnen.

Auch das neue Jahr brachte keine Annäherung. Auf Almas briefliche Anfragen, warum er sich so gar nicht mehr melde und wann er denn wieder einmal nach Wien komme, antwortete Gropius nicht. Erst nach langer Zeit schickte er ein vorerst letztes Lebenszeichen: »Es kann nicht wie früher sein, und alles ist von Grund auf anders geworden. Kann man denn unerhörte Empfindungen der Gemeinschaft willkürlich in freundschaftliche abwandeln?? Würden Dir diese Tasten klingen, wenn ich sie anschlüge? Nein –; und es ist wenig Zeit verflossen seit den Tagen schmerzlichster Erkenntnis. Was später kommt, weiß ich nicht, es hängt nicht von mir ab. Es wirkt ja alles durcheinander … vielleicht, dass eine glückliche Stunde Dich vorbeibringt.«16

Während Gropius an seiner Enttäuschung laborierte und doch noch auf eine wundersame Wendung hoffte, war die 34-jährige Alma bereits mit dem sechs Jahre jüngeren Oskar Kokoschka liiert, den sie im Hause ihres Stiefvaters Carl Moll kennengelernt hatte. Gropius erfuhr von der neuen Beziehung erst, als das ausdrucksvolle Doppelbildnis, das Kokoschka von sich und Alma gemalt hatte, im März 1913 auf der Ausstellung der Berliner Sezession gezeigt wurde. Völlig verbittert schrieb er ein allerletztes Mal. Während er sich Mahler wohl kraft seiner Jugend überlegen fühlte, trat er gegen Kokoschka nicht in den Ring.

Alma aber, die immer wieder an Kokoschka, der besitzergreifend auf Heirat bestand, zweifelte, war nicht bereit, den fernen Geliebten freizugeben, und versuchte, den Briefwechsel wieder aufleben zu lassen. Er möge doch sehen, lockte sie im Februar 1912, was er aus den nicht sehr gelungenen Plänen für das Landhaus machen könne. Sie werde vielleicht Kokoschka heiraten, drohte sie im Juli 1913. »Mit Dir aber bleibe ich durch alle Ewigkeit verbunden. Schreibe mir, ob Du lebst – und ob dieses Leben des Lebens wert ist.«17

Je mehr Kokoschka Alma drängte, auch nachdem sie gegen seinen Willen sein Kind abgetrieben hatte, einzig für ihn da zu sein, desto fremder wurde er ihr. Je häufiger er Alma Oberflächlichkeit und innere Leere vorwarf, desto inniger pflegte sie sich an Gropius zu erinnern, der, wie sie sicher zu wissen glaubte, noch immer in Berlin ihrer harrte. Während Kokoschka, der nichts von Almas Avancen gegenüber dem früheren Liebhaber, ja nicht einmal von dessen Existenz wusste, nach wie vor Hochzeitspläne schmiedete, schrieb Alma werbende Briefe nach Berlin. Sie fühle sich einsam und wolle ihn unbedingt wiedersehen. »Willst Du meine Freundschaft – so hast Du sie. Ich habe den größten Wunsch, mit Dir zu sprechen. Dein Bild ist lieb und rein in mir – und Menschen, die so Seltsames und Schönes miteinander erlebt haben, dürfen sich nicht verlieren. Komm – wenn Du Zeit und Freude dran hast – komm her. Es ist keine Resignation, die mich all dies schreiben lässt, sondern erhellter, neugeklärter Blick.«18

Mutter, Muse und Frau Bauhaus

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