Читать книгу Mutter, Muse und Frau Bauhaus - Ursula Muscheler - Страница 9
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ОглавлениеAll das hatte die Kräfte des nun 27 Jahre alten Architekten so sehr erschöpft, dass er einer Kur bedurfte. Er begab sich nach Tobelbad bei Graz in der Steiermark, das gerade dabei war, zum beliebten Bad der deutschen und österreichischen Aristokraten, Großbürger und Künstler zu werden, nachdem der Erfinder und Unternehmer Gustav Robert Paalen das dortige Kurhotel 1909 erworben, restauriert und erweitert hatte. Die Behandlung erfolgte nach der physikalisch-diätetischen Heilmethode des Dresdner Arztes Heinrich Lahmann, der auf ausgewogene Ernährung, Dampf- und Lichtbäder, Wasserkuren und Freiluftgymnastik setzte. Die im Mai 1910 im Berliner Tageblatt geschaltete Anzeige versprach »mildes Klima bei kräftiger Waldluft, die von ausgedehnten Fichtenwäldern mit Ozon gesättigt wird. Einheitspreise garantiert«.
Alma Mahler (1909)
In Tobelbad lernte der gut aussehende und elegant gekleidete Gropius am 4. Juni 1910 Alma Mahler kennen, die Ehefrau des Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler, die mit Tochter und Gouvernante eine sechswöchige Kur absolvierte. Auch die 30-jährige Alma benötigte, obwohl auf der Höhe ihrer imponierenden Schönheit, aufgrund häufiger Unpässlichkeiten und Stimmungsschwankungen therapeutische Anwendungen.
Als Alma und Walter Gropius vom Leiter des Sanatoriums einander vorgestellt wurden, begann eine Amour fou, die nicht ohne Folgen bleiben sollte. Almas Briefe an Mahler wurden plötzlich so spärlich, dass dieser sich sorgte. Ob denn alles in Ordnung sei, er spüre da etwas zwischen den Zeilen der wenigen Briefe heraus. Eine Woche später kam er, um selbst nach dem Rechten zu sehen, und reiste, erfolgreich getäuscht, beruhigt wieder ab. Mitte Juli ging die Kur für Alma zu Ende. Sie fuhr nach Toblach, wo die Familie Mahler seit zwei Jahren ihren Sommerurlaub zu verbringen pflegte, während Gropius allein in Tobelbad zurückblieb.
Bald kam es, wie es kommen musste: Die Affäre, postalisch aufs Eifrigste fortgesetzt, flog auf. Von den leidenschaftlichen Briefen, die Gropius an Alma sandte, adressierte er einen an »Herrn Gustav Mahler«. Bis heute ist ungeklärt, ob es mit Absicht oder aus Versehen geschah. Gropius bestand zeitlebens auf einem Versehen, während Alma »jugendlichen Fieberwahn« dahinter vermutete. Da Gropius auch bei einer späteren Beziehung zu einer verheirateten Frau den Drang verspürte, mit dem Ehemann persönlich Kontakt aufzunehmen, ist allerdings Absicht nicht auszuschließen. Merkwürdig bleibt auch, warum Alma, die dazu Gelegenheit gehabt hätte, den Brief, dessen Handschrift sie erkannt haben musste, nicht aus der Post des ahnungslosen Ehemannes entfernt hatte.
Nach der Entdeckung forderte Alma von Gropius Vorschläge zu ihrer Rettung. Die Situation sei für sie ganz fatal. Da das Verhältnis quasi durch Zufall herausgekommen sei und nicht durch ein offenes Geständnis ihrerseits, habe ihr Mann nun jedes Vertrauen in sie verloren. Er müsse ihr sofort schreiben, dürfe aber auf keinen Fall nach Toblach kommen. Sehnsüchtig erwarte sie seinen Brief.
Erhoffte sich Alma wirklich Rettung von Gropius, von dem sie inzwischen wissen musste, dass er trotz seiner exklusiven Kurortwahl noch nicht in gesicherten materiellen Verhältnissen lebte und der anspruchsvollen Geliebten außer seinem Herz nur wenig zu bieten hatte? Oder wollte sie nur andeuten, dass sie das Verhältnis zwar gerne fortsetzen würde, vorerst aber bei Mahler bleiben müsse, da keine Rettung in Sicht war?
Gropius könnte geahnt haben, dass der weltgewandten und statusbewussten Alma ein heimliches Dreiecksverhältnis nicht unlieb gewesen wäre, und vielleicht war die falsche Adressierung des Briefes der Versuch, eine Klärung der für ihn unbefriedigenden Situation herbeizuführen, denn nach der Entdeckung bedrängte er Alma, er wolle Mahler von Mann zu Mann gegenübertreten. »Dein Brief macht mir grausige Angst um Euch. Keine Tragödie! Ich werde irrsinnig, wenn Du mich nicht rufst, ich will mich selbst vor Euch rechtfertigen und das Rätsel lösen zu helfen.«9
Welches Rätsel Gropius lösen und welche Tragödie er verhindern wollte, ausgerechnet er, der Verursacher des ganzen Dramas, können wir nur vermuten. Das Rätsel plötzlicher Liebe? Die Tragödie endgültiger Trennung? Was wir aber wissen, ist, dass Gropius, entgegen Almas Wunsch, sofort nach Toblach reiste und sich so auffällig unauffällig verhielt, dass Mahler nichts anderes übrig blieb, als den jungen Mann zu empfangen. Als alter Husar setzte Gropius nun auf kühnen Sturmangriff und forderte Mahler auf, sich von seiner jungen Frau zu trennen, damit er selbst sie heiraten könne. Mahler antwortete nicht, sondern stellte Alma vor die Wahl, ihn zu verlassen oder bei ihm zu bleiben unter der Bedingung, die Beziehung zu Gropius abzubrechen. Alma blieb, und Gropius reiste ab.
Vorher aber schrieb er Mahler noch einen merkwürdigen, etwas aufdringlich-anbiedernden Brief: »Wir hatten uns leider eben ja nur so wenig zu sagen – es schmerzt mich, dass ich Ihnen nur wehe tun kann. Lassen Sie mich Ihnen wenigstens noch danken für die Noblesse, mit der Sie mir entgegenkamen, und Ihnen ein letztes Mal die Hand drücken.«10
Gropius darf man wohl zu den Männern zählen, zu deren Liebesbedingungen, wie Freud konstatiert, notwendig die des »geschädigten Dritten« gehört. Dieser Typ Mann werde niemals ein Weib zum Liebesobjekt wählen, welches noch frei sei, sondern nur eines, auf das ein anderer Mann »Eigentumsrechte« geltend machen könne. Diese eigentümlich bestimmte Objektwahl entspringe der infantilen Fixierung der Zärtlichkeit auf die Mutter und stelle einen der Ausgänge aus dieser Fixierung dar. Die späteren Liebesobjekte würden zu »Muttersurrogaten« und ihre Ehemänner wie der Vater, dem einst die Mutter gehörte, zu Rivalen, die es, wenn auch mit gebotenem Respekt, zu besiegen gelte.
Alma blieb zwar bei Mahler – der sich in seiner Angst, sie zu verlieren, für die Lieder, die sie vor der Ehe komponiert hatte, zu interessieren begann und sie zu publizieren versprach –, gab den jungen Liebhaber aber nicht auf. Weitere Briefe gingen postlagernd oder über Almas Mutter Anna Moll hin und her. Alma sehnte sich nach dem dauernden Besitz des Geliebten. Er müsse wissen, dass sie ihn liebe, dass er ihr einziger Gedanke bei Tag und bei Nacht sei und sie für die Zukunft nichts anderes wünsche, als sein zu werden und zu bleiben. Doch verlange sie danach, zu erfahren, wie er sich eine gemeinsame Zukunft vorstelle, wie er seine Karriere vorantreiben und ihr Zusammenleben einrichten wolle, wenn sie sich einmal für ihn entscheiden würde. »Ach – wenn ich daran denke – mein Walter, dass ich Deine starke Liebe für mein ganzes Leben nicht mehr haben sollte! Ach Du – hilf mir – ich weiß nicht, was ich tun soll – wozu ich das Recht habe.«11
Doch Gropius wusste keinen Rat. Noch war er nicht mehr als ein Talent. Noch hatte er wenig Aufträge. Noch sah er keine Möglichkeit, genug Geld zu verdienen, um Alma befriedigende Vorschläge machen zu können. Vielmehr erhoffte er von ihr tatkräftige Hilfe bei der Überwindung der vor ihm liegenden beruflichen und finanziellen Hindernisse. Er werde jetzt jeden Groschen sparen, so schrieb er der Geliebten, dritter Klasse fahren und viel zu Fuß gehen. Dies alles sei ihm gleichgültig. Er wolle die vor ihm sich auftürmenden Berge überklettern, denn er habe keine Lust, sich zu Boden drücken zu lassen, und sie solle ihm dabei helfen.
Wie er sich diese Hilfe vorstellte, deutete er einige Zeit später an. Zunächst bat er sie um Rat, wie mit der Idee der Gründung einer Hausbaugesellschaft zu verfahren sei. Er habe naiverweise Behrens seine Ideen einst ausgeplaudert und nun, da dieser sie aufgegriffen, stehe er vor der Frage, ob er diesem seine eigenen Absichten in der Sache überhaupt mitteilen müsse. Er habe eigentlich nicht mehr den Wunsch, große Rücksichten auf Behrens zu nehmen. Dann kam er auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen. Er frage sich, ob nicht vielleicht Wien, wo eine große Wohnungsnot herrsche, der geeignete Ort zur Verwirklichung seiner Ideen sei. Jedenfalls wolle er mit aller Macht diesen Weg beschreiten, um eine lebensfähige und ideell wertvolle Position zu erringen. Er brauche dazu einen zweiten jungen Mann, einen Kaufmann aus guter Familie, der Takt besitze, der Idee verständnisvoll gegenüberstehe und eigenes Kapital riskieren könne.
Alma versprach, über den ausgedehnten Bekannten- und Freundeskreis ihres Stiefvaters Carl Moll in Wien nach einem solchen Mann suchen zu lassen. Die Suche blieb jedoch bereits in den Anfängen stecken, da Alma bald das Interesse an dieser ihr fernliegenden Angelegenheit verlor. Stattdessen bat sie Gropius um Vorschläge hinsichtlich der Planung eines Landhauses auf dem Semmering, das sie bei einem ortsansässigen Baumeister in Auftrag gegeben hatte. Sie wünsche einige Details nach seinem Entwurf in ihrem späteren Haus.