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Die deutsche Kriegserklärung an Russland am 1. August 1914 und die folgende Generalmobilmachung verhinderten ein erneutes Zusammentreffen. Gropius, der als Vizefeldwebel von den Husaren abgegangen war, wurde sofort eingezogen. Die Führung des kleinen Büros überließ er dem getreuen Adolf Meyer. Keiner ahnte – denn jeder rechnete mit einem schnellen Sieg –, dass es ein Abschied für vier lange Jahre sein sollte. Ein Telegramm an die Mutter, die sich noch im Sommerhaus am Timmendorfer Strand aufhielt, zeugt von einer gewissen Vorfreude auf das kriegerische Ereignis, das den eintönigen Alltag so abenteuerlich zu unterbrechen versprach: »Heute Abend Abmarsch Frankreich, beste Stimmung. Tausend Grüße.«19

Die Stimmung blieb noch eine Weile gehoben, auch wenn die vorrückenden Truppen auf unerwartet heftigen Widerstand der Belgier stießen, deren Gebiet sie völkerrechtswidrig überrannten. Es herrschte herrliches Sommerwetter, die Gesundheit des nicht mehr ganz jungen Kriegers war gut, besser jedenfalls als in den Jahren zuvor. Stolz konnte er der Mutter von seiner Kraft und seinem Können berichten. Es sei doch eigentümlich, wie man sich noch gar nicht recht kenne. Er habe geglaubt, dass es mit seinen militärischen Fähigkeiten nicht weit her sei, nun aber stecke er die meisten glatt in die Tasche. Sie wisse, dass das keine Prahlerei sei, aber es falle ihm eben auf, wie wenige so ganz einfach und gerade ihre Pflicht täten. Von seinen gewagten Patrouillen sprächen nicht nur das Regiment, sondern auch der Divisionsgeneral. Stimmung und Gesundheit seien weiterhin gut: »Keine Hämorrhoiden, keine Erkältung, kein Durchfall, während die meisten anderen nach den unsäglichen Strapazen liegen blieben und in die Lazarette mussten.«20

Doch nicht lange, so wünschte sich Gropius trotz Beförderung zum Leutnant und Verleihung des Eisernen Kreuzes, dass der Krieg bald zu Ende ginge. Der Höllenlärm der Geschütze, die schrecklichen Schreie der Verwundeten und Sterbenden raubten ihm den Schlaf und versetzten seine Nerven in dauernde Unruhe. Noch hatte der Berliner Apotheker Maximilian Negwer das Ohropax nicht erfunden. Die seelische Erschütterung infolge der vielen grauenvollen Szenen, die er miterlebte, brachten Gropius schließlich so herunter, dass auch er im Januar 1915 in ein Feldlazarett verlegt werden musste. Der Arzt berichtete der Mutter, ihr Sohn leide an Schlaflosigkeit, die durch Nervosität hervorgerufen sei. Die Ursache hierfür scheine in dem anstrengenden Dienst sowie in einem durch das Detonieren einer Granate in unmittelbarer Nähe veranlassten Schock zu liegen. Es sei zwar schon besser geworden und werde keine langfristigen Spuren hinterlassen – eine Voraussage, die nicht zutreffen sollte –, doch an eine Rückkehr an die Front sei momentan nicht zu denken.

Im Anschluss an den Lazarettaufenthalt erhielt Gropius zur weiteren Genesung noch einige Wochen Heimaturlaub, die er bei der Mutter in Berlin verbrachte. Dort erreichte ihn ein Silvestergruß der kriegsbegeisterten Alma. Sie wünsche, dass er heil aus der gewiss siegreichen Schlacht zurückkehren und dass bald die Zeit kommen werde, in der sie ihn dahin führen dürfe, wo er mit seinen Schritten ihr den Boden abgemessen habe. Sie drücke seine Hände.

Gropius brach nun sein langes Schweigen und berichtete Alma von seinen Leiden und seiner Genesung. Unverzüglich reiste sie nach Berlin, wo es ihr auf das Schönste gelang, wie sie dem Tagebuch anvertraute, ihre Absicht in die Tat umzusetzen, sich diesen bürgerlichen Musensohn wieder beizubiegen. »Tage wurden weinend verfragt … Nächte weinend beantwortet. Walter Gropius kommt über meine Bindung mit Oskar Kokoschka nicht hinweg … Ich brachte ihn auf die Bahn, dort übermannte ihn aber die Liebe derart, dass er mich kurzerhand in den schon abgefahrenen Zug zog und ich nun wohl oder übel mit nach Hannover fahren musste. Ohne Nachthemd, ohne die geringsten Bequemlichkeiten und Hilfsmittel wurde ich so, ziemlich gewaltsam, die Beute dieses Mannes. Ich muss sagen, es gefiel mir nicht übel.«21

Gegen Kokoschka, der sich auf ihr Drängen freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatte, zeigte sich Alma nun ganz und gar abweisend. Er war ihr abhanden gekommen. Er war ihr ein »unersehnt Fremder« geworden, dessen Leben sie nicht mehr interessierte. Sie hatte vorgegeben, in Berlin ihrer Leiden wegen einen berühmten Arzt aufsuchen zu müssen, was Kokoschka ihr nicht so ganz glaubte, auch wenn er den eigentlichen Grund nicht erriet. Ahnungsvoll klagte er: »Du ziehst nur Dein ganzes Leben lang die Anderen an Deine Brust und mich lässt Du verkommen … Du hast mich vergessen, wie Du nach Berlin gefahren bist, durch irgendeine arglistige Ohrenbläserei gegen mich wieder einen passablen Grund gefunden, fortzufahren, zu vergessen, mich zu vergessen, der Welt wieder zu gehören.«22

Als Alma zwei Wochen später nach Wien zurückkehrte, war sie sich allerdings nicht mehr so sicher, dass Gropius als Geliebter und Ehemann ihrem Anspruch auf genialisches Künstlertum genügen könnte. Auch dieser Mensch sei nur ein Mensch, und ach, sie ertrage Menschen schlecht, sei vielmehr voll Sucht nach einem Hinauf. Sie war und blieb unentschlossen, trotz aller Beteuerungen, Gropius zu lieben und für immer seine Frau werden zu wollen. Der Mann, mit dem sie sich verband, musste zu den Auserwählten gehören, was bei Gropius noch keineswegs abzusehen war, und so schwankte sie, beständig nur in ihrer Unbeständigkeit, zwischen heißer Sehnsucht und kühler Distanz, zwischen Schwärmerei und nüchterner Betrachtung hin und her. Nie wusste sie für längere Zeit, ob sie einen Mann noch liebte oder ihn bereits hasste, ob es Liebe, Flirt oder Zeitvertreib war.

Mit Kokoschka jedenfalls schien sie abgeschlossen zu haben. Als sie von seiner schweren Verletzung – Kopfschuss und Bajonettstich in die Lunge – bei einem Einsatz in der Ukraine erfuhr, zeigte sie wenig Mitgefühl. Sie holte aus seinem Atelier, zu dem sie den Schlüssel besaß, die Briefe, die sie ihm geschrieben, und die Skizzen, die er von ihr gemacht hatte. An seine Verwundung, schrieb sie Gropius, glaube sie nicht, sie glaube diesem Menschen überhaupt nicht mehr.

Als Gropius allerdings wagte, sich kritisch über Kokoschka zu äußern, reagierte sie, wie das Tagebuch zeigt, heftig und arrogant: »Heute habe ich von W. G. einen direkten, bösen Brief bekommen. Ich war tief erregt – und tief erschrocken – aber immer mehr fühle ich, dass dieser Mensch nicht mein Leben bedeutet. Seine Eifersucht auf O. K. ist grenzenlos! So viel arische Rücksichtslosigkeit könnte sich höchstens in meiner Nähe mit Magie paaren, um ertragen werden zu können; aber gepaart mit Philistertum entbehrt sie jeglicher Begründung. O. K. darf rücksichtslos sein. Dieser Mensch nicht, dieser kleine gewöhnliche Mensch! Auf die Knie vor mir, wenn ich bitten darf!«23

Alma fühlte sich über die »gewöhnlichen Menschen« erhaben. Nicht nur war sie die Tochter eines mit Preisen und Auszeichnungen geehrten Malers und Witwe eines bedeutenden Komponisten und Dirigenten, sondern selbst eine begabte Künstlerin mit höchsten Ambitionen. Schon als 19-Jährige hatte sie ihrem Tagebuch anvertraut: »Ich möchte eine große Tat tun. Möchte eine wirklich gute Oper komponieren, was bei Frauen wohl noch nie der Fall war. Ja, das möchte ich.«24

Und wirklich hätte aus Alma einiges werden können. Sie hatte zwar nie regelmäßig eine Schule besucht, war aber, musikalisch begabt, schon früh im Klavierspiel unterrichtet worden. Als junge Frau nahm sie gegen den Willen von Mutter und Stiefvater Stunden in Kompositionslehre bei Alexander von Zemlinsky. Zemlinsky glaubte an ihr Talent, zumindest für das Liederkomponieren, das, wie er meinte, für gewöhnlich »das Feld der Weiber« sei, musste aber bald feststellen, dass es ihr an Ernst und Ausdauer fehlte. Obwohl er in sie verliebt war, sparte er nicht mit Kritik. Entweder sie komponiere oder sie gehe in Gesellschaften, eines von beiden. Sie solle aber lieber das wählen, was ihr näher liege: in Gesellschaften zu gehen.

Zemlinsky sollte Recht behalten. Es gelangen Alma zwar einige bemerkenswerte Liedkompositionen nach Gedichten von Novalis, Rilke und Dehmel von, wie es in Fachkreisen heißt, emotionaler Intensität, doch es fehlte ihr an unbedingter Hingabe, ohne die in der Kunst nichts zu erreichen ist. Das mag sie selbst gefühlt und daher gehofft haben, dass der um sie werbende Mahler als Ehemann ein väterlicher Mentor werden und ihre kompositorischen Ambitionen unterstützen würde. Als Mahler aber vor der Eheschließung von ihr forderte, zukünftig auf eigene Arbeiten zu verzichten, da ein komponierendes Ehepaar eine zu lächerliche Angelegenheit sei, gab sie ohne Widerspruch nach – nicht ohne Mahler später vorzuwerfen, ihr Talent schändlich unterdrückt zu haben.

Dabei hätten sich Alma zur Ehe mit Mahler durchaus Alternativen geboten. Sie zählte zu den Schönheiten Wiens und hatte die Wahl zwischen vielen Verehrern. Zudem war das künstlerische Milieu, in dem sie sich bewegte, für unkonventionelle Lebensentwürfe, auch von Frauen, durchaus offen. Doch Alma schien nicht so recht an die eigenen Fähigkeiten, an weibliche Kreativität überhaupt, zu glauben und zog es vor, einen bereits arrivierten Mann zu heiraten, der ihr als Direktor der Wiener Hofoper ein gutes Einkommen und einen hohen gesellschaftlichen Status verschaffte. Sie trat mit dieser Entscheidung in die Fußstapfen ihrer Mutter, die zwar eine Gesangsausbildung am Wiener Konservatorium absolviert, nach der Heirat den Beruf aber aufgegeben hatte.

Das Verhältnis zwischen Alma und Gropius blieb der Mutter in Berlin nicht verborgen. Sie sei, so schrieb sie dem Sohn, über seine Wahl zwar nicht glücklich, respektiere sie aber. Was sie allerdings verletze, sei, dass er sie nicht eingeweiht habe. »Hier geht stark das Gerücht, Du würdest Dich gleich nach dem Krieg verheiraten. Warum verschweigst Du mir das, mein Walter, wenn es wahr ist? Zweifelst Du an meinem Verständnis, oder fürchtest Du, mich zu sehr zu erregen? Sei versichert, dass beides nicht nötig ist, und dass ich ganz glücklich und zufrieden bin, wenn Du es bist … Glaube mir, dass ich mir alle Mühe geben werde, mit Deinen Augen zu sehen, die ja doch helle genug sind und sich auch hoffentlich hierin nicht täuschen.«25

Doch Manon Gropius konnte sich mit Alma nicht abfinden. Die freizügige, leidenschaftliche Wienerin war und blieb der nüchternen, disziplinierten Preußin fremd. Es falle ihr unendlich schwer, schrieb sie dem Sohn, die Geliebte mit seinen Augen zu sehen. Vielleicht müsse sie Alma erst einmal besser kennenlernen, momentan jedenfalls könne sie sich mit seiner Wahl nicht einverstanden erklären. Nach einem Besuch der beiden gestand sie: Die mit ihm und Frau Mahler durchlebten und durchkämpften Tage seien wie ein Sturmwind über sie hinweggebraust und hätten sie gebeugt und völlig erschöpft zurückgelassen.

Die Antwort des Sohnes war schonungslos und wirkt, als hätte sich so einiges an Ärger über die mit Liebe und Fürsorge verbundene Strenge und Dominanz der Mutter über die Jahre angesammelt. Der geistige Abstand, der sie, so schrieb er, trenne, sei vielleicht doch zu groß, um überwunden werden zu können. Im Gegensatz zu ihr, die stehen geblieben und versteinert sei, sei er rapide vorwärtsgeschritten, habe ein neues Selbstvertrauen gewonnen und werde seinen eigenen Vorstellungen gegen jeden Widerstand nachleben. Wenn sie an seinem Glück zukünftig teilnehmen wolle, müsse sie über ihren Schatten springen und Alma einen versöhnlichen Brief schreiben.

Die Mutter tat, wie ihr geheißen. Sie wollte wohl die gestörte Mutter-Sohn-Beziehung wieder festigen und den Sohn, der an der Moselfront kämpfte, nicht durch familiäre Differenzen zusätzlich belasten. Sie wusste wie nur wenige von seinen gefährlichen Einsätzen und den vielen Toten, die ihn umgaben und die es wie ein Wunder erscheinen ließen, dass er selbst noch unverletzt geblieben war. Erstaunt hatte Gropius der Mutter einmal geschrieben: »Wir können nicht dankbar genug sein für das Glück, das über mir waltete. Die Kugeln haben mich in diesem Kriege nun schon vollständig umschrieben: eine in die Pelzmütze, eine in die Stiefelsohle, eine rechts, eine links durch den Mantel – und die schauerliche Granate.«26

Mutter, Muse und Frau Bauhaus

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